Skip to main content
Erschienen in:
Buchtitelbild

Open Access 2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

5. Thesenförmige Zusammenfassung

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Zusammenfassung

Die Aktivierungsfähigkeit immaterieller Werte ist nach gegenwärtiger GoB- und IFRS-Bilanzierung nicht nur von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, sondern auch von ihrer Entstehung abhängig. Immaterielle Werte können dem bilanzierenden Unternehmen durch einen separaten Kauf, einen Kauf im Zuge eines Unternehmenserwerbs oder durch Selbsterstellung zugehen. Dies gilt auch für Kundenbeziehungen.
1.
Die Aktivierungsfähigkeit immaterieller Werte ist nach gegenwärtiger GoB- und IFRS-Bilanzierung nicht nur von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung, sondern auch von ihrer Entstehung abhängig. Immaterielle Werte können dem bilanzierenden Unternehmen durch einen separaten Kauf, einen Kauf im Zuge eines Unternehmenserwerbs oder durch Selbsterstellung zugehen. Dies gilt auch für Kundenbeziehungen. Aufgrund der ihnen jeweils zugrunde liegenden unterschiedlichen ökonomischen Situationen und den damit einhergehenden unterschiedlichen Unsicherheiten sind diese drei Zugangsarten getrennt voneinander zu evaluieren. Bilanzierungslösungen für strittige bzw. bislang ungeklärte Sachverhalte sind grundsätzlich aus der entsprechenden Rechnungslegungsordnung abzuleiten, sie bildet die jeweilige Deduktionsbasis. Auf dieser Basis ist auch das für eine Aktivierung notwendige Objektivierungsniveau zu bestimmen und die konkretisierenden Kriterien unter ihrer Heranziehung auszulegen.
 
2.
Die Rechnungslegung nach GoB basiert auf einem System gesetzlich kodifizierter und nicht kodifizierter Regelungen mit Rechtsnormcharakter. Ihre Ermittlung erfolgt in wirtschaftlicher Betrachtungsweise und an den Schutzzwecken der jeweiligen Norm orientiert. Normativ betrachtet, ermöglicht das auf diese Weise konzipierte lückenlose und gleichzeitig offene System eine bilanzzweckadäquate Lösung sämtlicher Bilanzierungssachverhalte. Legitimiert durch die Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB für die steuerliche Gewinnermittlung hat die höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag zur Konkretisierung des Vermögensgegenstandsbegriffs geleistet. Die Bilanzierung strittiger Sachverhalte, bspw. die Aktivierung selbsterstellter immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die wegen abweichender handels- und steuerbilanzieller Regelungen nicht finanzgerichtlich entschieden werden, können zwar grundsätzlich durch den Bilanzierenden aus dem System, den oberen GoB, abgeleitet werden, das für die Auslegung von Rechtsnormen notwendige, objektive Korrektiv – die Rechtsprechung – fehlt dabei.
 
3.
Die Legitimation eines privaten Rechnungslegungsgremiums, bspw. des DRSC, zur GoB-Auslegung kann dem Bilanzierenden zwar keine Rechtssicherheit, aber eine notwendige Orientierung geben. Dies erfordert die Schaffung institutioneller Rahmenbedingungen, um eine hinreichend starke Legitimationsbasis zu gewährleisten. Dafür sind verschiedene Interessengruppen in den Standardsetzungsprozess einzubeziehen, der einerseits transparent und wegen des Rechtsnormcharakters der GoB andererseits am Sinn und Zweck orientiert sein muss. Unerlässlich ist, dass die entwickelten Standards des DRSC einer Kontrolle unterliegen, sodass bspw. die Vereinbarkeit mit den geltenden Rechtsnormen sichergestellt wird. Auch wenn diese Aufgabe letztinstanzlich nur durch die Gerichte wahrgenommen werden kann, ist eine erste Kontrolle durch das BMJV denkbar.
 
