1 Die Sicherheit von Talsperren
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Die grundsätzliche Dimensionierung des Absperrbauwerks einschließlich des Dichtungssystems unter besonderer Beachtung seiner systembedingten Reserven und der Sicherheit gegenüber inneren Erosionsvorgängen (bei Staudämmen).
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Die Kenntnis der tatsächlichen Untergrundverhältnisse und die Dimensionierung sowie die Ausführung der Untergrundabdichtung.
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Die Leistungsfähigkeit, Ausführung, Verklausungssicherheit und der bauliche Zustand der Hochwasserentlastungsanlage unter besonderer Beachtung der Zuverlässigkeit des Öffnens etwaig vorhandener Verschlüsse.
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Der Freibord als Maß zwischen dem höchsten Stauziel und der Krone des Absperrbauwerks unter Beachtung der Lage der Oberkante des Dichtungssystems.
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Ein betriebssicherer Grundablass, der langfristig in der Lage bleibt, den Wasserspiegel im Stauraum in vergleichsweise kurzer Zeit deutlich abzusenken.
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Die Talsperrenüberwachung als zentrales und unersetzliches Element der Sicherheitsphilosophie einschließlich der daraus resultierenden Anpassungs- und Sanierungsmaßnahmen.
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Der Freibord wird üblicherweise unter Beachtung der möglichen Windwellenwirkungen bemessen. Je nach Lastfall und regionaler bzw. nationaler Handhabung wird dann gegebenenfalls noch ein Sicherheitszuschlag addiert. Die Wahl des tatsächlichen Freibordmaßes, welches die rechnerisch erforderliche Größe natürlich überschreiten kann, obliegt dem Bauherrn bzw. seinem Planer. Je größer der Freibord ist, umso höher ist die systemimmanente Sicherheit des Bauwerks auch in Situationen, welche über die allgemeinen Bemessungsannahmen hinausgehen (Abb. 2). Ebenso lassen sich Änderungen der hydrologischen Grundlagen (z. B. der Bemessungshochwasserabflüsse) bei ausreichenden Freibordreserven in der Regel gut aufnehmen.
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Die Breite der Krone des Absperrbauwerks geht natürlich unmittelbar in die erforderliche Kubatur und den Raumbedarf ein. Bemessungsregeln konzentrieren sich oft auf eine ausreichende und sichere Befahrbarkeit des Bauwerks. Mit Blick auf später erforderliche – zum Zeitpunkt des Baus jedoch noch nicht bekannte – Anpassungsmaßnahmen an dem Absperrbauwerk der Talsperre ist eine über das unmittelbar erforderliche Maß hinausgehende Kronenbreite sehr günstig (Abb. 2). Breite Kronen erlauben zu gegebener Zeit die Durchführung von Baumaßnahmen (z. B. nachträglicher Einbau einer Dichtwand (Lang und Overhoff 2016), nachträglicher Einbau einer Oberflächendichtung, Injektionen im Untergrund, Erhöhung des Absperrbauwerks) und verbessern auch die systemimmanente Sicherheit in Situationen, welche über die Bemessung hinausgehen.
