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2023 | Buch

Subjektivierung von Arbeit zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung

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Über dieses Buch

Dieses Buch gibt Einblicke in die historische Entwicklung des Wandels von Arbeitskraft aus Sicht der arbeits- und industriesoziologischen Forschung und beleuchtet dabei die Gründe für die spätmodernen Anforderungen an und Einforderungen von Lohnarbeitenden. Aufgrund von Strukturwandel und einem Paradigmenwechsel in der Arbeitsorganisation ab den 1970 / 80er Jahren erfordert die postmoderne Lohnarbeit von den Arbeitssubjekten verstärkt das Einbringen von subjektiven Potenzialen. Dabei sind z. B. Selbststrukturierung, -kontrolle und -ökonomisierung, aber auch eine unternehmerische Denkweise und motiviertes Arbeitshandeln gefragt, um die Tätigkeiten der heutigen Zeit ausführen zu können. Ab dem gleichen Zeitpunkt werden auf Beschäftigtenseite Ansprüche laut, die ebenfalls auf die Einbringung subjektiver Potenziale in die Lohnarbeit abzielen: Selbstentfaltung und -verwirklichung, die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sowie das ‚qualitativ gute Leben‘ werden gefordert. Beide Tendenzen werden arbeitswissenschaftlich als ‚doppelte Subjektivierung‘ zusammengefasst und in der vorliegenden Arbeit im Detail betrachtet sowie Chancen und Risiken dieser Entwicklung erörtert.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
‚Du willst kreativ sein und deine innovativen Ideen bei uns verwirklichen? Du suchst die Herausforderung, bist motiviert und offen für Neues? Dann bist du bei uns genau richtig! Wir sind ein junges, dynamisches Team aus engagierten Kreativköpfen, das originelle und innovative Projekte in lockerer und flexibler Arbeitsatmosphäre umsetzt.‘ Wer heute Stellenanzeigen liest, der stößt häufig auf so oder so ähnlich formulierte Texte. Auch populäre Karriereportale betonen die Relevanz von Motivation, Innovation und Spaß bei der Arbeit. Ich frage mich, warum mich bei solchen Formulierungen immer ein ‚merkwürdiges‘ Gefühl beschleicht.
Friederike Glaubitz
Kapitel 2. Die These der Subjektivierung von Arbeit
Zusammenfassung
Subjektivität ist das Ensemble von persönlichen Eigenheiten, welches es dem individuellen Menschen ermöglicht mit seiner aktuellen Umwelt zu interagieren. Vor allem für Arbeit als zielgerichtete Handlung werden subjektive Potenziale benötigt, um die vorausgeplanten Ziele zu erreichen. Im Speziellen bei Lohn- als Dienstleistungsarbeit kommt es auf die Eigenschaften der arbeitenden Personen an, um nützliche Gebrauchswerte zu erschaffen. Die Teile des Ensembles, die zur Bewältigung von Arbeit benötigt werden, bezeichnet man zusammenfassend als Arbeitskraft. Die eingeschränkte Sichtweise, dass es sich dabei immer um rational explizierbare Fähig- und Fertigkeiten handelt, verleitete zum Ende des 19. Jhds. zur Annahme und zum Versuch diese Arbeitskraft vom Individuum trennen und abschöpfen zu können und somit zu objektivieren. Betriebliche Organisationsstrategien des Taylorismus zielten darauf ab die gesammelten Abschöpfungen in vorstrukturierten und optimierten Teilarbeitsschritten wieder standardisiert zu vereinen, um effiziente Arbeit unabhängig vom Individuum und seiner Subjektivität sicherzustellen und somit ökonomische Planungssicherheit mathematisch-wissenschaftlich zu gewährleisten. Rigide Kontrollen sollten auch das Transformationsproblem der Arbeit weitestgehend extern steuerbar machen. Arbeitssoziologische Analysen zeigen jedoch, dass weder die Arbeitskraft an sich, noch ihre Umwandlung in Arbeit vom Individuum gelöst werden können und somit aufs Engste mit ihm verbunden bleiben. Die arbeitssoziologische These der ‚Subjektivierung von Arbeit‘ konstatiert als Zeitdiagnose nun auch die Rückkehr der Subjektivität in die Lohnarbeitswelt und attestiert ihr dort einen zunehmenden Bedeutungsgewinn seit Mitte der 1980er Jahre. Dabei bedingen eine veränderte Arbeitsstruktur und -organisation einen erhöhten betrieblichen Bedarf an Subjektivität. Gleichzeitig wird Lohnarbeit von den Beschäftigten selbst (rück)-subjektiviert, indem diese ihre subjektiven Potenziale mehr einbringen und diese Möglichkeit der Einbringung auch von Unternehmen fordern.
