Skip to main content

2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

6. Televisuelle Geisterspiele

Das abwesende Studiopublikum und die Transformation massenmedialer Kommunikation

verfasst von : Anne Ulrich

Erschienen in: Das Virus im Netz medialer Diskurse

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Zusammenfassung

Gähnende Leere in den Städten, gespenstische Ruhe im Fußballstadion – in der Zeit der Kontaktbeschränkungen wurde die COVID-19-Pandemie durch gespenstische Abwesenheiten greifbar. Auch Fernsehproduktionen mit Studiopublikum mussten im März 2020 von heute auf morgen auf die Anwesenheit, den Applaus und das Gelächter eines Publikums verzichten. Der Beitrag untersucht, wie politische Late-Night-Shows in Deutschland und den USA das Studiopublikum und seine zentrale Funktion ersetzen – dient es doch als hochgradig inszenierter Stellvertreter des Fernsehpublikums. Die Manipulation des Publikums lässt sich bis zur ‚Claque‘ des Pariser Opernbetriebs im 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Wenn diese im Fernsehstudio nun fehlt, fehlt auch eine Atmosphäre der ‚Geselligkeit‘ und die Vorstellung einer Rezeptionsgemeinschaft. Es entstehen andere Adressierungsformen und Strategien der emotionalen Berührung unter Abwesenden, die sich nicht mehr auf die Vorstellung der ‚Masse‘ beziehen.

Sie haben noch keine Lizenz? Dann Informieren Sie sich jetzt über unsere Produkte:

Springer Professional "Wirtschaft+Technik"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Wirtschaft+Technik" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 102.000 Bücher
  • über 537 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Automobil + Motoren
  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Elektrotechnik + Elektronik
  • Energie + Nachhaltigkeit
  • Finance + Banking
  • Management + Führung
  • Marketing + Vertrieb
  • Maschinenbau + Werkstoffe
  • Versicherung + Risiko

Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Springer Professional "Technik"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Technik" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 67.000 Bücher
  • über 390 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Automobil + Motoren
  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Elektrotechnik + Elektronik
  • Energie + Nachhaltigkeit
  • Maschinenbau + Werkstoffe




 

Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Springer Professional "Wirtschaft"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Wirtschaft" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 67.000 Bücher
  • über 340 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Finance + Banking
  • Management + Führung
  • Marketing + Vertrieb
  • Versicherung + Risiko




Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Fußnoten
1
Die Show wurde am Sonntag, 15. März 2020 auf HBO zur üblichen Sendezeit um 23 Uhr (Eastern Time) ausgestrahlt. Da sie erst nach Ausstrahlung auf YouTube hochgeladen wurde, trägt sie dort den Datumsstempel vom 16. März 2020. Diese Diskrepanz findet sich auch bei einigen anderen Shows, die – wie der Name ja schon sagt – ihren Sendeplatz spät in der Nacht haben.
 
2
Pappfiguren ersetzen auch im deutschen Fernsehen das Studiopublikum. So greift etwa die ARD-Quizshow Wer weiß denn sowas? auf ein solches „Papplikum“ (Kreisl 2021) und auf Beifall vom Band zurück.
 
3
Das disperse Publikum des Fernsehens wird – in Abgrenzung zum Studiopublikum – im Folgenden als ‚Fernsehpublikum‘ bezeichnet (in dem die YouTube-Nutzer*innen selbstverständlich inbegriffen sind). Wird der Begriff ‚Publikum‘ verwendet, ist sowohl Studio- als auch Fernsehpublikum gemeint.
 
