Um Stress präventiv entgegenzuwirken, muss dieser quantifizierbar gemacht werden. Wie dies gelingen kann, erläutert Expertin Corinna Häsle.
In der heutigen Arbeitswelt, in der sich Anforderungen ständig verändern und komplexer werden, bleibt Stress oft unsichtbar. Dabei ist er für einen Großteil der Arbeitnehmenden allgegenwärtig. Laut der Gallup-Stuie "State of the Global Workplace 2024" liegt die Anzahl der Befragten in Deutschland, die sich als gestresst bezeichnen, mit 41 Prozent sogar über dem europäischen Durchschnitt. Zudem ergab die Studie Arbeiten 2023, dass 61 Prozent der Beschäftigten Angst vor einem Burnout als Folge von Überstunden, Termindruck und anderen Belastungen haben. Diese alarmierenden Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit, Stress quantifizierbar und Ursachen transparent zu machen, um präventive und gezielte Gegenmaßnahmen zu entwickeln und eine gesündere und produktive Arbeitsumgebung zu schaffen.
Warum Stress oft unbeachtet bleibt
Stress wird im Arbeitskontext oft als individuelles Problem betrachtet und erst zu spät erkannt. Dabei liegt der Fehler häufig im Unternehmen selbst, da die Stressbelastung der Mitarbeitenden eine Reaktion auf ungünstige Arbeitsbedingungen ist. Unbeachteter Stress kann zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter anderem Burnout, oder auch zur Kündigung führen. Wird Stress also nur auf individueller Ebene betrachtet, setzen Unternehmen auf Einzelmaßnahmen, die den Stress der Mitarbeitenden als Symptom adressieren. Die tiefliegenden, oft strukturellen Ursachen im Unternehmen werden dabei außer Acht gelassen. Beispielsweise können Teamevents die Anspannung in der Belegschaft kurzfristig lösen, die Arbeitsumstände, die dieser Anspannung zugrunde liegen, bleiben allerdings unbeachtet.
Als Folge von Stress leidet oft auch die Unternehmenskultur, denn ein anhaltender Stresspegel kann auch in ein Gefühl der Wut umschlagen. Laut Gallup gibt ein Viertel der Befragten an, die über Stress klagen, auch wütend zu sein. Grund dafür ist ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren: Hinter Wut steht oft das Gefühl von Hilflosigkeit. So bleiben starke Belastungen von Führungskräften unbeachtet, oder Probleme wie Zeitdruck, fehlende Informationen, ständige Unterbrechungen und Überforderung bleiben ungelöst und werden nicht gehört. Damit spitzt sich der Stress und seine Auswirkungen im Verborgenen immer weiter zu. Zudem hat sich in vielen Unternehmen eine Kultur des Schweigens etabliert, sodass viele Arbeitnehmende ihre Belastungen nicht offen ansprechen.
Stressquantifizierung: Prävention durch Messbarkeit
Die Quantifizierung von Stress ermöglicht es, frühzeitig Anzeichen von Überlastung zu erkennen und gezielt darauf zu reagieren. Durch die systematische Erfassung von Stressfaktoren können Unternehmen frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu verbessern. Methoden, um Stress messbar zu machen, umfassen regelmäßige Arbeitszufriedenheitsanalysen, die durch Umfragen die Stimmung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden erfassen.
Darüber hinaus ermöglicht die Analyse von Arbeitsdaten, wie Überstunden, Fehlzeiten und Produktivität, ein tieferes Verständnis der Belastungsquellen. Selbstberichttechniken, wie Tagebuchmethoden, Fragebögen und Interviews, fördern die Selbstreflexion und bieten wertvolle Einblicke in das persönliche Stressniveau der Mitarbeitenden. Ergänzend dazu liefern Sentiment-Analysen und anonyme Business-Foren als Frühwarnsysteme Klarheit über die tatsächlichen Herausforderungen im beruflichen Alltag und ermöglichen einen regelmäßigen Austausch. Nur so können Sie durch gezielte Interventionsmaßnahmen für Entlastung sorgen.
Prävention und Resilienz zur Stressbewältigung
Um Stress im Unternehmen präventiv zu begegnen und die Resilienz der Mitarbeitenden zu stärken, sind gezielte Maßnahmen zur Stressbewältigung unerlässlich. Eine effektive Früherkennung von Warnsignalen beginnt mit der Identifikation von Stresssymptomen und Verhaltensänderungen durch präzise Datenanalysen und regelmäßiges Feedback. Eine Unternehmenskultur, die Wertschätzung, transparente Kommunikation und Teamzusammenhalt fördert, bildet die Grundlage für erfolgreiche Stressprävention. Führungskräfte spielen dabei eine zentrale Rolle; durch Schulungen können sie ein Bewusstsein für Stresssymptome entwickeln und einen unterstützenden Führungsstil etablieren.
Ergänzend dazu können Stressmanagement-Programme wie Workshops, Trainings und individuelle Coachings implementiert werden, um den Umgang mit Stress zu verbessern. Langfristig ist der Aufbau einer resilienten Unternehmenskultur entscheidend, um Mitarbeitende zu stärken und so den Erfolg des Unternehmens zu sichern. Dabei ist es wichtig, zukunftsorientiert zu handeln und notwendige Veränderungen frühzeitig zu initiieren.
Des Weiteren spielt das Konzept der Selbstwirksamkeit eine entscheidende Rolle: Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet werden, dass bestehende Mitarbeitende gehalten und neue gewonnen werden können. Zum Beispiel können flexibles Arbeitszeitmanagement und Maßnahmen zur Förderung der Work-Life-Balance Mitarbeitende entlasten und zu ihrer Zufriedenheit beitragen. Zudem sollten Unternehmen ihre Mitarbeitenden aktiv am Erfolg teilhaben lassen, etwa durch Leistungsprämien oder Bonifikationen, die nicht finanzieller Natur sind, um deren Bindung an das Unternehmen zu stärken. Auch die Netzwerkorientierung ist von zentraler Bedeutung, um präventiv gegen Stress vorzugehen. Netzwerke sollten ausgebaut werden, etwa durch regelmäßige Teambuilding-Initiativen oder Mentoringprogramme, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeitende gleichermaßen eingebunden und gehört werden.
Stress quantifizierbar zu machen, ist der erste Schritt zu einer gesünderen und produktiveren Arbeitswelt. Mittels geeigneter Maßnahmen, wie Sentiment-Analysen, der Förderung aktiver Beteiligungs- und Austauschformen lässt sich das Stressniveau der Mitarbeitenden messbar machen, Ursachen und konkrete Risiken aufzeigen, um präventive Interventionen zielgerichtet umzusetzen. Dazu gehören u. a. Stressmanagement-Programme sowie der Aufbau einer resilienten Unternehmenskultur. Kurzum: Es ist an den Unternehmen, diese Herausforderung anzunehmen und aktiv zur Verbesserung des Arbeitsumfelds beizutragen, um die eigenen Mitarbeitenden zu stärken.