4.
Durch die Übernahme der IFRS in Gemeinschaftsrecht weisen sie – ebenso wie die GoB – einen Rechtsnormcharakter auf, obwohl sie von einem privaten Standardsetzer, dem IASB, entwickelt werden. Auch wenn die Qualifikation als Rechtsnormen ein Enforcement und letztinstanzlich eine Auslegung durch die Gerichte erfordert, spielt die Ausübung von Ermessen des Bilanzierenden bei der Auslegung der Standards und der Ermittlung von Bilanzierungslösungen für strittige Sachverhalte eine besondere Rolle. Das Rahmenkonzept soll nach Ansicht des IASB als Deduktionsbasis für die Ermittlung neuer sowie die Auslegung unklarer Rechnungslegungsvorschriften dienen. Zwar beinhaltet auch das Rahmenkonzept eine Definition des Vermögenswertbegriffs, für die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte sind aber die Regelungen der Einzelstandards IAS 38 und IFRS 3 einschlägig. Obwohl die Ermittlung von Bilanzierungslösungen im IFRS-Gefüge – im Vergleich zu den GoB – folglich keinen vergleichbaren Systemcharakter aufweist, ist die Ermittlung einer sachgerechten Bilanzierungslösung nichtsdestotrotz möglich. Da der Stellenwert des Rahmenkonzepts für die Ermittlung aber nicht klar abgesteckt ist und durch eine nicht aufeinander abgestimmte Weiterentwicklung von Rahmenkonzept und Einzelstandards – nicht zuletzt durch einen induktiven Einfluss auf die Ermittlung – Inkonsistenzen bestehen, können die Vorteile des Rahmenkonzepts als eine konzeptionelle Basis nicht in vollem Umfang genutzt werden.
 
5.
Die Ableitung einer angemessenen Bilanzierungslösung erfordert eine Orientierung an dem zugrunde liegenden Zweckverständnis des Rechnungslegungssystems. Dass ein Sachverhalt nach GoB und nach IFRS zu unterschiedlichen Bilanzierungslösungen führen kann, ist nicht nur auf eine unterschiedliche Normermittlung, sondern insbesondere auf die bestehende Zweckdivergenz zurückzuführen. Das am Gläubigerschutz orientierte handelsrechtliche Bilanzverständnis fordert die Ermittlung eines ausschüttungsfähigen, entziehbaren Gewinns als Primärzweck. Vermögens- und Gewinnermittlungsprinzipien wirken in sich ergänzender und beschränkender Weise auf die Einhaltung der Zwecke. Im Zweifel dominiert eine gläubigerschutzorientierte, vorsichtige Bilanzierung, die sich beschränkend auf den Ansatz immaterieller Werte auswirkt. Über immaterielle Werte, die nicht aktivierungsfähig sind, können im Sinne der sekundären Zweckfunktion der Informationsvermittlung ergänzende Angaben bereitgestellt werden und somit wird etwaigen Informationsverzerrungen gegenwärtig in der Bilanz Rechnung getragen. In der IFRS-Bilanzierung nimmt die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen hingegen die Position eines Fundamentalzwecks ein; die Rechenschaftslegung wird im geltenden Rahmenkonzept von 2018 als Teil dieses Zwecks konkretisiert, sodass ihr eine nur untergeordnete Aufgabe zukommt. Durch die Anforderungen der Relevanz und der glaubwürdigen Darstellung an die Qualität der Rechnungslegung wird der Stellenwert der Objektivierung für die IFRS-Rechnungslegung grundlegend bestimmt. Bereits die von der handelsrechtlichen Bilanzierung abweichende Zwecksetzung und insbesondere der für eine relevante Informationsvermittlung notwendige Einfluss von Ermessensentscheidungen des Managements ebenso wie der nur untergeordnete und im Sinne der Neutralität abweichend ausgestaltete Vorsichtsgedanke bedingen einen im Zweifel weniger restriktiven Ansatz immaterieller Werte als nach GoB.
 
