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Free Access 01.06.2025 | Titelthema Zur Zeit gratis

Tradition bildet das Fundament für den Fortschritt

verfasst von: Lea Sommerhäuser

Erschienen in: IT-Mittelstand | Ausgabe 6/2025

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Der Spezialist für maßgeschneiderte Blechbearbeitung und Oberflächenveredelung de Crignis blickt auf eine über 150-jährige Unternehmensgeschichte zurück und treibt nun unter neuer Führung seine Digitalisierung massiv voran. Dabei unterstützen KI, Robotik, ERP und eine Produktionsplanungssoftware die Automatisierung der Prozesse.
Die de Crignis GmbH mit Sitz in Augsburg hat ihre Nachfolge geregelt und damit eine neue Ära in der langjährigen Unternehmensgeschichte eingeläutet: Fortan kümmern sich Geschäftsführer Udo Ehrlinger und Inhaber Rüdiger H. Peter gemeinsam um die strategische Entwicklung und ergänzen das bewährte Kerngeschäft - die Verarbeitung von Blech und die Herstellung von formvollendeten Gehäusen - um weitere Materialien und eigene Produkte. Im Titelinterview mit IT-Mittelstand erläutert Rüdiger H. Peter, warum ihm das Thema „Unternehmensnachfolge“ so sehr am Herzen liegt und wie sich Tradition geschickt mit Innovation kombinieren lässt, um de Crignis in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.
Herr Peter, was sind die besonderen Herausforderungen in der Blech verarbeitenden Industrie?
Eine der zentralen Herausforderungen in der Blech verarbeitenden Industrie liegt im starken Preiswettbewerb. Da Blechteile häufig sehr ähnlich und leicht vergleichbar sind, entscheidet oft allein der Preis - ein Umstand, der besonders im internationalen Vergleich problematisch ist. Viele osteuropäische Anbieter arbeiten mit gebrauchten und längst abgeschriebenen Maschinen, was ihre Kosten erheblich senkt. Im direkten Wettbewerb mit solchen Unternehmen geraten deutsche Betriebe unter enormen Druck. Selbst innerhalb Deutschlands weichen Wettbewerber selten aus dem Preiskampf aus, was es zusätzlich erschwert, Preise zu erzielen, die notwendige Investitionen in moderne Technik und Qualitätssicherung ermöglichen. Es braucht daher viel Überzeugungskraft, um für Wertigkeit und langfristige Vorteile gegenüber reinem Kostendenken zu argumentieren.
Wie gestaltet sich die aktuelle Wettbewerbssituation in Ihrem Segment und inwieweit lässt sich das traditionelle Konkurrenzdenken durch eine neue Haltung aufweichen?
Die Wettbewerbssituation in unserem Segment ist nach wie vor herausfordernd, doch wir begegnen ihr mit einer strategischen Positionierung. Statt uns im klassischen Konkurrenzdenken um den günstigsten Preis zu verlieren, haben wir uns tiefer in der Wertschöpfungskette positioniert. Durch eine vorgelagerte Konstruktionsphase arbeiten wir eng mit unseren Kunden zusammen, um optimale Gehäuselösungen zu entwickeln. Im Ergebnis liefern wir weniger Einzelteile, dafür komplett montierte, geschweißte und pulverbeschichtete Baugruppen - inklusive verbauter Komponenten. Diese Integration entlastet unsere Kunden massiv, da sie nur noch eine fertige Einheit erhalten. Ich kenne die andere Seite gut: Als Kunde musste ich einst unzählige Lieferanten koordinieren. Den größten Mehrwert erlebte ich, als ich schließlich ein Komplettsystem aus einer Hand beziehen konnte - ein Prinzip, das wir heute erfolgreich leben.
© Lisa Hantke Photography
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Vor welchem Hintergrund sind Sie 2024 als neuer Gesellschafter und Beirat dem Unternehmen beigetreten? Was hat Sie dazu bewogen, de Crignis unter die Arme zu greifen?
