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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

2. State of the Art des Social Sellings

verfasst von : Benedikt Römmelt

Erschienen in: Social Selling im B2B

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Der Begriff „Social Selling“ wird häufig in unterschiedliche Deutungen verwandt. In einer Symbiose der Wissenschafts- und Praktiker-Perspektiven wird der Begriff abgegrenzt und grundlegende Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Anschließend erfolgt die Einordnung des Social Selling ins Marketing- und Vertriebsmanagement. Auf Basis existierender Studien wird der Nutzen von Social beschrieben.

2.1 Begriffsbestimmung: Wissenschafts- und Praktiker Perspektiven

Sowohl Praktiker als auch Akademiker diskutieren Social Selling als einen prominenten aktuellen Verkaufsansatz mit beträchtlichem Potenzial. In der Praxis interpretiert jeder Experte den Begriff „Social Selling“ selbst. Der wissenschaftlichen Forschung fehlt eine gemeinsam vereinbarte, empirisch fundierte und theoretisch strenge Definition des Begriffs „Social Selling“ (Ancillai et al. 2019, S. 295; Barney-McNamara et al. 2020, S. 6 f.). Im Folgenden sollen die wesentlichen Elemente des Begriffs synthetisch erarbeitet werden. Grundsätzlich ist Social Selling ein Vertriebsansatz, der die Prinzipien des digitalen Marketings auf den Vertrieb anwendet (Kühnl und Frank 2019). Social Selling ist nicht nur ein neues Werkzeug, sondern definiert den traditionellen Verkaufsprozess neu. Allerdings ist die Literatur zu Social Selling weit gestreut und bietet keine einheitliche Definition oder ein erprobtes Konstrukt zur Umsetzung (Barney-McNamara et al. 2020).
Einen Überblick über ausgewählte Definitionsansätze aus Wissenschaft und Praxis gibt Abb. 2.1. Die Definitionen sind partiell sehr unterschiedlich und bieten dennoch an vielen Stellen gemeinsame Perspektiven. Auf dieser Basis soll nun synthetisch eine allgemeine Arbeitsdefinition des Begriffs „Social Selling“ erarbeitet werden, die diesem Werk zugrunde liegt. Der kleinste gemeinsame Nenner lässt sich wie folgt in der Kurzdefinition zusammenfassen:
Kurzdefinition: Social Selling
Social Selling ist die beziehungsorientierte Nutzung von sozialen Medien zur Erreichung von Vertriebszielen.
Der Vorteil dieser Kurzversion ist, dass man hierunter sehr viele der möglichen und sehr unterschiedlich gelebten Ausprägungen von Social Selling subsumieren kann. Im Kern soll Social Selling immer auf den Vertrieb einzahlen, selbst wenn die Social-Selling-Maßnahmen teilweise noch weit vom konkreten Verkaufsabschluss entfernt sind. Auf der anderen Seite greift diese Definition dennoch etwas kurz, da im Grunde alle Marketingmaßnahmen in sozialen Netzwerken langfristig auf den Verkauf der eigenen Leistungen abzielen. Ausnahme hiervon wären Maßnahmen zur Personalgewinnung über soziale Netzwerke im Rahmen des Personalmarketings.
Essenziell ist hierbei das Wort „beziehungsorientiert“. Der Betrieb eines Shops in Facebook, das Schalten klassischer Werbeanzeigen in Instagram mit Links auf den eigenen Shop oder die Massenkommunikation über Influencer (z. B. Verkaufsförderung mit Rabattcodes) sind deshalb nicht unter Social Selling zu subsummieren.
