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30.05.2018 | Stressmanagement | Interview | Online-Artikel

"Stress ist das permanente Gefühl der Angespanntheit"

verfasst von: Andrea Amerland

5:30 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Prof. Dr. Martin-Niels Däfler

Springer-Autor Martin-Niels Däfler lehrt an der FOM Hochschule in Frankfurt am Main.

Was Menschen als Stress empfinden, ist unterschiedlich. Daher gibt es auch kein Patentrezept, um dem Problem zu begegnen. Warum Zeitmanagement nicht immer die richtige Lösung ist und welche Bewältigungsstrategien es gibt, erklärt Springer-Autor Martin-Niels Däfler im Gespräch.

Springer Professional: Beim ersten Blick in Ihr Buch denkt man, Sie halten Stressmanagement für den Heilsbringer bei allen Probleme: Ein bisschen Yoga hier – ein bisschen Autogenes Training da – und schon ist der Stress weg. Doch Ihr Verständnis von Selbst- und Stressmanagement greift nicht so kurz. Könnten Sie erklären, was Sie konkret darunter verstehen?

Martin-Niels Däfler: Wenn über Stress gesprochen wird, dann hat jeder sein eigenes Verständnis davon, was damit gemeint ist. So meint jemand vielleicht, wenn er im Stau steht, sei das Stress. Hier könnte Autogenes Training tatsächlich für innere Ruhe sorgen. Allerdings gibt es auch eine andere Form von Stress, nämlich die des permanenten Gefühls der Angespanntheit – die Überzeugung, nicht alles zu schaffen, was man eigentlich tun müsste oder möchte. So jemandem ist nicht mit einer Massage oder einem Tai-Chi-Kurs geholfen. Stressmanagement heißt in diesem Fall, sich mit seiner Persönlichkeit, vor allem mit seinen Lebenszielen auseinanderzusetzen und sich klar zu machen, dass man nicht alles gleichzeitig bewältigen kann. Wer für sich geklärt hat, was im Leben Vorfahrt besitzt, kann im Alltag leichter Entscheidungen treffen, auch wenn diese manchmal hart sein mögen.

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Was für harte Entscheidungen können das sein?

Im Englischen sagt man so prägnant wie zutreffend: Easy decisions = hard life; hard decisions = easy life. Gemeint ist damit, dass wir uns oftmals vor Entscheidungen drücken und nicht ernsthaft versuchen, an unserer Situation etwas zu ändern. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Etwa, weil man sich nicht traut, dem Chef zu sagen, dass man sein Arbeitspensum nicht mehr bewältigt. Oder weil man seinen Partner nicht enttäuschen möchte und ihm zuliebe dann doch mit ins Konzert geht, obwohl man viel lieber daheim geblieben wäre und ein Buch gelesen hätte. Das ist meistens der Weg des geringsten Widerstands, doch langfristig hat ein solches Verhalten fatale Auswirkungen, da sich ja nichts ändert. Wer also wirklich in seinem Leben weniger Stress haben möchte, muss sich überwinden und das ansprechen, was ihn stört. Nicht nur das: Auch im Umgang mit uns selbst sind mitunter schwierige Entscheidungen zu treffen. So muss man irgendwann mal beschließen, was nun tatsächlich an erster Stelle kommt: Job oder Familie. Beides zusammen funktioniert aus meiner Erfahrung selten gut, und wenn, dann muss man dafür selbst einige Opfer bringen.

Sie geben 222 Tipps für mehr Gelassenheit. Ganz schön viele Maßnahmen … Doch wie verbessere ich meine Resilienz am effektivsten? Womit wir beim Titel Ihres Buches angekommen wären: "Gib mir Geduld - aber flott!" ...

