29.1 Bewertung von Risiken
29.2 Vier-Phasen-Konzept der Risikosteuerung
29.2.1 Vorphase: Was bedeutet die inhaltliche „Rahmung“?
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Gefahr von Tod, Verletzung, Gesundheitsschäden oder Bedrohung der Lebensgrundlagen durch Sturmfluten, Überschwemmungen an den Küsten und den Anstieg des Meeresspiegels, vor allem in niedrig gelegenen Küstenzonen, Inselstaaten und auf kleinen Inseln.
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Risiko von schweren Krankheiten und der Gefährdung von Lebensgrundlagen für große städtische Bevölkerungen ausgelöst durch Binnenhochwasser.
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Systemische Risiken durch extreme Wetterereignisse, die zum Zusammenbruch von Infrastrukturnetzen und kritischen Dienstleistungen führen können, etwa Stromnetze, Wasserversorgung, Gesundheits- und Notfalldienste.
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Risiko von Mortalität und Morbidität in Zeiten extremer Hitze, insbesondere für die städtische Bevölkerung und für Tätigkeiten im Freien sowohl in städtischen wie auch ländlichen Gebieten.
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Gefahr von Nahrungsmittelausfällen und dem Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung aufgrund von Hitze, Dürren, Überschwemmungen sowie Starkregen und anderen Wetterextremen, vor allem für die ärmeren Bevölkerungsgruppen in städtischen und ländlichen Gebieten.
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Verlustrisiko des ländlichen Lebensunterhalts und Einkommens aufgrund eines unzureichenden Zugangs zu Trinkwasser und Bewässerungssystemen sowie aufgrund geringerer Produktivität der Landwirtschaft, vor allem für Bauern und Hirten mit geringem Einkommen in semiariden Regionen.
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Gefährdung von Meeres- und Küstenökosystemen sowie der biologischen Vielfalt und damit verbundener ökosystemarer Dienstleistungen, insbesondere für die küstennahe Bevölkerung und für die Fischfangindustrie in den Tropen und in der Arktis.
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Verlustrisiko der Land- und Binnengewässerökosysteme, der Biodiversität und der damit verbundenen ökosystemaren Dienstleistungen, die für den Lebensunterhalt der Bevölkerung wichtig sind.
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Institutionelle Verfahren, um Risiken früh zu erkennen und mögliche Fehlentwicklungen an die Institutionen des Risikomanagements zu melden – etwa ein Frühwarnsystem für eventuelle Schadensverläufe
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Allgemein gültige Richtlinien, damit bereits im Vorfeld ein konsistentes und nachvollziehbares Verfahren der Risikobehandlung festgelegt werden kann – beispielsweise eine Einigung auf zentrale Indikatoren und auf ein Verfahren, wie diese gemessen werden
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Ein screening, um Risiken vorab zu charakterisieren und die für dieses Risiko notwendigen Methoden und wissenschaftlichen Schritte festzulegen – etwa ein Schnellverfahren zur vorzeitigen Ermittlung von möglichen Versorgungsengpässen beim Übergang auf erneuerbare Energiequellen
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Wissenschaftliche Verfahren und Techniken (wissenschaftliche Konventionen), die helfen, Risiken zu charakterisieren – beispielsweise eine Einigung über die Eignung und Aussagekraft der bei Klimaprognosen eingesetzten Schätzverfahren
29.2.2 Risikoerfassung: der Zusammenklang physischer und wahrgenommener Risiken
29.2.3 Tolerabilitäts- und Akzeptabilitätsbewertung: Welche Risiken sind zumutbar?
29.2.4 Risikomanagement: Wie lassen sich Wirksamkeit und demokratische Legitimation zentral nachweisen?
29.3 Risikowahrnehmung in der pluralen Gesellschaft
29.4 Schnittstelle Risikoerfassung und Risikomanagement
29.5 Risikokommunikation: Wie sollen und können Interessensgruppen und Bevölkerung beteiligt werden?
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Auf nationaler Ebene gilt es, die Gesamtstrategie zum Schutz des Klimas und ihre Implikationen für die lokale, regionale, nationale und internationale Ebene zu verdeutlichen. Die innere Konsistenz der Maßnahmen zum Klimaschutz muss den Bürgern und Bürgerinnen plausibel vermittelt werden, u. a. auch die Einsicht in die Notwendigkeit teils unpopulärer Maßnahmen. Angesichts eingangs erwähnter Umfrageergebnisse kann Vertrauen in die grundlegende Akzeptanz der Gesamtstrategie vorausgesetzt werden, aber nicht unbedingt eine Einsicht in die damit verbundenen Maßnahmen. Eine klare, von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen getragene Basisstrategie zur Umsetzung einer vorsorgenden Klimapolitik macht es der Politik im regionalen und kommunalen Umsetzungsprozess wesentlich leichter, Fragen nach Notwendigkeit und Nutzen einer Maßnahme zu beantworten und langwierige Grundsatzdiskussionen nicht immer wieder von Neuem führen zu müssen.
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Auf der regionalen Ebene gilt es, den Nutzen für die Region und die Verteilung von Belastungen und Risiken von Klimaschutzmaßnahmen oder vorbeugendem Katastrophenschutz für die Allgemeinheit herauszustellen. Ein wesentliches Kennzeichen ist dabei, dass die auftretenden Belastungen als fair verteilt angesehen werden. Die heutige Diskussion um Überflutungsgebiete zeugt von einer besonderen Sensibilität gegenüber Verteilungswirkungen. Hier ist auch die Politik gefordert, durch entsprechende Gestaltung eine faire Verteilung von Nutzen und Lasten herbeizuführen.