Um konkreter zu werden und typische Berührungspunkte und Maßnahmen des Social Sellings darzustellen, soll nun eine ausführlichere Definition folgen:
Definition: Social Selling
Social Selling ist die Nutzung von beziehungsorientierten, sozialen Netzwerken zur Erreichung von Vertriebszielen. Social Selling findet in unterschiedlichen Phasen einer Beziehung bzw. des Kundenlebenszyklus statt:
  • Allgemeine Informationssammlung (z. B. Social Listening, Screening der eigenen Kontakte, der Ziel-Branche und des Wettbewerbs)
  • Suche nach interessanten neuen Kontakten, insbesondere potenziellen Interessenten an der eigenen Leistung
  • Gezielte Kontaktanbahnung und Herstellung von Kontakten
  • Aufnahme der 1:1-Kommunikation mit neuen und bestehenden Kontakten
  • Systematischer, nachhaltiger Beziehungsaufbau und -pflege
Social Selling bedient sich häufig insbesondere folgender (Marketing-)Maßnahmen:
  • Content Marketing: Bereitstellung von zielgruppenrelevantem Content (Beiträge in Foren, Gruppen oder direkt im eigenen Profil, Whitepaper, Vorträge, Webinare, Events etc.)
  • Informationsaustausch und direktes Interagieren in sozialen Netzwerken (Kommentieren, Diskutieren, Beantwortung von Fragen, Eingehen auf Einwände, Teilen, Liken etc.)
  • Personal Branding (Eigendarstellung als Experte)
  • Employee Advocacy (positive Fürsprache für den Arbeitgeber durch Nutzung der Mitarbeiter(profile) als Medium)
Social Selling ist keineswegs ausschließlich Sache des Vertriebs. Auch für Mitarbeiter im Marketing bietet es neue Möglichkeiten, Kontakte zielorientiert zu erreichen und zu pflegen (Mundt 2019). Zudem sind natürlich Social Selling betreibende Vertriebler auf Zuarbeiten, Inhalte, Ideen, Trends etc. aus dem Marketing, der Forschung und Entwicklung oder anderen Abteilungen angewiesen, um relevanten Content in ihre Social-Selling-Aktivitäten einbringen zu können. Hierfür existieren diverse Tools zur technischen Unterstützung und Erleichterung der Social-Media-Arbeit (vgl. dazu Abschn. 4.​1).
Die heutzutage multiplen Kundenkontaktpunkte (Touchpoints) mit dem Unternehmen führen dazu, dass auch über Mitarbeiter aus allen anderen Unternehmensbereichen wie Entwicklung, Produktion, Management etc. interessante Kontakte auf das Unternehmen zukommen können.
Zunächst mag man beim Begriff „Social Selling“ bei dieser Definition an eine externe Perspektive denken. Jedoch kann Social Selling auch für interne Zielgruppen wirken. Schmäh et al. (2016) sehen neben der typischen Perspektive des externen Social Selling mit dem Ziel der Akquise neuer Kunden und der Überführung des Sales-Prozesses in die digitale Welt auch das interne Social Selling. Dabei liegt der Fokus auf der „Implementierung eines Informationssystems innerhalb der Unternehmung, mit dem Ziel, einen lückenlosen und effizienten Informationsaustausch zwischen Mitarbeitern und Abteilungen zu gewährleisten, um so den Verkauf zu unterstützen.“ (Schmäh et al. 2016, S. 18). Dabei lassen sich in diesem Bereich zahlreiche technologische Chat-, Community-, Social-Command- und SaaS-Lösungen finden, die allerdings nur mit ausreichend Training der Mitarbeiter ihr volles Potenzial entfachen können.

2.2 Einordnung ins Marketing- und Vertriebsmanagement

Social Selling lässt sich nicht einfach als ein Instrument neben anderen ins Marketing und den Vertrieb einordnen, da es auf verschiedenen Ebenen eine Rolle spielt. Social Selling lässt sich sowohl als (strategisches und/oder operatives) Vertriebsinstrument, als vertriebsorientierter Kommunikationskanal oder verbindendes Element anderer Vertriebsansätze ansehen. Zugleich spielt Social Selling eine thematische Rolle in diversen Marketingfeldern. Die Buzzword Map in Abb. 2.2 versucht, die wichtigsten vom Social Selling tangierten Begriffe und Felder des Marketings abzubilden (ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben). Einige dieser Begriffe haben eine derart spezifische Relevanz für das Social Selling, dass diesen im weiteren Verlauf dieses Buches eigene Abschnitte gewidmet sind (Content Marketing, Influencer Marketing, Personal Branding, Employee Advocacy).