Die Geschichte reicht über ein Jahrzehnt zurück. Damals war ich mit meinem eigenen Start-up Kunde bei de Crignis und lernte das Unternehmen sowie die Menschen dahinter sehr zu schätzen. Besonders der damalige Inhaber hinterließ einen positiven Eindruck und wir blieben auch nach der Zusammenarbeit in regelmäßigem Austausch. Immer wieder diskutierten wir Themen wie Digitalisierung und Automatisierung und ich fragte mich, warum solche Potenziale nicht aktiv verfolgt wurden. Mit der Zeit erkannte ich den wahren Grund: Es fehlte eine geregelte Nachfolge. Ohne klare Perspektive stellten sich Fragen zu Investitionen in Zukunftsthemen schlicht nicht. Diese Erkenntnis war für mich ein Wendepunkt. Um dem Unternehmen langfristige Entwicklungschancen zu ermöglichen, entschied ich mich schließlich zur Übernahme. Damit schuf ich die Grundlage, um gezielt und nachhaltig in Innovation und Wachstum zu investieren.
Ihr Fokus liegt auf einer modernen, zukunftsorientierten Ausrichtung, ohne die Wurzeln und die Geschichte des Unternehmens zu vernachlässigen. Mit welchen Punkten haben Sie die Verknüpfung von Innovation und Tradition begonnen?
Tradition bedeutet für mich vor allem gelebte Verantwortung über Generationen hinweg - ein Fundament aus Werten, Verlässlichkeit und engem Zusammenhalt. Diese Kultur bewusst zu erhalten und gleichzeitig weiterzuentwickeln, war mein Anspruch. Innovation beginnt dabei nicht mit Tools, sondern mit Haltung: Es geht darum, Prozesse zu verstehen, sie ganzheitlich zu orchestrieren und dann gezielt zu digitalisieren. Software ist ein Mittel zum Zweck - nicht der Startpunkt. Daher setze ich auf die Qualifizierung unserer Mitarbeiter, insbesondere der Führungskräfte. Sie sollen Veränderung mittragen und gestalten, nicht von ihr überrollt werden. Innovation heißt nicht Bruch mit dem Bestehenden, sondern gemein- same Weiterentwicklung. Wer jedoch recht aufgeschlossen bleibt, kann Tradi- tion zur Stärke machen - als verlässliches Fundament für Wandel und Fortschritt.
Inwieweit ist auch Geschäftsführer Udo Ehrlinger in die Umsetzungsmaßnahmen involviert?
Udo Ehrlinger ist eine zentrale Figur in der Umsetzung unserer Transformationsprozesse. Ohne seine Erfahrung und sein Engagement hätte ich die Unternehmensübernahme gar nicht in Betracht gezogen. Er bringt jahrzehntelange Expertise aus der Automobilzulieferindustrie mit und kennt die Anforderungen und Abläufe in der Produktion bis ins Detail. Gemeinsam bilden wir ein starkes Tandem: Strategisch wie operativ ergänzen wir uns ideal. Das ermöglicht uns, Veränderungen nicht nur anzustoßen, sondern mit hoher Geschwindigkeit umzusetzen. Ein Beispiel dafür ist die erfolgreiche Einführung eines neuen Enterprise-Resource-Planning-Systems (ERP) innerhalb von 18 Monaten - ein Projekt, das nur mit voller Management- Attention und tiefem Prozessverständnis realisierbar ist. Udo Ehrlinger steht damit sinnbildlich für eine Führung, die nicht verwaltet, sondern aktiv gestaltet.
© Lisa Hantke Photography
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Welche größeren Schwierigkeiten sind im Rahmen der bisherigen Neuausrichtung aufgeploppt?
Gravierende Schwierigkeiten sind zum Glück ausgeblieben, dennoch gab es natürlich typische Herausforderungen. Gerade zu Beginn sorgten Veränderungen bei einigen Führungskräften und Mitarbeitern für Verunsicherung. In solchen Momenten sind ein gezieltes Change Management und begleitendes Coaching entscheidend - auch wenn dies den Zeitplan zunächst verlängert. Unser Vorteil war der agile Ansatz: Statt alles im Voraus detailliert zu planen, sind wir bewusst pragmatisch gestartet, haben ausprobiert, angepasst und gelernt. So konnten wir schneller Fortschritte erzielen. Ein Beispiel: Zu Beginn unseres ERP-Projekts testeten wir ein vielversprechendes Produktionsplanungssystem. Nach einigen Wochen wurde jedoch klar, dass es nicht zu uns passt, also haben wir den Kurs korrigiert und uns für das 3Liter-PPS der LF Consult GmbH entschieden. Solche Entscheidungen erfordern Mut, Flexibilität und die Bereitschaft, auch mal einen Schritt zurückzugehen.
