7.1 Grundlagen des Doppelbesteuerungsrechts
Das Doppelbesteuerungsrecht ist – wie auch das Außensteuerrecht – wesentlicher Bestandteil des internationalen Steuerrechts.1 Als internationales Steuerrecht kann die Gesamtheit der steuerlichen Normen verstanden werden, die sich auf grenzüberschreitende Auslands- und Inlandssachverhalte beziehen.2 Das Doppelbesteuerungsrecht wird in Abkommen, insbesondere in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), normiert.3 Die darin enthaltenen Normen dienen vorwiegend der Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung4, können aber beispielsweise auch die Bekämpfung von Steuerverkürzungen und doppelten Nichtbesteuerungen zum Gegenstand haben.5
7.1.1 DBA als völkerrechtliche Verträge
DBA sind völkerrechtliche Verträge.6 Sie binden die Vertragsstaaten, begründen aber auch Rechte und Pflichten der im Rahmen von Art. 1 OECD-MA 2017 abkommensberechtigten Personen.7 Das Zustandekommen eines DBA richtet sich nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Völkerverträge vom 23.5.1969 (WÜRV).8 Es muss zudem in Deutschland gemäß Art. 59 Abs. 2 GG durch ein Zustimmungsgesetz implementiert werden.9 Nach § 2 Abs. 1 AO gehen die in den DBA geregelten Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen grundsätzlich vor. Ist ein DBA gemäß Art. 24 WÜRV in Kraft getreten, bindet es die Vertragsparteien nach dem völkerrechtlichen Grundsatz „pacta sunt servanda“ und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen (Art. 26 WÜRV). Nach Art. 27 WÜRV können sich die Vertragsparteien zur Rechtfertigung der Nichterfüllung des DBA nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen. Im Falle einer erheblichen Vertragsverletzung ist eine Vertragspartei gemäß Art. 60 Abs. 1 WÜRV berechtigt, das DBA zu beenden oder es ganz oder teilweise zu suspendieren.
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7.1.2 Internationale Musterabkommen und die deutsche Verhandlungsgrundlage
Neben den bilateral ausgehandelten DBA sind auf internationaler Ebene Musterabkommen entwickelt worden, namentlich das OECD-MA, das UN-MA sowie das Anden-MA.10 Diesen kommt – wie auch dem OECD-Musterkommentar (OECD-MK) – nicht der Status eines völkerrechtlichen Vertrages zu, sondern lediglich Empfehlungscharakter, um die Staaten beim Abschluss von DBA und deren Auslegung zu unterstützen.11 Das OECD-MA erhält allerdings durch die regelmäßige Berücksichtigung bei Abkommensverhandlungen mit nur punktuellen Abweichungen eine herausgehobene Bedeutung, die auch das Heranziehen des OECD-MK in gewissem Ausmaße rechtfertigt.12 Für abgeschlossene DBA kann widerlegbar vermutet werden, dass sie im Sinne des zum Zeitpunkt ihres Abschlusses oder ihrer Revision geltenden OECD-MA und OECD-MK auszulegen sind, wenn und soweit sie in ihrer Konzeption, ihrem Aufbau und ihren Formulierungen dem OECD-MA folgen und die Vertragsstaaten keine Auslegungsvorbehalte angemeldet bzw. Bemerkungen angebracht haben.13
Für Deutschland von besonderer Bedeutung ist daneben die deutsche „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“ (DE-VG) aus dem Jahr 2013, welche die Grundlage für weitere Abkommensverhandlungen bildet, die Verhandlungsposition Deutschlands stärken und die deutsche Abkommenspolitik möglichst vereinheitlichen soll.14 Die DE-VG orientiert sich zwar stark am OECD-MA.15 Die Änderungen des OECD-MA im Jahr 2017, welche insbesondere die Empfehlungen des BEPS-Projekts bzw. die Regelungen aus dem MLI16 umfassen, sind hingegen bislang nicht darin aufgenommen worden.17
7.1.3 Allgemeiner Aufbau von Doppelbesteuerungsabkommen
OECD-MA, UN-MA und ein großer Teil der geltenden DBA sind in sieben Abschnitte eingeteilt.18 Die DE-VG folgt diesem Aufbau ebenso, auch wenn sie nicht förmlich in Abschnitte unterteilt ist. Die Abschnitte I und II enthalten Bestimmungen für den Geltungsbereich19 und zu den wesentlichen Begriffen.20 Der in seiner Bedeutung herausgehobene21 Abschnitt III umfasst die Verteilungsnormen für die Besteuerung des Einkommens.22 Abschnitt IV enthält die für Deutschland nahezu irrelevante23 Verteilungsnorm für die Besteuerung des Vermögens.24 Abschnitt V regelt ergänzend zu Abschnitt III und IV die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat für den Fall, dass in den Verteilungsnormen keine abschließende Rechtsfolge enthalten ist.25 Abschnitt VI umfasst weitere Bestimmungen, u. a. Diskriminierungsverbote,26 Vorschriften für ein Verständigungsverfahren,27 den Austausch von Informationen28 und zur Amtshilfe bei der Erhebung von Steuern.29 Die Schlussbestimmungen in Abschnitt VII normieren das Inkrafttreten und die Kündigung des DBA.30
7.2 Überprüfung der GloBE-Regeln
Auch wenn ein Treaty Override spätestens seit dem Beschluss des BVerfG vom 15. Dezember 201531 als mit dem Grundgesetz vereinbar anzusehen ist (vgl. Abschn. 5.4) und sich insofern ein Verstoß der in deutsches Recht umzusetzenden GloBE-Regeln gegen die von Deutschland geschlossenen DBA verfassungsrechtlich nicht negativ auswirkt, ist ein völkerrechtlicher Vertragsbruch32 dennoch nicht erstrebenswert. So kann dieser nicht nur zu internationalen Vertrauenseinbußen und zwischenstaatlichen Spannungen führen. Die Einhaltung der deutschen DBA i. R. d. Mindeststeuerumsetzung ist auch deshalb so wichtig, weil sie bei den betroffenen Unternehmen für Rechtssicherheit sorgt, Konflikte mit den Finanzbehörden vermeidet und dadurch deren wirtschaftliche Tätigkeiten nicht unnötig behindert.33 Der Steuerpflichtige soll sich auf ein DBA als Rechtsquelle verlassen können. Daher soll in diesem Kapitel untersucht werden, wie sich die GloBE-Regeln auf die deutsche Doppelbesteuerungspraxis auswirken, ob Konflikte entstehen und inwiefern hieraus ggf. ein Anpassungsbedarf für deutsche DBA erwächst. Als Maßstab soll dabei die deutsche Verhandlungsgrundlage dienen.