Gemäß der oben entwickelten Definition ist Social Selling eine Ausprägung von Social-Media-Marketing und damit des digitalen Marketings. Digitales Marketing umfasst klassischerweise im Kern die Themenbereiche (Corporate-)Website, Targeting, Online-Werbung, Suchmaschinenmarketing (Search Engine Marketing, SEM) mit seinen Teilbereichen Search Engine Advertising (SEA) und Search Engine Optimization (SEO), E-Mail-Marketing, Mobile Marketing, Affiliate Marketing und natürlich das Social Media Marketing (Kreutzer 2019; Rüden et al. 2020). „Im Zuge des Social-Media-Marketings versuchen Unternehmen, soziale Medien zur Erreichung eigener Marketing-Ziele nutzbar zu machen.“ (Kreutzer 2018b, S. 1). Unter sozialen Medien werden Online-Medien und Technologien verstanden, die einen Informationsaustausch und eine Zusammenarbeit online ermöglichen, die weit über die klassische E-Mail-Kommunikation hinausgehen (Kreutzer et al. 2020, S. 236). Neben den sozialen Netzwerken zählen Media-Sharing-Plattformen, Social Bookmarking, Messenger-Dienste, (Mikro-)Blogs, Online-Foren und Online-Communitys zu den sozialen Medien (Kreutzer 2018b, S. 31 ff.; Wille-Baumkauff 2015, S. 68). Während bei den meisten Maßnahmen im Social Media Marketing in der Regel eine Vielzahl von definierten Käufersegmenten (Zielgruppen) erreicht werden soll (Beziehung: 1-zu-n) steht beim Social Selling hingegen die individuelle, gezielte Kontaktaufnahme zu den einzelnen Beteiligten des Kaufprozesses (Beziehung: 1-zu-1) im Vordergrund (Schmäh et al. 2016, S. 17). Beim Social Media Marketing spricht eine Marke also viele Menschen an und zielt z. B. darauf ab, die allgemeine Markenbekanntheit zu erhöhen oder ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung zu fördern, indem sie Inhalte produziert, die die Benutzer mit ihrem Netzwerk teilen. Social Selling dagegen konzentriert sich auf die Produktion fokussierter Inhalte und die Bereitstellung von 1:1-Kommunikation zwischen dem Verkäufer und dem Käufer. Beide Strategien schaffen wertvolle Inhalte aus der Perspektive des Konsumenten und verwenden ähnliche soziale Netzwerke und Social Software Tools. Beim Social Selling ist es jedoch das Ziel, dass der Vertreter eine Beziehung zu jedem Interessenten aufbaut, Vorschläge macht und Fragen beantwortet, anstatt eine Affinität zur Marke des Unternehmens aufzubauen (Minsky und Quesenberry 2016, S. 3).
