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2016 | Buch

Über den Zusammenhang von Unternehmenskultur und Architektur

Denkanstöße für Architekten, Manager und Bauherren

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Über dieses Buch

Die Autoren bieten in diesem essential eine kleine Reise durch die Ideen der Architekturgeschichte, die hinter der klassischen Moderne, der Postmoderne und dem architektonischen Strukturalismus stecken. Sie führen Soziologie, Architektur und Organisationstheorie zusammen mit dem Ziel, die Prämissen von Gebäuden zu erläutern, die Wissen vermehren. Die Autoren plädieren dafür, im Gebäude eine „situative Identität“ zu stiften. Dieses Konzept führt die herkömmliche, markenfixierte „Corporate Architecture“ weiter und beschreibt eine Gebäude-Performanz, die der Mitarbeiterschaft ein kooperatives und vernetztes Arbeiten erleichtert – aber nicht verordnet von oben nach unten, sondern umgekehrt. Eine lebendige und individuelle Unternehmensarchitektur zeigt sich nur, wenn sie gleichermaßen in Organisationsprozessen wie räumlichen Ausprägungen virulent ist.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Es war im Frühsommer 1923, als Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) die Arbeitsthesen niederschrieb. In seiner nüchternen Art lehnt er darin zunächst jede Doktrin und jeden Formalismus ab. Baukunst erscheint ihm als „[…] raumgefasster Zeitwille. Lebendig. Wechselnd. Neu.“ (Mies van der Rohe 1923, S. 70). Zu einem dementsprechenden Bürohaus gehören klare, übersichtliche, helle und weite Arbeitsräume. Aus Eisen, Beton und Glas soll der Organismus eines Betriebes wachsen und es erscheinen dem Architekten dabei „Haut- und Knochenbauten“ (Mies van der Rohe 1923, S. 70) als angemessene Mittel. Sicherlich steht solches Denken unter dem Einfluss der „Chicago School of Architecture“ des späten 19. Jahrhunderts. Die Anfänge der Verarbeitung industriell gefertigter und genormter Bauteile lassen sich in den USA bereits um 1830 ausmachen
Thomas Habscheid-Führer, Christian J. Grothaus
2. Die Zeit der Wissensarbeit
Zusammenfassung
In unserem Kulturkreis macht die Arbeit einen großen Anteil der Lebenszeit aus. Das war schon immer so, denn es wird mit diesem Begriff eine der elementarsten Tätigkeiten charakterisiert. Das deutsche Wort Arbeit kommt vom lateinischen „arvum, arva“ und meint „gepflügter Acker“. Im weiteren Lauf der Geschichte überträgt sich das Tun des Europäers von der Beherrschung der Naturkräfte: „auf die Produktion und Verteilung der aus der Materie hervorgegangenen Güter.“ (Ritter 1971, S. 481) Im frühen Mittelalter zeigt sich eine Entwicklung, die für unseren Gedankengang bedeutsam ist. Die Rede ist von den „Laboratores“, dem produktiv arbeitenden Volk, das mit Werkzeug und nicht mehr den bloßen Händen etwas Neues hervorbringt. Zwar stehen die Redner (Klerus, Oratores, Lehrstand) mit den Kriegern (Adel, Bellatores, Wehrstand) an höchster Stelle, aber spätestens mit dem Aufblühen der Städte kommt den Bürgern (vormals Bauern) und Handwerkern (Laboratores, Nährstand) eine gewichtige Bedeutung bei. Sind sie es doch, die mit der „Erfahrung der Kausalität im Inneren des Universums […] einen Ansatz zum Verständnis der Strukturen der natürlichen Kausalität“ (Ritter 1971, S. 481) gewinnen. Dieses Credo einer sich entfaltenden Wissenschaftlichkeit, die sich in Technologie niederschlagen kann, befähigt den Europäer, auf die Welt einzuwirken, sie zu nutzen und letztlich auch, eine eigene Kunst-Welt zu kreieren und in die Distanz zum natürlich Vorgefundenen zu gehen. Es sei an dieser Stelle die Kehrseite einer solchen Entwicklung angemerkt und erwähnt, dass hier ebenfalls das Potenzial für eine entfremdete Lebensweise liegt.
Thomas Habscheid-Führer, Christian J. Grothaus
3. Architektonischer Strukturalismus
Zusammenfassung
In der Einleitung kam Ludwig Mies van der Rohe zu Wort und damit ein typischer Vertreter der Moderne des 20. Jahrhunderts. Die Rückschau auf diese so wirkungsreiche Epoche in der Baugeschichte gerät durchaus ambivalent. Zweifellos gelang die Lösung der sozialen Frage und damit eines Problems, das die meisten Architekten der damaligen Avantgarde beschäftigt hatte. Doch zu welchem Preis? Gebaute Monotonie und eine Uniformität der Tristesse waren die Folgen eines Funktionalismus, der sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch als Exekutive der Bauwirtschaft begriff. Gegen den totalitär gewordenen Universalismus der Moderne musste sich Widerstand formieren. Widerstand mit dem Ziel, der Architektur Formenreichtum, Geschichte und Tradition zurückzugeben, diese also zu re-semantisieren, wie Heinrich Klotz (1935–1999) es in Anlehnung an Charles Jencks (*1939) Schlüsselschrift zur Postmoderne „Die Sprache der postmodernen Architektur“ so trefflich ausdrückte. Im Prozess des Wandels von der Moderne zur Postmoderne spielte der sog. architektonische Strukturalismus eine Rolle. Drei Niederländer gelten als Hauptvertreter dieser Richtung: Aldo van Eyck (1918–1999), Herman Hertzberger (*1932) und N. John Habraken (*1928). Allen gemeinsam ist, dass sie die Bedürfnisse der einzelnen Menschen wieder ernst nehmen und diese nicht als Kollektiv betrachten, das durch einen rationalistischen Planerwillen gesteuert wird. Identität und Individualität sind auch die Themen, die Alt und Neu (wieder) verbinden und einen sensiblen Umgang mit historischen Baubestand möglich machen. Freilich lösen sich die Niederländer nicht ganz von dem Erbe der Moderne, sondern synthetisieren es – sie humanisieren sozusagen die industrielle Produktionsweise. Als Beispiel mag van Eycks Projekt „Städtisches Waisenhaus“ (1957–1960) in Amsterdam dienen. Mittels vorfabrizierter Module wurde aus vielen Einzelelementen eine Struktur aufgebaut und damit das Spannungsfeld von Individualität und Kollektiv aufgegriffen: „So kommt ein sehr freizügiges Gefüge zustande, das in seinem Charakter von der Absicht des Zusammensetzen und Differenzierens bestimmt wird. Die einzelnen Elemente treten an die Stelle von umfassenden Großräumen, die eine Einheit von vornherein statuieren, nicht aber das Zustandekommen dieser Einheit veranschaulichen.“ (Klotz 1985, S. 116–117) Auch Herzberger schrieb sich mit einer Clusterstruktur in den niederländischen Strukturalismus ein. Die Versicherung „Central Beheer“ ließ seinerzeit ihr Verwaltungsgebäude von ihm errichten (1968–1972). Bürokuben fügen sich darin in verschiedenen Höhen übereinander und werden über Laufstege miteinander verbunden. Die entstehenden Freiräume addieren sich zu Atrien, in denen die Bürozellen teils in der Anmutung von Balkonen sind. Herzberger geht noch einen Schritt weiter und lässt den Nutzern Gestaltungsspielraum bei der Möblierung, Einrichtung und Dekoration ihrer Bürozellen: „Die Arbeit wird vermenschlicht, die Anonymität verflüchtigt sich, das aus Individualitäten aufgebaute Ganze wird sowohl räumlich-architektonisch als auch sozial erfahrbar. Die Architektur hat eine unmittelbare ethische Qualität, sie lässt durch formale Differenzen soziale Individualisierung zu, indem gleichzeitig das kollektive Ganze sowohl formal als auch sozial veranschaulicht wurde und fühlbar bleibt.“ (Klotz 1985, S. 117–118)
Thomas Habscheid-Führer, Christian J. Grothaus
4. Gebäude, die Wissen vermehren
Zusammenfassung
Weiter oben wurde anhand der modernen „Wissensarbeit“ erläutert, wie Orte bzw. Bauwerke dazu beitragen können, intersubjektive Kohärenz und damit die Wahl von Verbindungen nicht nur möglich zu machen, sondern zu befördern. Der Modus des modernen Einzelnen sollte sich also in der Organisationsstruktur eines Unternehmens und ebenso in dessen Architektur spiegeln. Das Haus (in Sinne des Oikos, s.o.) als Unternehmensort und die Spielregeln für dessen Bewohnerschaft scheinen in einem Prinzip vereint: dem Wandel. Die Analogien zur Natur liegen nah, war diese bereits in den ältesten Texten des Abendlandes mit dem Prinzip der Bewegung verbunden. Im 19. Jh. erlebte diesbezüglich die Evolutionstheorie eine Blüte. Die Stufenfolge von Variation (Wandel), Selektion (Auswahl) und Retention (Überdauern) bestimmt demnach die Charakteristika einer organischen Weiterentwicklung. Fritz B. Simon versucht eine Übertragung auf Unternehmen und stellt fest, dass sich Organisationswandlungen meist in variierten Verhaltensweisen bzw. Kommunikationsmustern zeigen. Formelle Strukturen werden z. B. bei einem Personalwechsel oft durch informelle ergänzt und natürlich haben andere Ziel- und Zweckvorgaben Neuerungen zur Folge. Die Veränderungen geschehen also aus einem „Zusammenspiel der unterschiedlichen, miteinander vernetzten Variablen“ (Simon 2009, S. 105) und nicht aufgrund der Wirkung eines einzelnen Entscheidungsträgers. Organisch wachsen kann eine Organisation bzw. ein Unternehmen nach evolutionären Prinzipien nur, wenn Planung und Kontrolle der Leitung sich darauf beschränken, die Ermöglichung des Wandels zu befördern; soll heißen, dass es keine Gewähr dafür gibt, ob eine erwünschte Wirkung eintritt: „Es reicht daher nicht, Entscheidungen zu treffen (Variation). Ihre Umsetzung oder Implementierung (Selektion) und die Prüfung ihrer pragmatischen Tauglichkeit für das Überleben mit den relevanten Umwelten (Retention) sind unverzichtbare Bestandteile jeden Veränderungsprozesses, d. h., sie müssen organisiert werden.“ (Simon 2009, S. 107) Es wird deutlich, dass die o. g. Verhaltensweisen moderner „Wissensarbeiter“ höchst geeignet sind für die Prozessschritte Variation und Selektion. Unternehmensführungen sind also bestens beraten – so sie organisches Wachstum wollen – ihren Mitarbeiter Spielraum für Agilität zu gewähren.
Thomas Habscheid-Führer, Christian J. Grothaus
Backmatter
Metadaten
Titel
Über den Zusammenhang von Unternehmenskultur und Architektur
verfasst von
Thomas Habscheid-Führer
Christian J. Grothaus
Copyright-Jahr
2016
Electronic ISBN
978-3-658-13349-8
Print ISBN
978-3-658-13348-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-13349-8