6.
Sowohl nach GoB als auch nach IFRS findet eine erste, vergleichsweise schwache Objektivierung des immateriellen Vermögensbegriffs durch das Vorliegen eines vermögenswerten Vorteils statt. Diejenigen Vorteile, die ein Nutzenpotenzial aufweisen, sind weitergehend hinsichtlich ihrer Greifbarkeit zu konkretisieren. Während die Forderung der Kontrolle in Form eines typisierten Verständnisses der Greifbarkeit von Sachen und Rechten im Vergleich zu rein wirtschaftlichen Vorteilen im Rahmen der GoB als überkommen gilt, fungiert sie für die Definition eines Vermögenswerts nach IFRS als zentrale Komponente. In der Ausprägung als Contractual-Legal-Kriterium konkretisiert sie den Vermögenswertbegriff, sodass ein Vermögenswert identifizierbar ist, wenn er durch ein vertragliches oder sonstiges Recht abgesichert ist. Das Kriterium nimmt folglich einen wesentlichen Stellenwert bei der Konkretisierung ein.
 
7.
Durch die pauschale Betrachtung im Rahmen des Contractual-Legal-Kriteriums werden bestimmte Konzessionen als identifizierbar erachtet, obwohl sie tatsächlich vom Unternehmer untrennbar sind. Die Vermögenswertdefinition des IAS 38 geht daher teilweise über die eines greifbaren Vermögensgegenstands nach GoB hinaus. Mittelbar rechtlich abgesicherte Kundenbeziehungen, bspw. der Auftragsbestand oder Rahmenverträge, erfüllen das Contractual-Legal-Kriterium standardgemäß, wenn sie im Rahmen eines Unternehmenserwerbs übergegangen sind. Eine pauschale Erfüllung der Identifizierbarkeit, sowohl bei erworbenen als auch bei selbst erstellten Auftragsbeständen, ist aufgrund der bestehenden Unsicherheiten jedoch nicht zweckmäßig und eine den Einzelfall betrachtende, wirtschaftliche Beurteilung vorzuziehen.
 
8.
Innerhalb der IFRS-Bilanzierung ist das Kontrollkriterium zudem als Verfügungsmacht über die Nutzenzuflüsse ausgestaltet, indem es die Kontrollmöglichkeit über den potenziellen Vermögenswert, unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung, fordert. Nicht nur juristisch durchsetzbare, sondern auch faktische Ansprüche können als kontrollierbar gelten. Das Innehaben der Verfügungsmacht hat grundsätzlich das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Objektivierung des Vermögenswertbegriffs zu leisten, denn gerade bei selbst erstellten Vorteilen, bspw. aufbereiteten Kundendaten, die regelmäßig nicht rechtlich abgesichert sind, kann hierüber eine Beurteilung über die tatsächliche Nutzbarkeit der Vorteile stattfinden. Der Standardsetzer interpretiert das Kriterium in einem weiten, entobjektivierten Sinn, wonach auch Markttransaktionen ähnlicher Kundenbeziehungen einen hinreichenden Hinweis auf die Kontrolle über den potenziellen Vermögenswert leisten können. Im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses zugegangene Kundenverträge werden pauschal und somit ohne Berücksichtigung etwaig bestehender Unsicherheiten, bspw. in Form von bedingungs- und fristlosen Kündigungsrechten, als kontrollierbar beurteilt. Ungeachtet der abweichenden ökonomischen Situation, die ein Unternehmenszusammenschluss darstellt, kann die weite Auslegung des Kriteriums durch den Standardsetzer jedoch vor dem Hintergrund einer erforderlichen Konkretisierung des Begriffs nicht überzeugen. Damit das Kontrollkriterium tatsächlich einen Beitrag zu einer entscheidungsrelevanten Informationsvermittlung leisten kann, ist eine sachgerechte Beurteilung der im Einzelfall vorhandenen Kontrolle über den Vorteil notwendig.
 
9.
Für eine Konkretisierung der Greifbarkeit ist gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung einzig die Forderung der Übertragbarkeit mit dem gesamten Unternehmen zweckadäquat. Dabei kommt es auf eine wirtschaftliche Übertragbarkeit an. Vorteile, die an der Person des Kaufmanns hängen oder im Allgemeingebrauch stehen, sind nicht übertragbar. Für die Beurteilung der Übertragbarkeit von Kundenbeziehungen ist einerseits die konkrete inhaltliche Ausgestaltung von Bedeutung, wonach im hohen Maße aufbereitete Kundendaten eher als vom Geschäfts- oder Firmenwert trennbar gewürdigt werden können, als solche, die nicht unmittelbar genutzt werden können. Andererseits spielt auch die Form einer möglichen Übertragbarkeit eine wesentliche Rolle, denn Kundenbeziehungen gehen oftmals (nur) zusammen mit anderen wirtschaftlichen Vorteilen über.
 