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7.2.1 Grundsätzliche Bewertung durch den Blueprint
Der im Oktober 2020 veröffentlichte Blueprint zu Säule 2 verweist in dieser Frage zunächst auf den langjährigen, nun in Art. 1 Abs. 3 OECD-MA als sog. Saving Clause kodifizierten Grundsatz, nach dem Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht eines Staates hinsichtlich der bei ihm ansässigen Personen prinzipiell nicht beschränken sollen, und folgert schon daraus eine grundsätzliche Vereinbarkeit von IIR und UTPR mit den Bestimmungen in Doppelbesteuerungsabkommen.34 Nach Hierstetter ist die Frage der Vereinbarkeit mit DBA damit aber richtigerweise nicht final geklärt.35 Denn schon bei DBA ohne eine solche Saving Clause i. S. d. Art. 1 Abs. 3 OECD-MA gestaltet sich die Bewertung nicht mehr eindeutig.36 Dies wird nachfolgend überprüft.
7.2.2 GloBE-Regeln im Geltungsbereich der DBA
Um die GloBE-Regeln auf ihre Vereinbarkeit mit deutschem Abkommensrecht untersuchen zu können, müssten die Regelungen zunächst in den Geltungsbereich der DBA fallen. In der Literatur ist die Frage aufgeworfen worden, ob die i. R. v. GloBE erhobene Top-up Tax überhaupt als unter das Abkommen fallende Steuer gemäß Art. 2 OECD-MA eingeordnet werden könne.37 Dies soll nachfolgend kurz unter Bezug auf Art. 2 DE-VG erörtert werden. Nach Art. 2 Abs. 1 DE-VG sollen die deutschen DBA ohne Rücksicht auf die Art der Erhebung für Steuern vom Einkommen gelten, die für Rechnung eines Vertragsstaates, einer seiner Länder oder einer ihrer Gebietskörperschaften erhoben werden. Abs. 2 konkretisiert dies dahingehend, dass als Steuern vom Einkommen alle Steuern gelten, die vom Gesamteinkommen oder von Teilen des Einkommens erhoben werden, einschließlich der Steuern auf Veräußerungsgewinne, Lohnsummensteuern und Steuern vom Vermögenszuwachs. Hierunter fallen in der Bundesrepublik Deutschland gemäß Abs. 3 insbesondere die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer und nach Abs. 4 Satz 1 auch alle Steuern gleicher oder im Wesentlichen ähnlicher Art, die nach der Unterzeichnung des Abkommens neben den bestehenden Steuern oder an deren Stelle erhoben werden.
Die im Rahmen der IIR und UTPR erhobene Top-up Tax basiert einerseits auf dem Einkommen von niedrig besteuerten Konzerneinheiten38 und wird andererseits ggf. auf die Gewinne von IIR- oder UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheiten erhoben, sodass die Top-up Tax als Steuer vom Einkommen i. S. v. Art. 2 Abs. 1 und 2 DE-VG eingeordnet werden kann. Je nach Design in der Umsetzung wäre sie als Körperschaft- bzw. Einkommensteuer i. S. d. Art. 2 Abs. 3 DE-VG oder als daneben tretende, im Wesentlichen ähnliche Steuer i. S. v. Art. 2 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 DE-VG zu qualifizieren.39 Eine explizite Aufnahme in den Katalog der unter das DBA fallenden Steuern erscheint insofern für Abkommen, die diesbezüglich mit der DE-VG übereinstimmen, nicht notwendig.40
7.2.3 Vereinbarkeit der IIR mit DBA
Da die GloBE-Regeln somit grundsätzlich in den Geltungsbereich deutscher DBA fallen, könnte die IIR mit den Verteilungsnormen in Konflikt geraten, die den Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DE-VG41 und Art. 10 Abs. 5 DE-VG42 nachgebildet sind. Denn es ist schon für rechtsfolgenseitig recht vergleichbare CFC Rules und auch die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung vertreten worden, dass diesen die genannten Abkommensklauseln entgegenstehen könnten.43 Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DE-VG können Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaates nur in diesem Staat besteuert werden, wenn nicht im anderen Staat eine Betriebsstätte unterhalten wird. Art. 10 Abs. 5 DE-VG lautet: „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft Gewinne oder Einkünfte aus dem anderen Vertragsstaat, so darf dieser andere Staat weder die von der Gesellschaft gezahlten Dividenden besteuern, es sei denn, dass diese Dividenden an eine im anderen Staat ansässige Person gezahlt werden oder dass die Beteiligung, für die die Dividenden gezahlt werden, tatsächlich zu einer im anderen Staat gelegenen Betriebsstätte gehört, noch Gewinne der Gesellschaft einer Steuer für nicht ausgeschüttete Gewinne unterwerfen, selbst wenn die gezahlten Dividenden oder die nicht ausgeschütteten Gewinne ganz oder teilweise aus im anderen Staat erzielten Gewinnen oder Einkünften bestehen.“
7.2.3.1 Bisherige Beurteilung durch den Blueprint und die Literatur
Der Blueprint verweist hinsichtlich der IIR auf die hohe Vergleichbarkeit zu bestehenden Hinzurechnungsbesteuerungsregimen (CFC Rules), welche daher die gleichen abkommensrechtlichen Fragen aufwerfen würden und ausweislich Art. 1 Rn. 81 OECD-MK nicht im Konflikt mit etwaigen DBA stünden.44 Die dort aufgeführte Begründung sei nämlich auf die IIR übertragbar, sofern die DBA-Bestimmungen am OECD-MA ausgerichtet seien.45 Nach Art. 1 Rn. 81 OECD-MK46 seien CFC Rules international als legitimes Instrument zum Schutz der inländischen Steuerbemessungsgrundlage anerkannt. Da Staaten mit der Hinzurechnungsbesteuerung ihre eigenen Staatsangehörigen besteuern würden, sei über Art. 1 Abs. 3 OECD-MA47 klargestellt, dass dies nicht im Konflikt mit den aufgeführten Artikeln stehe. Selbst ohne eine Saving Clause sei diese Schlussfolgerung zutreffend, was sowohl aus Art. 7 Abs. 14 OECD-MK48 und Art. 10 Abs. 37 OECD-MK49 als auch aus den Vorschriften selbst und ihrem Kontext hervorgehe. Dass einige Staaten in ihren DBA ausdrücklich klarstellen, dass CFC Rules von den DBA nicht berührt werden, sei daher nicht notwendig. Teile der Literatur folgen dieser Sichtweise bislang.50 Andrade Rodrígues und Nouel halten dagegen eine weniger formale, wirtschaftliche Betrachtungsweise für möglich, nach der die Gewinne des Tochterunternehmens über die IIR zumindest mittelbar im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter besteuert würden und damit durchaus einen Konflikt zu Art. 7 Abs. 1 OECD-MA begründen könnten, wenn nicht eine Saving Clause in das jeweilige DBA eingefügt würde.51
7.2.3.2 Übertragbarkeit auf deutsche DBA
Diese Ausführungen sind jedoch nicht ohne Weiteres auf deutsche DBA übertragbar.