2 Die Überwachung von Talsperren
2.1 Grundlagen
Aufgabe | Personenkreis | Verfügbarkeit | Betreuungsintensität | Betreuungsverhältnis | Anmerkung |
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Lokale Betreuung der Anlage, Bauwerksüberwachung | Technisch ausgebildete Personen mit detaillierten Kenntnissen der Talsperre | Räumlich und zeitlich hohe Verfügbarkeit, kurze Wege, Bereitschaftsdienst | Täglich bis wöchentlich | Typischerweise eine bis mehrere Personen je Talsperre, Sicherstellung einer ausreichenden Betreuung aller Talsperren in besonderen Situationen (z. B. großräumiges Hochwasserereignis) | Typischerweise Angestellte bzw. Angehörige des Betreibers |
Technische Verantwortung für die Talsperre | Fachkundige(r) Talsperreningenieur(in) | Gute Verfügbarkeit, angemessene Weglängen, Bereitschaftsdienst | Nach Erfordernis, mindestens wenige bis mehrere Male jährlich | Typischerweise eine bis mehrere Talsperren je Person, Sicherstellung einer ausreichenden Betreuung aller Talsperren in besonderen Situationen (z. B. großräumiges Hochwasserereignis) | Typischerweise Angestellte bzw. Angehörige des Betreibers, bei kleineren Anlagen ggfs. langfristig an Dritte ausgelagert |
Technische Überprüfungen der Talsperren | Experten und Expertinnen aus den relevanten Fachbereichen (u. a. Wasserbau, Statik, Geotechnik, Stahlwasserbau) | Im Rahmen der Aufträge des Betreibers | Im Zuge der in größeren zeitlichen Abständen (mehrere Jahre) erforderlichen technischen Überprüfungen | – | Externe Fachleute bzw. Fachbüros im Auftrag des Betreibers |
2.2 Konzept zur Talsperrenüberwachung
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Die Eigenverantwortung des Betreibers muss der Kern der Talsperrenüberwachung sein. Die Rolle und die Intensität der Mitwirkung der Aufsichtsbehörde hängen in hohem Maße von den nationalen und regionalen Festlegungen bzw. der jeweils gelebten Praxis ab. Ebenso sollten die Größe bzw. die Gefährdungspotenziale der Talsperren Einfluss auf den Umfang der Mitwirkung der Aufsichtsbehörde an der Talsperrenüberwachung haben. Aus Sicht des Autors ist es jedoch zwingend, dass trotz etwaiger staatlicher Mitwirkung die grundsätzliche Verantwortung deutlich sichtbar bei den Betreibern verbleibt. Diese sind dafür zuständig, dass ihre Anlagen den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Als „anerkannte Regel der Technik“ wird eine Festlegung verstanden, die von einer Mehrheit repräsentativer Fachleute als Wiedergabe des Stands der Technik angesehen wird (siehe auch Europäische Norm EN 45020).
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Selbstverständlich liegt es auch in der Verantwortung des Betreibers bzw. des Unternehmens oder der Institution, welche die Planung und den Bau der Talsperre initiiert und realisiert, dass die Planung, das Design, die Dimensionierung, aber auch der Bau und die Bauausführung den hohen Ansprüchen genügen, welche sich aus der Bedeutung der Talsperren ableiten lassen. Hierbei sollte bereits dem potenziellen Gefährdungspotenzial (auch im Sinne einer langfristigen Prognose der räumlichen Entwicklung) und der gleichsam unbegrenzten Standzeit dieser Anlagen Rechnung getragen werden.
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Die Talsperrenüberwachung beginnt bereits in der Bauphase und dauert im Sinne einer generationsübergreifenden Aufgabe unbegrenzt an. Nur im Falle eines Rückbaus einer Talsperre würde sie entfallen. Das grundlegende und kontinuierlich umzusetzende „Basismodul“ der Talsperrenüberwachung umfasst drei wesentliche Aktivitäten (siehe auch Abb. 4, grau hinterlegter Bereich):
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Die Visuelle Kontrolle ist ein zentrales und unersetzliches Element der Bauwerksüberwachung an kleinen und großen Talsperren. Sie ermöglicht eine umfassende qualitative Beurteilung des Bauwerkszustandes und dessen unmittelbarer Umgebung. Es ist zwingend erforderlich, dass die visuelle Kontrolle von geschultem Personal durchgeführt wird, welches mit der Anlage gut vertraut ist (siehe auch Tab. 1). Im Rahmen von visuellen Kontrollen wird erfahrungsgemäß der größte Teil der Mängel und Schäden an einer Talsperre erkannt. Visuelle Kontrollen sollten unter Beachtung der Größe und des Gefährdungspotenzials einer Talsperre im zeitlichen Abstand von einem Tag bis sehr wenigen Wochen durchgeführt werden. Technische Empfehlungen (z. B. DWA 2011) geben in exemplarischer Weise Hinweise zum Umfang und Vorgehen der visuellen Kontrolle.
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Neben der Messung des Zu- und Abflusses sowie einer zwingenden Möglichkeit der Bestimmung des Wasserstands im Stauraum werden weitere Messungen am Bauwerk durchgeführt. Diese variieren hinsichtlich ihrer Art und Weise und ihres Umfangs in erheblichem Maße. Ziel der Messungen ist es, den Zustand des Absperrbauwerks und anderer wichtiger Anlagenteile zu erfassen. Neben Deformationsmessungen werden insbesondere auch Messungen zur Beobachtung der Durchsickerung durchgeführt. Eine zentrale Bedeutung kommt der messtechnischen Bestimmung des Sickerwasserabflusses zu. Die Messungen werden mit unterschiedlicher Häufigkeit (z. B. permanent, täglich, wöchentlich etc.) vorgenommen. Wichtige Messdaten (z. B. Wasserstand und Sickerwasserabfluss) sollten nach Möglichkeit automatisch erfasst und fernübertragen werden.
