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Open Access 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

12. Umsorgen, überwachen, unterhalten – sind Pflegeroboter ethisch vertretbar?

verfasst von : Jeanne Kreis

Erschienen in: Pflegeroboter

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Von einer Maschine hochgehoben, gewaschen, bedient, überwacht und unterhalten werden? Ein Roboter, der Menschen daran erinnert, Tabletten zu schlucken, genügend Flüssigkeit aufzunehmen oder mit ihnen über einen Monitor Gedächtnisspiele spielt? Der Gedanke, im Alter von einem Pflegeroboter betreut zu werden oder Nahestehende maschinell umsorgen zu lassen, ist für viele befremdlich. Dennoch ist die Entwicklung von Pflegerobotern in vollem Gange. Der vorliegende Beitrag behandelt den Einsatz von Pflegerobotern aus ethischer Perspektive und weist dabei anhand konkreter Robotertypen auf Hürden der Pflegerobotik hin. Neben Einwänden wie dem Kontaktverlust thematisiert das Papier unter anderem den Einsatz von Pflegerobotern hinsichtlich der bewussten Täuschung älterer pflegebedürftiger Personen sowie der Menschenwürde. Anhand der vorgebrachten Argumente wird dargelegt, welchen moralischen Ansprüchen Pflegeroboter gerecht werden müssen und wie der Einsatz künstlicher Systeme in einem menschzentrierten Bereich wie der Pflege trotz ethischer Bedenken legitimiert werden kann.

12.1 Einleitung

Wir schreiben das Jahr 2100. In der Schweiz leben mehr als 11 Mio. Menschen, die Lebenserwartung steigt stetig. Um dem Mangel an Pflegefachkräften entgegenzuwirken und Personalkosten einzusparen, wurden Pflegefachpersonen längst durch humanoide Roboter ersetzt, welche pflegebedürftige Menschen in entsprechenden Institutionen rund um die Uhr vollautonom versorgen. Während Serviceroboter mit Getränken patrouillieren, werden die gechippten Bewohner des Pflegeheims von Chatbots über das Wetter der kommenden Tage informiert, bevor Assistenzsysteme sie zur allmorgendlichen Körperpflege abholen. Algorithmen bestimmen unser Leben, menschliche Kontakte sind scheinbar überflüssig geworden.
Werden Pflege und Robotik gegenübergestellt, resultieren nicht selten bizarre Zukunftsszenarien, welche stark von den heute vorherrschenden Werten einer gegenwartsnahen Gesellschaft abweichen. Tatsächlich hat die Robotik in der Pflege aber ein ganz anderes Gesicht. Mit dem Ziel, Lebensqualität zu verbessern, setzt sie in erster Linie auf die Entwicklung von Helferinstanzen, die Pflegebedürftige, deren Angehörige, aber auch Pflegefachkräfte im Alltag unterstützen sollen. Noch sind es neben Familienangehörigen vor allem Fachpersonen wie Ärzte, Pflegende und Therapeuten, welche Pflegebedürftige umsorgen. Ein Roboter, der daran erinnert, Tabletten zu schlucken, genügend Flüssigkeit aufzunehmen, Pflegebedürftige aufrichtet oder mit ihnen über einen Monitor Gedächtnisspiele spielt, dürfte aber bald Standard sein. Der Gedanke, dass auf Hilfe angewiesene Menschen künftig von einem Pflegeroboter betreut werden könnten, ist für viele befremdlich. Doch die Grenzen des technisch Machbaren verschieben sich stetig und die Entwicklung von Robotern für Medizin und Pflege ist in vollem Gange.
Mit den menschzentrierten Disziplinen rücken unweigerlich auch ethische Fragen in den Fokus der Robotik. Entsprechend fragt die Maschinenethik nach dem moralischen Status von Maschinen und deren Rolle als moralisches Subjekt (Bendel 2013). Welche Werte und welche Modelle normativer Ethik verfolgt der Roboter? Was darf er mit Menschen tun und was dürfen sie mit ihm tun? Sollen künstliche Systeme vollautonom agieren können oder nur nach strikter menschlicher Anordnung befähigt sein, Aktionen auszuführen? Darf sich der Roboter moralisch bedenklichen menschlichen Anweisungen widersetzen? Darf er gar selbst moralisch relevante Entscheidungen treffen (Bendel 2014, S. 22–24, 2016a, S. 129–131)?
Kaum jemand wird sich daran stören, wenn ein Robotersystem in einem Pflegezentrum schmutzige Bettlaken in den Waschraum befördert. Doch wie stehen wir zu einem Gerät, das Menschen wäscht, wie Roboter Cody, oder sie tröstet und unterhält wie Kuschelrobbe Paro? Welche Aufgaben sollen Roboter übernehmen dürfen und welchen Herausforderungen sind sie aufgrund ihrer maschinellen Beschaffenheit gar nicht erst gewachsen? Um den Wirkungs- und Aufgabenbereich von Robotern genauer zu definieren, bedarf es bereits vor der Etablierung künstlicher Systeme einer ethischen Auseinandersetzung mit möglichen Auswirkungen der Robotik. Vor diesem Hintergrund legt der vorliegende Beitrag Argumente für wie auch gegen den Einsatz von Pflegerobotern dar und prüft deren Stichhaltigkeit am Beispiel bestehender Geräte. Dabei liegt der Schwerpunkt der ethischen Diskussion nicht auf Entwicklung, Produktion oder Entsorgung der Maschinen, sondern vielmehr auf der eigentlichen Anwendung der Pflegeroboter in einer Pflegeinstitution. Im Folgenden werden Einwände aus den Bereichen Privatsphäre, Datenschutz und Verantwortung sowie das Argument der durch Roboter bedingten Kontaktverminderung dargelegt. Anschließend thematisiert der vorliegende Beitrag das Argument der menschlichen Täuschung wie auch das Argument der Zwischenschaltung künstlicher Systeme und den Einwand nicht geachteter Würde. Vor der ethischen Auseinandersetzung mit Pflegerobotern erfolgt jedoch eine dazu notwendige begriffliche Definition sowie ein demografischer Überblick, der die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Robotersystemen in der Pflege zusätzlich unterstreicht.

