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09.08.2024 | Steuerberatung | Interview | Online-Artikel

"Erste Kanzleien nutzen generative KI wie Chat GPT"

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

6 Min. Lesedauer

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Künstliche Intelligenz verspricht der Wirtschaft schnellere und effektivere Prozesse. Das gilt auch für die Steuerberatung. Warum Tools wie Chat GPT dennoch nur langsam in die Branche Einzug halten, erläutert Steuerberater Experte Benjamin Bhatti. 

springerprofessional.de: Die Digitalisierung hat schon länger in die Büros der Steuerberater Einzug gehalten. So sollen Prozesse verschlankt und beschleunigt werden, damit mehr Zeit für die Beratung der Kunden bleibt. Wie weit ist die digitale Transformation in der Branche schon fortgeschritten? Spielt hierbei die Größe der Kanzleien eine Rolle oder spüren Sie einen allgemeinen Transformationsdruck in Zusammenarbeit mit Kunden und Behörden?

Benjamin Bhatti: Die digitale Transformation in der Steuerberatungsbranche ist unterschiedlich weit fortgeschritten. Von den rund 54.000 Kanzleien in Deutschland können nur wenige hundert behaupten, bereits vollständig digitalisiert zu sein, wobei dies in der Mehrheit der Fälle noch mittels Analogschleuse erkauft wird. Das heißt, Papier wird gescannt. Unter den rund 32.000 Datev-Kanzleien haben rund 3.000 einmal oder mehrmals die Auszeichnung "Digitale Kanzlei" erhalten. Doch mehr als die Hälfte dieser Unternehmen arbeitet noch mit einem Papierinput von über 50 Prozent. Diese Zahlen ergeben sich aus dem Datev  Digitalisierungscockpit, Stand Januar 2024. 

Dramatischer ist der Blick auf die Produktivität der Kanzleien. Denn digital zu sein bedeutet längst nicht, auch über hohe Automationsquoten zu verfügen. Das Geschäftsfeld Buchhaltung trägt mit mehr als einem Viertel zum Gesamtumsatz einer durchschnittlichen Kanzlei bei. Weniger als die Hälfte aller Digitalen Kanzleien erstellt mehr als 75 Buchungssätze pro Stunde. Das entspricht ziemlich genau der Produktivität eines analogen Dienstleisters. 

Wo unterstützt Künstliche Intelligenz (KI) bereits die Geschäftsprozesse in den Büros und welche konkreten Vorteile ziehen die Steuerberater daraus?

KI unterstützt bereits in vielen Bereichen der Steuerberatung, insbesondere bei der Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen, der Erkennung von Anomalien in Finanzdaten und der Automatisierung von Routineaufgaben, zum Beispiel in der Buchhaltung. 

Hierbei bedarf es einer gewissen Bestimmung des Begriffs KI. Regelbasierte Expertensysteme existieren bereits seit Jahrzehnten und unterstützen mittlerweile in allen Bereichen der Steuerberatung. In den vergangenen Jahren profitieren Steuerberater, insbesondere Datev-Steuerberater, von größeren Datenmengen, die Maschinelles Lernen ermöglichen. 

In welchen Bereichen lassen sich die Kanzleien bereits von generativer KI, also Chat GPT, unterstützen und wo sehen sie künftige Anwendungsgebiete?  

Erste Kanzleien nutzen generative KI wie Chat GPT bereits zur schemenhaften Entwurfserstellung von Berichten, zur Beantwortung von Kundenanfragen und zur Generierung von Vorlagen für verschiedene Dokumente. Spezialisierte Sprachmodelle sind auf dem Vormarsch und werden zukünftige Anwendungsgebiete schaffen. 

Was bedeutet das konkret?

Ich gehe davon aus, dass in der erweiterten Kundenkommunikation einschließlich der Vorqualifikation von Anfragen, der personalisierten Steuerberatung und der automatisierten Skizzierung komplexer steuerlicher Analysen zukünftig nichts mehr an Sprachmodellen vorbeiführen wird. Hierauf ist der Berufsstand, wie im Übrigen auch die gesamte Wirtschaft, noch ungenügend vorbereitet. 

Nun fürchten viele Menschen, durch den Einzug der neuen Technologien ihren Job mittel- oder langfristig zu verlieren. Ist die Sorge für die Steuerberaterbranche berechtigt?

Die Sorge ist berechtigt, wenn auch kurz- bis mittelfristig nicht in der befürchteten Ausprägung, vielmehr auf längere Sicht. Routineaufgaben werden zunehmend automatisiert. Allerdings werden auch neue Tätigkeitsfelder entstehen, die menschliche Fähigkeiten erfordern. Kurz- bis mittelfristig wird es insoweit darum gehen, die von KI generierten Analysen zu interpretieren, das halluzinierende Rauschen aus den Ergebnissen zu filtern und in einen Zusammenhang zu stellen, um Mandanten strategisch beraten. 

Was heißt das für die Praxis?

