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29.07.2021 | Steuerrecht | Schwerpunkt | Online-Artikel

Mittelstand will weniger Steuern und einfache Prozesse

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

4:30 Min. Lesedauer

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Wie beeinflusst das Steuersystem unternehmerische Entscheidungen im Mittelstand? In vielen Betrieben hemmen die Steuerlast und komplexe Steuerprozesse die Investitionsbereitschaft. Laut einer Umfrage fordern sie Steuererleichterungen und weniger Verwaltungsaufwand.

"Als Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit des Europäischen Binnenmarkts wird die Harmonisierung der Besteuerungssysteme der einzelnen Mitgliedsländer gefordert", schreibt Peter Alfons Schmid. Im Buchkapitel "Binnenmarkt, Steuerharmonisierung und Dezentralisierung" führt der Springer-Autor auf Seite 280 aus: "Eine Harmonisierung ist in der Tat notwendig, da nicht harmonisierte Steuersysteme wirtschaftliche Verzerrungen verstärken und sogar neue Verzerrungen hervorrufen können. Steuerharmonisierung ist allerdings nicht zwingend zentral zu organisieren, sondern kann auch das Ergebnis eines Steuerwettbewerbs zwischen den einzelnen Mitgliedsländern sein."

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Ist das Steuersystem zu komplex, die Abgabenlast zu hoch oder wird diese als ungerecht empfunden, beeinflusst dies unternehmerische Entscheidungen und damit auch die Wirtschaftslage sowie die Attraktivität des Landes als Standort insgesamt. Wie es um das Steuerempfinden deutscher Mittelständler steht, untersuchte ein Forscherteam mit dem Projekt "TRR 266 Accounting for Transparency" der Universität Paderborn, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Freien Universität Berlin. Hierfür werteten die Wissenschaftler die Antworten von mehr als 650 Befragten aus überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen aus. Die Betriebe haben ihren Sitz in ganz Deutschland, ein Schwerpunkt der Umfrage lag allerdings in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg. 

Mittelstand moniert zu hohe Steuerlast

Die befragten Unternehmen kritisierten vor allem das deutsche Steuerwesen und den damit einhergehenden administrativen Aufwand. Die durchschnittliche Steuerbelastung liegt über alle Branchen und Sparten hinweg bei knapp 36 Prozent. Als angemessen betrachten die Befragten aber nur gut 23 Prozent. Im Vergleich zum Ausland schätzt das Gros der deutschen Unternehmen (74,9 Prozent) ihre eigene steuerliche Belastung als höher ein. 

"Diese relativ große Diskrepanz zwischen der angegebenen und der als angemessen empfundenen Steuerlast lässt natürlich aufhorchen. Denn Wahrnehmungen beeinflussen Entscheidungen", erklärt Caren Sureth-Sloane, Professorin an der Universität Paderborn. "Eine als zu hoch empfundene Steuerlast könnte zum Beispiel dazu führen, dass Unternehmen weniger investieren."

Wird die "Grundlage der Investitionsrechnung" zusammengestellt, fließen laut Bernd und Michelle Julia Heesen eine Vielzahl von Faktoren mit in die Wahl des Kalkulationszinssatzes ein. "Unter anderem können das ein Risikoaufschlag, Kosten für Eigenkapital, erwartete Inflationsrate, branchenübliche Verzinsung oder auch die voraussichtliche Steuerbelastungen sein", schreiben die beiden Springer-Autoren im Buchkapitel auf Seite 26. 

Steuersystem hemmt Investitionsbereitschaft

So belegt die Befragung, dass nicht nur in Krisenzeiten die steuerliche Investitionsförderung eine entscheidende Rolle spielt. Auf die Frage, welche Maßnahmen die Investitionstätigkeit fördern würden, steht die Sonderabschreibung an erster Stelle. Ihr folgen die Minderung der Steuerbelastung sowie ein Investitionsabzugsbetrag auf den Plätzen zwei und drei. Dabei seien Investitionen laut Ralf Maiterth, Professor an der Berliner Humboldt-Universität, insbesondere in Krisenzeiten ein wichtiges Instrument, um die Wirtschaftslage zu verbessern. 

Doch vielfach werde die Investitionstätigkeit durch einen als zu komplex bewerteten steuerlichen Verwaltungsprozess gehemmt. Dieser stellt für 90 Prozent der befragten Unternehmen, unabhängig von Rechtsform und Unternehmensgröße, eine deutliche Belastung im Alltag dar. Im Durchschnitt mache dieser geschätzt "rund ein Drittel des gesamten Bürokratieaufwands im Unternehmen" aus. Als wesentliche Treiber geben Unternehmen mit deutlicher Mehrheit 

  • Nachweis- und Dokumentationspflichten, 
  • die Erstellung der Steuererklärung und der Rechnungsstellung gemäß Umsatzsteuergesetz sowie 
  • die Berechnung und Abführung der Lohnsteuer an.

Automatisierte Prozesse helfen Steuerpflichtigen und Behörden

Nur knapp 20 Prozent der Befragten halten diese Komplexität für notwendig, um eine differenzierte und sachverhaltsabhängige Unternehmensbesteuerung zu ermöglichen. 70 Prozent der Mittelständler sind darüber hinaus unzufrieden mit den Informationen, die die Finanzverwaltung im Zusammenhang mit steuerlichen Fragen zur Verfügung stellen. 

In einer weitreichenden Vernetzung und Automatisierung sieht Robert Mayr einen Lösungsweg für eine bessere Kommunikation von Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen. Im Buchkapitel "Rationalisierungspotenzial durch Prozessdigitalisierung am Beispiel der kaufmännischen Aufgaben und Meldepflichten" schreibt der Springer-Autor auf Seite 274: "Im Bereich der Verwaltung dient die digitale Transformation vor allem dem großen Ziel der Entbürokratisierung." Er verweist auf die seit 2015 geltenden Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff, kurz GoBD.  

Mit einer weiteren Automatisierung des Steuerprozesses wolle die Finanzverwaltung zudem "eine höhere Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit des Verfahrens" erreichen. Im digitalisierten Verfahren seien einmal erzeugte steuerrelevante Daten den Behörden viel früher bekannt. "Ziel ist letztlich ein System, das sich - aus diversen Datentöpfen gespeist - fortlaufend selbst befüllt und so die Grundlage für die Festsetzung der Abgabenlast liefert", so Mayer. 

Unternehmen misstrauen Steuerverwaltung

Doch trotz der digitalen Transformation auf Seiten der Finanzverwaltung bleiben viele Mittelständler skeptisch. 80 Prozent der befragten Unternehmer misstrauen sogar dem staatlichen Umgang mit Steuergeldern. "Fehlendes Vertrauen in Staat und Steuersystem ist schlecht für die Wirtschaft und für das gesellschaftliche Klima in diesem Land", lautet Maiterths Fazit. 

Hintergrund zur Studie: Das Projekt "TRR 266 Accounting for Transparency" startete im Juli 2019. Beteiligt sind insgesamt rund 80 Wissenschaftler von acht Universitäten: Neben den drei federführenden Hochschulen aus Berlin und Mannheim gehören noch Forscher von der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der ESMT Berlin, der Frankfurt School of Finance & Management, der Goethe-Universität Frankfurt am Main, und der WHU - Otto Beisheim School of Management zum Team. 

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