10.
Sind Kundenbeziehungen einziger Bestandteil eines Übertragungsgeschäfts können sie dem Grunde nach vom Geschäfts- oder Firmenwert abgegrenzt werden, ihre Greifbarkeit ist mithin gegeben. Gehen Kundenbeziehungen zusammen mit anderen Vorteilen, bspw. einem Wettbewerbs- oder Konkurrenzverbot, auf einen Erwerber über, sind sie zwar regelmäßig nicht als Einzelheit abgrenzbar, können aber in Abhängigkeit der Umstände des Einzelfalls gemeinsam, außerhalb des Geschäfts- oder Firmenwerts aktiviert werden. Auch bei einem Übergang von Kundenbeziehungen zusammen mit einer Konzession oder einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung kommt es maßgeblich auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vergabeverfahrens an. Ist die Vergabe durch ein vereinfachtes Übertragungsverfahren, auf das die Beteiligten entweder unmittelbaren Einfluss nehmen können oder das sogar einen automatischen Übergang der Konzession oder Genehmigung vorsieht, geprägt, ist die Übertragbarkeit zu bejahen. Ist eine solche Einflussnahme nicht möglich, sind die mit einer Konzession oder Genehmigung verbundenen Kundenbeziehungen nicht vom Geschäfts- oder Firmenwert abgrenzbar. Aufgrund seiner notwendigen breiten Ausgestaltung trägt das Kriterium der Übertragbarkeit mit dem gesamten Unternehmen zu keiner weitreichenden Objektivierung bei, leistet aber dennoch einen wertvollen Beitrag zur Beurteilung der Bilanzierungsfähigkeit von Kundenbeziehungen.
 
11.
Die Diskussion um das in weiten Teilen der Literatur vertretene Verständnis der Übertragbarkeit im Sinne der Einzelverwertbarkeit wurde nicht nur durch einen Rückgriff im Rahmen der Gesetzesbegründung zum BilMoG, sondern auch durch den vom DRSC entwickelten DRS 24 zur Bilanzierung immaterieller Vermögensgegenstände im Konzernabschluss neu belebt. Die Forderung nach einer Einzelverwertbarkeit des potenziellen Vermögensgegenstands kann jedoch nicht ausschlaggebend sein. Zwar führt dieses Verständnis – gerade im Sinne einer weiten Interpretation, wie sie in DRS 24 vorgenommen wird – in einer Vielzahl der strittigen Sachverhalte zum gleichen Ergebnis wie die Übertragbarkeit mit dem gesamten Unternehmen. Vorteile, die nur zusammen mit einem Gesamtunternehmenserwerb übergehen, bspw. bestimmte Konzessionen, sind indes nicht einzelverwertbar; ihre Vermögensgegenstandseigenschaft ist aber zweifelsfrei gegeben und die das Kriterium der Einzelverwertbarkeit aus diesem Grund auch höchstrichterlich explizit abgelehnt. Durch die Forderung nach Einzelverwertbarkeit würde der Kreis potenzieller Vermögensgegenstände im Allgemeinen, insbesondere aber auch aktivierungsfähiger Kundenbeziehungen, unsachgemäß eingeschränkt. Bei der Konkretisierung des Vermögensgegenstandsbegriffs im Rahmen des DRS 24 handelt es sich um grundlegende Aktivierungsfragen und nicht etwa um konzernspezifische Konkretisierungen, sodass nicht nur inhaltlich, sondern bereits formell keine GoB-Konformität besteht.
 