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In regelmäßigen Abständen (z. B. 6 Monate, 12 Monate) ist eine Erprobung der Betriebseinrichtungen erforderlich. Hierbei sollten insbesondere die sicherheitsrelevanten beweglichen Anlagenteile, d. h. der Grundablass und etwaige Verschlüsse an der Hochwasserentlastungsanlage, auf ihre Einsatzbereitschaft und Funktionalität hin überprüft werden.
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In größeren Zeitabständen (z. B. 5 Jahre, 10 Jahre, 15 Jahre) ist eine eingehende Überprüfung („Formal Investigation“, „Vertiefte Überprüfung“) der Talsperre durchzuführen. Es gilt hierbei, die Anlage ohne Vorbehalte und frei von Vorprägungen auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen (siehe auch Abschn. 2.1.). Im Laufe der Zeit werden sich früher oder später an jeder Talsperre Erfordernisse zur Anpassung und Sanierung der Anlage ergeben. Typischerweise werden diese im Rahmen dieser Überprüfungen festgestellt und im Anschluss innerhalb eines angemessenen Zeitraumes umgesetzt. Dieser Prozess ist von wesentlicher Bedeutung, um die Sicherheit der Talsperre über Generationen hinweg unter Beachtung der jeweils gültigen gesellschaftlichen Sicherheitsansprüche bzw. dem jeweils gültigen Stand der Technik entsprechend zu gewährleisten.
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Zu jeder Zeit muss eine Gefährdung der Standsicherheit des Absperrbauwerks oder anderer sicherheitsrelevanter Anlagenteile erkannt werden können. Auch dies liegt zwingend in der Eigenverantwortung des Betreibers. Es muss gewährleistet sein, dass in diesem Fall eine qualifizierte und möglichst rasche Information an die jeweils zuständige Behörde oder Institution (z. B. den Katastrophenschutz) ergeht. In vielen Ländern ist die Ausarbeitung von Bruchszenarien und die Weitergabe entsprechender Planunterlagen an die zuständigen öffentlichen Stellen inzwischen Realität oder zumindest in die Wege geleitet worden. Die Durchführung von Evakuierungen und alle Maßnahmen des Katastrophenschutzes obliegen im Sinne der Mächtigkeit und Besonderheit dieser Aufgabe nun nicht mehr dem Betreiber, welchem in aller Regel die Strukturen und Kompetenzen hierfür fehlen. Dies entbindet ihn allerdings in keiner Weise von seiner Verantwortung.
3 Beiträge zu verschiedenen Aspekten der Sicherheit von Talsperren
3.1 Überblick
3.2 Die Bedeutung von Grundablässen für die Talsperrensicherheit
3.3 Bauwerksüberwachung mit Generationen von Messsystemen und Messverfahren
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Messgeräte, die im Inneren eines Staudammes installiert werden, können insbesondere im Bereich eines natürlichen Kerns potenzielle Schwachstellen oder lokale Störungen verursachen. Grundsätzlich bieten Kabel und Schläuche, welche zu den einzelnen Messgebern führen, günstige Randbedingungen für Sickerströmungen. Im Bereich von Messgeräten sind die Möglichkeiten der Verdichtung sowie der Verdichtungskontrolle mitunter nicht unerheblich beeinträchtigt. Im Zuge der Planung der ersten Messausstattung eines Staudamms sollten daher der Umfang, die Anzahl und insbesondere auch die Anordnung der Messleitungen kritisch geprüft werden. Insbesondere in natürlichen Kernen ist daher grundsätzlich eine sehr deutliche Zurückhaltung hinsichtlich der zu installierenden Messausstattung zu empfehlen.
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Der Einsatz von Messgeräten zur Ermittlung von Totalspannungen (Erddruckgeber) sollte in jedem Einzelfall grundsätzlich auf seine Sinnhaftigkeit überprüft werden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der Qualität der Messergebnisse bzw. das grundsätzliche Erfordernis der nachträglichen Bearbeitung bzw. Kalibrierung der Rohmessdaten anhand der anfänglichen Messwertentwicklung (Aufleger 2007).