Somit ist Social Selling auch ein Ansatz für das One-to-one Marketing. Unter One-to-One Marketing versteht man kundenindividuelles Marketing. Förster und Kreuz (2006, S. 120) bringen es auf den Punkt: „Behandle unterschiedliche Kunden auf unterschiedliche Weise!“ Anstatt nur Produkte, Vertriebskanäle und Absatzprogramme zu verwalten und die Marktforschung zu bemühen, wird der Dialog mit dem Kunden gesucht, um von ihm selbst zu erfahren, was er wirklich will. Dadurch, dass ein Anbieter, unterschiedliche Kunden unterschiedlich behandelt, erhöht sich der Nutzen für den einzelnen Kunden. Heutzutage kann dabei das individuelle Bedürfnis auch partiell automatisiert (vgl. Amazon Empfehlungen) oder zumindest datengestützt erkundet werden. Die Kundenbindung und damit die Profitabilität des einzelnen Kunden für das Unternehmen nimmt zu. Das Ausmaß des Individualisierungsgrads hängt vom zu erwartenden Customer Lifetime Value des einzelnen Kunden ab. One-to-one Marketing kann natürlich sehr aufwendig werden (Förster und Kreuz 2006, S. 105 ff.). Gerade im B2B-Kontext kann sich dieser Aufwand lohnen. Genau diese individuelle Behandlung des Kunden ist, was im Kontext des Social Sellings erreicht werden kann bzw. passieren sollte.
Der Begriff „Direktmarketing (synonym Dialogmarketing) ist dem One-to-One Marketing sehr nahe, fokussiert jedoch zunächst auf den kommunikativen Aspekt. Bruhn (2019, S. 237) definiert Direktmarketing als „sämtliche Kommunikationsmaßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, durch eine gezielte Einzelansprache einen direkten Kontakt zum Adressaten herzustellen und einen unmittelbaren Dialog zu initiieren oder durch eine indirekte Ansprache die Grundlage eines Dialoges in einer zweiten Stufe zu legen, um Kommunikations- und Vertriebsziele eines Unternehmens zu erreichen.“ (Bruhn 2019, S. 237). Betrachtet man diese Definition, wird schnell klar, dass Social Selling eine Maßnahme ist, um gezielt und direkt Kontakt zu einem Ansprechpartner zu suchen und den Dialog aufzunehmen. Somit ist Social Selling Bestandteil des Direktmarketings.
Social Selling lebt von Dialog und kundenindividuellem Beziehungsaufbau. Eine kurzfristige Transaktionsorientierung wie häufig im Influencer Marketing (z. B. durch die Nutzung von Rabattcodes) ist kein Kernelement von Social Selling. Im weiteren Kontext betrachtet ist Social Selling somit ein (neues) Instrument im Kontext des Beziehungsmanagements (Customer Relationship Management, CRM): Dem Beziehungsaufbau und der Pflege widmet sich mit dem Beziehungsmanagement seit langem ein breiter Forschungszweig. Unstrittig ist, dass gute Kundenbeziehungen zu Loyalität der Kunden und damit zu langfristig höheren Kundenumsätzen und Cross-Selling-Potenzialen führen. Damit gehen eine größere Toleranz gegenüber Preisanpassungen und folglich höheren Kundendeckungsbeiträgen einher und die Weiterempfehlung steigt (vgl. für viele andere z. B. Bill 2015, S. 15 ff.; Buzzell und Gale 1989, S. 92; Heskett et al. 1994, S. 166; Kumar und Reinartz 2018, S. 3 ff.; Reichheld und Sasser 1990, S. 105; Römmelt 2014, S. 7 ff.; Woratschek 2002, S. 30, 2004, S. 76; Zeithaml et al. 1996, S. 33). Das Social Selling lässt sich als ein Instrument des Beziehungsmanagements sehen, mit dem sich Beziehungen operativ pflegen lassen.