12.
Die Einzelverwertbarkeitskonzeption ist inhaltlich mit dem Separierbarkeitskriterium nach IFRS vergleichbar, durch das die Identifizierbarkeit eines immateriellen Vermögenswerts alternativ zum Contractual-Legal-Kriterium belegt werden kann. Danach ist ein Vorteil separierbar, wenn er einzeln oder zusammen mit anderen Vermögenswerten, nicht aber lediglich im Rahmen eines Gesamtunternehmenserwerbs übertragen werden kann. Dem Separierbarkeitskriterium folgend wird die Greifbarkeit dem Grunde nach gemäß IFRS partiell enger ausgelegt als nach GoB. Da eine Beurteilung anhand des Contractual-Legal- und Separierbarkeitskriteriums teilweise zu abweichenden Ergebnissen führen kann, ist zwingend eine hierarchische Prüfung vorzunehmen, wonach das Separierbarkeitskriterium nur für nicht rechtlich abgesicherte Vorteile Anwendung findet. Die Zugangsart nimmt nach IFRS einen wesentlichen Einfluss auf die Objektivierung immaterieller Vermögenswerte. Gehen Kundenbeziehungen im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses über, ist die Identifizierbarkeit weit auszulegen. Nicht nur vertragliche Kundenbeziehungen, die bereits anhand des erfüllten Contractual-Legal-Kriteriums identifizierbar sind, sondern auch bei nicht-vertraglichen Kundenbeziehungen sieht der Standardsetzer aufgrund einer grundsätzlichen Verwertungsmöglichkeit die Identifizierbarkeit bestätigt. Wegen ihrer individuellen Ausgestaltung kann ein pauschaler Ansatz von Kundenbeziehungen indes nicht zur Vermittlung entscheidungsrelevanter Informationen führen.
 
13.
Die selbständige Bewertbarkeit leistet einen wesentlichen Beitrag zur weitergehenden Konkretisierung eines Vermögensgegenstands nach GoB, indem eine Abgrenzbarkeit des vermögenswerten Vorteils vom Geschäfts- oder Firmenwert der Höhe nach gefordert wird. Um eine zweckadäquate Konkretisierung zu gewährleisten, wird das Kriterium gemäß geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung weit ausgelegt, indem die Höhe lediglich im Rahmen einer Schätzung bestimmbar sein muss. Die steuerbilanzielle Forderung eines entgeltlichen Erwerbs hat – gerade für rein wirtschaftliche Güter – eine hohe Objektivierungsfunktion inne, sie schränkt den Ansatz immaterieller Vermögensgegenstände aber unsachgemäß ein. Konsequenterweise kommt es für einen handelsbilanziellen Ansatz auf einen entgeltlichen Erwerb bereits seit dem BilMoG nicht mehr an. Für die Aktivierung selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens ist es zwingend notwendig, dass die Vermögensgegenstandseigenschaft erfüllt ist. Um die selbständige Bewertbarkeit selbst erstellter Vorteile zu belegen, müssen die Kosten nicht nur schätzbar sein, sie bedürfen auch einer Zuordnung zur Entwicklungsphase. Das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip bedarf bei der Beurteilung des Aktivierungszeitpunktes selbst erstellter Vermögensgegenstände aufgrund der regelmäßig bestehenden Unsicherheiten eine besondere Beachtung. Nur so kann eine zweckadäquate Bilanzierung sichergestellt werden, die im Zweifel einen Ansatz des Entwicklungsprojekts erst ab Fertigstellung und somit eine weitgehend aufwandswirksame Erfassung bedeutet. Die Forderung der Beibehaltung eines entgeltlichen Erwerbs für die Handelsbilanz und damit ein pauschaler Ansatz erworbener Forschungs- und Entwicklungsprojekte führt nicht grundsätzlich zu einer zweckadäquaten Bilanzierungslösung.
 
14.
Die selbständige Bewertbarkeit einzeln übertragener Kundenbeziehungen ist regelmäßig bereits durch das gezahlte Entgelt hinreichend objektiviert. Selbst erstellte Kundenlisten und Kundendaten, die lediglich zu Vertriebszwecken genutzt werden, und regelmäßig auch originäre Kundenverträge, die zwar eine Form rechtlich abgesicherter Kundenbeziehungen darstellen, aber mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind, dürfen wegen des ihnen inhärenten Risikos vorsichtsbedingt nicht aktiviert werden. Exklusivbelieferungsverträge oder bestimmt ausgestaltete Rahmenverträge, die bspw. eine Minimumabnahmemenge festlegen, erfüllen unter Umständen das Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit und sind somit ansatzfähig. Ausschlaggebend ist auch hier die konkrete Ausgestaltung des jeweiligen Einzelfalls. Auch für im Rahmen eines Unternehmenskaufs übergegangene Kundenbeziehungen, selbst wenn es sich um erworbene Kundenverträge handelt, ist nur eine die Besonderheiten des Einzelfalls erfassende wirtschaftliche Betrachtungsweise zielführend. Ausschlaggebend ist die Möglichkeit der Aufteilung des Gesamtkaufpreises auf die erworbenen Vorteile.
 