12.2 Begriffsdefinition: „Pflegeroboter“ und „Roboter in der Pflege“

Nicht jedes maschinelle System wirft signifikante ethische Fragen auf. Um die in Zusammenhang mit der Robotik auftretenden ethischen Probleme genauer zu umreißen, ist eine begriffliche Klärung der Bezeichnungen „Roboter in der Pflege“ und „Pflegeroboter“ vorzunehmen.
Der vorliegende Beitrag legt den Fokus auf Pflegeroboter. Mit dem Begriff „Pflegeroboter“ werden im Folgenden Robotersysteme bezeichnet, welche menschliche Pflegekräfte unterstützen oder ersetzen. Sie versorgen Pflegebedürftige mit Medikamenten, bringen und reichen Nahrungsmittel, helfen beim Hinlegen und Aufrichten von Personen und alarmieren, wenn nötig, den Notdienst (Bendel 2016b). Es können grob die drei Kategorien Service-, Assistenz- und Unterhaltungsroboter unterschieden werden. Während Serviceroboter wie Care-O-bot kleinere Bring- und Holdienste übernehmen, leisten Assistenzroboter wie Hebesystem Robear Hilfe beim Umlagern und Aufrichten von Patienten. Unterhaltungsrobotern kommt hingegen die Aufgabe zu, Menschen geistig oder körperlich zu animieren. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionen können Pflegeroboter oft mehr als einer Kategorie zugeordnet werden.
Im Unterschied zum engeren Begriff „Pflegeroboter“ referiert die weitreichendere Bezeichnung „Roboter in der Pflege“ im Rahmen dieses Beitrags zusätzlich auf Systeme, welche nicht im Austausch mit Pflegekräften oder Pflegebedürftigen stehen und auch außerhalb der Pflege eingesetzt werden. So kann beispielsweise ein autonomer Fensterreinigungsroboter sowohl in Pflegeinstitutionen als auch in Privathaushalten von nicht Pflegebedürftigen zum Einsatz kommen. Bei einem im Pflegeheim eingesetzten Fensterreinigungsroboter handelt es sich demnach zwar um einen Roboter in der Pflege, jedoch nicht um einen Pflegeroboter.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Pflege älterer, pflegebedürftiger Menschen in Institutionen der Langzeitpflege. Dabei handelt es sich um Menschen jenseits des 65. Lebensjahres, welche auf Hilfe oder Unterstützung in grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens, wie etwa Körperpflege oder Nahrungszufuhr, angewiesen sind (SAMW 2013, S. 7). Bevor die ethische Auseinandersetzung mit Pflegerobotern erfolgt, zeigt der nachfolgende demografische Überblick, inwiefern Pflegeroboter für diese älteren, technisch weniger versierten Generationen von Belang sind.

12.3 Demografischer Überblick

Bislang funktionierten Schweizer Pflegeinstitutionen ohne etablierte Unterstützung von Pflegerobotern. Der vorherrschende demografische Trend einer immer älter werdenden Bevölkerung dürfte Entwicklung und Einsatz von künstlichen Systemen in der Pflege aber begünstigen. Denn mit dem Erreichen eines hohen Lebensalters sind Menschen über eine erweiterte Zeitspanne unterstützungs- oder pflegebedürftig.
Gemäß Weltgesundheitsorganisation WHO wird sich der Anteil der Weltbevölkerung von über 60-Jährigen zwischen 2015 und 2050 nahezu verdoppeln und von 12 % auf 22 % ansteigen (World Health Organization 2017). Dieser Trend dürfte sich auch in der Schweiz abzeichnen. Gemäß dem schweizerischen Bundesamt für Statistik BFS ist zu erwarten, dass die Bevölkerungsgruppe der ab 65-Jährigen von 1,5 Mio. im Jahr 2015 auf 2,7 Mio. im Jahr 2045 anwachsen wird (Kohli et al. 2015, S. 5). Mit der steigenden Zahl älterer und hochbetagter Menschen nimmt auch die Gruppe pflegebedürftiger Personen stark zu. Der Bedarf an personellen Ressourcen in Pflege- und Betreuungsberufen dürfte bis 2025 entsprechend um gut 20 % steigen. Demgegenüber wurden laut dem im September 2016 veröffentlichten Versorgungsbericht der Gesundheitsdirektorenkonferenz und OdASanté in den letzten Jahren schweizweit nur 56 % des jährlich gefragten Pflegepersonals ausgebildet (Dolder und Grünig 2016, S. 47). Die hohe Berufsaussteigerquote verschärft den Mangel an Pflegefachpersonen zusätzlich.
Eine Demenzerkrankung ist der derzeit häufigste Grund für Pflegebedürftigkeit im Alter. Mit dem erhöhten Anteil älterer Menschen wächst auch die Zahl demenziell erkrankter Personen. Schätzungen zufolge sind in der Schweiz bereits heute 9 % der über 65-Jährigen und mehr als 40 % der über 90-Jährigen von der Alzheimerkrankheit oder einer anderen Demenzform betroffen (Schweizerische Alzheimervereinigung 2017). Gemäß Weltgesundheitsorganisation WHO erhöht sich die Gesamtzahl der Erkrankten weltweit bis 2030 auf 65,7 Mio. und bis 2050 auf 115,4 Mio. (WHO 2012, S. 2).
In Anbetracht dieser Entwicklung kann der Einsatz von Pflegerobotern, welche Pflegefachkräfte im Berufsalltag entlasten oder Pflegebedürftigen Autonomie und Mobilität gewährleisten, gangbare Lösungswege darstellen. Die älteste noch lebende Generation von Menschen künftig mit neuesten Generationen der Technik zu konfrontieren, erfährt aber nicht nur Zuspruch. Insbesondere von Pflegeethikern werden derzeitige technische Entwicklungen im Bereich der Pflegerobotik auch kritisch beurteilt. Selbst wenn Roboter Zielscheibe moralischer Bedenken sind, kann es gelingen, ihren Einsatz ethisch zu rechtfertigen. Im Folgenden werden Einwände aus den Bereichen Privatsphäre, Datenschutz und Verantwortung umrissen, bevor umfassender auf das Kontaktargument, das Argument der menschlichen Täuschung und der Zwischenschaltung künstlicher Systeme wie auch auf den Einwand nicht geachteter Würde eingegangen wird.