7.2.3.2.1 Keine Saving Clause
Denn die sog. Saving Clause, wie sie in Art. 1 Abs. 3 OECD-MA normiert und in ähnlicher Form zudem auch in Art. 11 Abs. 1 MLI enthalten ist,52 ist dem deutschen Abkommensrecht grundsätzlich fremd.53 So hat sich Deutschland in Art. 1 Rn. 117 OECD-MK ausdrücklich vorbehalten, Art. 1 Abs. 3 OECD-MA nicht in seine DBA aufzunehmen. Dementsprechend ist eine allgemeingültige Saving Clause auch nur in Art. 1 Abs. 4, 5 DBA-USA zu finden, und dort auch nur einseitig zugunsten der USA.54 Zudem enthält Art. 1 Abs. 2 Satz 2 DBA-Japan 2015 eine spezielle Saving Clause für Fälle hybrider Gestaltungen.55 Im Übrigen hat sich Deutschland dazu entschieden, die Option in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) MLI auszuüben, sodass der gesamte Art. 11 MLI mit der darin enthaltenen Saving Clause ebenfalls nicht für unter das Übereinkommen fallende Steuerabkommen gilt.56
7.2.3.2.2 Dennoch kein Konflikt?
Folgte man der Argumentation in Art. 1 Rn. 81 OECD-MK, wäre ein Konflikt zwischen IIR und deutschen DBA jedoch auch ohne Saving Clause nicht gegeben, da weder die Art. 7 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Klauseln noch solche i. S. v. Art. 10 Abs. 5 OECD-MA die innerstaatlichen Regelungen berührten. Ob dem tatsächlich gefolgt werden kann, war (und ist teilweise noch) im Hinblick auf die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung sowohl in Deutschland57 als auch international58 umstritten und führte in Deutschland letztlich im Jahr 1992 zur Einführung des § 20 Abs. 1 AStG, der in vorbeugender Art und Weise als potenzieller Treaty Override festlegt, dass die §§ 7 bis 18 AStG durch die DBA nicht berührt werden.59 Folglich ist entscheidend, ob die IIR als Art Hinzurechnungsbesteuerung mit den beiden genannten Abkommensklauseln in Widerspruch steht. Wie Art. 10 Abs. 37 OECD-MK richtigerweise feststellt, gilt das Verbot der Erhebung einer Sondersteuer auf nichtausgeschüttete Gewinne in Art. 10 Abs. 5 DE-VG nur gegenüber dem Nichtansässigkeitsstaat (und nicht gegenüber dem Ansässigkeitsstaat) und betrifft zudem lediglich die Besteuerung der thesaurierenden Gesellschaft (und nicht ihrer Gesellschafter),60 sodass die IIR, die im Ansässigkeitsstaat beim Gesellschafter erhoben wird, diesbezüglich kein Konfliktpotential bietet. Kritischer zu sehen ist dagegen das Verhältnis zu Art. 7 Abs. 1 DE-VG. Hierzu wird hinsichtlich der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung durchaus vertreten, dass diese (unter Ausblendung des nun geltenden § 20 Abs. 1 AStG) mit der entsprechenden Abkommensvorschrift kollidiere,61 sodass auch die IIR eine Regelungskollision begründen könnte. Hierfür kann auch angeführt werden, dass die IIR anders als die bisherige Hinzurechnungsbesteuerung nicht die Gewinne der Tochtergesellschaft hinzurechnet und dann der allgemeinen deutschen Besteuerung unterwirft, sondern nur die Steuerpflicht hinsichtlich der bereits auf Ebene der niedrig besteuerten Konzerneinheit vollständig und nach eigenständigen Regelungen ermittelten Top-up Tax der IIR-steuerpflichtigen Konzerngesellschaft zuweist. Eine Besteuerung der Gewinne der vom IIR-Steuerpflichtigen gehaltenen Konzerneinheit i. S. d. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DE-VG liegt insofern trotz der allgemein vergleichbaren Funktionsweise62 etwas näher als bei den bisherigen Hinzurechnungsregelungen. Ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DE-VG kann daher nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
7.2.3.2.3 Konfliktlösung zumindest über Art. 28 Abs. 1 DE-VG
Herangezogen werden kann in dieser Frage jedoch häufig die Vorbehaltsklausel des Art. 28 DE-VG.63 Gemäß Art. 28 Abs. 1 DE-VG soll ein deutsches Abkommen nicht so auszulegen sein, dass es a) einen Vertragsstaat daran hindere, seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden, oder b) die Bundesrepublik Deutschland daran hindere, die Beträge zu besteuern, die nach dem Vierten, Fünften und Siebten Teil des deutschen AStG in die Einkünfte einer in der Bundesrepublik Deutschlands ansässigen Person einzubeziehen sind (Hinzurechnungsbesteuerung).64