Den ultimativen Tipp gibt es nicht. Deshalb habe ich mein Buch auch bewusst nicht in Kategorien eingeteilt, sondern die Tipps alphabetisch angeordnet. So will ich verdeutlichen: Es gibt keine Reihenfolge – alle Hinweise sind grundsätzlich gleichermaßen wichtig; jeder muss für sich entscheiden, was er braucht und was funktioniert. Für den einen ist es vielleicht die Auseinandersetzung mit seinen ganz spezifischen inneren Antreibern, was ihn erkennen lässt, dass er sich als Erwachsener immer noch so verhält, wie es die Eltern früher von ihm gefordert haben und was heute sein Verhaltensrepertoire einengt. Ein anderer wiederum wird eventuell am meisten von Tipps zum Thema Selbstorganisation profitieren, weil er es einfach nicht gelernt hat, systematisch zu arbeiten. Ein Dritter schließlich ist permanent in Konflikte verwickelt, was ihn von der eigentlichen Arbeit abhält und zudem psychisch belastet. Hier können Hinweise zur konstruktiven Gesprächsführung viel bewirken. Um dennoch eine Empfehlung auszusprechen, die für jedermann Gültigkeit hat: Machen Sie regelmäßig Sport oder bewegen Sie sich auf andere Art. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen, die körperlich aktiv sein, weniger Stress verspüren. Das liegt unter anderem daran, dass durch Bewegung das Stresshormon Cortisol abgebaut wird. Alles, was Sie dem Körper Gutes tun, ist zugleich auch Balsam für die Seele.

Was ist mit dem Thema Zeitmanagement? Sind Mitarbeiter gestresst, weil die Arbeitslast zu groß ist, heißt es von Führungskräften häufig: Verbessern Sie Ihr Zeitmanagement! Was kann man mit dieser Methode wirklich erreichen?

Glücklicherweise erkennen immer mehr Arbeitgeber, dass es nicht nur ein schlechtes Zeitmanagement ihrer Mitarbeiter ist, sondern dass viele weitere Faktoren eine Rolle spielen, wenn über Stress geklagt wird. Aber in der Tat gibt es auch einige Chaoten: Ich habe in meinen Workshops und Coachings viele Teilnehmer kennengelernt, die menschlich wunderbar waren, aber selbst einfachste Regeln der Selbstorganisation und des Zeitmanagements nicht kannten oder beherrschten. Ein diszipliniert geführter Kalender, das Aufstellen realistischer Tagespläne und das Vermeiden von Multitasking kann in solchen Fällen die individuelle Produktivität steigern. Grundsätzlich ist es jedoch so, dass man mit einem besseren Zeitmanagement Stress nur bedingt begrenzen kann. Denn: Selbst, wenn man seine Arbeitsweise optimiert, läuft es doch oft darauf hinaus, dass man einfach nur noch mehr macht, statt den Zeitgewinn zum Erholen, zum Nachdenken oder zumindest für strategisch bedeutsame Aufgaben zu nutzen.

Wann müssen auch Sie persönlich sagen: Jetzt sind die Grenzen des Selbstmanagements erreicht?

Natürlich gibt es auch in meinem beruflichen Alltag immer mal wieder Situationen, wo die Grenze sichtbar wird, etwa wenn 120 Klausuren der Korrektur harren und der Kalender voll mit Veranstaltungen in ganz Deutschland ist. Seit vielen Jahren jedoch bin ich nicht mehr wirklich über der Grenze gewesen. Woran das liegt? Weil ich es gelernt habe, "Nein" zu sagen – im Berufs-, wie im Privatleben. Das ist nicht immer einfach, wie ich vorhin sagte, aber es geht. Und weil ich streng darauf achte, für mich selbst zu sorgen, auch wenn nicht viel Zeit dafür zur Verfügung zu stehen scheint. Aber, um sich mal eine Stunde aufs Rad zu setzen oder ins Fitnessstudio zu gehen, reicht es eigentlich immer. Dafür wird eine Mail dann halt nicht am Abend, sondern erst tags darauf beantwortet. 

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