12.4 Privatsphäre, Datenschutz und Verantwortung

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW weist in der Richtlinie „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen“ explizit auf die Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Pflegepersonal und Therapeuten hin (2013, S. 7). Als besonders schützenswerte Daten sind Pflegedokumentationen und Krankengeschichten so zu handhaben und aufzubewahren, dass nur berechtigte Personen Einblick nehmen können.
Nicht nur Pflegekräfte, auch Roboter bewegen sich eng am Menschen. Mithilfe der Robotik personelle Aktivität zu dokumentieren, wäre ohne weiteres möglich. Entsprechend programmiert, verfolgt ein Gerät, wie sich der Zustand einer Person verbessert oder verschlechtert und was in der Umgebung überwachter Patienten geschieht. Der Roboter zeichnet beispielsweise auf, wer kommt und geht, was geredet und was gekocht wird (Bendel 2014, S. 24). Wenn mit Kamera, Sensoren und Mikrofon ausgestattete Roboter im Wohnpflegezentrum zirkulieren und Aufzeichnungen machen, stellt sich die Frage, wie umfassender Datenschutz und Privatsphäre zu gewährleisten sind. Wie kann verhindert werden, dass persönliche Daten an unbefugte Dritte, wie etwa Roboterhersteller oder Krankenkassen, weitergeleitet werden? Kann trotz permanenter Überwachung überhaupt Privatsphäre entstehen? Eng damit verknüpft stellt sich die Frage, ob und wenn ja, inwiefern ständige Überwachung zugunsten besserer Versorgung überhaupt zu rechtfertigen ist.
Neben den genannten Problemen bezüglich Datenschutz und Privatsphäre ergeben sich Fragen hinsichtlich der Verantwortung von Robotern und für Roboter. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn ein System Trinkprotokolle verfälscht oder mit einer pflegebedürftigen Person kollidiert? Wer haftet, wenn bei einem Sturz eines 140 kg schweren Assistenzroboters eine Pflegekraft eingeklemmt wird oder dem Gerät im falschen Moment die elektrische Energie ausgeht?
Die Implementierung von Pflegerobotern wirft viele bislang ungeklärte Fragen unterschiedlicher Kategorien auf. Darunter fallen nicht nur die oben umrissenen Problemfelder der Bereiche Privatsphäre, Datenschutz und Verantwortung, die unter anderem auch juristischer Klärung bedürfen. Der Einsatz künstlicher Systeme in einer menschzentrierten Disziplin wie der Pflege zieht neben pflegerischen und technischen auch typisch ethische Fragen mit sich. Im folgenden Abschnitt wird der gewichtige ethische Einwand eines drohenden Kontaktverlusts diskutiert.