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Auf der lokalen Ebene müssen vor allem Aspekte der individuellen Selbstbestimmung und der emotionalen Identifikation angesprochen werden. Wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie ihre Souveränität über das eigene lokale Umfeld einbüßen, ist mit Akzeptanzverweigerung zu rechnen. Ebenfalls werden Investitionen in den Klimaschutz nur auf Akzeptanz stoßen, wenn sie nicht als Eingriff in die gewachsene soziale und kulturelle Umgebung angesehen werden. Von daher sind vor allem neue Formen der Bürgerbeteiligung gefragt, die eine aktive Einbindung der lokalen Bevölkerung ermöglicht.
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Vorphase: Bereits bei der Frage, ob überhaupt ein Problem vorliegt und wie dieses zu fassen ist (framing), sind alle relevanten Gruppen mit ihrem spezifischen Sachwissen, ihrer Wertepluralität und ihrer Risikobereitschaft in die Risikosteuerung einzubeziehen. Vor allem die verschiedenen Perspektiven der Zivilgesellschaft und die Ausgangssituation müssen offen thematisiert werden: Welche Akteure sind betroffen? Besteht angesichts des drohenden Klimawandels Handlungsbedarf? Falls ja, bei wem? Wie stark sollte man darauf abheben, die Ursachen zu bekämpfen, wie stark darauf, die Folgen abzuschwächen? Um dies zu beantworten, eignen sich runde Tische mit hochrangigen Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Diese benötigen allerdings ein klares Mandat und ein Alleinstellungsmerkmal, um effektiv arbeiten zu können (Renn 2014a). In Deutschland können diese runden Tische nur Empfehlungen an die gewählten Entscheidungsgremien formulieren, aber diese Ratschläge können durchaus den Entscheidungsprozess maßgeblich beeinflussen.
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Risikoerfassung: Wenn ein Problem gemeinsam erkannt wurde, wie lässt es sich dann beschreiben und welche Optionen gibt es, um das Risiko zu begrenzen? Häufig ist zu beobachten, dass eine intensive Beteiligung von Interessengruppen und betroffenen Bürgerinnen und Bürgern nicht nur dazu führt, dass diese Mitwirkenden eine von der Wissenschaft ausgearbeitete Liste von Handlungsoptionen bewerten. Vielmehr entwerfen sie darüber hinaus auch im gemeinsamen Dialog völlig neue Optionen. So kommt es zu win-win-Lösungen, bei denen größere Zielkonflikte gar nicht erst auftreten (Fisher et al. 2009). Im Fall der Klimapolitik können diese Lösungsoptionen sowohl auf nationaler Ebene im Sinne von Grundstrategien, aber in Bezug auf deren Umsetzung auch auf Länder- und Kommunalebene identifiziert und bewertet werden. Dazu sind Dialogformen mit kreativen Anteilen wie Open-Space-Konferenzen oder Zukunftswerkstätten besonders geeignet (Nanz und Fritsche 2012). Ähnlich wie bei den runden Tischen bei der Risikoerfassung können diese Dialoge nur Lösungsoptionen vorschlagen, in Kraft setzen können diese Vorschläge allein die dazu legitimierten Entscheidungsträger.
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Tolerabilitäts- und Akzeptabilitätsbewertung: Sind die einzelnen Möglichkeiten bestimmt, folgt die vertiefte Analyse der jeweils damit verbundenen Vor- und Nachteile. Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, wenn A oder B verwirklicht wird? Welche Unsicherheiten gibt es, und wie kann man sie charakterisieren? Solche Fragen lassen sich gut auf regionalen Konferenzen mit Experten und Planern erörtern – etwa im Zuge von Delphi- oder Werkstattverfahren (Schulz und Renn 2009). Mit einem Delphi-Verfahren lassen sich z. B. Risikofolgen, die mit großer Unsicherheit behaftet sind, von Experten aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen bewerten und dabei Konsenspotenziale ausloten. Die Ergebnisse dieses Bewertungsprozesses sind wiederum Empfehlungen an den legalen Entscheidungsträger.
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Risikomanagement: Die Frage nach der Bewertung und Auswahl von Optionen ist wieder am besten in einem umfassenden Dialog über die ursprünglichen Ziele und gesetzlichen Vorschriften aufgehoben. Hier gilt es, die Konsequenzen gegeneinander abzuwägen: Wie viel Verbesserung beim Klimaschutz ist einem wie viel an möglichen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Risiken wert? Wie können Zielkonflikte aufgelöst und Prioritäten festgelegt werden? Gibt es keine Einigung, müssen die Argumente für jede Option dokumentiert und transparent dargestellt werden. Dabei ist zu prüfen, wie gut jede Option mit den geltenden Gesetzen und Normen einerseits und den Vorgaben der europäischen und nationalen Klimaschutzziele andererseits harmoniert.
„Wirksame nationale Systeme binden viele Akteure aus nationalen und subnationalen Regierungen, den Forschungseinrichtungen des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft einschließlich der kommunalen Verbände ein. Diese spielen jeweils unterschiedliche und sich ergänzende Rollen für das Risikomanagement, entsprechend ihren gesellschaftlichen Aufgaben und Möglichkeiten“ (IPCC 2014b; übersetzt durch den Verfasser).