15.
Die Ansatzkriterien des wahrscheinlichen Nutzenzuflusses sowie die – mit dem Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit vergleichbare – verlässliche Bewertbarkeit ermöglichen eine weitergehende Konkretisierung des immateriellen Vermögenswertbegriffs nach IFRS. Ebenso wie nach GoB ist eine Abgrenzbarkeit des wirtschaftlichen Vorteils bei einem gesonderten entgeltlichen Erwerb regelmäßig unstrittig. Durch den in IAS 38 enthaltenen Kriterienkatalog werden die zu erfüllenden Kriterien für den Fall der Selbsterstellung weiter konkretisiert, sodass die mit dem selbst erstellten Vermögenswert verbundenen Unsicherheiten besser eingeschätzt werden können. Obwohl die Konkretisierung nach GoB und IFRS zahlreiche Parallelen aufweist, sind die zusätzlichen Kriterien nach IFRS aufgrund des geringeren Stellenwerts der Vorsicht und Objektivierung im Zweifel aber weniger restriktiv auszulegen als nach GoB. Bei Vermögenswerten ebenso wie bei Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die gesondert erworben oder durch einen Unternehmenszusammenschluss zugehen, werden die Ansatzkriterien als typisiert erfüllt erachtet. Es kommt hier maßgeblich auf die Erfüllung der Definitionskriterien, insbesondere der Kontrolle, an. Für erworbene Vorteile, mithin auch erworbene Kundenbeziehungen, bedeutet dies eine vom IASB intendierte, weitreichende Aktivierung außerhalb des Geschäfts- oder Firmenwerts, die regelmäßig über diejenige im Rahmen der GoB-Bilanzierung hinausgeht.
 
16.
Die im Rahmenkonzept von 2018 vorhandene und im Vergleich zu vorherigen Versionen weitreichend überarbeitete Vermögenswertdefinition weicht nunmehr in weiten Teilen von der Definition des IAS 38 ab. Ein Vermögenswert stellt demnach eine gegenwärtige wirtschaftliche Ressource dar, von der nicht zwingend ein künftiger wirtschaftlicher Nutzen, bspw. in Form direkter oder indirekter Zahlungszuflüsse, erwartet wird; es kommt vielmehr auf das Potenzial zur Erzielung künftiger Vorteile an. Trotz der Beschreibung der wirtschaftlichen Ressource als ein Recht, das eine juristisch durchsetzbare Kontrolle vermuten lässt, wird der Begriff denkbar weit ausgelegt. Nicht nur juristisch durchsetzbare, sondern auch faktische Ansprüche sind darunter zu fassen. Dadurch findet zunächst eine Erweiterung des Kreises potenzieller Vermögenswerte im Vergleich zu IAS 38 statt. Inhaltlich und konzeptionell überzeugend fungiert das Innehaben der Kontrolle über den wirtschaftlichen Vorteil als zentrales Kriterium und nimmt aufgrund einer nur untergeordneten Rolle der Identifizierbarkeit einen besonderen Stellenwert ein.
 