12.5 Kontaktverlust und Isolation

Am deutschen Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung beschäftigen sich Wissenschaftler seit Jahren mit der Konstruktion des Serviceroboters Care-O-bot, der nebst Bring- und Holdiensten auch Überwachungsfunktionen übernimmt. Bereits die dritte Generation des Roboters, Care-O-bot III, war in der Lage, sich selbstständig und kollisionsfrei zwischen Menschen fortzubewegen und sie unter anderem mit Haushaltsgegenständen oder Getränken ihrer Wahl zu versorgen. Um die Interaktion zwischen Gerät und Pflegepersonal sowie Patienten zu gewährleisten, war Care-O-bot III im Besitz von Serviertablett, Touchscreen-Monitor und 3-Finger-Hand, die dem Roboter beispielsweise das Öffnen von Türen ermöglichte. Per Touchscreen konnten Gesellschaftsspiele oder Programme zum Gedächtnistraining sowie Musik oder Gedichte abgerufen werden. Neben diversen Serviceaufgaben erfüllte Care-O-bot III auch Überwachungsfunktionen. So war er beispielsweise in der Lage, Trinkprotokolle zu führen, Trinkverhalten zu kontrollieren und Personen daraufhin gezielt zur Flüssigkeitsaufnahme einzuladen (Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA 2008). Die mittlerweile vierte Generation des Roboters, Roboterassistent Care-O-bot 4, ist mit Touchscreen, Mikrofonen und Kameras zur Sprach- und Personenerkennung versehen, kann mit Armen ausgestattet werden und eignet sich unter anderem zur aktiven Unterstützung im häuslichen Umfeld. Auch Care-O-bot 4 ist mithilfe seiner Sensorik in der Lage, typische Haushaltsgegenstände zu erkennen und zu greifen und eignet sich wie bereits sein Vorgänger ebenfalls dazu, Hol- und Bringdienste in Heimen zu leisten (Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA 2015).
Im hohen Alter verliert der Mensch zunehmend an Mobilität. Werden Pflegebedürftige in einer Institution der Langzeitpflege betreut, konzentriert sich auch das soziale Umfeld der Zentrumsbewohner verstärkt auf Pflegende und andere pflegebedürftige Personen. Gemäß den medizinethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften ist persönlicher Kontakt, wie etwa zwischen Arzt und älteren pflegebedürftigen Personen, für eine adäquate Betreuung unabdingbar (2004, aktualisiert 2013, S. 7). Pflege- und insbesondere Serviceroboter wie Care-O-bot stehen jedoch in der Kritik, Isolation und Ausgrenzung pflegebedürftiger Personen stark zu begünstigen. Gemäß Amanda und Noel Sharkey unterbinden Pflegeroboter Kontaktmöglichkeiten zwischen Menschen und ihrem näheren Umfeld, was eine tatsächliche Reduktion sozialer Kontakte impliziert (Sharkey und Sharkey 2010). Bringt Care-O-bot hochbetagten Heimbewohnern ein Getränk, werden diese zwar mit Flüssigkeit versorgt, eine soziale Interaktion bleibt jedoch aus. Unterhaltungsfunktionen, wie etwa Monitorspiele oder Gedichtrezitationen, animieren zwar zur Selbstbeschäftigung, befördern aber auch Rückzug und Isolation älterer Menschen.
Die Ethik stellt den Anspruch, den Einsatz von Pflegerobotern hinsichtlich der Interessen aller Beteiligten zu untersuchen. Um zu beurteilen, ob Pflegeroboter ethisch vertretbar sind, müssen demnach nicht nur die Interessen der Gepflegten, sondern auch diejenige der Pflegefachkräfte berücksichtigt werden. Der Nutzen des Serviceroboters liegt nicht allein in der Unterstützung von Pflegebedürftigen, sondern auch in der Funktion, Pflegefachkräfte im Alltag zu entlasten (Becker et al. 2013). Kann das Pflegepersonal zeitraubende Aufgaben wie die Versorgung mit Getränken delegieren, bleibt mehr Zeit, tiefer gehenden Kontakt zu den Menschen zu pflegen. Doch wie wird die durch Pflegeroboter gewonnene Zeit reinvestiert? Robert und Linda Sparrow zufolge kann der Einsatz von Robotern in der Pflege zwar zu einem Zeitgewinn führen, es besteht jedoch die akute Gefahr, dass die gewonnenen Minuten aus ökonomischen Gründen nicht dem einzelnen Zentrumsbewohner zugutekommen. Vielmehr dürfte der Robotereinsatz dazu führen, dass eine höhere Anzahl an Patienten von der gleichen Anzahl an Pflegekräften oder dieselbe Anzahl an Patienten von einer geringeren Anzahl an Pflegekräften betreut wird (Sparrow und Sparrow 2006, S. 143). Kommt die durch Pflegeroboter gewonnene Zeit nicht der einzelnen pflegebedürftigen Person zugute, wird eine Kontaktreduktion zwischen betreuungsbedürftigen Menschen und Pflegekräften entschieden begünstigt.
Erst wenn die erlangte Zeit auch tatsächlich darauf verwendet wird, häufigeren, tiefer gehenden Kontakt zu derselben Anzahl an Betreuungsbedürftigen zu pflegen, kann das Problem eines drohenden Kontaktverlusts aus ethischer Sicht umgangen werden. Es ist einzuräumen, dass die Übertragung von Dienstleistungen vom Menschen auf den Roboter primär einen Kontaktverlust bedeutet. Interagiert eine pflegebedürftige Person aber in angepasster Dauer und Frequenz mit dem Unterhaltungsroboter, während die Pflegefachperson andere Hochbetagte betreut, werden Zeitfenster geschaffen, die sowohl im Interesse der Pflegefachkräfte als auch im Interesse der Pflegebedürftigen liegen. Unter der Voraussetzung, dass Pflegeroboter so eingesetzt werden, dass sie Phasen zwischenmenschlichen Austauschs verlängern, verfügen sie über das Potenzial, Aufrechterhaltung und Vertiefung sozialer Kontakte zu befördern und so den Interessen pflegebedürftiger Menschen wie auch denjenigen der Pflegenden gleichermaßen gerecht zu werden.