Welchen Stellenwert schreiben Sie der Digitalisierung und Automatisierung der Geschäftsprozesse von de Crignis zu - und wie war die Situation bei Ihrem Einstieg?
Digitalisierung und Automatisierung sind für mich der zentrale Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit - gerade im industriellen Mittelstand. Als ich bei de Crignis einstieg, lag der Automatisierungsgrad bei etwa 10 Prozent. Mein Ziel ist es, diesen in den nächsten zehn Jahren auf 80 Prozent zu steigern. Der demografische Wandel trifft uns spürbar: Sinkende Geburten- raten führen weltweit zu weniger verfügbaren Arbeitskräften - sowohl in der Produktion als auch auf Kundenseite. Gleichzeitig bleibt der Anspruch auf wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand bestehen. Diese Lücke - mehr Leistung mit weniger Menschen - lässt sich nur durch technologische Hebel schließen. Digitalisierung ist dabei nicht Selbstzweck, sondern zwingend notwendig, um Prozesse zu verschlanken, Ressourcen zu schonen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Wer das ignoriert, wird mittelfristig weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich bestehen.
Vor welchem Hintergrund haben Sie sich dazu entschieden, Produzieren im Takt (PiT) und die bereits erwähnte Produk- tionsplanungssoftware 3Liter-PPS von LF Consult einzuführen?
Die Entscheidung für PiT und das 3Liter-PPS-System fiel im Januar 2024 nach intensiver Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen. Mir war schnell klar: Es geht nicht darum, eine Software zu wählen, die bestmöglich zu den aktuellen Prozessen passt, sondern darum, Prozesse erst grundlegend zu hinterfragen. Während bei ERP-Systemen weltweite Standards gelten, sieht das in der Produktionsplanung anders aus. Klassische Vorwärts- oder Rückwärtsplanung stößt bei hoher Komplexität an Grenzen - kleine Störungen machen alle Berechnungen obsolet. Mein Hintergrund in Produktionsplanung und Supply Chain Management (SCM) zeigte mir bereits im Studium an der Technischen Universität München, wie entscheidend eine robuste, taktbasierte Logik ist. Unser Produktionsleiter empfahl damals das System von LF Consult. Nach eingehender Analyse war ich überzeugt: Diese Methodik ist genau richtig für unseren Bedarf. Sie hilft, die Komplexität unserer Fertigung wirklich beherrschbar zu machen.
Wie sind Sie bei der Auswahl der Lösung beziehungsweise des Anbieters konkret vorgegangen? Welche Rolle spielte dabei beispielsweise ein Lastenheft?
Unsere Auswahl folgte einer klar definierten IT-Strategie, die neben sechs weiteren Punkten wie folgt lautet: „Cloud first“. Mit diesem Filter reduziert sich das Angebot am Markt erheblich. Ein Lastenheft im klassischen Sinn war dabei kaum notwendig. Im engen Austausch mit LF Consult haben wir die Anforderungen direkt im Rahmen des Lösungskonzepts gemeinsam erarbeitet. Und ehrlich gesagt: Die Anforderungen eines Industrieunternehmens wie unserem sind selten einzigartig. Es geht weniger um einzelne Sonderfunktionen, sondern vielmehr um die richtige methodische Basis. Genau hier überzeugte der Anbieter mit einem klaren Konzept, das sich von klassischer Planung abhebt. „Produzieren im Takt“ ist für uns nicht nur ein technischer Ansatz, sondern eine Philosophie, die ideal zu unserer Struktur und unseren Herausforderungen passt. Diese Passung war schlussendlich entscheidend für die Wahl des Anbieters.
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Der Einstieg fand mit dem sogenannten Planspiel statt. Was verbirgt sich dahinter und welche Effekte konnten damit erzielt werden?
