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2019 | Buch

Stilbildungen und Zugehörigkeit

Materialität und Medialität in Jugendszenen

herausgegeben von: Tim Böder, Dr. Paul Eisewicht, Prof. Dr. Günter Mey, Prof. Dr. Nicolle Pfaff

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Buchreihe : Erlebniswelten

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Über dieses Buch

Szenezugehörigkeiten können als in stilspezifischen Praktiken sozial hervorgebrachte und sinnstiftende Gemeinsamkeiten des Handelns verstanden werden. Sie werden in den jeweiligen Stilbildungen über materielle Artefakte und deren Gebrauch, den Körper sowie mediale Ausdrucksformen angezeigt, inszeniert, stabilisiert und verbreitet. Wenngleich die Bedeutung von Artefakten, Körpern und Medien für Stilisierungsprozesse innerhalb der Jugendkultur- und Szeneforschung kontinuierlich hervorgehoben wird, so rückt die systematische Analyse der materiellen und medialen Dimensionen jugendkulturellen Handelns über die Deskription jeweiliger Stile hinaus nur selten in den Blickpunkt. Von dieser Beobachtung ausgehend soll mit diesem Band der Frage nachgegangen werden, mit welchen theoretischen und methodischen Perspektiven eine interdisziplinäre Jugendkultur- und Szeneforschung die materiellen und medialen Ausdrucksformen von Stilen adäquat verstehen kann. Der Band versammelt Beiträge, die sich der Bedeutung von Materialität und Medialität in Szenen aus historischer, sozial- und kulturwissenschaftlicher sowie psychologischer Perspektive widmen.
Der InhaltJugendkulturtheoretische Perspektiven auf Medialität und Materialität • Stilbildungen über Medien • Stilbildungen über Artefakte • Stilbildungen über Körper
Die HerausgeberTim Böder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der AG Jugend- und Schulforschung an der Universität Duisburg-Essen.Dr. Paul Eisewicht ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der Technischen Universität Dortmund.Prof. Dr. Günter Mey lehrt Entwicklungspsychologie und qualitative Forschung an der Hochschule Magdeburg-Stendal.Prof. Dr. Nicolle Pfaff ist Hochschullehrerin an der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Stilbildungen und Zugehörigkeit
Jugendkulturtheoretische Perspektiven auf Medialität und Materialität – zur Einführung
Zusammenfassung
Der Beitrag beleuchtet die Bedeutung medialer und materieller Ausdrucksformen für jugendkulturelle Stilbildungen und Zugehörigkeit. Im Durchgang durch theoretische Positionen der Jugendkultur- und Szeneforschung werden Konzeptionen von Zugehörigkeit und Stilbildungen nachgezeichnet und die dabei thematisch werdenden Bedeutungszuschreibungen an mediale und materielle Dimensionen jugendkultureller Praxis diskutiert. Schließlich wird in Band und Beiträge eingeführt.
Tim Böder, Paul Eisewicht, Günter Mey, Nicolle Pfaff