12.6 Zwischenschaltung künstlicher Instanzen und verdeckte Adressaten

Jede Interaktion zwischen Mensch und Serviceroboter kann den Verlust direkten Kontakts zwischen Mensch und Mensch begünstigen. Das Zwischenschalten von Robotern birgt jedoch noch weitere ethische Schwierigkeiten.
Der von dem Hersteller SoftBank und der belgischen Firma ZoraBots entwickelte soziale Roboter Zora gilt als der am weitesten verbreitete humanoide Roboter im Gesundheitsbereich (Bellinger und Göring 2017, S. 77). Die 58 cm große Maschine wird unter anderem in Kliniken und Pflegeheimen eingesetzt, wo sie zur Mobilisation, Rehabilitation und Unterhaltung älterer Menschen beitragen soll. Zora singt und tanzt, motiviert bei Fitnessübungen, erinnert daran, genügend Flüssigkeit aufzunehmen, Medikamente zu schlucken oder informiert Zentrumsbewohner über anstehende Ereignisse (HCS Computertechnologie 2017). Die mit Kamera und Mikrofon ausgestattete Zora funktioniert jedoch nicht vollautonom, sondern wird von einer Pflegefachperson mittels Tablet ferngesteuert. Aus ethischer Sicht ist ebendiese Handhabung aus zweierlei Gründen problematisch. Der Austausch zwischen Pflegekraft und -bedürftigen erfolgt über den Umweg künstlich zwischengeschalteter Roboter. Wie bei dem Einsatz autonomer Serviceroboter wird auch durch die Zuschaltung des sozialen Roboters eine direkte Kontaktmöglichkeit zwischen betreuungsbedürftigen Personen und Pflegefachkräften unterbunden. Wird der Kontaktverlust nicht kompensiert, ergibt sich ein signifikantes Isolationsproblem. Der Einsatz von Robotern wie Zora weist jedoch neben der Unterbindung direkten menschlichen Kontakts noch eine weitere ethische Hürde auf: Während die demenziell erkrankte Greta am Tisch sitzt, erkundigt sich die Pflegekraft vom Nebenraum aus mittels Zora nach dem Wohlbefinden der hochbetagten Bewohnerin des Wohnpflegezentrums. Dabei zieht sich die Pflegekraft physisch aus der Unterhaltung zurück und stellt ihre Fragen über den sympathischen humanoiden Roboter, der zum Adressaten von Gretas Äußerungen wird. Dass die Unterhaltung ferngesteuert ist, erkennt Greta nicht. Sie gibt Auskunft darüber, ob sie ihre Tabletten regelmäßig schluckt oder genügend Flüssigkeit aufnimmt. Wie erste Erfahrungen zeigen, wird mit der vermeintlichen Absenz der Pflegefachperson aber auch eine Gelegenheit geschaffen, in der Betreuungsbedürftige persönliche Geschichten und Zuständen schildern, die sie den Pflegekräften im direkten Austausch möglicherweise nicht anvertraut hätten (Bellinger und Göring 2017, S. 81). Es ist unwahrscheinlich, dass Roboter dazu eingesetzt würden, den Pflegekräften vorenthaltene Informationen zu erschleichen. Werden die an Roboter gerichteten Äußerungen an Pflegefachkräfte übermittelt, ergibt sich jedoch ein Problem verdeckter Adressaten.
Mit dem Gedankenexperiment „Experience Machine“ entwirft Robert Nozick ein gedankliches Konstrukt, welches darlegt, dass Menschen nicht getäuscht werden wollen. Selbst dann nicht, wenn die vorgetäuschte Welt die Realität erlebnisqualitativ überträfe (Nozick 1974, S. 42–43). Angenommen, es bestünde die Möglichkeit, sich einer Erlebensmaschine anzuschließen, welche es erlaubt, in einer virtuellen Realität ein glückliches Leben zu führen und dabei nur gewünschte Erfahrungen zu machen. Gemäß Nozick wären nur die Wenigsten dazu bereit, ihr aktuelles Leben mit einer Existenz in der Erfahrungsmaschine auszutauschen. Ableitend definiert Nozick unter anderem den Kontakt zur Wirklichkeit als zentrales menschliches Anliegen. Mit dem Einsatz eines Roboters wie Zora erfolgt jedoch eine technische Verschleierung der eigentlichen Adressaten von Gretas Äußerungen. Während Greta überzeugt ist, mit Zora zu plaudern, unterhält sie sich eigentlich mit der latent agierenden Pflegefachkraft und wird somit hinsichtlich Gesprächspartner und Empfänger ihrer Aussagen getäuscht. Überträgt man Nozicks Gedankenexperiment auf die Robotik, ist die Täuschung Gretas auch dann nicht haltbar, wenn sich diese bei der Unterhaltung mit Zora bestens amüsiert.
Die unter Bezugnahme von Nozicks Erlebnismaschine dargelegte Argumentation folgt im Wesentlichen Robert und Linda Sparrows Aussagen zur Pflegerobotik: „Soweit Roboter die Menschen nur dann glücklicher machen können, wenn sie über die wahre Natur des Roboters getäuscht werden, bieten Roboter keine wirklichen Verbesserungen für das Wohlbefinden der Menschen“, so Sparrow/Sparrow aus dem Englischen. „Tatsächlich kann man sagen, dass der Einsatz von Robotern ihnen schaden kann. Der Wunsch, Roboter in Pflegerollen zu platzieren, ist daher töricht, schlimmer noch, es ist eigentlich unmoralisch“ (2006, S. 155).
Tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass insbesondere demenziell erkrankte Menschen, welche unter dem fortgeschrittenen Verlust geistiger Leistungsfähigkeit leiden, über die Natur der Roboter getäuscht werden. Grundsätzlich kann auch – wie das Gedankenexperiment Nozicks zeigt – davon ausgegangen werden, dass Menschen ihre bestehende Realität einer perfekten fiktiven Welt vorziehen würden. Kurzfristig aus der Alltagsrealität auszusteigen, um sich täuschen zu lassen, kann aber reizvoll sein. Nicht selten genießen wir mit Virtual-Reality-Brillen oder im 4D-Kino die Abwechslung fiktiver Parallelwelten und kehren anschließend wieder in unser gewohntes Leben zurück. Analog dazu bedeutet auch die Interaktion mit einem Roboter nicht einen permanenten Ausstieg aus der realen Welt zugunsten einer bevorzugten Scheinexistenz. Unter Berücksichtigung der starken Intuition, dass die meisten Menschen nicht in einer fiktiven, wenn auch perfekten Welt verharren möchten, muss sich auch der Austausch zwischen Mensch und Maschine auf regulierte und frequentierte Zeitfenster beschränken. Unter dieser Voraussetzung sind Roboter entgegen der Aussage von Kritikern wie Sparrow/Sparrow sehr wohl in der Lage, das Interesse der pflegebedürftigen Person aufrechtzuerhalten und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Pflege vollständig und rund um die Uhr Service-, Assistenz- und Unterhaltungsrobotern zu überlassen, wie es der Vergleich mit einer permanenten fiktiven Welt suggeriert, ist nicht nur aus pflegeethischer, sondern derzeit auch aus technischer Sicht nicht umsetzbar. Pflegebedürftige jedoch kurzfristig einer Interaktion mit einem Roboter zu überlassen, kann gewinnbringend sein. Lädt der Roboter zu einer anregenden Unterhaltung ein, ist er in der Lage, willkommene Abwechslung zu bieten. Auch dann, wenn es sich dabei um eine kurzfristige Täuschung handelt, vergleichbar mit einer Unterhaltungsform, die die meisten Menschen tolerieren oder gar begrüßen würden. Dennoch bleibt das Problem verdeckter Adressaten bei Robotern wie Zora, welche aus dem Nebenzimmer ferngesteuert werden, bestehen. Es lässt sich nur dann umgehen, wenn die Präsenz der Pflegefachkraft für die Pflegebedürftigen klar erkennbar ist. Erst wenn sich die mit dem Roboter interagierende Person darüber bewusst ist, dass die Pflegefachperson die Aussagen ebenfalls mitbekommt, sind alle Adressaten ihrer Äußerungen offengelegt. Diese Situation wird beispielsweise dann erreicht, wenn sich die Pflegefachkraft gemeinsam mit Greta und Zora an den Tisch setzt.