Das Planspiel war für mich ein zentrales Element des gesamten Projekts. Innerhalb eines Tages und über drei Spielrunden hinweg wurde spielerisch, aber sehr eindrucksvoll gezeigt, wie sich klassische Produktionsplanung von taktbasierter Planung unterscheidet. Dabei traten typische Stressfaktoren, Missverständnisse und alltägliche Probleme klar zutage - genau so, wie sie auch im echten Betriebsalltag vorkommen. Die Reaktionen am Ende waren vielsagend: Viele waren nachdenklich, teils überrascht und konnten sich erstmals konkret vorstellen, wie sich ein veränderter Planungsansatz positiv auf ihre Arbeit auswirken könnte. Natürlich kamen auch Kommentare wie „Das ist ja nur ein Spiel“. Dennoch hat das Planspiel bei vielen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es war der perfekte Türöffner, um Veränderungen emotional wie rational zu verankern und erste Denkimpulse zu setzen.
Welche Relevanz haben Coachings und Schulungen für die Mitarbeiter generell in Ihrem Unternehmen?
Organisationsentwicklung hat für mich höchste Priorität, denn echte Veränderung beginnt bei den Menschen. Insbesondere die kontinuierliche Qualifikation der Führungskräfte ist essenziell. Sie sind der entscheidende Hebel: Wenn sie strategische Impulse nicht weitertragen oder Informationsflüsse nicht aktiv steuern, gerät die Organisation ins Stocken oder verliert Orientierung. Oft zeigen sich Probleme erst am Ende der Wertschöpfungskette, ihre Ursachen liegen jedoch deutlich früher - etwa in der Kommunikation oder der Führungsqualität. In den vergangenen 15 Monaten wurde mir erneut deutlich, wie herausfordernd es ist, Menschen aus gewohnten Denkmustern zu lösen. Doch genau hier setzen Coaching und Schulung an: Sie schaffen neue Perspektiven, fördern Selbstreflexion und ermöglichen einen echten Wandel. Ohne diese Grundlagen bleibt jede Strategie nur Fassade.
Wie viele Personen von Anbieter- und Anwenderseite waren schlussendlich an diesem Projekt beteiligt und mit welchen besonderen Herausforderungen hatten sie zu kämpfen?
Das Projekt wurde von zwei Beratern der LF Consult GmbH begleitet - beide mit tiefem Branchenwissen und einer spürbaren Leidenschaft für Coaching und systemische Entwicklung. Auf unserer Seite war es uns wichtig, möglichst viele Mitarbeiter mitzunehmen. Der Schlüssel lag bei den Führungskräften: Sie mussten die Methode „Produzieren im Takt“ nicht nur anwenden, sondern vollständig verinnerlichen. Dazu kamen Formate wie „Team to Win“ für Führungskräfte und „Champion digitales Shopfloor-Management“ für Produktionsmitarbeiter. Die Trainings fokussierten weniger auf Software-Bedienung, sondern vor allem auf Methodenkom- petenz - etwa KVP nach der SCS-Logik (Situation - Komplikation - Lösung) im Shopfloor-Management. Auch der Vertrieb wurde geschult, um die Systematik intern wie extern konsistent zu vertreten. Die größte Herausforderung: der Umgang mit anfänglicher Verwirrung und Veränderungsresistenz. Wandel braucht Zeit, Mut und eine kontinuierliche Begleitung.
Go-live war am 30. September 2024. Inwieweit ist der Einsatz der neuen Software-Lösungen nun in Ihren Prozessen spürbar?
Mit dem Go-live begann eine intensive Phase: Parallel zur Einführung des 3Liter-PPS-Systems wechselten wir auch unser gesamtes ERP-System. Der stufenweise Start bedeutete zwar eine Übergangszeit mit doppelter Datenpflege, brachte jedoch Struktur in den Umstellungsprozess. Die Ergebnisse sprechen für sich: Unsere Liefertreue stieg zum Start auf 86,5 Prozent - mit dem Ziel, dauerhaft über 95 Prozent zu liegen. Besonders spürbar ist zudem die Reduktion unserer Umlaufbestände. Früher lag der Fokus auf Maschinenauslastung, was zu hohen Lagerbeständen führte - buchstäblich gebundenes Kapital in Form von Blech. Heute produzieren wir gezielter: nur das, was im nächsten oder übernächsten Takt benötigt wird. Selbst bei steigender Auftragslage würden sich die Lager nicht wieder füllen. Die Kombination aus taktbasierter Planung und integriertem ERP zahlt sich messbar aus - in Effizienz, Liquidität und Liefersicherheit.