Weil die IIR als Bestandteil der GloBE-Regeln aufgrund ihrer trotz der ähnlichen Erhebungstechnik unterschiedlichen Funktionsweise und aufgrund des allgemeinen Umfangs der GloBE-Regeln sehr wahrscheinlich nicht in die aufgeführten Abschnitte des AStG aufgenommen werden wird, kommt eine Entschärfung möglicher Konflikte mit deutschen DBA nur über Buchst. a) in Betracht. Der darin normierte Missbrauchsvorbehalt erfasst für den Bereich der Steuerumgehung sowohl allgemeine Missbrauchsbekämpfungsvorschriften (z. B. § 42 AO) als auch spezielle Missbrauchsvorschriften wie etwa § 50d Abs. 3 EStG.65 Ausschlaggebend ist das individuelle Missbrauchsverständnis des jeweiligen Vertragsstaates.66 Auch die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff., 20 AStG wird als Missbrauchsbekämpfungsvorschrift eingeordnet und fällt daher bereits in den Anwendungsbereich des Buchst. a).67 Dies dürfte ebenso für die IIR gelten. Denn diese verfolgt neben (und auch mit) der Begrenzung des Steuerwettbewerbs die Verhinderung verbleibender BEPS-Risiken. Unabhängig davon, ob die IIR den verfassungs- und EU-rechtlichen Anforderungen an eine gerechtfertigte Missbrauchsbekämpfungsvorschrift entspricht, ist die Verhinderung von Missbrauch und Steuerumgehung in jedem Fall eines der primären Regelungsanliegen der Vorschrift. Denn auch über die Begrenzung des Steuerwettbewerbs und der damit einhergehenden Eingrenzung steuerlicher Anreize sollen missbräuchliche Gestaltungen zur Steuerumgehung verhindert werden. Folglich findet der Missbrauchsvorbehalt in Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) Anwendung. Dementsprechend sind die angeführten DBA-Verteilungsnormen nicht so auszulegen, dass sie der Anwendung der IIR entgegenstehen.
7.2.3.3 Zwischenergebnis
Der IIR sollten in den Fällen, in denen deutsche DBA eine mit Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) DE-VG vergleichbare Klausel beinhalten, die anderen Abkommensregelungen nicht entgegenstehen. Ist dies nicht der Fall, wäre ein Konflikt mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DE-VG denkbar. Daher sollte Deutschland in solchen Abkommen einen Missbrauchsvorbehalt wie Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) DE-VG nachverhandeln, eine für die IIR separate und insofern mit Buchst. b) vergleichbare Klausel einarbeiten oder die Saving Clause aus Art. 1 Abs. 3 OECD-MA übernehmen68.
7.2.4 Switch-over Rule
In Bezug auf die Switch-over Rule ist zunächst noch einmal darauf hinzuweisen, dass sie ins Leere laufen würde, sollte sie zwecks Anwendung der IIR in Fällen ausländischer niedrig besteuerter Betriebsstätten einfach nur einen Wechsel der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode anordnen. Denn damit würden die im Niedrigsteuerstaat entrichteten Steuern auf die i. R. d. IIR erhobene Top-up Tax angerechnet werden, sodass die finale Steuerlast regelmäßig erneut unterhalb des Mindeststeuersatzes liegen würde, was nicht im Sinne der GloBE-Regeln ist. Die IIR selbst berücksichtigt bereits die im Ausland gezahlten Steuern. Es ergeben sich daher zwei Möglichkeiten, wie eine SOR zukünftig ausgestaltet sein könnte. Zum einen könnte die SOR in Fällen niedrig besteuerter ausländischer Betriebsstätten die Anwendung der Freistellungsmethode ausschließen und damit schlicht die IIR zulassen, ohne eine vermeintliche Doppelbesteuerung über die Anrechnungsmethode zu beseitigen.69 Alternativ könnte sie zulassen, dass nach allgemeinem inländischem Recht (und nicht über die IIR) die GloBE-Einkünfte der ausländischen Betriebsstätte (nur) mit 15 % besteuert werden, um über die Anrechnung der ausländischen Steuern dann ebenfalls auf eine finale Effektivsteuerquote in Höhe des Mindeststeuersatzes zu kommen.
