Im Interview erläutert VDMA-Abteilungsleiter Andreas Faath Herausforderungen und Chancen der Branche in den Bereichen Interoperabilität und generative KI. Umfassenden politischen Handlungsbedarf sieht er durch den demografischen Wandel.
springerprofessional.de: Zu Jahresbeginn ist die neue EU-Datenverordnung in Kraft getreten. Wie kommt die Branche damit klar?
Andreas Faath: Die EU-Datenverordnung regelt unter anderem den Datenverkehr zwischen Unternehmen mit weitreichenden Konsequenzen neu und setzt diese damit unter Handlungsdruck. Nutzer vernetzter Produkte, also auch Kunden des Maschinen- und Anlagenbaus, haben künftig ein Recht darauf, Zugriff auf bestimmte Daten zu erhalten, die bei der Nutzung entstehen. Dies gilt mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen. Gleichzeitig ist die Verordnung sehr komplex und beeinflusst viele Themen hinsichtlich rechtlicher, technischer sowie organisatorisch-geschäftlicher Aspekte. Wo es um Zugang und Nutzung von Daten geht, stellen sich Fragen von Transparenz und Datenschutz, genauso von Datenaustausch und Interoperabilität.
Was müssen die Unternehmen konkret tun?
Unternehmen müssen ihre Daten gezielt bewerten und klassifizieren, um am Datenaustausch teilzunehmen. Sie müssen sicherstellen, dass die Daten vernetzter Produkte und die verbundenen Dienstdaten in einem maschinenlesbaren Format erfasst und abgerufen werden können. Dies erfordert gegebenenfalls eine Anpassung bestehender Praktiken. Zudem müssen die Unternehmen sicherstellen, dass die Daten vor unbefugtem Zugriff und Manipulation geschützt sind. Dafür müssen möglicherweise neue Kontrollen und Protokolle implementiert werden. Auch gilt es, das Rollenmanagement zu überprüfen. Vernetzte Produkte müssen ab 2026 so konzipiert sein, dass Nutzer standardmäßig einfachen, sicheren und unentgeltlichen Zugang zu den relevanten Daten haben. Hier sind die Unternehmen in der Pflicht.
Wie hilft der VDMA seinen Mitgliedern, diesen Pflichten nachzukommen?
Wir haben den Quick Guide "Interoperable Schnittstellenstandards für einen erfolgreichen Umgang mit der EU-Datenverordnung", eine Fokusseite sowie ein Video publiziert, um Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau Unterstützung zu geben. Im Kern erläutern diese die konforme Nutzung des Standards OPC UA (Open Platform Communication Unified Architecture) der Normenreihe IEC 62541. OPC UA liefert eine skalierbare und global akzeptierte Kommunikationsarchitektur nach dem Open-Source-Prinzip. Als solche ist OPC UA eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung von Industrie 4.0 in der Produktion. OPC UA gewährleistet die Interoperabilität von Maschinen und Anlagen, die sich per Plug & Work nach Bedarf verketten und umgestalten lassen – plattformunabhängig und herstellerübergreifend.
Um diese Vision Realität werden zu lassen, erarbeitet der VDMA gemeinsam mit seinen Mitgliedsunternehmen branchenspezifische OPC UA Companion Specifications. Es gibt bisher 115 publizierte Companion Specifications sowie 38 Arbeitsgruppen. Die Specifications beinhalten standardisierte Produktionsdaten aus der Nutzungsphase zahlreicher Maschinen und Komponenten des Maschinen- und Anlagenbaus. Damit stehen die für den EU-Datenverordnung relevanten Daten bereits standardisiert zur Verfügung. Um einen Überblick zum Stand der Implementierung der in Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus zu erhalten, hat der VDMA eine Umfrage unter seinen Mitgliedern durchgeführt. Die Studie wird Ende des Jahres publiziert.
Eigens zum Thema Interoperabilität hat der VDMA die von Ihnen geleitete Abteilung gegründet. Was leisten Sie konkret?