Wie bewerkstelligen Sie das Zusammenspiel der Software-Lösungen?
Dank unserer „Cloud first“-Strategie ist das Zusammenspiel der Software-Lösungen heute deutlich einfacher. Moderne Anwendungen verfügen in der Regel über klar definierte Application-Programming-Interface-Schnittstellen (API), wodurch sich Systeme mit vertretbarem Aufwand miteinander verbinden lassen. Das schafft Flexibilität und ermöglicht eine prozessorientierte Systemlandschaft statt starrer Insellösungen. Komplexer wird es immer dann, wenn lokal installierte Software eingebunden werden muss. Dort sind Schnittstellen oft nicht standardisiert, die Programmierung entsprechend aufwendig und fehleranfällig. Für uns war deshalb von Anfang an klar: Wo immer möglich, setzen wir auf Cloud-basierte, integrierbare Lösungen. Das reduziert Abhängigkeiten, erhöht die Datenverfügbarkeit in Echtzeit und schafft eine zukunftsfähige Architektur, die mit unseren Anforderungen wachsen kann.
Wie nutzen Sie die nun neu gewonnene Transparenz, um die Auftragslage konkret zu steuern?
Die neu gewonnene Transparenz erlaubt uns, Aufträge gezielt so zu platzieren, dass sie exakt in freie Kapazitäten passen. Gerade bei unserer hohen Wertschöp-fungtiefe - viele Produkte durchlaufen sämtliche Stationen im Haus - ist das ein enormer Vorteil, auch wenn das Potenzial noch nicht vollständig ausgeschöpft ist. Besonders hilfreich ist die differenzierte Kapazitätssteuerung: Wir sehen klar, wo Über- oder Unterauslastung besteht, und können gezielt Mitarbeiter weiterqualifizieren, um flexibel auf Engpässe zu reagieren. Das schafft nicht nur Effizienz, sondern auch Balance. Entscheidend ist dabei, wie Reinhold Würth es formulierte: Man muss die wachstumshemmenden Engpässe zuerst angehen. Genau das tun wir. Es geht nicht darum, jede kleine Einschränkung zu beseitigen, sondern jene, die unser Wachstum konkret ausbremsen.
Inwieweit unterstützen auch innovative Technologien wie Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) Ihre industriellen Prozesse?
Robotik und Künstliche Intelligenz sind für uns zentrale Bausteine, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben - gerade in einem Hochlohnland wie Deutschland. KI nutzen wir bereits aktiv, etwa im Customer-Relationship-Management-System (CRM) zur automatisierten Zusammenfassung von Kundenkontakten und Schriftverkehr. In der Fertigung arbeiten wir mit dem Münchner Robotik-Start-up Robco zusammen, um manuelle Tätigkeiten schrittweise zu automatisieren. Unsere Herausforderung: viele Einzelteile in geringen Stückzahlen. Hier spielt KI-basierte Bilderkennung eine entscheidende Rolle, damit Roboter Bauteile sicher identifizieren und korrekt verarbeiten können. Darüber hinaus setzen wir KI-gestützte Analysen ein, um aus unseren Daten strategisch relevante Erkenntnisse zu gewinnen - etwa für die Planung und Steuerung. Für uns ist klar: KI und Robotik sind kein Selbstzweck, sondern gezielte Werkzeuge zur Prozessverbesserung.
Sind Sie mit den bisherigen Veränderungen in den Unternehmensprozessen seit Ihrem Einstieg zufrieden oder sehen Sie akut noch Steigerungsbedarf?