17.
Für die Vermögenswertdefinition des Rahmenkonzepts 2018 ist die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung nicht maßgeblich. Damit besteht für einzeln oder durch einen Unternehmenserwerb zugegangene Vermögenswerte ein Gleichklang zwischen den Regelungen des Rahmenkonzepts und der Einzelstandards. Der Ansatz von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten wird anhand der Rahmenkonzeptdefinition lediglich durch die Forderung nach der Vermittlung relevanter Informationen beschränkt und der Kreis der Aktivierung bei einer Orientierung an dieser Definition potenziell erweitert. Eine perspektivische Auflösung der nunmehr bestehenden Abweichungen zwischen Rahmenkonzept und Einzelstandard müsste eine Eliminierung der Ansatzkriterien auch auf Ebene des IAS 38 bedeuten und damit einen stärkeren Fokus auf die Beurteilung des Kontrollkriteriums legen. Eine zweckadäquate Konkretisierung bedeutet, die mit immateriellen Vermögenswerten einhergehenden Unsicherheiten – unabhängig der jeweiligen Zugangsart – im Rahmen der Aktivierungsfähigkeit zu berücksichtigen.
 
18.
Die in Teilen unzureichende Konkretisierung durch die bestehenden Kriterien nach GoB und IFRS legitimiert die Konzeption einer alternativen, den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht werdenden und gleichzeitig objektivierten Konkretisierung. Eine Orientierung an der Property-Rights-Theorie, wonach nicht der Gegenstand selbst, sondern die mit ihm verbundenen Nutzungsrechte bilanziert werden, ist mit dem ausschüttungsstatischen Bilanzverständnis nach GoB ebenso vereinbar wie mit dem den IFRS zugrunde liegenden Bilanzverständnis der Zeitwertstatik. Obwohl der Anforderung der Objektivierung von Bilanzinhalten im Sinne der Property-Rights-Theorie aufgrund der Anknüpfung an ein Recht grundsätzlich entsprochen werden kann, relativiert sich der tatsächliche Objektivierungsgrad durch die zutreffende Auslegung des Rechtsbegriffs in wirtschaftlicher Betrachtungsweise.
 
19.
Nach Maßgabe der Property-Rights-Theorie und unter Einhaltung der jeweiligen Rechnungslegungszwecke stellt sich die konkrete bilanzielle Ausgestaltung teilweise abweichend zum Status quo der Bilanzierung nach GoB und IFRS dar. Demnach können die mit Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten verbundenen Nutzungsrechte unter Beachtung der Property-Rights-Theorie bei gleichzeitig strenger Bewertung früher aktiviert werden. Anders als nach IFRS und teilweise auch nach GoB ist die Aktivierung von Nutzungsrechten an Kundenbeziehungen nicht von der Zugangsart abhängig. Ausschlaggebend ist einzig die inhaltliche Ausgestaltung, sodass gelten muss, dass in hohem Maße aufbereitete, selbsterstellte Kundenbeziehungen, bei denen der Nutzenzufluss hinreichend kontrollierbar ist, im Zweifel früher angesetzt werden können als gegenwärtig nach GoB und IFRS. Etwaige Unsicherheiten werden im Rahmen der Bewertung berücksichtigt. Für den Fall erworbener Kundenbeziehungen ergibt sich im Vergleich zu den Regelungen nach IFRS 3 keine abweichende Beurteilung. Auch eine fehlende selbständige Bewertbarkeit, die gegenwärtig eine Aktivierung nach GoB hindert, spiegelt sich unter Einbezug der Property-Rights-Theorie nicht im Ansatz, sondern im Rahmen der Bewertung wider.
 
20.
Durch die Anknüpfung an die Property-Rights-Theorie können einerseits relevante und verlässliche Informationen bereitgestellt werden, andererseits kann auch eine vorsichtige Ermittlung des ausschüttungsfähigen Gewinns stattfinden. Dieser Ansatz bietet mithin sowohl nach GoB als auch nach IFRS einen geeigneten Referenzrahmen, um darauf aufbauend weitere Kriterien zu entwickeln. Die Orientierung an Property Rights ist auch bei anderen Bilanzierungsfragen durchaus zu vertreten, sodass das Rahmenkonzept bei der Entwicklung künftiger IFRS seiner Funktion als konzeptionelle Basis besser gerecht werden könnte. Gleichzeitig wird deutlich, dass das Potenzial eines ökonomischen Ansatzes für eine (Weiter-)Entwicklung der Rechnungslegungsregelungen nicht überschätzt werden darf.
 
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Thesenförmige Zusammenfassung
verfasst von
Jana Katharina Müller
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40544-1_5