Da Deutschland in seinen DBA regelmäßig dem Betriebsstättenstaat ein Besteuerungsrecht auf Unternehmensgewinne zuweist (vgl. Art. 7 DBA DE-VG) und für Betriebsstätteneinkünfte die Freistellungsmethode vorsieht (vgl. Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 DBA DE-VG),70 ist die SOR für Deutschland durchaus von Bedeutung. Zwar sollte nach Auffassung des Autors auch im Falle niedrig besteuerter ausländischer Betriebsstätten grundsätzlich eine Art. 28 Abs. 1 Nr. 1 DE-VG entsprechende Abkommensklausel die Anwendbarkeit der IIR sicherstellen. Sofern eine solche Klausel jedoch nicht in den deutschen DBA enthalten ist, wäre unabhängig davon, wie die SOR letztlich ausgestaltet sein wird, offensichtlich, dass sie aufgrund der abweichenden Regelung mit DBA in Konflikt stehen wird, die die Freistellungsmethode vorsehen.71 Sollte die SOR lediglich einfachgesetzlich ins nationale Recht eingeführt werden, würde sie damit einen Treaty Override begründen. Aus diesem Grund sollte die SOR zumindest in die deutschen DBA eingefügt werden, die keine Art. 28 DE-VG entsprechende Klausel enthalten. Alternativ und unter Verzicht auf die SOR könnte zumindest für Betriebsstättenkonstellationen anstelle der Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode etabliert werden.72
7.2.5 Regelungskollision der UTPR als Abzugsbeschränkung mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 DE-VG
Die UTPR könnte bei ihrer Umsetzung als Betriebsausgabenabzugsbeschränkung möglicherweise mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 DE-VG entsprechenden DBA-Klauseln kollidieren. Art. 9 Abs. 1 DE-VG73 bestimmt als Gewinnkorrekturvorschrift, dass ein Vertragsstaat Einkünfte zwischen verbundenen und in den Vertragsstaaten ansässigen Unternehmen korrigieren darf, soweit die vereinbarten Verrechnungspreise nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz genügen.74 Art. 7 Abs. 2 DE-VG75 hat parallel hierzu die Betriebstättengewinnabgrenzung zum Gegenstand und ordnet an, dass die Gewinne nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen sind.76
7.2.5.1 Bisherige Einordnung durch Blueprint und Literatur
Da eine Abzugsbeschränkung i. R. d. UTPR zu einer höheren Steuerbemessungsgrundlage führen kann als bei alleiniger Orientierung am Fremdvergleichsgrundsatz, diskutiert der Blueprint selbst einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA bzw. im Fall der UTPR-Anwendung auf eine Betriebsstätte einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 OECD-MA.77 Er kontert die hierin liegenden Bedenken einer Sperrwirkung allerdings mit der Begründung, es sei allgemein anerkannt, dass – wenn Gewinne erst einmal dem Fremdvergleich entsprechend zugeordnet seien – die jeweilige Art der Besteuerung den einzelnen Staaten frei obliege, was etwa an der in vielen Staaten existierenden Regel zur Abzugsbeschränkung für „entertainment expenses“ zu beobachten sei.78 Hierzu bezieht sich der Blueprint erneut auf die Saving Clause in Art. 1 Abs. 3 OECD-MA und zusätzlich auf Art. 7 Abs. 30 OECD-MK, der im Falle der in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA angeordneten Betriebstättengewinnabgrenzung klarstellt, dass die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs vorbehaltlich anderer Bestimmungen des Übereinkommens (insb. Art. 24 Abs. 3 OECD-MA) eine Frage des nationalen Rechts sei.79
Auch in der Literatur ist diesbezüglich vertreten worden, dass eine Kollision mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nur unter der Annahme bejaht werden könne, dass diese Klausel jegliche Abzugsbeschränkungen für fremdübliche Zahlungen unabhängig von ihrer Zielsetzung und Ausgestaltung untersage.80 Einer solch weiten Sperrwirkung widersprechen die Autoren Englisch und Becker sowie da Silva jedoch.81 Art. 9 Abs. 1 OECD-MA berühre nicht solche Fälle, in denen der steuerliche Abzug von Zahlungen an verbundene Unternehmen aus anderen Gründen als dem Fremdvergleichsgrundsatz beschränkt werde.82 Die UTPR (in ihrer 2019 noch deutlich vom Blueprint abweichenden Fassung) berühre aber nicht die Frage der fremdvergleichskonformen Gewinnaufteilung zwischen verbundenen Unternehmen, sondern die nicht ausreichend hohe Besteuerung der Gewinne eines ausländischen Unternehmens.83 Dies spiegele sich auch darin wieder, dass die im Rahmen der UTPR herbeigeführte Steuerbelastung (deutlich) geringer ausfalle als die gewöhnliche Steuerlast auf Gewinne des ansässigen Unternehmens.84 Zudem bestehe keine Gefahr wirtschaftlicher Doppelbesteuerung, welche ebenfalls durch Art. 9 OECD-MA verhindert werden solle.85 Andere Stimmen verhalten sich zu der Frage einer möglichen Sperrwirkung gegenüber der UTPR dagegen kritischer.86
7.2.5.2 Einordnung aus deutscher Perspektive
Wie bereits zur IIR ausgeführt, greift die von Blueprint und Literatur87 angeführte Saving Clause im Falle deutscher Abkommen nicht. Soweit sich die Anwendungsbereiche von Art. 9 Abs. 1 bzw. Art. 7 Abs. 2 DE-VG („verbundene Unternehmen“) und UTPR überschneiden, ist daher fraglich, ob von den DBA-Vorschriften tatsächlich eine relevante Sperrwirkung ausgeht. Der BFH hat eine Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden Klauseln zunächst in drei Entscheidungen angenommen,88 ist hiervon jedoch mit seiner Grundsatzentscheidung v. 27.2.2019 wieder abgewichen.89 Die herrschende Literatur in Deutschland entnimmt Art. 9 Abs. 1 OECD-MA dagegen eine allgemeine Sperrwirkung gegenüber einer weitergehenden Besteuerung nach nationalen Rechtsnormen, da anderenfalls die DBA-Gewinnkorrekturklauseln ihres Sinnes entleert würden.90 Dieser bestehe darin, das innerstaatliche Recht zu beschränken und sicherzustellen, dass Unternehmensgewinne in dem Staat besteuert werden, in dem sie entstanden sind, was nur gewährleistet werden könne, wenn beide Vertragsstaaten gemäß Art. 9 OECD-MA an einen verbindlichen Berichtigungsmaßstab gebunden seien.91 So wird beispielsweise auch gegenüber der Lizenzschranke in § 4j EStG vertreten, dass deren Anwendung durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gesperrt sei.92 Für Art. 7 Abs. 2 OECD-MA wird eine solche Sperrwirkung dagegen – soweit ersichtlich – trotz des ebenfalls darin normierten Fremdvergleichsgrundsatzes nicht angenommen.93 Dennoch zeigt sich, dass die UTPR als Abzugsbeschränkung nach der soeben vorgestellten Auffassung zumindest gegenüber Art. 9 Abs. 1 DE-VG Konfliktpotential aufweist.