Aus meiner Sicht kann es nie schnell genug gehen - der Fortschritt ist mir an einigen Stellen zu langsam. Trotzdem haben wir in den vergangenen 15 Monaten beachtlich viel erreicht: Wir steuern das Unternehmen heute konsequent über Objectives & Key Results (OKRs) und haben mit einem modernen Markenauftritt und einer gezielten Social-Media-Strategie an Sichtbarkeit gewonnen. Parallel dazu habe ich die evolujen GmbH gegründet - mit der Mission, den deutschen Mittelstand bei seiner Modernisierung zu unterstützen. Der Fokus liegt auf Sichtbarkeit, schlanken Unternehmensprozessen und echter Organisationsentwicklung. Dafür bündeln wir die Kompetenzen zahlrei-cher Spezialisten unter einem Dach. de Crignis profitiert bereits spürbar: über 1.600 neue Leads, mehr als 100 Bewerbungen. Klar ist aber auch: Dieses Wachstum braucht Begleitung. Deshalb investieren wir in Coaching, Führungskräfteentwicklung und Digitalisierung - viel erreicht und noch viel vor.
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Welche Rolle spielt für Sie in Zukunft ein offener Austausch mit anderen Unternehmen und Kunden?
Offener Austausch mit anderen Unternehmen ist für mich essenziell. Ich bin regelmäßig mit Nachfolgern, auch aus der Branche, im Gespräch - unabhängig davon, ob wir in Konkurrenz stehen. In einer immer komplexeren Welt kann es sich kein Unternehmen leisten, isoliert zu agieren. Kooperation ist der Schlüssel. Genau deshalb habe ich die evolujen GmbH gegründet: als Plattform für Vernetzung, gegenseitiges Lernen und praxisnahe Unterstützung. Der deutsche Mittelstand ist ein tragender Pfeiler unserer Gesellschaft - wirtschaftlich, sozial und steuerlich. Damit er zukunftsfähig bleibt, braucht es Austausch und Weiterentwicklung. „evolujen“ leitet sich bewusst von „Evolution“ ab. Unser Ziel ist es, Organisationen langfristig marktfähig und wandlungsfähig zu machen. Mich persönlich treibt dabei die Leidenschaft an, an einem Unternehmen zu arbeiten, nicht nur in ihm. Und das gelingt am besten gemeinsam im Dialog mit anderen.
Warum liegt Ihnen das Thema „Unternehmensnachfolge“ besonders am Herzen?
In Deutschland steht bei über der Hälfte der Familienunternehmen in den kommenden Jahren die Nachfolge an, da viele Unternehmer über 60 Jahre alt sind. In einem großen Teil dieser Fälle ist die Nachfolge nicht geregelt. Das birgt enorme Risiken: Der Verlust an Arbeitsplätzen, Know-how und Steuereinnahmen wäre gravierend. Genau hier setzt die evolujen GmbH an. Wir unterstützen Nachfolgeprozesse aktiv mit Impulsen, Kapazitäten und dem Zugang zu passenden Kompetenzen. Wo keine Perspektive besteht, können wir über eine eigene Übernahme nachdenken - idealerweise komplementär zu de Crignis. Alternativ stelle ich gerne Kontakte aus meinem Netzwerk her. Für mich ist klar: Unternehmerische Lebenswerke verdienen eine Zukunft. Dafür schafft evolujen die Plattform - lösungsorientiert, pragmatisch und mit echter Leidenschaft für den Mittelstand.
Interview: Lea Sommerhäuser Fotos: Lisa Hantke Photography

Rüdiger H. Peter

Alter: 40 Jahre
Familienstand: verheiratet
Werdegang: Studium Wirtschafts- wissenschaften mit Maschinenbau, acht Jahre Gründer mehrerer Start-ups, drei Jahre Beratung und seit einem Jahr externer Nachfolger
Derzeitige Position: Inhaber und Beirat der de Crignis GmbH, Gründer und Geschäftsführer der evolujen GmbH
© Lisa Hantke Photography
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de Crignis GmbH

Branche: Herstellung von Metallerzeugnissen
Gründung: 1867
Standort: Augsburg
Geschäftsführer: Udo Ehrlinger
Inhaber: Rüdiger H. Peter
Mitarbeiter: 86
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Metadaten
Titel
Tradition bildet das Fundament für den Fortschritt
verfasst von
Lea Sommerhäuser
Publikationsdatum
01.06.2025
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
IT-Mittelstand / Ausgabe 6/2025
Print ISSN: 3005-138X
Elektronische ISSN: 3005-1398
DOI
https://doi.org/10.1007/s44381-025-0270-1