2.2.2.1.2 Standarderläuterung durch das IFRS Interpretations Committee
Die Implementierung und konsistente Anwendung der Standards wird neben dem IASB unterstützend vom IFRS Interpretations Committee sichergestellt.
340 Anwendungsprobleme können von Rechnungslegungsadressaten an das IFRS Interpretations Committee herangetragen werden, das ergänzend zur Standardsetzung des IASB sog. IFRIC-Interpretationen entwickelt, Änderungsvorschläge an das IASB weiterleitet oder bestehende Regelungen im Rahmen von Agenda-Entscheidungen noch einmal erläutert.
341 IFRIC-Interpretationen sind als Bestandteil der IFRS-Standards vom IASB zu bestätigen und werden dem gleichen Standardsetzungsverfahren folgend unter Veröffentlichung zu kommentierender Standardentwürfe entwickelt.
342 Das IFRS Interpretations Committee bezweckt entsprechend der angestrebten prinzipienorientierten Standardsetzung keine detaillierten Regelungen in Form umfangreicher Standardanpassungen, sondern eine standarderläuternde Interpretation bestehender Vorschriften.
343 Die Entwicklung einer IFRIC-Interpretation erfolgt dabei nicht im Fall von Ermessensfragen, sondern nur bei übergeordneten Auslegungsproblemen.
344
Für die Aufnahme eines Projekts auf die Agenda bedarf es eines Anliegens, das einen weiten Adressatenkreis betrifft und für das die anzuwendenden Regelungen keine hinreichende Basis für eine angemessene Bilanzierung liefern, wodurch unterschiedliche Anwendungspraktiken bestehen, das jedoch innerhalb der Standardgrenzen sowie mithilfe des Rahmenkonzepts gelöst werden kann und das unter Kostengesichtspunkten gerechtfertigt ist.
345 Bspw. wurde IAS 12
Ertragsteuern aufgrund wesentlicher Unterschiede in den Bilanzierungsansätzen zur Berücksichtigung von Ertragssteuerrisiken durch IFRIC 23
Unsicherheit bezüglich der ertragssteuerrechtlichen Behandlung ergänzt,
346 der die vorherigen Möglichkeiten der einzelfallspezifischen Ergebnissteuerung begrenzt.
347 Obwohl die angestrebte Prinzipienorientierung eine branchen- und transaktionsunabhängige Standardsetzung verlangen würde, sind einzelne IFRIC-Interpretationen als industriespezifische Erläuterungen zu charakterisieren.
348 So wurde z. B. die vor IFRS 15 bestehende Problematik der Standardanwendung zur Umsatzerfassung aus Werklieferungsverträgen anstatt durch eine für Mehrkomponentengeschäfte allgemeingültige Standardanpassung oder -ergänzung mithilfe des speziell für die Errichtung von Immobilien geltenden IFRIC 15
Verträge über die Errichtung von Immobilien gelöst.
349 Obwohl die Erstellung von IFRIC-Interpretationen Anwendungsprobleme beseitigen soll, kann ihr Umfang und Detailgrad im Einzelfall bestehende Bilanzierungspraktiken ändern,
350 wie IFRIC 23, oder einzelne Auslegungsfragen nicht umfassen, wie IFRIC 15, weshalb weiterhin unterschiedliche Anwendungspraktiken möglich sind, die wiederum einen neuen Standardsetzungsprozess bedingen können.
Sofern das IFRS Interpretations Committee bei der Lösung von Anwendungsfragen im Rahmen der Standardauslegung keinen Konsens findet oder diese nur durch Änderungen des Standards adressiert werden können, sind die Anwendungsfragen an das IASB weiterzuleiten.
351 Dies kann sowohl einzelne Nachbesserungsprojekte, wie etwa die geringfügige Anpassung von IAS 16
Sachanlagen zur Berücksichtigung von Einnahmen vor der beabsichtigen Nutzung von Sachanlagen,
352 oder auch gänzlich neue Standardsetzungsprojekte bewirken, wie z. B. das bislang inaktive Forschungsprojekt zur Bilanzierung von Verbindlichkeiten aus variablen und bedingten Gegenleistungen
353. In den meisten Fällen führen die an das IFRS Interpretations Committee herangetragenen Anfragen jedoch weder zu einer IFRIC-Interpretation noch zu einer Standardanpassung durch das IASB,
354 sondern zu sog. Agenda Decisions, in denen das IFRS Interpretations Committee seine Entscheidung zur Nichtaufnahme eines Standardsetzungsprojekts begründet.
355
Die Veröffentlichung von Agenda-Entscheidungen erfolgt in der Regel bei Anwendungsfragen zur Auslegung – umfasst mitunter indes auch Ermessensfragen – komplexer Standards,
356 für die eine adäquate Bilanzierungslösung jedoch anhand bestehender Standards oder mithilfe des Rahmenkonzepts gefunden werden kann, weshalb die Agenda-Entscheidungen im Wesentlichen eine erklärende Funktion erfüllen.
357 So werden z. B. in den bislang zu IFRS 15 veröffentlichten Agenda-Entscheidungen Anwendungsfragen zur Umsatzerfassung aus Immobilienverträgen, zur Identifizierung bestimmter Leistungsverpflichtungen bei Wertpapiergeschäften sowie zur Erfassung der in Zusammenhang mit der Erstellung eines Guts anfallenden Kosten ausführlich anhand der Regelungen des IFRS 15 erläutert.
358 Agenda-Entscheidungen sind daher mit den einen IFRS-Standard ergänzenden Beispielen vergleichbar
359 und fördern die einheitliche Anwendung der Regelungsvorschriften
360. Obwohl sie keine standardvergleichbare Verbindlichkeit besitzen, sollten sie jedoch im Rahmen der Standardanwendung Berücksichtigung finden und können demzufolge auch eine Änderung der Bilanzierungspraxis bei Unternehmen erfordern;
361 sie entfalten damit de facto eine standardkonkretisierende Wirkung.
362 Die Legitimationsfunktion des Due Process wird durch diese Verlagerung des Standardsetzungsprozesses gleichwohl unterminiert. So sind besonders mögliche Auswirkungen von Agenda-Entscheidungen auf einen standardimmanenten Ermessensspielraum vor dem Hintergrund, dass sich die Kompetenz des IFRS Interpretations Committee formal auf Auslegungs-, nicht jedoch Ermessensfragen erstreckt, fraglich.
Die Betrachtung der einzelnen Standardsetzungsphasen „veranschaulich[t], dass in der Standardsetzung zur internationalen Rechnungslegung nur der Wandel beständig bleibt.“
363 Der Standardsetzungsprozess ist aufgrund des rekursiven Zusammenhangs zwischen Standardsetzung und Standardanwendung dabei durch eine stetige Kompromissfindung und damit Wertungsentscheidung zwischen Theorie und Praxis geprägt.
364 Die Partizipationsmöglichkeiten der am Standardsetzungsprozess Beteiligten sind daher im Folgenden als eine das Standardsetzungsergebnis erklärende Komponente zu betrachten.