Nach Auffassung des Autors berührt die UTPR die Frage der Gewinnzuordnung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz hingegen nicht. Denn diese setzt vielmehr erst nach der Gewinnzuordnung an und führt – ohne die Gewinnzuordnung zwischen zahlender und zahlungsempfangender Konzerneinheit neu ordnen zu wollen – zu einer Nachbesteuerung im Inland, wenn fremdübliche Zahlungen an eine niedrig besteuerte Konzerneinheit geleistet werden. Als innerstaatliche Einkünfteermittlungsvorschrift steht die UTPR dem ersten Zugriffsrecht des anderen Vertragsstaats daher nicht im Wege und stellt den primär anzuwendenden Fremdvergleichsgrundsatz nicht in Frage. Aus diesem Grund ist im Rahmen der UTPR auch keine Gegenkorrekturvorschrift i. S. d. Art. 9 Abs. 2 DE-VG94 vorgesehen. Sofern man dem nicht folgen möchte, wird ein Konflikt mit Art. 9 Abs. 1 DE-VG dennoch umgangen, wenn das einschlägige DBA eine Vorbehaltsnorm vergleichbar Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) DE-VG beinhaltet. Denn auch die UTPR hat als Missbrauchsbekämpfungsvorschrift wie die IIR zumindest auch die Verhinderung von Steuerumgehungen zum Gegenstand. Sie soll zum einen weiterhin bestehende BEPS-Risiken beseitigen, zum anderen soll sie verhindern, dass Konzerne durch Verlegung ihrer Konzernmuttergesellschaften eine Besteuerung durch die IIR umgehen.
7.2.6 Regelungskollision der UTPR mit Verteilungsnormen gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Art. 11 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 DE-VG
Im Übrigen stellt sich die Frage, ob es zu einer Regelungskollision der UTPR als Abzugsbeschränkung mit Verteilungsnormen wie Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Art. 11 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 DE-VG kommen könnte, da die UTPR regelmäßig auf die in diesen Verteilungsnormen geregelten Zahlungen (Zinsen, Lizenzgebühren und andersartige abzugsfähige Zahlungen) Anwendung finden wird, die Verteilungsnormen aber dem Vertragsstaat des Zahlungsempfängers das ausschließliche Besteuerungsrecht zuweisen. Hiervon ist jedoch nicht auszugehen. Denn diese Artikel haben allesamt die Verteilung des Besteuerungsrechts an den Einnahmen beim Zahlungsempfänger zum Gegenstand und nicht den Abzug der entsprechenden Ausgaben beim Zahlungsleistenden.95
Anders sieht dies im Falle der UTPR in der Form einer Quellensteuer aus. Diese dürfte regelmäßig mit den schon genannten Verteilungsartikeln in Konflikt stehen.96 Denn bei dieser Erhebungsform hat die UTPR tatsächlich die Besteuerung der eingehenden Zahlungen auf Ebene der als niedrig besteuert eingestuften Konzerneinheit zum Gegenstand und eben nicht den Abzug der jeweiligen Ausgaben bei der die Zahlung leistenden inländischen Konzerneinheit. Auch in dieser Situation ist allerdings wieder auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) DE-VG zu verweisen, der einer Regelungskollision entgegengehalten werden kann.
7.2.7 Verstoß der UTPR gegen Art. 23 DE-VG
Darüber hinaus ist im Blueprint und in der Literatur ein Verstoß der UTPR gegen die abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbote in Art. 24 Abs. 3 und 4 OECD-MA diskutiert worden. Art. 23 DE-VG stimmt mit Art. 24 OECD-MA vollständig überein.97 Die in Art. 23 DE-VG formulierten Diskriminierungsverbote sind absolut, d. h. eine Ungleichbehandlung nach den in den einzelnen Absätzen genannten Kriterien kann nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden.98
7.2.7.1 Art. 23 Abs. 3 DE-VG
Nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 DE-VG darf eine Betriebsstätte, die ein Unternehmen eines Vertragsstaats in einem anderen Vertragsstaat hat, im anderen Vertragsstaat steuerlich nicht schlechter behandelt werden als dort ansässige Unternehmen, die der gleichen Tätigkeit nachgehen. Der Blueprint verneint eine verbotene Ungleichbehandlung in diesem Sinne durch die UTPR.99 Denn nach der im Blueprint geäußerten Auffassung werde eine grenzüberschreitende (fiktive) Zahlung einer Betriebsstätte an ihr Stammhaus im Rahmen der UTPR nicht anders behandelt als eine solche Zahlung zwischen zwei Konzernunternehmen, und zwar unabhängig vom anzuwendenden Allokationsschlüssel oder Erhebungsmechanismus (Abzugsbeschränkung bzw. Quellensteuer).100 Die UTPR besteuere gleichermaßen Betriebsstätten und Gesellschaften eines multinationalen Konzerns, da beide als Konzerneinheiten anzusehen seien.101 Dem wird in der Literatur gefolgt.102 Auch der Autor möchte sich dieser Auffassung anschließen. Ist eine Betriebsstätte unter den Begriff der Konzerneinheit subsumierbar, findet keine weitere Differenzierung zwischen Betriebsstätten und etwaigen Gesellschaften eines Konzerns statt, weder in der Ermittlung der ETR noch in der Erhebung der Top-up Tax.
7.2.7.2 Art. 23 Abs. 4 DE-VG
Gemäß Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG sind, sofern nicht Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 4 oder Art. 12 Abs. 4 DE-VG anzuwenden ist, Zinsen, Lizenzgebühren und andere Entgelte, die ein Unternehmen eines Vertragsstaats an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne dieses Unternehmens unter den gleichen Bedingungen wie Zahlungen an eine im erstgenannten Staat ansässige Person zum Abzug zuzulassen. Die im Rahmen der UTPR möglicherweise vorzunehmende Abzugsbeschränkung könnte einen Verstoß gegen diese Bestimmung darstellen.