Stilbildungen über Medien

Frontmatter
„Ich wär’ auch gern ein Hipster, doch mein Kreuz ist zu breit“ – Die Ausdifferenzierung der HipHop-Szene und die Neuverhandlung von Männlichkeit
Zusammenfassung
Der Beitrag diskutiert, wie sich Transformationsprozesse von Geschlecht auf Männlichkeit als Ordnungsprinzip der HipHop-Szene auswirken. Im Zuge stetiger Ausdifferenzierung kommt es dort zu verschiedenen Männlichkeitsmodellen und einer Neuverhandlung hegemonialer Männlichkeit, was am Track Hipster Hass des Gangsta-Rappers Fler exemplifiziert wird. Neben unterschiedlichen Retraditionalisierungsstrategien arbeitet die genderlinguistische Analyse dabei auch Materialitäten und Differenzkategorien heraus, die im Kontext männlicher Identitätsarbeit im gegenwärtigen HipHop relevant gesetzt werden.
Heidi Süß
Fan Fiction als szenische Vergemeinschaftung: Text- und Bedeutungsproduktionen und ihre Verhandlungen
Zusammenfassung
Die Medienpraktik Fan Fiction wird als Form szenischer Vergemeinschaftung interpretiert, die heute vornehmlich mittels netzbasierten Infrastrukturen realisiert wird. Weiterführend diskutiert wird das Schreiben von Fan Fiction im Kontext der Jugendszeneforschung, der Media Fan Studies und ausgewählter mediensoziologischer Ansätze. Auf Basis problemzentrierter Interviews mit Fan Fiction Autor*innen beschäftigt sich der empirische Teil des Artikels zunächst mit dem Entstehungsprozess von Fan Fiction und reflektiert anschließend auf welche Weise Fan Fiction als widerständische Praxis interpretiert werden kann. Die Befunde zeigen, dass über die Praktiken des Erzählens und Veröffentlichens eigener Geschichten oftmals die kontinuierliche Entwicklung eines eigenen Stils angestrebt wird und gleichzeitig das Schreiben auch sozial-integrative Funktionen erfüllt. Formen von Widerständigkeit äußern sich in unterschiedlichen Grenzüberschreitungen, wie etwa dem Brechen narrativer Konventionen und der Kreation neuer popkultureller Bedeutungshorizonte.
Moritz Stock, Jörg-Uwe Nieland
Punk und Pose – zur Medienästhetik zwischen Bild, Text und Performance
Zusammenfassung
Die ästhetische Tradition des Punk ist in ihrem Kern eine, die zum einen durch die Technik der Montage von Vorgängigem und zum anderen durch den Willen zum Ausdruck, zum Sich-Zeigen geprägt ist. Die Herausarbeitung einer genuinen visuellen Identität des Punks erfolgte so erst durch Vivienne Westwood und Malcolm McLaren, die den aus Amerika kommenden Punk von Gruppen wie The New York Dolls oder The Damned in Form einer zugleich prägnanten sowie eklektizistischen Modeästhetik und nicht zuletzt der Musik der von McLaren gemanagten Sex Pistols pointierten und so erst in einem größeren Zusammenhang konsumierbar machten. So entstand ein scheinbar brüchiges visuelles Zeichensystem, das insbesondere – und dies ist ein weiteres Merkmal von Punk – unter anderem durch die Pose und den Willen zur Selbstinszenierung zusammengehalten wird. Aus diesem Grund soll in den folgenden Ausführungen der Versuch unternommen werden, den Begriff der Pose – unter anderem in Anlehnung an Aby Warburgs Begriff der Pathosformel als Ausdruck eines „gesteigerten körperlichen oder seelischen Ausdrucks“ – in Bezug auf die spezifische Ästhetik des Punks tiefer gehend zu erproben und so zum Kern dessen vorzudringen, was als eine der wichtigsten Zäsuren in der Popkultur bezeichnet werden könnte.
Kathrin Dreckmann
Szenen der (Un)Ordnung – eine Grounded-Theory-Analyse zu generationaler Ambivalenz im Punk
Zusammenfassung
Szenen gelten mittlerweile als „juvenile Gesellungsgebilde“, die sich sehr altersheterogen zusammensetzen. Dies gilt insbesondere für Szenen, die seit vielen Jahrzehnten existieren. In der Jugendkultur-/Szeneforschung wurde aber bislang die Frage der inter- und transgenerationalen Aushandlungen nur marginal thematisiert. Daher skizziert der Beitrag aufbauend auf eine dreijährige Grounded-Theory-Studie zu Punk-Zines 1) den Wert des Generationen-Konzepts für die Darstellung von Szenegeschichte(n) und 2) die ambivalenten, spannungsreichen (inter- und transgenerationalen) Beziehungen, die sich entlang elementarer Szeneaushandlungen zu (Streit-)Themen wie Musik und Politik dokumentieren. Plädiert wird für die Berücksichtigung komplexer generationaler Bezugnahmen, um ein differenzierteres Verständnis von Szeneentwicklungen zu gewinnen sowie die Erforschung von Szenemedien als Alternative zu dominanten ‚Oral History‘-Darstellungen.
Günter Mey, Marc Dietrich