Friederike Glaubitz
Kapitel 3. Analytische Kontrastfolie: Taylor-Fordismus und industrielle Moderne
Zusammenfassung
Die Zeit des Taylor-Fordismus und der industriellen Moderne bildet in ihrer gesamtgesellschaftlichen Ausprägung den Höhepunkt dessen, was Reckwitz als die ‚soziale Logik des Allgemeinen‘ bezeichnet. Der Taylorismus standardisierte dabei zunächst die betriebliche Arbeitsorganisation und idealisierte einen effizient planbaren Produktionsprozess. Der Fordismus standardisierte ergänzend dazu als Taylor-Fordismus die gesamtgesellschaftliche Produktionsweise und hatte somit Einfluss auf die gesamte Lebensweise der Lohnarbeitenden. Dabei wurde die Standardisierung, Formalisierung und Generalisierung aller sozialen Einheiten einer Gesellschaft angestrebt mit dem Ziel der sozialen Ordnung, Planbarkeit und Teilhabe. Dieses Streben nach dem Allgemeinen und allgemeiner Berechenbarkeit und somit gleichzeitig nach Transparenz von wirtschaftlicher, aber v. a. auch sozialer Ordnung und Gleichförmigkeit in jeglicher verstärkten sich zu Beginn des 20. Jhds. und gipfelten im Taylor-Fordismus der 1950er bis 1970er Jahren. Subjektivität wird in dieser Zeit vom Störfaktor zu einem kollektiven Phänomen, das als Bedürfnis einer Gesamtheit der Arbeiterschaft in ökonomische Prozesse zurückkehrt und patriarchalisch berücksichtigt wird. Im Gegenzug wird an die Arbeitenden ein fachlicher und arbeitsdisziplinarischer Kompetenzanspruch gestellt, um betriebliche Ziele zu erreichen. Als Ort und Zeit für eine individuell unterschiedliche Subjektivität verfestigt sich die lohnarbeitsfreie Zeit, die von kollektiven Interessensvertretungen der Arbeiterschaft zu deren Gunsten und möglicherweise zum Preis der Negierung individueller Subjektivität in der Lohnarbeitszeit erweitert wird. Diese Form der gesellschaftlichen Produktion hatte neben kulturellen auch wirtschaftliche Grenzen, wodurch sie an ihr Ende kam. In diesem Krisenzeitraum formiert sich die bereits skizzierte doppelte Subjektivierung von Arbeit.
Friederike Glaubitz
Kapitel 4. Lohnarbeit bewirkt eine Subjektivierung
Zusammenfassung
Das folgende Kapitel beleuchtet die erste Perspektive der in Abschnitt 2.3 beschriebenen Doppelten Subjektivierung: Wie durch arbeitsinhaltliche und -organisatorische Wandlungen ab den 1970er und 80er Jahren ein zunehmender funktionaler Bedarf an subjektiven Potenzialen innerhalb der Arbeitswelt zu erklären ist. Dabei stellt die hier vorgenommene getrennte Betrachtung von Arbeitsinhalten und Betriebsstrategien keine grundsätzlich verschiedenen Entwicklungen dar. Es handelt sich um zwei verschiedene Blickwinkel auf zum Teil ähnliche Entwicklungen, die deshalb auch ähnliche Subjektivitätsansprüche nach sich ziehen. Aus der Perspektive der Arbeitsinhalte lässt sich das Ende des Industrialismus – also der klassischen industriellen Produktion – erklären, die noch im Taylor-Fordismus für massenhafte Standardprodukte sorgte. Richtet man hingegen den Blick auf die betrieblichen Strategien lässt sich als Antwort auf die sozioökonomische Krise des Fordismus eine Abkehr von marktabgewandter fordistischer und hierarchiegeleiteter tayloristischer Arbeitsorganisation feststellen. Dies hat eine Umkehrung der ‚normalisierenden Eingrenzung‘ von Arbeit zur Folge und kommt somit dem Ende des Taylor-Fordismus als gesamtgesellschaftlicher Produktionsweise gleich.
Friederike Glaubitz
Kapitel 5. Lohnarbeit wird subjektiviert
Zusammenfassung
Als Antwort auf die als einengend empfundenen Regulierungen der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation des Fordismus wird in der postfordistischen Spätmoderne auch auf der soziokulturellen Ebene eine Dynamisierung festgestellt: Eine Dynamisierung der Individualitäten. Baethge bemerkt, dass junge Industriearbeiter Anfang der 1990er Jahre die Einbringung subjektiver Potenziale in die Lohnarbeit reklamieren. Sie wollen ihre individuellen Qualifikationen entfalten und weiterentwickeln sowie sich mit ihrer Tätigkeit – und nicht zwingend mit dem Betrieb – identifizieren. In Reckwitz’ Augen ist dies als gesamtgesellschaftlicher Wertewandel zu lesen, der sich – ausgehend von der akademischen, neuen Mittelklasse – zunehmend auf die gesellschaftliche Arbeitsweise und alle Branchen auswirkt. Dabei wollen die Menschen in ihrem gesamten Alltag und deshalb auch in ihrer Lohnarbeit einzigartig und singulär sein und sich darin selbst verwirklicht sehen. Postfordistische betriebliche Strategien der Arbeitsorganisation, die sich an kreativer Arbeitsweise orientieren, stellen bereits das Idealbild einer solchen singulären Arbeitsweise dar, wodurch eine Akzeptanz, Beförderung und Erweiterung von Entgrenzungs- und Subjektivierungstendenzen angenommen werden kann. Eine ähnliche Schlussfolgerung ergibt sich, wenn man diese Ansprüche als ideologisierte Subjektivität betrachtet, bei der durch gesellschaftliche Diskurse eine idealistische Überformung von Werten wie Selbstbestimmung, Souveränität, Flexibilität und Unternehmertum stattfindet. Im Großen und Ganzen lässt sich so ein komplexer Prozess wohl aber nicht auf einzelne Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zurückführen. Es handelt sich vielmehr um eine gegenseitige Wechselwirkung, bei der sich die An- und Einforderungen der Spätmoderne wechselseitig verstärken.
