Im Industriezeitalter sind Familienunternehmen zur Hochform aufgelaufen. Für die digitale Transformation und die moderne Wissensgesellschaft brauchen sie aber neue Erfolgsrezepte. Die Zutaten: Daten, Wissen, Kommunikation und Netzwerke.
"Für Fachkräfte ebenso wie für die Manager:innen einzelner Unternehmen ist schwer einzuschätzen, was zukünftig erforderlich sein wird, um inmitten der komplexen Technologievielfalt als Mensch und als Unternehmen – insbesondere als kleines, mittelständisches Unternehmen (KMU) – souverän zu bleiben." So skizzieren Annelie Pentenrieder et al. die Lage vieler Betriebe angesichts der Notwendigkeit der digitalen Transformation und dem Ringen um digitale Souveränität. (Seite 18)
Familienunternehmen haben spezifische Stärken
Das Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) an der Universität Witten/Herdecke ist deshalb der Frage nachgegangen, wie insbesondere familiengeführte Firmen den Wandel meistern und die damit verbundenen Chancen nutzen können. Herausgekommen ist der Praxisleitfaden “Familienunternehmen in der digitalen Transformation – Herausforderungen und Erfolgsfaktoren“. Ausgangspunkt sind fünf, für Familienunternehmen typische Ressourcen.
Familienunternehmen-spezifische Ressourcen | Konsequenzen |
Spezifisches Humankapital Tiefes Verständnis des Unternehmens/der Branche ermöglicht Kontrolle durch nicht-kopierbaren Wissensvorsprung. | Gesicherte Wissensbasis |
Soziales Kapital Vernetzung und Vertrauen in Region und Wertschöpfungsnetzwerk ermöglicht Kontrolle durch Beziehungsmanagement. | Stabile Wertschöpfungsketten |
Geduldiges Finanzkapital Langfristig zugesicherter Einsatz von familiärem Finanzkapital ermöglicht Kontrolle durch Ausschluss externer Investoren. | Organisches Wachstum |
Überlebenskapital Gemeinsame Identifikation der Familie mit dem Unternehmen ermöglicht Kontrolle in Krisenzeiten. | Langfristige Orientierung |
Governance-Strukturen Direkte Unternehmenssteuerung durch Eigentümer ermöglicht Kontrolle durch schnelle Entscheidungen. | Zentralisierte Entscheidungen |
Quelle: “Praxisleitfaden Familienunternehmen in der digitalen Transformation“, WIFU, Universität Witten/Herdecke |
Diese Spezifika haben viele Vorteile, bergen aber auch Gefahren, wie etwa den Hang zum Beharren auf Traditionen und zur Geheimniskrämerei, den Mangel an neuem Wissen und das Nicht-Mithalten-Können im schnellen, globalen Wettbewerb. Das bedeutet jedoch nicht, dass die traditionellen Stärken der Familienunternehmen nichts mehr zählen. Vielmehr gehe es darum, neue Fähigkeiten zu erwerben, um die bisherigen Traditionen vorteilhaft mit neuem Wissen und Fertigkeiten zu kombinieren, so die WIFU-Autoren.
Fünf Kernfragen als Ausgangspunkt der Transformation
Zur Bestimmung, welche Traditionen in einem Unternehmen Treiber der digitalen Transformation sein könnten, empfiehlt der Leitfaden, sich folgende Kernfragen zu stellen:
- Warum sind unsere Kunden unsere Kunden?
- Was bieten wir unseren Kunden an, das ihnen wirklich wichtig ist?
- Was war für unsere Kunden wichtig, ist es aber heute nicht mehr?
- Was wünschen sich unsere Kunden, das wir nicht können?
- Welche disruptiven Änderungen sind in unserem Markt zu erwarten?
Gelinge es den Familienunternehmen, hierauf befriedigende Antworten zu finden, lasse sich der spezifische Vorteil ihrer Firma identifizieren. Dieser sei die Basis für die Entwicklung wichtiger dynamischer Fähigkeiten; und zwar erstens, neues Wissen zu identifizieren und zu bewerten, zweitens, damit verbundene Gelegenheiten zu erkennen und zu ergreifen sowie drittens, Gefahren abzuwehren.