Das Thema Interoperabilität genießt bei unseren 3600 Mitgliedern hohe Priorität. Daher haben wir 2021 die Abteilung Machine Information Interoperability (MII) gegründet. Primäre Aufgabe ist es, ein Ökosystem Interoperabilität für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) aufzubauen. Besonders für KMU sind Interoperabilitätslösungen essenziell, denn sie haben nicht die Ressourcen für eigenständige Lösungen. Deshalb gilt es, eine Brücke zwischen Informationstechnologie und operativer Technologie mit Interoperabilitätslösungen zu bauen. Darunter verstehen wir, dass alle Entwicklungen, Technologien und Lösungen für den Maschinen- und Anlagenbau gesamtheitlich gedacht werden.
Wo stehen der VDMA und seine Mitglieder heute in Sachen Interoperabilität?
Bereits heute hat die vom VDMA mitgegründete Initiative umati (universal machine technology interface) 378 Mitglieder und über 400 Maschinen sind schon an die Implementierungsumgebung angeschlossen. Unsere Abteilung MII konzentriert sich mit der umati-Initiative auf die Herzkammer des Maschinenbaus: die Produktion und zugleich die Umsetzung der OPC UA Companion Specifications. Die umati-Community ist sehr umtriebig und offen für die Erprobung von Demonstratoren. Den neusten Demonstrator zeigen wir auf der SPS in Nürnberg.
Wo wollen Sie Ende des Jahrzehnts stehen?
Langfristig soll die Abteilung MII die zentrale Anlaufstelle im Maschinenbau für Interoperabilität sein sowie den VDMA-Mitgliedern Rat und einen fundierten Überblick bieten. Als Abteilung verfolgen wir die neusten Entwicklungen im Kontext der Data Spaces mit dem Ziel, standardisierte Produktionsinformationen vom Shopfloor bis in die Data Spaces unter Einhaltung der Semantik verwenden zu können. Um langfristig ein funktionierendes Ökosystem der Interoperabilität zu schaffen, wollen wir bis Ende des Jahrzehnts die verschiedenen Organisationen, die unterschiedliche Interoperabilitätslösungen betreiben, in den Dialog bringen und harmonierte Lösungen und Use Cases entwickeln. Daneben sollen für alle Maschinen und Komponenten im Maschinenbau Schnittstellen entwickelt werden, um somit dem Bedarf der Branche gerecht zu werden.
Welches Potenzial sehen Sie für generative KI im Maschinenbau?
Generative KI kann die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts erhöhen, indem Effizienzgewinne erzielt und neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. Sie kann Experten und Fachkräfte entlasten, indem Routineaufgaben delegiert werden. Durch generative KI werden auch Nicht-KI-Experten in die Lage versetzt, die technologischen Möglichkeiten intensiv zu nutzen. Dennoch ist es wichtig, dass Experten in den Prozess eingebunden werden, um die Ergebnisse zu überprüfen. Herausforderungen bestehen oft in der zu hohen Erwartungshaltung. Für das vollständige Ausschöpfen des Potenzials sind Daten, eine gute IT-Infrastruktur und entsprechendes Knowhow notwendig. Auch muss die Skepsis gegenüber KI überwunden werden. Es gilt, Entscheider zu überzeugen, die nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen sind. Insgesamt bietet generative KI das Potenzial, die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit im Maschinenbau signifikant zu steigern.
Wie wird generative KI im Maschinenbau bereits genutzt?
Ein Großteil der deutschen Maschinenbauunternehmen sieht generative KI als Chance und glaubt, dass sie gekommen ist, um zu bleiben. Generative KI wird bereits für Aufgaben wie Texterstellung, Programmierung, Übersetzung und Lösungsfindung im Kundendienst oder Vertrieb eingesetzt. Trotz der häufigen Nutzung haben viele Unternehmen aber noch keine klaren Regeln für den Umgang mit generativer KI etabliert. Weiterbildungsmaßnahmen sind notwendig, damit Mitarbeiter generative KI adäquat einsetzen können. Bisher verharrt ein Großteil der Belegschaft noch auf einem Anfängerniveau. Insgesamt ist das Bewusstsein für die Bedeutung von KI im Maschinenbau aber hoch und es gibt eine klare Bereitschaft, in diese Technologie zu investieren. Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, um die Wettbewerbsfähigkeit auf globaler Ebene zu sichern.