7.2.7.2.1 Bisherige Einordnung durch Blueprint und Literatur
Der Blueprint hat einen Verstoß der UTPR gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA abgelehnt.103 Im Falle des darin noch enthaltenen ersten Allokationsschlüssels könne die danach vorzunehmende Abzugsbeschränkung zwar nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfassen,104 jedoch knüpfe diese nicht unmittelbar an die Ansässigkeit des Zahlungsempfängers an, sondern an die Einordnung des Staates des Zahlungsempfängers als hoch oder niedrig besteuernd aufgrund der staatenbezogenen Konzern-ETR im relevanten Zeitraum.105 Im Falle des zweiten Allokationsschlüssels ergebe sich die Ablehnung einer relevanten Ungleichbehandlung dagegen schon daraus, dass dieser sowohl bei inländischen als auch bei grenzüberschreitenden Zahlungen an andere Konzerneinheiten eine Abzugsbeschränkung herbeiführe, da er sich allein am konzerninternen Nettoaufwand des zahlenden Unternehmens orientiere.106
In der Literatur wurde im Falle des ersten Allokationsschlüssels hingegen eine Diskriminierung bejaht, da Art. 24 Abs. 4 OECD-MA lediglich auf Situationen abstelle, in denen die Zahlung an einen Gebietsfremden erfolge, und zwar unabhängig davon, wie der entsprechende Gebietsansässige besteuert werde.107 Andere Stimmen leiteten aus den bestehenden Auslegungsmöglichkeiten zumindest ein hinreichendes Maß an Rechtsunsicherheit in dieser Frage ab, die eine Klarstellung im Rahmen des OECD-MK oder eine Anpassung der einzelnen DBA wünschenswert mache.108
7.2.7.2.2 Einordnung aus deutscher Perspektive
Die Modellregeln zur UTPR haben sich scheinbar von den bisherigen Allokationsschlüsseln gelöst, beschreiben derzeit aber nur die Aufteilung der insgesamt bei einem Konzern i. R. d. UTPR zu erhebenden Top-up Tax zwischen den einzelnen UTPR-Staaten. Welchen Anteil daran die einzelne UTPR-steuerpflichtige Konzerneinheit zu tragen hat und bei welchen Zahlungen das Abzugsverbot greifen soll, ist dagegen nicht geregelt. Denkbar ist hier vielerlei.
Unter anderem könnte für die Aufteilung der UTPR Top-up Tax unter den einzelnen UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheiten eines UTPR-Staates derselbe Verteilungsschlüssel verwendet werden wie bei der Allokation zwischen den einzelnen Staaten. Es käme also auf die Anzahl der Arbeitnehmer und die Buchwerte der Sachanlagen jeder einzelnen UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheit an. Sodann könnte die einer UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheit zugewiesene Top-up Tax entweder – wie schon im Blueprint vorgesehen – lediglich bei konzerninternen Zahlungsvorgängen109 oder aber auch bei Zahlungen der Konzerneinheit an Dritte über ein Abzugsverbot indirekt erhoben werden.110 In beiden Fällen wäre – außer bei Beschränkung des Abzugsverbotes auf grenzüberschreitende Zahlungen – keine Diskriminierung i. S. d. Art. 23 Abs. 4 DE-VG gegeben, da lediglich der Umstand einer vorgenommenen Zahlung die Abzugsbeschränkung bedingen würde.
Anders könnte sich dies darstellen, sollte für die UTPR doch noch auf die beiden Allokationsschlüssel des Blueprints zurückgegriffen werden. Denn die in den Modellregeln enthaltenen Vorgaben zur Aufteilung der insgesamt bei einem Konzern i. R. d. UTPR zu erhebenden Top-up Tax zwischen den einzelnen UTPR-Staaten schließt diese Vorgehensweise nicht aus. Demnach könnten zunächst Direktzahlungen der UTPR-Steuerpflichtigen an niedrig besteuerte Konzerneinheiten der Abzugsbeschränkung unterliegen, um die einem UTPR-Staat zugewiesene Top-up Tax zu erheben (Erster Allokationsschlüssel). Der danach noch nicht verteilte Top-up Tax-Betrag könnte anschließend entsprechend dem Verhältnis des konzerninternen Nettoaufwands der einzelnen UTPR-Steuerpflichtigen in einem Staat allokiert und erhoben werden (Zweiter Allokationsschlüssel). Unter diesen Umständen käme eine Diskriminierung i. S. d. Art. 23 Abs. 4 DE-VG deutlich eher in Betracht. Jedenfalls die Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 DE-VG stehen in diesem Falle einer Anwendung des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG grundsätzlich nicht entgegen. Das Diskriminierungsverbot findet in diesen Fällen lediglich auf den angemessenen Teil der Zahlungen Anwendung,111 was in der UTPR bereits berücksichtigt wird. Generell sind Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG entsprechende Klauseln häufig, aber längst nicht in allen deutschen DBA vorzufinden.112 Soweit sie vorhanden sind, wäre bei der UTPR im soeben aufgezeigten Sinne tatsächlich fraglich, ob diese entgeltliche Zahlungen an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person „unter den gleichen Bedingungen“ zum Abzug zulässt wie entsprechende innerstaatlich vorgenommene Zahlungen. Das verbotene Unterscheidungskriterium ist die Ansässigkeit des Zahlungsempfängers. Somit wäre eine Diskriminierung in jedem Falle zu bejahen, falls der Anwendungsbereich der UTPR wie schon bei der IIR generell lediglich auf grenzüberschreitende Sachverhalte begrenzt wäre und ein Abzugsverbot tatbestandlich Zahlungen an nichtansässige Konzerneinheiten voraussetzen würde.113 Von einem solchen Regeldesign ist allerdings nicht auszugehen.
