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15.07.2013 | Umwelt | Interview | Online-Artikel

Umweltzonen – nutzlos oder effektiv?

verfasst von: Günter Knackfuß

8 Min. Lesedauer

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Experteninterview mit Prof. Dr. Andreas Macke, Direktor des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig, zum Deutschen Klimakonsortium, zu Langzeitmessungen von Partikelkonzentrationen, der Sinnhaftigkeit von Umweltzonen, der Wirkung von anthropogenen Partikeln und der relativen Kühlwirkung durch Aerosole.

Springer für Professionals: Die EU hat 2013 zum Europäischen "Jahr der Luft" ausgerufen. Inwieweit ist das Deutsche Klimakonsortium dabei involviert?

Prof. Dr. Andreas Macke: Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), eines der Mitglieder des Deutschen Klimakonsortiums, hat beispielsweise am 14. Mai in Brüssel eine Veranstaltung organisiert, um darüber zu informieren, was Spitzenforschung zur Verbesserung der Luftqualität und für den Klimaschutz leisten kann. Unter diesen Motto waren wir auch auf der Brüsseler Green Week der Europäischen Kommission im Juni präsent. Denn gute Luft in Städten ist mit ausschlaggebend für die menschliche Lebensqualität. In Europa ist vor allem der Feinstaub (Aerosolpartikel) in den Blickpunkt gerückt, denn er verursacht volkswirtschaftlich spürbare Gesundheitsbeeinträchtigungen in der Bevölkerung. In vielen Städten, so auch in Leipzig, werden Feinstaubmesswerte (PM10) oberhalb der zulässigen Grenzwerte registriert. EU Umweltkommissar Potočnik hat unter anderem deshalb 2013 als "Jahr der Luft" ausgerufen.

Seit Jahren führt ihr Institut TROPOS Langzeitmessungen der Partikelkonzentration durch. Wie bewerten sie die aktuellen Analyseergebnisse?

In den letzten Jahren sind Erfolge bei der Bekämpfung von Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid (SO2), Kohlenmonoxid (CO) und Benzen (C6H6) erzielt worden. Trotzdem werden verschiedene Luftwerte in der EU immer noch großflächig überschritten. Dies betrifft vor allem dicht besiedelte Gebiete und damit Schadstoffe wie Feinstaub, bodennahes Ozon und Stickstoffdioxid. Steigende Industrie- und Energieproduktion, Verbrennung fossiler Brennstoffe und der dramatische Anstieg des Verkehrs tragen zur Luftverschmutzung in den Kommunen bei, was zu ernsten Gesundheitsproblemen führen kann. So hatte die Europäische Umweltagentur (EEA) im Frühjahr 2013 die Folgen der Luftverschmutzung auf insgesamt 100 Millionen Krankheitstage und 350.000 vorzeitige Todesfälle in Europa sowie 100 Milliarden Euro an Kosten pro Jahr geschätzt, die allein der Straßengüterverkehr durch Luftverschmutzung verursacht. Dies zeigt, dass sich in den letzten Jahrzehnten zwar viel getan hat, es aber immer noch viel zu tun gibt. Schließlich ist Luft unser wichtigstes Lebensmittel überhaupt. Und das gibt es im Gegensatz zu Wasser nicht abgepackt im Supermarkt zu kaufen!

Ein spezielles Projekt untersucht die in Leipzig eingerichtete UMWELTZONE. Wie gehen sie dabei vor?

Das Forschungsprojekt "Leipziger Umweltzone" benutzt Messtechnik, die in ihrer jetzigen Form von uns im eigenen Haus entwickelt wurde (Partikelgrößenspektrometer, sog. TDMPS- und SMPS-Instrumente). Die Herangehensweise, spezifische Bestandteile des Feinstaubes wie Ruß und ultrafeine Partikel in hoher Zeitauflösung zu untersuchen, ist unseres Wissens nach in diesem Umfang einzigartig. Seit 2010 kommt diese Technik an mehreren atmosphärischen Messstationen in Leipzig zum Einsatz. Die Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) hat viel zum Gelingen dieses Projektes beigetragen.

Der ADAC beurteilt die UMWELTZONEN als nutzlos. Welche Auswirkungen auf die Luftqualität konnten sie messtechnisch nachweisen?