4
Die Touristik-Plattform Tripadvisor ist eine interessante Quelle für Kurzberichte solcher Studio-Aufzeichnungen, da diese auch beliebte touristische Reiseziele darstellen. Über die Aufzeichnungen der Late Show with Stephen Colbert in New York ist dort etwa zu lesen: „Actually found the show a little ‚tiring‘, as they constantly pump you up & want you to clap your brains out for virtually the entire show. It’s hard clapping like crazy for an hour!“ (thompworking4younow 2018) Oder: „They do expect the crowd to jump up and cheer on command, but the whole audience seemed to love Stephen so much that it didn’t feel fake or forced. Remember – they’re free tickets, so you have to be willing to put up with the discomfort of standing around quite a bit and clapping until your hands hurt.“ (megelizah 2018) Dies ruft wiederum die Pariser Claque in Erinnerung, über die Kalisch (1867, S. 783 f.) schreibt: „Die Claque besteht aus Theaterfreunden, die ihrem Kunstsinn keine schweren Opfer bringen können, aus Schreibern, Notariatsgehülfen, Ladendienern, welche ihren Platz unter dem Preise bezahlen, dafür aber die Verpflichtung übernehmen, den Befehlen der Chefs zu gehorchen und die Hände tüchtig anzustrengen. Diese Individuen bilden freilich den edlern Theil der Claque; im übrigen Theil befinden sich allerdings gar manche nichtsnutzige Lungerer, stämmige Burschen mit breiten schwieligen Händen, die einen Theaterabend hindurch darauf lospauken können, ohne sich sonderlich zu ermüden.“
 
5
Dieser Umstand wurde in den ersten Wochen des Lockdowns häufiger thematisiert – etwa bei Gesprächen zwischen verschiedenen Hosts, die sich gegenseitig in ihre Shows einluden. So verneinte John Oliver als Gast in Stephen Colberts Late Show recht ungerührt die Frage, ob er sein Studiopublikum vermisse. Er habe in Großbritannien schon vor so vielen feindlichen Publika gestanden, dass die Stille ihm überhaupt nichts ausmache (The Late Show, 31.03.2020, 07:10-07:46). Seth Meyers wählte hingegen eine optimistischere Variante als Gast bei Jimmy Fallon: „That’s the great thing about no audience – everything plays the same.“ (The Tonight Show Starring Jimmy Fallon, 14.08.2020, 03:44-03:49) Wenn niemand reagiere, fühlten sich die guten Witze genauso an wie die schlechten.
 
6
Ganz ähnlich äußert sich Oliver Welke in einem Interview mit dem Wochenmagazin Der Spiegel: „Das fehlende Studiopublikum verändert den Ton. Am Anfang fand ich das schwierig, weil keine Interaktion mehr da war, keine Resonanz. Aber es ist auch befreiend, wenn man beim Schreiben weiß, es muss nicht in jeder Moderation eine klassische Pointe vorkommen, es darf auch längere Passagen geben, die einfach nur informativ sind. Passagen, bei denen mich das Studiopublikum anschweigen würde – was für einen Moderator schwer auszuhalten ist. Ich habe jetzt also viel weniger Druck, wenn wir trockenere, aber wichtige Themen behandeln […].“ (zit. n. Mantel 2020).
 