Die Rolle des Steuerberaters wird sich kurzfristig weiterentwickeln, wobei die Kombination aus technischer Kompetenz und menschlicher Beratungskompetenz an Bedeutung gewinnt. Längerfristig gibt es hingegen kaum Einsatzgebiete, die der Technologie verschlossen bleiben werden, so dass sich die Anzahl menschlicher Handlungen stark reduziert. 

Auch in anderen Punkten ist der Einsatz von KI und Chat GPT nicht unumstritten - bringt er doch eine Reihe von Gefahren für Unternehmen, aber auch Behörden und andere Einrichtungen mit sich. Können Sie kurz darstellen, wo die größten Fallen in der Steuerberatung lauern und wie diese Probleme gelöst werden?

Zu den größten praktischen Gefahren gehören Fehler in den KI-Modellen und Datenlecks. Rechtlich gesehen stellt der Datenschutz eine große Herausforderung dar. Lösungen umfassen strenge Qualitätskontrollen der KI-Modelle, regelmäßige Audits und die Implementierung robuster Datenschutzmaßnahmen gemäß den Vorgaben des AI Acts und der DSGVO - so viel zur Theorie. 

Im Kontext Datenschutz und Datensicherheit werden die einen KI-Modelle die anderen KI-Modelle überwachen müssen, denn der Mensch ist längst an seine Grenzen gestoßen. Praktisch ist es hingegen kaum lösbar, KI-Modelle zu überwachen, die in unregulierten Märkten entstehen. Ein global einheitliches Vorgehen ist derzeit nicht zu erkennen. Die führenden KI-Nationen wollen ihren technischen Vorsprung nicht einbüßen, die zurückliegenden KI-Nationen wollen aufholen, die Dritte Welt erkennt gar das Potenzial, die vermögensmäßigen Verwerfungen des industriellen Zeitalters zu revidieren. 

Mit ihrem AI Act hat die Europäischen Union den weltweit ersten einheitlichen Rechtsrahmen geschaffen, der die Entwicklung, das Inverkehrbringen, die Inbetriebnahme und die Verwendung entsprechender Systeme regelt. Ergeben sich hieraus besondere Anforderungen an die Steuerberater?

Ja, der AI Act stellt besondere Anforderungen an Steuerberater, die KI-Systeme nutzen. Diese umfassen die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass die verwendeten KI-Systeme vertrauenswürdig, transparent und ethisch vertretbar sind. Zudem müssen Steuerberater sicherstellen, dass die Systeme die festgelegten Sicherheits- und Datenschutzstandards einhalten und regelmäßig überprüft werden. Bedauerlicherweise sind die Formulierungen so weitläufig, dass sie mehr Fragen aufwerfen als konkrete Antworten zu geben. So wird es vermutlich noch einige Jahre und eine Anzahl gerichtlicher Verfahren dauern, bis sich allmählich ein gleichlautendes Verständnis aller Marktakteure im Europäischen Wirtschaftsraum durchsetzt. Ob Gesetze dazu geeignet sind, KI zu regulieren, darf bezweifelt werden. 

Vom Nutzen und der Regulierung abgesehen, macht der Einsatz neuer Technologien an der Kundenschnittstelle nur Sinn, wenn er auch von diesen angenommen wird. Schließlich geht es um sensible Daten. Wie steht es aus Ihrer Sicht um das Vertrauen der Verbraucher in KI-Tools und die Steuerberater, die diese einsetzen? Wie hoch ist aus Ihrer Erfahrung der Beratungs- und Erklärungsbedarf?

Das Vertrauen der Verbraucher in KI ist bereits hoch. Chat GPT erreichte im Jahr 2023 weltweit mehr als zwei Milliarden Nutzer. Überhaupt dauerte es nach der Veröffentlichung von Chat GPT 3.5 im November 2022 nur fünf Tage, um eine Million Nutzer zu erreichen.  Jedoch bestehen insbesondere bei Steuerberatern wegen des weitgehend unbekannten Umgangs mit sensiblen Daten durchaus Bedenken beim Einsatz generativer KI. Steuerberater müssten daher transparent über die Vorteile und Sicherheitsvorkehrungen der eingesetzten Technologien informiert sein, um ihre Mandanten stärker in die Nutzung einbeziehen. 

Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Auf welche Technologien sollten Steuerkanzleien in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus Ihrer Sicht nicht verzichten? 

Ein Blick auf fünf bis zehn Jahre gestaltet sich unwahrscheinlich schwierig - ein solcher Zeitraum entspricht der Fortschrittsentwicklung eines ganzen Jahrhunderts in den Geschichtsbüchern. Steuerkanzleien sollten in den nächsten Monaten und Jahren nicht auf den Einsatz von Technologien wie generativer KI in all ihren Facetten sowie Blockchain für sichere Transaktionen und die Automatisierung von Routineprozessen verzichten. Ebenso wichtig sind cloud-basierte Lösungen für flexible und ortsunabhängige Arbeitsweisen sowie Cybersecurity-Technologien zum Schutz sensibler Daten. 

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