Customer Journey ist eines der beliebtesten Buzzwords der Marketingpraxis der letzten Jahre, wenngleich die Grundidee des (Serivce-)Blueprintings nicht neu ist (vgl. z. B. bei Bitner et al. 2008; Pastowski 2004, S. 69). Customer Journey steht für ein Modell des Kaufprozesses aus der Perspektive des Kunden. Bruhn (2019, S. 210) nennt beispielsweise folgende Phasen: Anregungsphase, Suchphase, Auswahlphase, Kaufphase, Nachkaufphase. Ein Kontaktpunkt (Touchpoint) ermöglicht einen Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager. Ein Touchpoint „erfüllt in Abhängigkeit seiner Ausgestaltung Funktionen der Kundenansprache, der Kundeninformation und Kommunikation, der Interaktion, der Distribution von Leistungen, der Nutzenstiftung durch die bereitgestellten Leistungen sowie unterschiedliche Formen des Kundenservice“ (Meffert et al. 2019, S. 126). Das Modell soll die möglichen Touchpoints des Kunden mit dem Unternehmen erfassen. Diese können offline oder online ausgestaltet sein (Bruhn 2019, S. 219). Das Prozessmodell sieht zwar einen typischen Ablauf vor, jedoch kann jeder Touchpoint auch mehrfach vom Kunden „berührt“ werden. Die Reihenfolge kann zwischen unterschiedlichen Kunden variieren, und nicht alle Kunden gelangen während der Journey an alle Touchpoints. Typische offline Touchpoints sind z. B. TV-Spots, Preislisten, Messen, Verkäufer, Handel, Empfehlungen etc. Online Touchpoints sind Websites, Newsletter, Suchmaschinen, Influencer, Foren, Blogs, Apps, Influencer etc. und natürlich soziale Medien. Soziale Medien können in unterschiedlichen Phasen als Touchpoints dienen, womit Social Selling in mehreren Phasen des Kaufprozesses eine Rolle spielen kann.
Während B2C-Vertrieb in der Regel auf zwar möglichst zielgruppengerechter und teils (automatisiert) individualisierter Massenkommunikation basiert, baut der B2B-Vertrieb auf individuellen Beziehungen auf. Gemäß oben vorgestellter Definition unterstützt Social Selling bei der Kontaktanbahnung, -herstellung und -aufnahme von 1:1-Kontakten. Zudem helfen Social-Selling-Maßnahmen bei der systematischen und nachhaltigen Beziehungspflege. Somit ist Social Selling für den Einsatz im B2B-Kontext prädestiniert.
Dabei kann Social Selling an unterschiedlichen Punkten des Sales Funnels (Verkaufstrichters, teils auch Brand oder Marketing Funnel genannt) eine Rolle spielen. Der Sales Funnel ist ein lineares Prozessmodell, das einzelne Phasen des Verkaufsprozesses abbildet und der Steuerung des Vertriebs dient. Insbesondere werden quantitative und qualitative Kennzahlen vom ersten Kundenkontakt bis hin zur Konvertierung in zahlende Kundschaft erhoben. Das in der Praxis (auch durch zahlreiche renommierte Unternehmensberatungen) etablierte Konzept kann unterschiedlich konkretisiert werden (folgende Prozessbeschreibung orientiert sich im Wesentlichen an Dierks 2017, S. 9). Meist soll in der ersten Stufe Awareness (Bekanntheit) für die Marke oder das Produkt geschaffen werden. Im zweiten Schritt geht es um Wissen und Vertrautsein mit Marke, Produkten oder Leistungen. In der Phase „Consideration“ denkt der Kunde über den Kauf der Marke nach, der Kunde ist also „vorqualifiziert“. An dieser Stelle setzt gern der Vertrieb an, da der potenzielle Interessent nun in die Sales Pipeline gelangt: ein vorqualifizierter Lead aus Vertriebsperspektive besteht aus Name und Kontaktdaten, die grundsätzlichen Bedarf haben (Hase und Busch 2018, S. 14). Im nächsten Schritt werden (nach Möglichkeit) Präferenzen für das eigene Angebot geschaffen, die (bestenfalls) in den Kauf münden. Bei kurzfristiger Transaktionsorientierung wäre der Funnel hier beendet, jedoch wird heutzutage der nächste Schritt in der Kundenloyalität (Wiederkauf) und weitergehend in der Weiterempfehlung gesehen. Im Gegensatz zur Customer Journey sind Funnel-Modelle häufig konsekutiv modelliert, ohne rekursive Verbindungen vorzusehen. Teils werden Funnel als zu transaktionsbezogen und zu wenig beziehungsorientiert gesehen (Dierks 2017, S. 16). Leadgenerierung bedeutet in diesem Kontext, die zur Verfügungstellung von qualifizierten Kontakten, die vom Vertrieb weiterverarbeitet werden können. Mittels Content Marketing lässt sich Brand Awareness und Vertrauen schaffen. Der besondere Nutzen von Social Selling liegt allerdings im nächsten Schritt des Sales Funnels: Mithilfe der Suchfunktion in den sozialen Netzwerken lasst sich das Finden von passenden Personen und die Kontaktherstellung erleichtern. Zudem lassen sich über Social-Selling-Aktivitäten die Beziehungen pflegen.
