Endlich am Ziel. Ein Job als Geschäftsführer oder Teamleiter verspricht nicht nur ein höheres Gehalt. Neben dem gesteigerten Ansehen spielt auch der gewachsene Machteinfluss und die neugewonnene Freiheit eine Rolle, dass Mitarbeiter Führungspositionen übernehmen. Doch nicht jeder frischgebackene Vorgesetzte empfindet die neue Position als Befreiungsschlag.
"Führungskräfte, die sich nicht in der Unternehmensleitung befinden, sind in einer nicht ganz einfachen Lage. Die Freiheiten, die Führungskräfte besitzen, sind oft nicht so groß, wie es sich viele Menschen auf den Ebenen darunter vorstellen", erklärt Springer-Autor Zach Davis im Buch "Chefsache Gesundheit" (Seite 67) den Balanceakt in den Führungsetagen.
Es sind vor allem die verantwortungsbewussten Chefs, die ihren gehobenen Status als Stress empfinden. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie des Leibniz-Instituts für Wissensmedien in Tübingen. Die Forscher der Arbeitsgruppe Soziale Prozesse gingen, gemeinsam mit Wissenschaftlern aus den Niederlanden, der Frage nach, ob Verantwortung eine Belastung ist und welche Folgen das für die betroffenen Personen hat. Hierzu befragte die Forscher 117 Führungskräfte aus Organisationen und vorwiegend mittelständischen Unternehmen im Zeitraum zwischen 2014 und 2017.
Emotionale Erlebnisse erhöhen die Herzfrequenz
Im ersten Teil der Studie mussten die Probanden eine Rede über ein persönliches Erlebnis halten. In der Ansprache sollte eine am eigenen Leib erfahrene Situation im Fokus stehen, in der die Teilnehmer Macht und Einfluss besaßen. Ein Teil der Vortragenden bekam die Aufgabe, über die Freiräume zu sprechen, die sie in dem Fall erlebt hatten. Die anderen Personen sollten über ihre Verantwortlichkeit in der Situation referieren. Während die Probanden ihre Reden vor einer Videokamera hielten, wurde gleichzeitig ihre körperliche Stressreaktion, wie die Herzfrequenz, gemessen. "Wenn Menschen sich emotionale Erlebnisse einprägen oder erinnern, setzt das Gehirn verschiedene Stresshormone frei", verdeutlicht Springer-Autorin Irina Bosley in ihrem Buch "Emotionale Kompetenz" (Seite 72) diese wissenschaftliche Methode.
Verantwortung und Einfluss führen zu Stress
Die Forscher rund um Annika Scholl, Leiterin der Leibniz-Studie, kamen nach Auswertung der Daten zu folgendem Ergebnis: Personen in Machtpositionen, die über ihre Verantwortung sprachen, empfanden deutlich mehr Stress als diejenigen, bei denen der Freiräume im Fokus ihrer Rede stand.
Das Ergebnis ist jedoch nur für Vorgesetzte in gehobenen Machtpositionen relevant. Ein Vergleich mit unteren Führungsebene zeigte: Wer als Chef über ein geringes Maß an Einfluss verfügt, bei dem verändert sich das Stresslevel nicht. Es ist die Kombination aus Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und einer starken Machtposition, die ein erhöhtes Maß an Stress auslöst.
Verantwortungsvolle Chefs sind gute Teamplayer
"Verantwortung als Teil einer Machtposition scheint gewissermaßen als Last erlebt zu werden", merkt Scholl an. "Möglicherweise deshalb, weil man hier stärker die zahlreichen Anforderungen einer Machtrolle erkennt, die es zu erfüllen gilt. Offen bleibt für uns die Frage, wie mächtige Personen damit längerfristig umgehen können."
Einen kleinen Trost gibt es für verantwortungsvolle Vorgesetzte jedoch: Sie empfinden zwar ihre Tätigkeit als stressig, aber ihr Problembewusstsein und Engagement wirkt sich positiv auf die Zusammenarbeit und die Arbeitsmoral ihrer Mitarbeiter aus.