Stilbildungen über Artefakte

Frontmatter
Der Totenkopf als symbolisches Mittel zur Inszenierung von Jugendlichkeit
Zusammenfassung
Der Totenkopf erlebt als Symbol und Motiv spätestens seit den 1970/1980er Jahren eine Renaissance in unterschiedlichen jugendkulturellen Szenen, weshalb er als besonders taugliches Objekt erscheint, um daran jugendliche Praktiken der Bricolage zu untersuchen. Der Beitrag beleuchtet die Bedeutungen des Totenkopfs als historisches Alltagsobjekt und dessen Aufladung mit neuen Sinnkonstruktionen im jugendkulturellen Kontext. Darüber hinaus wird die Rolle erkundet, die Totenkopfmotive angesichts ihrer massenhaften Verbreitung seit Beginn des 21. Jahrhunderts in der Inszenierung von Jugendlichkeit spielen. Neben der Generierung von Zugehörigkeiten und Abgrenzungen mit Hilfe von Todessymbolen steht dabei das intergenerationale Ringen um die Definitionsmacht und die Sicherung jugendlicher Attribute im Fokus. Im Speziellen wird hier näher auf das dem Totenkopfmotiv eigene Provokationspotenzial vor dem Hintergrund der generationalen Selbstverortung sowie den jugendtypischen Phänomenen der Grenzüberschreitung und des Tabubruchs eingegangen.
Agnes Trattner
Kapitalismus als Provokation – Bricolage am Beispiel widerständiger Jugendszenen in der DDR
Zusammenfassung
Im nachfolgenden Beitrag wird am Beispiel zeittypischer Bricolagen in der DDR der 1970er und 1980er Jahre die Spannung zwischen kollektivistischem Menschenbild und juveniler Vergemeinschaftung in Peer Groups und Szenen nachgezeichnet. Vor dem Hintergrund einer Tradition von Verwahrlosungsdiskursen des frühen 20. Jh. bis hin zum strafrechtlich relevanten Asozialitätsstigma und zum politisch konnotierten sog. „negativ-dekadenten“ Auftreten wurden Irritationen im Generationenververhältnis ggf. als gesellschaftliches Problem gerahmt. Initiativen Jugendlicher, die Teilhabe an globalen Jugendszenen materiell herzustellen und performativ zu bestätigen, konnten deshalb in der DDR vor dem Hintergrund der Ost-West-Konfrontation durch den symbolischen Rekurs auf die Kultur des „kapitalistischen Klassenfeindes“ nicht nur Partizipationswünsche, sondern auch Eigensinn und politische Widerständigkeit transportieren.
Sven Werner
„Frauen und Fahnen in die Mitte“ – Ultraspezifische Artefakte und ihre Bedeutung für eine Konstruktion von Geschlecht
Zusammenfassung
Der Beitrag schlägt eine praxistheoretische Betrachtungsweise jugendszenischer Artefakte vor. Mit dieser theoretischen Brille ist es möglich die Zusammenhänge von Praktiken, Artefakten und Geschlechterkonstruktionen zu rekonstruieren. Ausgehend von ethnographischem Datenmaterial zeigt dieser Beitrag wie zwei jungen Frauen in einer sonst aus männlichen Mitgliedern bestehenden Ultragruppe ihr Geschlecht konstruieren und damit gleichzeitig ihr doing ultra verkörpern. Daran kann deutlich gemacht werden, dass ein mit Artefakten verbundenes Praxiswissen Körper dazu befähigt zwei Praxiskomplexe miteinander zu verbinden. Geschlechterpraxis kann dabei Ultrapraxis sein und umgekehrt. Artefakte tragen demnach verschiedene Wissensbestände in sich.
Judith von der Heyde
Materiale Artefakte als Kompetenzmarker
Zur Bedeutung des Felsens, des Schwierigkeitsgrades und der Route im Sportklettern
Zusammenfassung
Materialität gilt oftmals als selbstverständlicher oder wenig beachteter Aspekt der sozialen Interaktion. Welch große Bedeutung dem Umgang mit materialen Artefakten in der Sportkletterszene zugeschrieben wird, ist Gegenstand des Beitrages. Mittels lebensweltanalytischer Ethnographie wurden insbesondere der Schwierigkeitsgrad, der Fels und die Route als die wichtigsten Kompetenzmarker rekonstruiert, anhand derer Feldteilnehmende sich selbst und andere in drei verschiedenen Kompetenzniveaus verorten. So werden Individuen Interaktionsoptionen und -positionen danach zugewiesen, wie kompetent sie materiale Artefakte erkennen und nutzen, um daran trotz schwieriger Routen eine als „schön“ anerkannte Choreographie zu zeigen. Obwohl die Differenzierung nach Bewegungskompetenz (meist) Vorrang hat, werden Individuen außerdem – und zwar mit wertendem Effekt – nach (vermuteter) Geschlechterdarstellung differenziert.
Babette Kirchner