Fazit zur Einordnung des Social Sellings ins Marketing- und Vertriebsmanagement
Social Selling spielt in vielen unterschiedlichen Marketing- und Vertriebskonzepten eine Rolle und verbindet diese. Als eine eigene, von anderen Instrumenten losgelöste Disziplin ist Social Selling nicht zu bezeichnen, sondern es ist eine von vielen möglichen Vorgehensweisen (Strategien) vor allem im beziehungsorientierten B2B-Marketing.

2.3 Nutzen und Wertbeitrag des Social Sellings

Die Fachliteratur bietet zahlreiche Hinweise auf den möglichen Nutzen von Social Selling (Zusammenfassung der folgenden Ausführungen in Abb. 2.3). Sowohl Praktiker als auch Akademiker diskutieren Social Selling als einen aktuellen Verkaufsansatz mit beträchtlichem Potenzial im Bereich des B2B-Verkaufs (Ancillai et al. 2019; Leeflang et al. 2014; Salo 2017).
Mit direkten Vernetzungsanfragen über soziale Medien lässt sich das Kontaktnetzwerk effizient erweitern (Kühnl und Frank 2019, S. 18). Grundsätzlich erleichtert bereits die Nutzung sozialer Netzwerke nicht nur den Aufbau, sondern insbesondere die Pflege von Kundenbeziehungen und die Interaktion mit den Kunden (Agnihotri et al. 2012; Bocconcelli et al. 2017; Lacoste 2016).
Soziale Medien können von Vertrieblern einfach genutzt werden, um Informationen über Kunden zu sammeln, die zu einem besseren Kundenverständnis führen (Lacoste 2016, S. 38). Berichte von Firmen wie Adobe, IBM oder Maersk Line sowie von Beratern weisen darauf hin, dass soziale Medien und digitale Kanäle im Verkauf genutzt werden können, um einen effektiven Dialog mit Käufern zu erleichtern (Ancillai et al. 2019, S. 293; Kovac 2016; McKinsey & Company 2013). So beeinflusst das Ausmaß der Social-Media-Nutzung durch den Vertriebler signifikant positiv – wenn auch nur in relativ geringem Maße – den Informationsaustausch mit dem Kunden. Je höher dieser Informationsaustausch, desto höher wiederum ist die Reaktionsfähigkeit des Vertriebsmitarbeiters in der Zusammenarbeit mit dem Kunden (Agnihotri et al. 2017, S. 177). Die besondere Relevanz des Social Sellings zeigt sich darin, dass die Nutzung sozialer Medien durch den Vertriebsmitarbeiter sowie durch den Kunden die Kundenloyalität steigern können (Bill 2015, S. 71).
Vertriebler versuchen mit Hilfe von Social Selling ihre Reputation zu erhöhen, indem sie Expertenblogs erstellen oder zu spezifischen Communities gehören, Beiträge verfassen und teilen (Lacoste 2016, S. 39; Rollins et al. 2014). Sie können dadurch sogar sozialen Einfluss in den Online-Communities nehmen (Wang et al. 2016).