Der Wissenstransfer ist entscheidend
Doch wie baut ein traditionelles Unternehmen diese dynamischen Fähigkeiten am besten auf? Die Autoren des WIFU-Leitfadens sehen vor allem die Nachfolgegeneration innerhalb der Unternehmerfamilie als Schlüssel eines inter- und transgenerationalen Wissenstransfers. Hierzu gehört etwa das Knüpfen neuer Netzwerke oder auch das Erfahrung-Sammeln in Start-ups. Findet dies vor und während der Unternehmensnachfolge statt, könne das die digitale Transformation deutlich beschleunigen.
Ein bisschen Automatisierung reicht nicht
Ein zu diesen Erkenntnissen passendes Fallbeispiel, "wie Traditionsunternehmen in der Digitalisierung den Transformationsprozess erfolgreich meistern können", präsentieren Katja Werner et al. Sie betonen dabei, dass die digitale Transformation des Geschäftsmodells mehr bedeutet als nur Automatisierung und Umstrukturierung betrieblicher Abläufe. Entscheidend seien mehrere Merkmale (Seite 171):
- Vernetzung der Akteure (Unternehmen und Kunden) in allen Wertschöpfungssegmenten
- Einsatz neuer Technologien
- Fähigkeit zu Datenerfassung, -austausch, -analyse und deren Nutzung für das Geschäftsmodell
- Datennutzung als Basis für Entscheidungsfindung und unternehmerische Aktivität
Vor diesem Hintergrund haben die Forscher den Transformationsprozess eines deutschen Familienunternehmens aus der Energiesystem-Branche analysiert. Dieses vollzieht einen umfassenden Wandel vom ingenieurgeprägten Produktionsunternehmen zu einem zunehmend wissensintensiven, hybriden Produktions- und Dienstleistungsunternehmen.
Das Topmanagement als Treiber der Transformation
Die Untersuchung, die auf Interviews mit Mitarbeitenden unterschiedlicher Organisationsebenen sowie der Analyse von Dokumenten, Websites und Social-Media-Auftritten basiert, zeigt auf, welches die Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation des Geschäftsmodells sind.
Zu den wichtigsten Punkten gehörten demnach der stringent gelebte Top-down Ansatz und die Anpassung der Unternehmenskultur, wodurch es der Firma innerhalb kürzester Zeit gelang, die Digitalisierung als zentrales Zukunftsprojekt zu verankern. Wesentlich trugen dazu das klare Kommunizieren der Unternehmensstrategie und die Vorbildwirkung der Geschäftsführung bei. Diese Authentizität wirkte sich positiv und motivierend auf das Personal aus. (Seite 178/179) So würden nun neue Arbeits- und Denkweisen kombiniert und zusätzliche Angebote für die Kunden geschaffen, wodurch dem Unternehmen ein höhere Kundenorientierung gelinge. Gleichzeitig würden Daten entlang der Customer Journey erfasst und ausgewertet, was wiederum weitere Angebote für die Kunden und in der Folge neue Geschäftsmodelle nach sich ziehen könne.
Digitale Tools lieber anpassen oder selbst entwickeln?
Die konsequente Umsetzung der Digitalisierungsstrategie im untersuchten Unternehmen zeigt sich den Springer-Autoren zufolge auch an der Vielzahl der eingesetzten digitalen Werkzeuge: Spezifische Apps, Web-Pages, Online-Tools, virtuelle Lernräume, Hashtags, Social-Media-Auftritte, Online-Bibliotheken, ein Cloud-System und Partnerschaften mit Digital-Native-Unternehmen. Die digitalen Tools wurden zum Teil stark an die Firmenbelange angepasst oder speziell für diese entwickelt, wie etwa das Bestelltool und verschiedene smarte Produkte.
Zudem integrierte die Firma bestehende Social-Media-Angebote in einem Kommunikationskonzept zum Austausch mit Kunden, Interessenten und Geschäftspartnern. Gleichzeitig wurden die Mitarbeitenden unter anderem über eine App für die betriebsinterne Kommunikation sowie virtuelle Lernräume für die Digitalisierung sensibilisiert und zum Austausch des Wissens animiert. (Seite 179/180)
Die erfolgreiche digitale Transformation des untersuchten Fallbeispiels führt das Forscherteam um Katja Werner auch darauf zurück, dass die neuen digitalen Technologien in allen Bereichen der Wertschöpfung genutzt werden.