Literatur
Zurück zum Zitat Allen, R. C. (1987): Reader-Oriented Criticism and Television. In: Allen, R. C. (Hg.): Channels of Discourse. Television and Contemporary Criticism. London: Methuen, S. 74–112. Allen, R. C. (1987): Reader-Oriented Criticism and Television. In: Allen, R. C. (Hg.): Channels of Discourse. Television and Contemporary Criticism. London: Methuen, S. 74–112.
Zurück zum Zitat Anders, G. (1956): Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: C.H. Beck. Anders, G. (1956): Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. München: C.H. Beck.
Zurück zum Zitat Bartz, C. (2007): MassenMedium Fernsehen. Die Semantik der Masse in der Medienbeschreibung. Bielefeld: transcript.CrossRef Bartz, C. (2007): MassenMedium Fernsehen. Die Semantik der Masse in der Medienbeschreibung. Bielefeld: transcript.CrossRef
Zurück zum Zitat Baßler, M./Gruber, B./Wagner-Egelhaaf, M. (2005): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 9–21. Baßler, M./Gruber, B./Wagner-Egelhaaf, M. (2005): Einleitung. In: Dies. (Hg.): Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 9–21.
Zurück zum Zitat Derrida, J./Stiegler, B. (2006): Echographien. Fernsehgespräche. Herausgegeben von Peter Engelmann. Übersetzt von Horst Brühmann. Wien: Passagen. Derrida, J./Stiegler, B. (2006): Echographien. Fernsehgespräche. Herausgegeben von Peter Engelmann. Übersetzt von Horst Brühmann. Wien: Passagen.
Zurück zum Zitat Elsner, M./Müller, T. (1995): Der angewachsene Fernseher. In: Gumbrecht, H. U./Pfeiffer, K. L. (Hg.): Materialität der Kommunikation, 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 392–415. Elsner, M./Müller, T. (1995): Der angewachsene Fernseher. In: Gumbrecht, H. U./Pfeiffer, K. L. (Hg.): Materialität der Kommunikation, 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 392–415.
Zurück zum Zitat Fehr, D./Mandel, H. (2015): Liken. In: Christians, H./ Bickenbach, M./Wegmann, N. (Hg.): Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Köln/Weimar/Wien: Böhlau, S. 412–428. Fehr, D./Mandel, H. (2015): Liken. In: Christians, H./ Bickenbach, M./Wegmann, N. (Hg.): Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Köln/Weimar/Wien: Böhlau, S. 412–428.
Zurück zum Zitat Garaventa, A. (1993): Showmaster, Gäste und Publikum. Über das Dialogische in Unterhaltungsshows. Bern/New York: P. Lang. Garaventa, A. (1993): Showmaster, Gäste und Publikum. Über das Dialogische in Unterhaltungsshows. Bern/New York: P. Lang.
Zurück zum Zitat Heibach, C. (2014): Von den Massen zu den Kollektiven: Dimensionen eines diskursiven Paradigmenwechsels. In: Baxmann, I./ Beyes, T./Pias, C. (Hg.): Soziale Medien – Neue Massen. Zürich: Diaphanes, S. 37–53. Heibach, C. (2014): Von den Massen zu den Kollektiven: Dimensionen eines diskursiven Paradigmenwechsels. In: Baxmann, I./ Beyes, T./Pias, C. (Hg.): Soziale Medien – Neue Massen. Zürich: Diaphanes, S. 37–53.
Zurück zum Zitat Heuner, U. (2003): Verkehrt-panoptische und streifende Blicke. Subjekt- und Objektinszenierungen in Fernsehshows mit runden Zuschauerformationen. In: Röwekamp, B. et al. (Hg.): Medien / Interferenzen. Marburg: Schüren, S. 94–103. Heuner, U. (2003): Verkehrt-panoptische und streifende Blicke. Subjekt- und Objektinszenierungen in Fernsehshows mit runden Zuschauerformationen. In: Röwekamp, B. et al. (Hg.): Medien / Interferenzen. Marburg: Schüren, S. 94–103.
Zurück zum Zitat Hickethier, K. (1979): Fernsehunterhaltung und Unterhaltungsformen anderer Medien. In: Rüden, P. von (Hg.): Unterhaltungsmedium Fernsehen. München: W. Fink, S. 40–72. Hickethier, K. (1979): Fernsehunterhaltung und Unterhaltungsformen anderer Medien. In: Rüden, P. von (Hg.): Unterhaltungsmedium Fernsehen. München: W. Fink, S. 40–72.