In einer Studie unter Top-Managern (McKinsey & Company 2015) erkannten die Befragten messbaren Nutzen durch soziale Technologien bei der Zusammenarbeit mit externen Stakeholdern. Dazu gehörte die erhöhte Schnelligkeit beim Zugriff auf Wissen (66 % Zustimmung), reduzierte Kommunikationskosten (60 %) und Einsparungen bei Reisekosten (49 %).
Die akademische Forschung hat zudem nachgewiesen, dass die Nutzung von Social Media im Vertrieb positiv mit dem Wissen der Vertriebsmitarbeiter über den Kunden, dem Verkaufsverhalten sowie sogar der Verkaufsleistung korreliert (z. B. Itani et al. 2017; Rodriguez et al. 2016). Informationen aus den sozialen Netzwerken verbessern das Verständnis für das Beziehungsnetzwerk der Interessenten bzw. Kunden. Zudem liefern sie Erkenntnisse über deren externe Beziehungen und aktuelle Daten über ihre Aktivitäten. Diese Einblicke helfen Vertrieblern im gesamten Verkaufszyklus (Trainor 2012, S. 324 f.). Eine Befragung von Vertriebsmitarbeitern in den USA beispielweise ergab bereits vor einigen Jahren, dass drei Viertel der Verkäufer, die soziale Medien als Teil ihres Verkaufsprozesses nutzen, ihre Vertriebskollegen übertrafen. Zudem hatten bereits 54 % ein Geschäft als direkte Folge von Social-Media-Aktivitäten abgeschlossen (Keenan und Giamanco 2012, S. 5 ff.). Schultz et al. weisen explizit einen positiven Effekt vom Umfang der Social-Media-Nutzung bei B2B-Vertrieblern auf deren Verkaufsleistung nach (Schultz et al. 2012). Allerdings zeigen Schultz et al. auch, dass eine hohe Kundenorientierung des Vertrieblers einen stärkeren Effekt auf dessen Verkaufsleistung hat als die Nutzung von Social Media durch den Mitarbeiter. Auch ein guter Sales-Prozess hat einen deutlich höheren Einfluss auf die Qualität der Kundenbeziehung als die Nutzung von Social Media (Rodriguez et al. 2016, S. 373). Im direkten Vergleich von Vertrieblern, die Social Selling nutzen, mit solchen, die es nicht nutzen, schneiden die Social Seller besser ab (vgl. Abb. 2.4). Gehen wir einmal davon aus, dass besonders fleißige und engagierte Vertriebsmitarbeiter alle (technischen) Möglichkeiten – also auch Social-Selling-Aktivitäten – zur Vertriebsarbeit nutzen, ist fraglich, was die Ursache für die bessere Zielerreichung ist: Grundsätzlicher Fleiß, ständiges Engagement und hohe aufgabenspezifische Kompetenzen des Mitarbeiters oder das akutell häufig gehypte Social Selling? Allerdings kann weder mit der Studie von Ostrow (2013) und auch keiner weiteren (dem Autor bekannten) bis dato publizierten Studie der positive Effekt von Social Selling kausal nachgewiesen werden.
Die meisten Studien legen nahe, dass die Nutzung von Social Media keinen direkten Einfluss auf das Vertriebsergebnis hat, sondern dass es sich lediglich um einen Mediatoreffekt handelt. Die Social-Media-Nutzung wirkt somit indirekt über andere Einflussgrößen wie z. B. eine über Social-Media-Kontakte verbesserte Beziehung zum Kunden oder eine höhere Anpassungsfähigkeit des Vertrieblers (Agnihotri et al. 2016, S. 172; Agnihotri et al. 2017, S. 146; Itani et al. 2017, S. 67; Ogilvie et al. 2018, S. 63; Rodriguez et al. 2012, S. 374; Rodriguez et al. 2016, S. 367; Trainor et al. 2014, S. 1202).