12.7 Argument der unethischen Täuschung

Ihre oftmals humanoide, aber nicht naturalistische Erscheinung macht Roboter zu Sympathieträgern. Kulleraugen, Stupsnasen und freundliche Stimmen oder Laute befördern die Akzeptanz gegenüber technischen Apparaturen und ebnen so den Weg für Interaktionen zwischen Mensch und Maschine. Der Einsatz entzückender Roboter zur Beförderung von Emotionen wird jedoch auch kritisch diskutiert. Anstatt eine interpersonale Vertrauensbasis zu schaffen, welche es pflegebedürftigen Menschen erlauben würde, sich gegenüber Pflegefachkräften zu öffnen, werden emotionsstimulierende Roboter zwischengeschaltet, die den Zugang zu in sich gekehrten Menschen gewährleisten sollen.
Bereits 1993 begann das japanische National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST) mit der Entwicklung des einem Sattelrobbenbaby nachempfundenen Zuwendungsroboters Paro, der mittlerweile Eingang findet in Pflegezentren weltweit. Angelehnt an eine Tiertherapie besteht die Aufgabe Paros darin, insbesondere mit Demenzerkrankten, Wachkomapatienten, autistischen Kindern oder Menschen mit Behinderungen zu interagieren, Emotionen zu wecken und dadurch die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Um Interaktionen mit Paro anzuregen, wurde bei seiner Entwicklung auf eine naturähnliche Erscheinung wie auch auf natürliche Verhaltensweisen geachtet. Paro ist in der Lage, Vorder- und Hinterflossen zu bewegen und auf Berührungen, Geräusche, visuelle Reize sowie auf Temperatur und Licht zu reagieren. Der 57 cm lange und 2,7 kg schwere Roboter verfügt zudem über ein synthetisches Fell sowie über verschiedene Sensoren, die es ihm erlauben, Menschen wahrzunehmen und sich ihnen mittels Kopfbewegung zuzuwenden. Feinste Technik ermöglicht ihm die Unterscheidung von Stimmen verschiedener Menschen und Reaktionen auf den eigenen Namen. Wird Paro gestreichelt oder geschlagen, gibt er Wohlbefinden oder Unbehagen mit der Stimme eines Sattelrobbenbabys sowie mithilfe von Körperbewegungen zu erkennen (PARO Robots USA 2014). Im Gegensatz zum ferngesteuerten Roboter Zora agiert Kuschelroboter Paro autonom. Dabei richtet sich der Roboter nach erlernten Verhaltensmustern, die zuvor bei Patienten positive Reaktionen ausgelöst haben. Da die Roboterrobbe mit Menschen eigenständig interagiert, kann die bei ferngesteuerten Robotern auftretende Problematik verdeckter Adressaten umgangen werden. Dennoch handelt es sich bei Paro und anderen Zuwendungsrobotern dieser Art um ethisch umstrittene Geräte.
Im Gegensatz zu Robotern, die sich in ihrer Erscheinung klar von natürlichen Wesen unterscheiden, wird bei Paro die naturähnliche Wiedergabe von Erscheinungsbild und Verhaltensmuster echter Tiere angestrebt, um die Gunst der Patienten zu gewinnen. Analog der Kritik an ferngesteuerten Geräten sieht sich auch der Einsatz Paros mit dem Vorwurf konfrontiert, eine Täuschung des mit dem System interagierenden Menschen in Kauf zu nehmen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Täuschung bezüglich Präsenz verdeckter Adressaten, sondern um eine Irreführung hinsichtlich der Natur des Roboters.
Paro wird hauptsächlich in Wohnpflegezentren bei hochbetagten, dementen Menschen eingesetzt. Aufgrund ihrer Erkrankung leiden die Betroffenen unter anderem unter dem Verlust des Denkvermögens wie auch unter verminderter Wahrnehmungsleistung (Schweizerische Alzheimervereinigung 2015). Während geistig unversehrte Menschen einen Roboter mühelos als solchen begreifen, dürften Demenzerkrankte oft nicht erkennen, dass es sich bei einem Gerät wie Paro um kein reales Lebewesen, sondern um eine bloße Tierimitation handelt. Laut Ethiker Robert Sparrow werden Menschen somit durch den Einsatz des Roboters zu einer ethisch nicht vertretbaren Selbsttäuschung ermuntert (Sparrow 2002, S. 23).
Ob und inwiefern demenziell erkrankte Menschen in der Lage sind, Roboter von Lebewesen zu unterscheiden, ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. Unabhängig davon, ob sich Menschen über die Natur des Kunsttiers bewusst sind, stehen Zuwendungsroboter jedoch hauptsächlich aufgrund ihrer Interaktionsfähigkeit und der damit verbundenen vorgetäuschten Emotionen in der Kritik. Halten Menschen Roboter für empfindsame, emotionsfähige Wesen, werden den Geräten Aufgaben emotionaler Zuwendung übertragen, denen ein Roboter naturgemäß in keiner Weise gerecht werden kann. Fragt man Menschen nach ihren Ansprüchen an eine kompetente Pflegekraft, nennen sie nicht selten gefühlsbetonte Schlagworte wie Mitgefühl, Zärtlichkeit oder Achtsamkeit. Auch Trost in schwierigen Momenten wird gewünscht. Allesamt Anforderungen, denen künstliche Systeme mangels Empfindungsfähigkeit nicht gewachsen sind. Denn Computer und Roboter können keine Gefühle empfinden (Rojas 2016, S. 51). Zwar sind sie in der Lage, Emotionen auszudrücken – etwa durch niedliches Quietschen –, authentische Gefühle setzen jedoch Leben voraus. Demgegenüber möchten Menschen echte Zuwendung erfahren und nicht nur das bloße Gefühl von Zuwendung erleben. Ebenso wenig wie wir von Zora über die Adressaten unserer Äußerungen getäuscht werden wollen, wollen wir von Paro bezüglich des Adressaten unserer Gefühle oder hinsichtlich der Qualität erfahrener Emotionen betrogen werden. Unabhängig von ihrer körperlichen und geistigen Verfassung sollten Menschen demnach authentische Empfindungen zeigen wie auch erfahren dürfen.
Sympathische Roboter laden zur Interaktion ein. Um die ethische Debatte um Pflegeroboter unvoreingenommen zu führen, ist das ansprechende Design der Roboter jedoch auszublenden. Im Unterschied zu Kindern, die Stofftieren im fantasievollen Spiel Empfindungen andichten, werden im Falle Paros künstliche Gefühlausdrücke mittels technischer Apparaturen als real existierende Empfindungen vermittelt. Werden pflegebedürftige Menschen mit dem Kuschelroboter sich selbst überlassen, besteht nicht nur eine Isolationsgefahr, sondern auch das Risiko, dass Menschen über die Natur der Robbe getäuscht und menschliche Gefühle und deren Ausdruck unter falschen Annahmen befördert werden. Diese Problematik kann aber umgangen werden, wenn Roboter wie Paro explizit als Gefühlsübermittler zwischen Pflegefachkraft und Pflegebedürftigen, jedoch nie als eigenständige Sender künstlicher Emotionen oder Empfänger menschlicher Gefühlsäußerungen fungieren. Der Einsatz eines Therapieroboters ist somit an menschliche Begleitung, beispielsweise durch eine Pflegefachkraft, zu knüpfen. Erst wenn Pflegekräfte oder Angehörige die durch Therapieroboter erweckten Gefühle rezipieren und entsprechend reagieren, verschiebt sich die Rolle des Roboters vom ungeeigneten Absender und Empfänger vermeintlicher Gefühle zum Vermittler authentischer Emotionen der Beteiligten. Erzählt eine betagte Person aufgrund der Interaktion mit Paro vom Hund aus der Kindheit, wird wechselseitiger Zugang zu Gefühlswelten geschaffen, auf die sich Pflegefachkräfte im alltäglichen Umgang mit der betreffenden Person weiterhin beziehen und so deren geistige Animation gewährleisten können.