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Porenwasserdruckmessungen können Messdaten von besonderer Bedeutung beispielsweise über den Druckabbau in einem natürlichen Kern liefern. Für die Interpretation der Entwicklung der Messdaten ist allerdings umfassende Erfahrung erforderlich. So können ausgeprägte Messwertentwicklungen durchaus unterschiedliche Ursachen haben. Fallweise ist ein nicht unerheblicher Interpretationsspielraum gegeben (Abb. 7).
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Die Nachrüstung von Messgeräten muss mit besonderer Sorgfalt geplant bzw. in jedem Fall auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Insbesondere ist beim nachträglichen Einbau von Messgebern mittels Bohrungen in natürlichen Kernen und im Untergrund von Staudämmen besondere Sorgfalt geboten. Das Bohren mit Wasser oder Luft muss so weit wie möglich vermieden werden. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, muss es mit größter Sorgfalt und Überwachung durchgeführt werden, um das Risiko von hydraulic fracturing oder pneumatic fracturing durch die Begrenzung der Luft-und Wasserdrücke zu reduzieren (ICOLD 2014). Die jeweils zulässigen Werte hängen von der Materialdichte, dem Porenwasserdruck und der Tiefe des Bohrlochs ab. Bei der Nachrüstung von Messgeräten in sensitiven Bereichen von Absperrbauwerken (insbesondere bei Staudämmen mit natürlichen Kernen) sollten Techniken mit deutlich geringerem Risiko (u. a. Schnecken und sonic drilling) in Erwägung gezogen werden.
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Messmethoden und Messgeräte werden ständig weiterentwickelt. Moderne Messverfahren, welche berührungslos funktionieren (z. B. Laserscan, Fotogrammetrie) besitzen ein sehr großes Potenzial und eröffnen neue Einblicke auf die Anlage bzw. auf einzelne Anlagenteile (z. B. Verformungsmessung, Rissdetektion, optische Kontrollen). Sie sind in ihrer Wirksamkeit bzw. „Eindringetiefe“ jedoch auf die freien Oberflächen der Bauwerke begrenzt. Andere moderne Messverfahren sind in der Lage, entlang von sehr robusten und sehr langlebigen Glasfaserleitungen, welche ohne jede weitere Messgeräte in verschiedenen Bauwerksteile integriert werden können, wichtige Informationen über die Temperatur, über Sickerströmungen und auch in einzelnen Fällen über die Verformungen in verteilter Form zu ermitteln. Die eigentliche Messtechnik und damit jene Messkomponenten, welche einer relevanten Alterung, aber auch einer ständigen technischen Weiterentwicklung unterliegen, werden hierbei außerhalb des Bauwerkskörpers angeschlossen und sind somit jederzeit zugänglich und austauschbar. Solche Messverfahren (z. B. faseroptische Temperaturmessungen zur Leckageortung; Fry et al. 2007) bieten gegenüber klassischen Verfahren mitunter deutliche längerfristige Messoptionen und weisen meist eine sehr große Datendichte auf.
3.4 Bruchszenarien und Vorwarnzeiten an Staudämmen – Sicherheit für Generationen
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Bei Anlagen ohne weitergehende messtechnische Ausstattung, d. h. insbesondere ohne die Möglichkeit der Fernübertragung von Messdaten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Vorwarnung der Bevölkerung unter diesen Umständen möglich ist. Das Entstehen der Bresche könnte außerhalb der visuellen Kontrollen nur durch zufällig Beobachtungen anderer Personen erkannt werden.
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Falls der Beckenwasserstand automatisch an eine zentrale Leitstelle übergeben wird oder beispielsweise über eine Alarmwertvorgabe mit einem Bereitschaftsdienst verbunden ist, kann das sich abzeichnende Versagen erkannt werden, sobald es zu einem erkennbaren und ungewöhnlichen Absinken des Wasserstandes im Staubecken kommt. Dies ist jedoch erst in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium der Breschenbildung der Fall.
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Bei Staudämmen, welche über eine gut funktionierende Sickerwasserabflussmessung verfügen, wird die beginnende Einströmung in die Bresche nach dem Auffüllen der entsprechenden Drainage- und Sickerzonen bzw. -leitungen zu einer signifikanten Erhöhung der Messwerte führen. Hierdurch kann das sich abzeichnende Problem an der Dammkrone möglicherweise noch vor dem Absinken des Wasserspiegels im Staubecken erkannt werden.