Friederike Glaubitz
Kapitel 6. Chancen und Risiken
Zusammenfassung
Subjektivierung von Arbeit kann zunächst durchaus als Befreiung aus fremdbestimmten, standardisierten Verhältnissen und als anerkennungssoziologischer Gewinn für die Beschäftigten verstanden werden. Doch wo Autonomiezugeständnisse zugleich von Zwängen und Mehrbelastung begleitet sind und sich ihr Selbstbestimmungspotenzial als neue Objektivierung von Subjektivität tarnt, erscheinen Beschäftigte vielmehr als Opfer der neuen arbeitsorganisatorischen Maßnahmen, weil sie ihre subjektiven Potenziale nun vorrangig unter die Direktive der Ökonomie stellen müssen. Auch führt erhöhte Selbstverantwortung dazu, dass Lohnarbeitende nun die Spannungsverhältnisse aus Gebrauchs- und Tauschwerten in ihrer eigenen Psyche bewältigen. Dies und der Anspruch nach einer sinnvollen Beschäftigung mit deren Hilfe eine weltzugewandte Entfaltung des eigenen Selbst erreicht werden soll, können zu übermäßiger und entgrenzter Selbstausbeutung führen, welche die Subjekte an ihre Belastungsgrenzen treiben kann. Wird man in dieser Situation aufgrund ideologisierter Werte von der Gesellschaft oder von sich selbst weiterhin als ausschließlich eigenverantwortlich gehalten, kann dies zu schwerer psychischer Überforderung führen und den Blick auf äußere, strukturelle Missstände verstellen. Arbeitnehmer erscheinen aus dieser Perspektive nicht mehr nur als Opfer, sondern als Mittäter, die kapitalistische Macht- und Ausbeutungsverhältnisse unverändert reproduzieren.
Friederike Glaubitz
Kapitel 7. Reichweite
Zusammenfassung
Reale Subjektivierung von Lohnarbeit geschieht dort wo Ansprüche und Entsprechungen aufeinandertreffen – sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite. Der Strukturwandel in der Arbeitswelt bedingt an vielen Stellen das Einbringen subjektiver Potenziale in den Lohnarbeitskontext. Oft kommen die Arbeitssubjekte diesen Anforderungen nach. Welche Potenziale genau eingebracht werden ist jedoch uneindeutig und ob dies immer freiwillig geschieht oder andere strukturelle oder persönliche Gründe dazu führen, ist zumindest zu hinterfragen. Ideologisierte Subjektivität scheint zumindest auf der Ebene der Akzeptanz entgrenzter und subjektivierter Bedingungen auch eine Rolle spielen zu können. Die postfordistische Arbeitsorganisation erfordert ebenfalls viele verschiedenen Arten von Subjektivität – welche Arten in welchem Ausmaß ist empirisch allerdings auch hier noch nicht festzustellen. Ob die Arbeitssubjekte diesen Anforderungen immer entsprechen oder ihnen gar stets in einer passiven Opferrolle nachkommen, ist in Anbetracht empirisch zu beobachtender Widerstandsbewegungen ebenfalls fraglich. In Bezug auf die Einforderungsthese der Arbeitssubjektivierung scheint es so, dass sich v. a. höher- und hochqualifizierte Arbeitnehmer mit ausreichender, existenzieller Absicherung eine solche Anspruchshaltung auch ‚leisten‘ können. Die ideologisierte Subjektivierung, die auch die größten, weil subtilen Selbstausbeutungstendenzen beinhaltet, ist am schwierigsten, wenn nicht sogar unmöglich empirisch festzustellen. In der AIS muss dafür v. a. eine Verschränkung mit anderen Forschuungsdisziplinen stattfinden.
Friederike Glaubitz
Kapitel 8. Gesamtzusammenfassung
Zusammenfassung
Dieses Kapitel fasst die Inhalte dieses Buches zusammen.
Friederike Glaubitz
Kapitel 9. Fazit
Zusammenfassung
In diesem Kapitel beantworte ich mit Bezug auf die vorangegangenen Ausarbeitungen meine ursprüngliche Forschungsfrage: Warum habe ich so ein zwiespältiges Gefühl in Bezug auf die modernen Arbeitsanforderungen?
Friederike Glaubitz
Backmatter
Metadaten
Titel
Subjektivierung von Arbeit zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung
verfasst von
Friederike Glaubitz
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-40806-0
Print ISBN
978-3-658-40805-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40806-0