12.8 Argument der verletzten Würde: Gleichsetzung von Mensch und Objekt

Während Therapieroboter wie Paro primär Zugang zu in sich gekehrten Menschen erschließen sollen, besteht die Aufgabe von Assistenzsystemen wie Cody und Robear darin, Autonomie und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen zu befördern oder Pflegekräfte bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten zu unterstützen. Der am Georgia Institute of Technology entwickelte Roboter Cody ist darauf spezialisiert, bettlägerige Patienten zu drehen und zu waschen. Robear, ein 140 kg schwerer, freundlich gestalteter Bär auf Rollen, assistiert Pflegenden beim Aufrichten, Umlagern und Tragen von Patienten (Riken 2015). Um die Gefährdung von Menschen auszuschließen, müssen Assistenzroboter hohen Sicherheitsansprüchen genügen, bevor sie implementiert werden können. Zwar liegt die Entwicklung technischer Apparaturen, welche Menschen waschen oder umbetten, aufgrund der nötigen Interaktion mit der physischen Welt hinter der Entwicklung von Service- und Unterhaltungsrobotern zurück, dennoch setzt sich der ethische Diskurs gegenwärtig mit Assistenzsystemen dieser Art auseinander. Trotz ihrer Funktion, Pflegende vor berufsbedingten Rückenschäden zu bewahren oder die Eigenständigkeit der Pflegebedürftigen zu befördern, stehen auch Assistenzroboter in der Kritik. Wie anderen Robotertypen wird ihnen vorgeworfen, Isolation und Vereinsamung der Pflegebedürftigen zu begünstigen. Während ein Roboter wie Cody bettlägerige Patienten wäscht, entgeht Pflegefachkräften die Gelegenheit, über die Berührung mit den Pflegebedürftigen in Kontakt zu treten und zugleich deren physische und psychische Verfassung zu überprüfen. Hebt ein Roboter eine Person aus dem Bett, werden weniger Helfer benötigt, um Patienten umzulagern. Der zwischenmenschliche Kontakt verringert sich.
Neben dem Einwand reduzierter Kontaktmöglichkeiten wird weitere Kritik laut. Denn während sich Roboter vielfach auf das physische Wohl einer Person konzentrieren, ist Pflege nicht als rein körperlicher Vorgang zu verstehen. Die deutsche Pflegeexpertin Adelheid von Stösser warnt daher vor der Degradierung des Menschen zum bloßen Sachgegenstand, der objektgleich „gewaschen, gewindelt und angezogen“ werden muss (Von Stösser 2011, S. 4). Aus ethischer Sicht ist die Gleichsetzung von Mensch und Objekt vor allem dahin gehend problematisch, dass Sachgegenständen im Gegensatz zu Menschen keine Würde inhäriert. Werden Menschen wie Objekte behandelt, wird auch ihre Würde geringer geachtet. Mit der Reduktion des Menschen auf dessen rein körperliche Existenz rücken Gemütszustände in den Hintergrund. Aggressionen, Ängste und Unruhen werden von dem körperfokussierten Roboter außer Acht gelassen. Von Stösser befindet es daher als realistisch, dass Menschen mit Demenz medikamentös in ihren Empfindungsfähigkeiten so weit gedämpft würden, dass sie sich problemlos von einem Roboter waschen und versorgen ließen (2011, S. 5).
Wie ist dieser Einwand der durch Roboter beförderten Gleichsetzung von Mensch und Objekt ethisch zu beurteilen? Die Gefahr, Menschen in der Pflege Sachgegenständen gleichzusetzen, mag bestehen. Sie ist jedoch nicht gezwungenermaßen an den Einsatz eines Roboters geknüpft. Gebrechliche Menschen sind in vielen Fällen auf die Hilfe anderer angewiesen. Von welcher Qualität diese Hilfeleistung ist, steht im Zusammenhang mit dem vorherrschenden Verhältnis zwischen Pflegekraft und pflegebedürftiger Person. Dabei handelt es sich um eine Beziehung, die auch in Verzicht auf den Robotereinsatz scheitern oder unter Einbezug eines Roboters gelingen kann. Ein sinnvoller Einsatz von Robotern kann geradezu verhindern statt fördern, dass sich Menschen Objekten gleichgesetzt fühlen. Führt eine auf Pflege angewiesene Person dank dem steuerbaren Roboter die eigene Körperpflege zum gewünschten Zeitpunkt selbstständig durch, erweitert der Einsatz des Systems deren Autonomie erheblich. Dadurch dürfte auch die Gefahr, dass Pflegebedürftige sich als Objekt fühlen, verringert werden. Zudem kann die der Würde inhärente Achtung der Intimsphäre zumindest bei agileren Patienten dank des Roboters gewährleistet und ein gegebenenfalls auftretendes Schamgefühl umgangen werden. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass insbesondere bei Waschungen im Intimbereich Scham verringert werden kann. Auch beim Bewegtwerden und bei Routineaktivitäten bevorzugen manche Patienten Roboter gegenüber Menschen, um auf diese Weise ihre moralischen, sittlichen und sozialen Werte wie Autonomie, Intimität, Sicherheit oder Vertrauen zu schützen (Bendel 2015, S. 29).
Je mehr Aufgaben Robotern zukommen, desto mehr Eigenständigkeit erlangen sie. Es ist daher einzuräumen, dass ein Autonomiegewinn der Maschine auch einen Autonomieverlust auf Seite der Pflegebedürftigen bedeuten kann. Reicht der Roboter einer Person frische Hemden aus dem Schrank, wird Selbstständigkeit erlangt, da keine zusätzliche menschliche Unterstützung angefordert werden muss. Mit dem Ergreifen eines beliebigen Hemds trifft der Roboter jedoch stellvertretend für die physisch eingeschränkte Person eine Wahl und verhindert so eine autonome Entscheidung des Menschen. Dennoch verhilft der Roboter dadurch, dass er überhaupt in der Lage ist, Hemden zu reichen, zu erhöhter Eigenständigkeit. Können Menschen selbstzentrierte Aufgaben dank intelligenter künstlicher Systeme selbstständig angehen, erlangen sie Fähigkeiten, welche entgegen der vorgebrachten Kritik verhindern statt begünstigen, dass sich die Betroffenen Sachgegenständen gleichgesetzt fühlen.