Stilbildungen über Körper

Frontmatter
Dekorierte Körper in der weiblichen Adoleszenz Prozesse der Inkorporierung als Illusio
Zusammenfassung
Die Frage nach der Bedeutung des Körpers in der Adoleszenz ist bisher eher ein Randthema von Jugend- und Jugendkulturtheorien. Im Beitrag wird das Verhältnis von Körperlichkeit und Adolszenz am Beispiel der jugendlichen Praxis des Schminkens in zwei Hinsichten diskutiert: Zum einen wird die intersektionale Dimension dieser speziellen Körpertechnik und damit das partikulare Moment von (Körper-)Repäsentationen in historischen und zeitgenössischen Körperhegemonien herausgestellt. Zum anderen wird mit Bourdieu das eher als anthropologisch zu verstehende Motiv der Habitualisierung je spezifischer kultureller Repräsentationstechniken mit dem Begriff der illusio erarbeitet. Damit wird das Spannungsfeld zwischen hegemonialen Repräsentationen und ihren Spielarten als Raum jenseits von gesellschaftlicher Determination und individueller Kontrolle konzipiert. Adoleszente Körperkulturen werden dann weniger im Mangel-Status des noch-Nicht thematisch, vielmehr konstituieren sie Räume der Arbeit mit dem Erleben dieser Spannungen.
Britta Hoffarth
Kopfnicker, Gangsigns und Bounce: Authentifizierende musikbegleitende Körperpraktiken im Rap
Zusammenfassung
(Jugend-)Szenen werden häufig als Mikro- oder gesellschaftliche Teilkulturen beschrieben, die sich um ein spezifisches Thema herum bilden, mit daran orientierten Handlungsweisen verknüpft sind und die über eigene Normen und Wertvorstellungen stabilisiert werden. Was von außen als chaotisch und unverständlich erscheint, ist aus der Binnenperspektive ein kohärentes, konsistentes und plastisches Ganzes. Aus dieser Perspektive beschäftigt sich der Text mit der weitgehend unerforschten Praktik des Bouncen im Rap als spezifischer musikbegleitender Körperpraktik. Anhand einer materiellen Analyse des (Sinn-)Zusammenhangs zwischen Rap-Musik, der Selbstdarstellung von Rappern und musikbegleitender Handlungen der Konzertbesuchenden soll gezeigt werden, das solche spezifischen Handlungen keineswegs beliebig sind, sondern in den Wissensvorat der Szene eingebettet sind und mit Blick auf diesen interpretativ erschlossen werden können.
Paul Eisewicht, Marc Dietrich
Körperbilder in Szenemedien
Perspektiven der Analyse von Ausdrucksformen jugendlicher Positionierung
Zusammenfassung
Auf der Materialgrundlage von Körperdarstellungen in Szenemedien der Antifa werden im Beitrag Körperpraktiken wie darauf bezogene mediale Gestaltungsleistungen als repräsentationspolitische Akte empirisch untersucht. Damit wird ein Zugang zu politischen Positionierungen durch jugendliche Ausdrucksformen eröffnet, der konkrete Gestaltungspraktiken in ihrem Verhältnis zu herrschenden Repräsentationsregimen und ihrem jeweiligen sozialhistorischen Kontext analytisch erschließt. Die exemplarischen Rekonstruktionen zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten zeigen, dass junge Menschen mit ihren politischen Positionierungen vor allem auf ihre Positioniertheit innerhalb dominanter Repräsentationsregime verwiesen sind.
Tim Böder, Nicolle Pfaff

Schlussfolgerungen

Frontmatter
Das Rädchen der Jugendkultur-Forschung weiter drehen
Zusammenfassung
Im letzten Beitrag dieses Bandes wird den Bausteinen zur Rekonstruktion und ihren evtl. gemeinsamen Sinn-Axen noch einmal übergreifend und reflexiv nachgegangen, die sich wie ein flexibles Rückgrat durch den Band ziehen. Sie zeigen eine Fokusverschiebung der Jugendkulturforschung auf Medialität und Materialität an; so sind es beispielsweise Körperstile, die in alltäglichen activités de bricolages, von Schönheitspraktiken bis hin zu Selbstverletzung, Zugehörigkeiten und Orientierung schaffen.
Maud Hietzge
Metadaten
Titel
Stilbildungen und Zugehörigkeit
herausgegeben von
Tim Böder
Dr. Paul Eisewicht
Prof. Dr. Günter Mey
Prof. Dr. Nicolle Pfaff
Copyright-Jahr
2019
Electronic ISBN
978-3-658-21661-0
Print ISBN
978-3-658-21660-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-21661-0