Der professionelle Gebrauch von CRM-Tools und die Nutzung von Social-Media-Netzwerken wie Xing, LinkedIn und anderen gehören heutzutage also zu den wichtigsten Grundlagen einer erfolgreichen Vertriebsarbeit. Damit tun sich aber viele Vertriebsorganisationen immer noch schwer (Zupancic 2019, S. 21). Es lassen sich Mängel in Wissen und in der Anwendung sowohl in der Praxis als auch im akademischen Kontext beobachten: Die effektivsten Hebel zur Nutzung von Social Media zum Verkauf und zur Messung des Wertes für die Unternehmen sind häufig noch nicht identifiziert (Ancillai et al. 2019, S. 293; McKinsey & Company 2015). Forrester Consulting bescheinigt in einer Studie unter B2B-Unternehmen, dass diese die Wichtigkeit von Social Selling erkannt haben. Jedoch erfolgt die Nutzung durch Vertriebsmitarbeiter im B2B-Kontext nicht immer systematisch und umfassend (Forrester Consulting 2017). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass die systematische Nutzung von Social CRM (vgl. hierzu Abschn. 4.​4) einen nachgewiesenen positiven Einfluss auf die Beziehung zum Kunden (Trainor et al. 2014) hat, überraschend.
In ähnliche Richtung argumentieren Schmäh et al.: So unterliegt zwar der Vertrieb einem Wandel, jedoch scheint das Konzept des Social Sellings für viele Unternehmen noch völliges Neuland. Ein Großteil der Unternehmen erkennen noch nicht die positive Wirkung von Social Selling auf das Betriebsergebnis (Schmäh et al. 2016, S. 17).
Insgesamt scheint Social Selling in B2B-Branchen relevanter als im B2C-Kontext. Vertriebsmitarbeiter im B2B-Kontext nutzen beziehungsorientierte Social-Media-Technologien häufiger als Vertriebler im B2C-Kontext (Moore et al. 2015, S. 11). Salesmanager im B2B-Kontext bedienen sich häufiger sozialer und beruflicher Netzwerke, Online-Konferenzen und Webinaren sowie Austauschplattformen für Präsentationen als ihre B2C-Kollegen. Auch der Großteil der akademischen Forschung bezieht sich auf den B2B-Kontext (Itani et al. 2017, S. 66 f.).
Bei aller Euphorie zum Thema muss jedoch attestiert werden, dass die Grundideen des Social Sellings keineswegs neu sind. Schon sehr lange weiß man, dass Kaufentscheidungen – im B2B-Kontext explizit die von Organisationen – von individuellen Beziehungen in sozialen Netzwerken der Entscheider (insbesondere hinsichtlich Gatekeeping und Fürsprache) beeinflusst werden (Bristor 1992). Der größte Unterschied, wenn Bristor (1992) von „social networks“ spricht, ist, dass sie das persönliche, zwischenmenschliche Netzwerk der Einkäufer meint. Neu am heutigen Social Selling ist (lediglich), dass nun die Kontakte auf digitale Weise mittels Facebook, LinkedIn, Xing und Co. erfolgen.
“We need to remember that sales should be about more than just selling things. Sales should be about understanding customers, interacting with them, helping them. Social is an important tool for us to do those things and, ultimately, help in the sales cycle.” (McKinsey & Company 2013)
Fazit zum Nutzen und Wertbeitrag des Social Sellings
Social Selling hat einen nachgewiesenen Nutzen für den B2B-Vertrieb. Die Größe des Nutzens und der Effekt im Vergleich zu anderen Maßnahmen ist nicht untersucht. Bahnbrechend innovativ ist der Ansatz grundsätzlich nicht. Wie bei vielen neuen Technologien und Vertriebsansätzen üblich, werden dem Social Selling in der ersten Zeit viele Vorschusslorbeeren zuteil.
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Metadaten
Titel
State of the ArtState of the Art des Social Sellings
verfasst von
Benedikt Römmelt
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-33772-8_2