12.9 Fazit

Nicht alles, was technisch machbar ist, ist ethisch unbedenklich. Ein in Spitälern und Heimen tauglicher Roboter muss daher neben technischen und klinischen Ansprüchen auch hohen ethischen Anforderungen genügen. Bevor Pflegeroboter in Pflegezentren implementiert werden können, gilt es, moralische Fragen aus den Bereichen Datenschutz, Privatsphäre und Verantwortung zu ermitteln und weitgehend zu beantworten. Auch ethisch relevante Aspekte wie die dargelegten Überlegungen zu Kontaktverlust, Täuschung und Würde sind zu behandeln, um die ethische Vertretbarkeit von Pflegerobotern zu gewährleisten. Roboter verfügen über großes Potenzial. Um das Leistungsvermögen der Robotik unbedenklich auszuschöpfen, sind jedoch Richtlinien erforderlich, welche positive Folgen gewährleisten und negative Auswirkungen ausschließen. Denn im besten Fall tragen Serviceroboter wie Care-O-bot dazu bei, die Autonomie pflegebedürftiger Menschen zu befördern und überdies Zeitfenster zu schaffen, in welchen sich Pflegekräfte auf die intensivierte Umsorgung pflegebedürftiger Menschen konzentrieren können. Bleibt dabei die Anzahl an gepflegten Personen stabil, ermöglicht der Roboter indirekt vertiefte Interaktionen zwischen Pflegefachkräften und Pflegebedürftigen. Werden jedoch mehr Menschen von derselben Anzahl Pflegepersonen betreut, trägt der Roboter zum Verlust zwischenmenschlicher Kontakte bei. Im schlechtesten Fall befördern Serviceroboter wie Care-O-bot so Isolation und Ausgrenzung einer Generation, deren soziales Umfeld sich durch den lebensendlich bedingten Verlust gleichaltriger Bezugspersonen bereits ohne Robotereinsätze markant verringert. Nicht nur Serviceroboter, auch Therapie- und Unterhaltungsroboter sind mit ethischen Herausforderungen konfrontiert. Wird der Roboter als Emotionsvermittler eingesetzt, kann er Zugang zu in sich gekehrten Menschen ermöglichen. Bleiben hochbetagte pflegebedürftige Menschen mit Robotern wie Paro oder Zora sich selbst überlassen, wird eine unethische Täuschung über die Natur des Geräts, dessen vermeintliche Gefühle oder bezüglich verdeckter Adressaten in Kauf genommen. Auch der Einsatz von Assistenzsystemen, die Menschen hochheben oder umlagern, kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Angemessen eingesetzt, kann es dank Assistenzrobotern gelingen, menschliche Autonomie und Mobilität zu befördern. Falsch eingesetzt besteht jedoch das Risiko, Menschen auf ihre körperliche Existenz zu reduzieren und Geisteszustände wie etwa Angst oder Unruhe außer Acht zu lassen.
Pflegeroboter sind nicht per se als ethisch legitim oder illegitim zu beurteilen. Erst der Einsatz der Geräte bestimmt über ihre ethische Legitimität. Dauer, Frequenz, Akzeptanz und Art des Einsatzes sind den individuellen Bedürfnissen von Pflegebedürftigen und Pflegefachkräften gegenüberzustellen. Nur auf diese Weise kann vermieden werden, dass der Einsatz von Robotik in der Pflege aufseiten der Patienten zu den genannten viel kritisierten Folgen führt. Letztendlich sind Roboter von Menschen für Menschen entwickelte Werkzeuge, welche unter Berücksichtigung von individuell auf Pflegebedürftige abgestimmten Leitlinien Lebensqualität und Wohl aller Beteiligten erhöhen können, aber auch müssen, um ethische Legitimation zu erfahren.
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Literatur
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Metadaten
Titel
Umsorgen, überwachen, unterhalten – sind Pflegeroboter ethisch vertretbar?
verfasst von
Jeanne Kreis
Copyright-Jahr
2018
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-22698-5_12