2010 | OriginalPaper | Buchkapitel
Theorie der Politikverflechtung
Anders als in mehrheitsdemokratischen Systemen ist in Deutschland die Macht der Parlamentsmehrheit und der aus ihr hervorgehenden Regierung durch vielfältige Abstimmungszwänge und Vetomöglichkeiten beschränkt. Kennzeichnend für das politische System ist das Prinzip der Machtdiffusion, das sich empirisch in einem engmaschigen Netz von Mitentscheidungsmöglichkeiten unterschiedlicher Institutionen und gesellschaftlicher Gruppierungen sowie in einer Vielzahl von Kooperationserfordernissen niederschlägt. Besonders augenfällig ist dieses Prinzip, wenn man die föderale Ordnung Deutschlands betrachtet: Bund, Länder und Gemeinden agieren nicht sektoral, nach Politikbereichen voneinander getrennt, sondern sie nehmen Gesetzgebung, Planung, Verwaltung und Finanzierung öffentlicher Aufgaben gemeinsam wahr. Die Gliedstaaten verfügen im Bundesrat über weit reichende Möglichkeiten, die Politik des Bundes über die Beteiligung an der Gesetzgebung des Bundes mitzugestalten, und umgekehrt setzt der Bund unter Beteiligung der Länder den rechtlichen und finanziellen Rahmen für eine Politik, die dem Grundsatz des Ausgleichs und der „Einheitlichkeit“ bzw. seit 1994 der „Gleichwertigkeit“ der Lebensverhältnisse verpflichtet ist. Der deutsche Föderalismus ist nicht als Trenn-, sondern als Verbundsystem ausgestaltet. Arend Lijphart schreibt ihm deshalb einen höheren Grad an Machtaufteilung zu als den USA oder Kanada (vgl. Lijphart 1999).