Gerade im Technischen Vertrieb müssen Verkäufer im Tandem mit ihren Kaufmännischen Vertriebskollegen gut strukturiert zusammenarbeiten, um die Vertriebsziele zu erreichen. Die Experten Tobias Heisig und Matthias Schlageter plädieren für ein neues Mindset.
Springer Professional: Herr Dr. Heisig, auch im Technischen Vertrieb nimmt der Einfluss Künstlicher Intelligenz zu, Lösungen im B2B-Bereich werden komplexer. Sie plädieren in einem Beitrag in der Zeitschrift Sales Excellence gemeinsam mit Co-Autoren dafür, dass Technischer und Kaufmännischer Vertrieb in der Kundenberatung an einem Strang ziehen und ein neues gemeinsames Mindset entwickeln sollten. Was bedeutet das für die künftige Vertriebspraxis genau?
Tobias Heisig: Erfolgsentscheidend ist ein Mindset, das die jeweils andere Seite als unmittelbar wertschöpfend akzeptiert. Während es dem Kaufmännischen Vertrieb obliegt, Kontakte zu unterschiedlichen Ansprechpartnern zu gestalten und zu pflegen, bringen die Experten aus dem Technischen Außendienst die fachliche Expertise zu den erklärungsbedürftigen Produkten und Dienstleistungen ein. Die Vertriebsziele müssen als gemeinsame Ziele erkannt werden und beide Seiten müssen sich Hand in Hand aktiv unterstützen.
Herr Schlageter, was heißt der Ansatz aus Ihrer Sicht für die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden – was verändert sich beispielsweise im Vertrieb oder wird generell wichtiger in der Kunden- /Lieferantenbeziehung?
Matthias Schlageter: Mein Verständnis von Kundenorientierung ist es, dem Kunden Orientierung zu geben und nicht, sich komplett am Kunden zu orientieren. Einkaufs- und Investitionsentscheidungen gerade bei technisch komplexen Produkten und Lösungen haben immer zwei Ebenen: eine technische und eine kaufmännische. Wer auf beiden Ebenen in der Lage ist, dem Kunden die dringend benötigte und auch erwünschte Orientierung zu geben, wird nachhaltige Vertriebserfolge feiern. Dazu braucht es harmonisch zusammenarbeitende und fachlich exzellente Vertriebs-Tandems aus Technischem und Kaufmännischem Vertrieb.
Herr Dr. Heisig, wie können Vertriebsführungskräfte denn die veränderten Voraussetzungen für die Zusammenarbeit beider Teams, also dem technischen und kaufmännischen Vertrieb am besten vermitteln und Konkurrenzdenken vermeiden, etwa durch ein neues Rollenverständnis der Vertriebsmitarbeiter?
Tobias Heisig: Wenn Führungskräfte sich nicht einig sind, wird auf der Arbeitsebene keine Einigkeit bestehen. Sie sollten sehr deutlich vermitteln, dass beide Seiten essenziell sind und es ein großes Problem darstellt, wenn die Zusammenarbeit nicht vertrauensvoll und mit dem Anspruch gestaltet ist, gemeinsam gewinnen zu wollen. Vergütungssysteme spielen hier eine wichtige Rolle. Wenn nur der kaufmännische Außendienst verprovisioniert wird, erzeugt das ein Ungleichgewicht. Besser sind Teamziele, die bei der Provision eine gegenseitige Abhängigkeit erzeugen und entsprechende Anreize für die Zusammenarbeit entstehen.
Herr Schlageter, mit welchen Vertriebswerkzeugen kann aus Ihrer Sicht eine Kooperation zwischen beiden Vertriebsteams am besten gelingen?
Matthias Schlageter: Sobald im Vertrieb etwas verbessert werden soll, wird der Ruf nach Werkzeugen laut – ich kenne das aus Beratungsprojekten und auch Ihre Frage schlägt in dieselbe Kerbe. Vor einem sinnvollen und für den Kunden positiv wahrnehmbaren Einsatz von Werkzeugen steht ein gemeinsames Mindset in den Vertriebs-Tandems. Hier verwende ich gerne das Konzept der Customer Journey und denke es vertriebsseitig weiter. Und was liegt da näher, als die Vertriebs-Tandems gedanklich künftig mit der „Reiseleitung“ der Kunden zu betrauen? Zuende gedacht kann man sich das so vorstellen: Die Kunden sind auf der Kundenreise (Customer Journey) unterwegs. Parallel überlegt sich das Vertriebs-Tandem, was spannende Kontaktpunkte (Touchpoints) sein können und wie die Kunden dort empfangen werden sollen. Es gilt das symbolische Bild: Champagner-Picknick oder mobile Toilettenkabine, beides kann für die Reisenden je nach aktueller Situation von hohem Wert und Nutzen sein. Es ist Aufgabe der Reiseleitung, dies zu antizipieren und die Reisenden bei deren Ankunft positiv zu überraschen und zu begeistern.
Das so genannte "GUARD"-Modell, das im Beitrag vorgestellt wird, beschäftigt sich unter anderem mit den einzelnen Rollen der handelnden Personen auf Kundenseite im Verkaufsprozess. Wie funktioniert es genau und wie kann es den Wandel und die Kundenarbeit der Vertriebsmannschaften im Technischen Vertrieb unterstützen?
Viele Vertriebler lassen sich gerne zu dem Gedanken verleiten, alles sei auf Erfolgskurs, wenn Gespräche auf der Ebene der Decision Maker stattfinden. Das kann sich als fataler Irrtum herausstellen, wenn diese Person lediglich die Verträge unterschreibt und im Hintergrund ganz andere Personen die Strippen ziehen. Gerade bei technisch komplexen Einkaufs- und Investitionsentscheidungen wird eine beispielsweise kaufmännisch geprägte Geschäftsleitung mit großer Sicherheit intern technische Expertise zu Rate ziehen, um die Entscheidung abzusichern. Im Entscheidungsprozess treten dann zusätzlich User oder Empfehler auf und nehmen entsprechend Einfluss. Wohl dem Vertriebs-Tandem, das nicht nur mit Decision Makern spricht, sondern gleichzeitig gute Kontakte in die technischen Abteilungen pflegt. Denn: Das Geschäft geht an die Anbieter, die es verstanden haben, sich in diesen Strippen zu Recht zu finden und gleichzeitig selbst an dem einen oder anderen Faden zu ziehen.
Herr Dr. Heisig, welche Voraussetzungen benötigen aus Ihrer Sicht schlagkräftige Sales-Teams in der Zukunft, um bestmöglich zu kooperieren und gemeinsam den eigenen wie den Kundenerfolg zu sichern?
Tobias Heisig: Je nach Größenordnung des Unternehmens und der Kunden sind feste Konstellationen ideal. Innerhalb dieser muss es klare Rollen geben. Dies kann zum Beispiel in Form von Vertriebskampagnen eingeübt werden: Der Kaufmännische Vertrieb macht mit dem Fokusprodukt einen ersten Aufschlag beim Kunden. Der Technische Vertrieb wird bei Interesse von diesem aktiv platziert und kann übernehmen. Der Kaufmännische Vertrieb bleibt präsent und steuert den Gesamtprozess. In zweiwöchigen Bilanzmeetings werden Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren bei der Kampagne ausgewertet und das Vorgehen angepasst.