Stattdessen käme es auf die Frage an, ob eine Klausel i. S. d. Art. 23 Abs. 4 DE-VG auch indirekten oder versteckten Diskriminierungen entgegensteht. Diese Frage wird zumindest in der deutschen Literatur nicht einheitlich beantwortet. So wird teils vertreten, dass ein Schutz vor Ungleichbehandlungen durch Vorschriften, die nicht auf die Ansässigkeit des Vergütungsempfängers abstellen, nicht bestehe.114 Aus diesem Grund sei etwa bei der Lizenzschranke, die eine Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs nur im Falle der Niedrigbesteuerung im Empfängerstaat und eben nicht bei fehlender Ansässigkeit im Staat des Lizenznehmers vorsieht, gar keine relevante Ungleichbehandlung festzustellen, sodass es auch nicht des darin offen formulierten Treaty Overrides bedurft hätte.115 Eine Differenzierung nach anderen Merkmalen als dem der Ansässigkeit wäre demnach auch im Rahmen der UTPR zulässig und würde keine verbotene Ungleichbehandlung begründen.
Rust differenziert hingegen weiter danach, ob bei unterstellter Inlandsansässigkeit des Zahlungsempfängers – und ansonsten identischer Sachverhaltslage – gleichzeitig auch die Benachteiligung aufgrund des anderen Merkmals entfallen würde.116 Dieser Sichtweise folgend wäre bezüglich des ersten Allokationsschlüssels festzuhalten, dass bei unterstellter Inlandsansässigkeit des Zahlungsempfängers – und ansonsten identischer Sachverhaltslage – die Benachteiligung (Abzugsbeschränkung) aufgrund des anderen Merkmals (direkte Zahlung an niedrig besteuerte Konzerneinheit) nicht immer, aber zumindest regelmäßig entfallen würde, da ein Konzern in Deutschland wohl nur in seltenen Fällen eine länderbezogene ETR unterhalb des Mindeststeuersatzes erreichen wird. Soll dieses typische Bild ausreichen, wäre zumindest bei DBA, die mit einem Staat geschlossen werden, in dem etwa aufgrund des niedrigen Körperschaftsteuersatzes immer oder fast immer eine Niedrigbesteuerung vorliegt, von einer Diskriminierung durch die UTPR auszugehen. Der zweite Allokationsschlüssel würde dagegen keine verbotene Diskriminierung begründen, da die UTPR in diesem Fall nur vom konzerninternen Nettoaufwand des UTPR-Steuerpflichtigen abhängt und sich dieser auch bei hypothetischer Inlandsansässigkeit nicht verändern wird, sodass eine Abzugsbeschränkung dennoch vorgenommen würde.
Nach Bruns ist bei der aufgeworfenen Frage zwischen mittelbaren und verdeckten Formen der Diskriminierung zu unterscheiden.117 Die verdeckte Diskriminierung, also die Anknüpfung an einen das „verbotene“ Differenzierungsmerkmal umschreibenden „erlaubten“ Begriff, sei demnach ebenso untersagt wie eine offene, direkte Ungleichbehandlung.118 Versteht man diese Auffassung in dem Sinne, dass erlaubtes und verbotenes Unterscheidungsmerkmal stets miteinander einhergehen müssen, ist eine verdeckte Diskriminierung zu verneinen. Denn die Nichtansässigkeit in Deutschland tritt keinesfalls immer zusammen mit der Niedrigbesteuerung der zahlungsempfangenden Konzerneinheit auf. Auch besteht kein Gleichlauf zwischen konzerninternem Nettoaufwand einer Konzerneinheit und deren Ansässigkeit, sodass nach diesem Verständnis des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG eine Ungleichbehandlung abzulehnen wäre.
Damit zeigt sich in der deutschen Literatur ein hinsichtlich des ersten Allokationsschlüssels nicht ganz einheitliches Bild. Art. 24 Abs. 1 OECD-MK merkt diesbezüglich an, dass der Diskriminierungsbegriff nicht übermäßig ausgedehnt werden sollte, um auch indirekte Diskriminierung zu erfassen, da die Nichtdiskriminierungsbestimmungen des Artikels versuchten, ein Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis, ungerechtfertigte Diskriminierung zu verhindern, und der Notwendigkeit, legitime Unterschiede in der Besteuerung zu berücksichtigen, herzustellen. Dies spricht dafür, dass eine solche indirekte (oder verdeckte) Ungleichbehandlung nicht generell untersagt ist, sondern in gewissem Ausmaße möglich sein kann. Die Forderung nach einer nicht übermäßigen Ausdehnung legt eine zurückhaltende Auslegung nahe, die im Falle einer nur typischerweise auftretenden Benachteiligung die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG eher ausschließt. Sofern eine verdeckte Diskriminierung dennoch anerkannt und auch im Falle der UTPR bejaht wird, kann dieser im Übrigen wieder Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) DE-VG entgegengehalten werden.119
7.3 Ergebnis der DBA-rechtlichen Untersuchung
Die im Rahmen von GloBE erhobenen Steuern fallen unter den Steuerbegriff der deutschen DBA, sodass die GloBE-Regeln auf ihre Vereinbarkeit mit den weiteren Abkommensvorschriften untersucht werden können. Die vorstehend durchgeführte Untersuchung hat durchaus Konfliktpotenzial aufgezeigt. So kann in Bezug auf die IIR eine Regelungskollision mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DE-VG nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Anwendung der SOR könnte deutschen DBA und den darin enthaltenen Freistellungsmethodenartikeln widersprechen, sollte die SOR nicht selbst in das jeweilige DBA aufgenommen werden. Die UTPR in der Erhebungsform der Quellensteuer dürfte regelmäßig mit den Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Art. 11 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 DE-VG kollidieren. Auch können je nach Auslegung des Abkommensrechts und Ausgestaltung der UTPR Konflikte zwischen der UTPR als Abzugsbeschränkung mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 4 DE-VG entstehen. Während die im Blueprint angeführte Saving Clause nicht zur deutschen Abkommenspraxis gehört und folglich keine der angeführten Konflikte zu lösen vermag, sollten Abkommensregelungen i. S. d. Art. 28 Abs. 1 DE-VG eine Regelungskollision der GloBE-Regeln mit bestehenden deutschen DBA verhindern. Für Fälle, in denen eine solche Klausel nicht Teil des deutschen DBA ist, wird eine Änderung der entsprechenden Abkommen zur rechtssicheren Umsetzung empfohlen.
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