Zurück zum Zitat Horton, D./Wohl, R. R. (2001): Massenkommunikation und parasoziale Interaktion. Beobachtungen zur Intimität über Distanz. In: Adelmann, R. et al. (Hg.): Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. Konstanz: UVK, S. 74–104. Horton, D./Wohl, R. R. (2001): Massenkommunikation und parasoziale Interaktion. Beobachtungen zur Intimität über Distanz. In: Adelmann, R. et al. (Hg.): Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. Konstanz: UVK, S. 74–104.
Zurück zum Zitat Kalisch, L. (1867): Pariser Bilder und Geschichten. Die Ritter vom Kronleuchter. In: Die Gartenlaube 49, S. 782–784. Kalisch, L. (1867): Pariser Bilder und Geschichten. Die Ritter vom Kronleuchter. In: Die Gartenlaube 49, S. 782–784.
Zurück zum Zitat Kirchner, A. (2012): Beifall. In: Ueding, G. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, 10. Berlin/Boston: De Gruyter, Sp. 108–116. Kirchner, A. (2012): Beifall. In: Ueding, G. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, 10. Berlin/Boston: De Gruyter, Sp. 108–116.
Zurück zum Zitat L. S. (1846): Claque. In: Blum, R./Herloßsohn, K./Marggraff, H. (Hg.): Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde. Neue Ausgabe. Altenburg/Leipzip: Pierer und Heymann, S. 165–167. L. S. (1846): Claque. In: Blum, R./Herloßsohn, K./Marggraff, H. (Hg.): Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde. Neue Ausgabe. Altenburg/Leipzip: Pierer und Heymann, S. 165–167.
Zurück zum Zitat Maletzke, G. (1963): Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut. Maletzke, G. (1963): Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut.
Zurück zum Zitat Orben, R. (1977): The Studio Audience. In: Fireman, J. (Hg.): TV book: the ultimate television book. New York: Workman Pub. Co., S. 43–45. Orben, R. (1977): The Studio Audience. In: Fireman, J. (Hg.): TV book: the ultimate television book. New York: Workman Pub. Co., S. 43–45.
Zurück zum Zitat Peters, J. D. (2010): Mass Media. In: Mitchell, W. J. T./Hansen, M. B. N. (Hg.): Critical terms for media studies. Chicago/London: The University of Chicago Press, S. 266–279. Peters, J. D. (2010): Mass Media. In: Mitchell, W. J. T./Hansen, M. B. N. (Hg.): Critical terms for media studies. Chicago/London: The University of Chicago Press, S. 266–279.
Zurück zum Zitat Teichert, W. (1979): Die Sehgewohnheiten der Zuschauer oder Was erwartet das Publikum von den Unterhaltungsangeboten des Fernsehens? In: Rüden, P. von (Hg.): Unterhaltungsmedium Fernsehen. München: W. Fink, S. 73–84. Teichert, W. (1979): Die Sehgewohnheiten der Zuschauer oder Was erwartet das Publikum von den Unterhaltungsangeboten des Fernsehens? In: Rüden, P. von (Hg.): Unterhaltungsmedium Fernsehen. München: W. Fink, S. 73–84.
Zurück zum Zitat Trinks, J. (2000): Faszination Fernsehen: die Bedeutung des medialen Weltbezugs für den Menschen der Gegenwart. Frankfurt am Main/New York: P. Lang. Trinks, J. (2000): Faszination Fernsehen: die Bedeutung des medialen Weltbezugs für den Menschen der Gegenwart. Frankfurt am Main/New York: P. Lang.
Zurück zum Zitat Wilpert, G. von (1994): Die deutsche Gespenstergeschichte: Motiv, Form, Entwicklung. Stuttgart: A. Kröner. Wilpert, G. von (1994): Die deutsche Gespenstergeschichte: Motiv, Form, Entwicklung. Stuttgart: A. Kröner.
Zurück zum Zitat Wulff, H. J. (1988): Saal- und Studiopublikum. Überlegungen zu einer fernsehspezifischen Funktionsrolle. In: TheaterZeitSchrift 26, S. 31–36. Wulff, H. J. (1988): Saal- und Studiopublikum. Überlegungen zu einer fernsehspezifischen Funktionsrolle. In: TheaterZeitSchrift 26, S. 31–36.
Zurück zum Zitat Wulff, H. J. (1993): Phatische Gemeinschaft / Phatische Funktion. Leitkonzepte einer pragmatischen Theorie des Fernsehens. In: montage AV 21(1), S. 142–163. Wulff, H. J. (1993): Phatische Gemeinschaft / Phatische Funktion. Leitkonzepte einer pragmatischen Theorie des Fernsehens. In: montage AV 21(1), S. 142–163.
Metadaten
Titel
Televisuelle Geisterspiele
verfasst von
Anne Ulrich
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36312-3_6