Vor welche Probleme stellt die Demografie den Maschinenbau?
Das ist ein komplexes Problem. Viele der VDMA-Mitgliedsunternehmen betrachten das Thema Demografie als die derzeit und langfristig größte Herausforderung. War 2005 noch gut jeder dritte Beschäftigte im Maschinenbau über 45 Jahre alt, ist es mittlerweile fast jeder zweite. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat errechnet, dass in den kommenden Jahren bei MINT-Fachkräften das Neuangebot – in der Regel junge Menschen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben – nur etwa halb so groß sein wird wie der Ersatzbedarf – also Fachkräfte, die sich in den Ruhestand verabschieden.
Was muss sich tun?
Deutschland benötigt in jedem Fall mehr Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Hierzu sind ein modernes Fachkräfte-Einwanderungsgesetz und schnelle Verfahren zur Anerkennung von beruflichen Qualifikationen notwendig. Weitere Ansatzpunkte sind die Erhöhung des Rentenalters, mehr Menschen von Teilzeit in Vollzeit zu bringen sowie mehr Weiterbildung für Geringqualifizierte. Auch die Digitalisierung kann einen Beitrag leisten, den Fachkräftemangel zu mindern.
An Schulen und Hochschulen sollten mehr junge Leute zu einem Abschluss geführt werden, jedoch ohne die Anforderungen zu senken. In den allgemeinbildenden Schulen sollten Studien- und Berufsorientierung intensiviert werden. Bei den vielfältigen MINT-Aktionen für Schülerinnen und Schüler kommt das "T" in MINT häufig zu kurz. Denn im Gegensatz zu Mathematik, Informatik und den Naturwissenschaften gibt es in der Schule meist kein eigenes Fach "Technik". Dies wäre aber dringend notwendig, um mehr junge Menschen für technische Themen zu begeistern.
Es müssen gezielt mehr junge Menschen, insbesondere auch mehr Frauen, für ein Studium oder eine Ausbildung in technischen Bereichen begeistert werden. Durch den Ausbau der Kinderbetreuung muss sichergestellt werden, dass Eltern, die mehr arbeiten möchten, dies auch tun können. Darüber hinaus müssen flexible Möglichkeiten für Beschäftigte geschaffen werden, die auch im Rentenalter weiterarbeiten möchten. Generell muss Deutschland viel stärker in Weiterbildung investieren.
Um den Begriff Industrie 4.0 ist ein Streit entbrannt: Manche sehen in einem Paradigmenwechsel hin zu einem stärker kollaborativen und menschenzentrierten Ansatz bereits die Industrie 5.0. Wie sehen Sie das?
Der VDMA sieht keinen Paradigmenwechsel beim Thema Industrie 4.0, vielmehr geht es um eine Weiterentwicklung. Auch Industrie 4.0 hat die Komponente des Menschen mitgedacht. Es war nie das Ziel, den Menschen aus der Arbeit zu verdrängen. Denn was wir nach der intensiven Digitalisierung von Produkten und Prozessen nun sehen, ist die immer stärkere Vernetzung und das Arbeiten an Geschäftsmodellen. Damit bekommt Industrie 4.0 neue Mehrwerte und Wertigkeit. Sichere Datenräume und Kommunikationsregeln sind dafür entscheidende Faktoren. Die Stichworte dazu lauten Manufacturing-X und Interoperabilität: Interoperabilität wird in Zukunft eine Grundvoraussetzung sein, um erfolgreich am Markt zu agieren. Für viele wird sie noch zu sehr als "nice to have" angesehen, weil sie damit Maschinen schneller integrieren können oder besser an ihre eigenen Daten herankommen. Die Tragweite der Interoperabilität ist aber noch viel größer!