Umweltzonen taugen etwas, sie können funktionieren, wenn sie richtig organisiert werden. In Leipzig konnte als Folge der Umweltzone eine Abnahme der Rußbelastung im Feinstaub an der Straße um ca. ein Drittel nachgewiesen werden. Und Ruß ist genau der Anteil am Feinstaub, der am gefährlichsten ist. Das Projekt weisst also den Nutzen der Umweltzone für die Bevölkerung nach, obwohl dies mit den offiziellen Feinstaubparametern PM10 (Gesamtmasse aller Partikel mit Durchmesser bis zu 10 mm) nicht gelingt. Das heißt, die Gesamtmasse, die mit dem Parameter PM10 gemessen wird, ist nur unwesentlich zurückgegangen. Es kommt aber eben nicht nur auf die Gesamtmasse, sondern vor allem auf den Inhalt an, der deutlich weniger gesundheitsgefährlich geworden ist, wie wir nun zeigen konnten. Dementsprechend schlagen wir der EU auch treffendere Kenngrößen zur Erfassung der Luftqualität vor, z.B. PM2.5. Die Bemühungen von Kommunen, durch eine Umweltzone eine beschleunigte Erneuerung der Fahrzeugflotte die Feinstaubemissionen des Straßenverkehrs zu reduzieren, waren also in Leipzig aus Gesundheitssicht erfolgreich. Unsere trägt nun hoffentlich dazu bei, mit neuen fachlichen Argumenten die überhitzte Diskussion zum Für und Wider der Umweltzonen zu versachlichen.

Im Zuge der globalen Klimaforschung untersucht TROPOS auch die Wirkung von anthropogenen Partikeln. Dabei sind sie zu neuen Erkenntnissen gekommen…

Die vom Menschen in die Atmosphäre emittierten Aerosolpartikel beeinflussen die Lebensqualität in Städten. Weltweit wird in den nächsten Jahrzehnten mit einer zunehmenden Gesundheits- und Klimawirkung der vom Mensch veränderten Troposphäre gerechnet, weil Bevölkerung und Industrie auf absehbare Zeit weiter wachsen werden. Anthropogene Partikel beeinflussen auch die von Menschen verursachten Klimaänderung durch die Reduktion der solaren Einstrahlung (direkter Aerosoleffekt) und durch die Veränderung der Größe und Anzahl von Wolkentropfen (indirekter Aerosoleffekt). Diese Aerosoleffekte sind regional sehr verschieden und global von gleicher Bedeutung für das Klimasystem wie die Zunahme der anthropogenen Treibhausgase. Dennoch ist die Wolkenbildung immer noch die größte Unbekannte in allen Klimamodellen, da viele Prozesse noch nicht ausreichend verstanden worden sind. Auf unserer Ergebnisse warten daher auch die Klimamodellierer, um sie in ihre Modelle einbauen und dadurch zuverlässiger machen zu können.

Ein sensationeller Faktor ist die relative Kühlwirkung durch Aerosole. Kann dies den globalen Temperaturanstieg stoppen?

Mit solchen Hypothesen wäre ich vorsichtig. Die Verbrennung von Brennstoffen ist eine der wichtigsten Quellen für Aerosole – also für Feinstaub. Trotzdem ist noch relativ wenig in Bezug auf deren Klimawirkung bekannt. Langzeitmessungen des TROPOS zufolge sind die Partikel und deren Vorläufergase starken physikalischen und chemischen Wandlungsprozessen ausgesetzt, die mit  hochauflösenden Sensoren untersucht werden müssen, um die daran beteiligten Prozesse verstehen zu können. Zusammen mit Messungen können Computermodelle Emission, Transport und Umwandlung von Luftschadstoffen simulieren, um solche Prozesse zu verstehen und abzuschätzen. Die Idee, wir müssten nur mehr fossile Brennstoffe verbrennen, dann würden die Aerosole das Klima kühlen, kann aus meiner Sicht nicht funktionieren. Selbst wenn diese Aerosole tatsächlich alle zu kühlenden Wolken würden, was mehr als ungewiss ist, dann würde dieser kühlende Effekt nur etwa die Hälfte des wärmenden Effekts durch die Treibhausgase ausmachen. Gesundheitsschutz und Klimaschutz sind also kein Widerspruch und können zusammen angegangen werden, indem die Emissionen reduziert werden.  

Große Unterschiede auf Wolken- und Eisbildung haben sie zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre nachgewiesen. Wie hängt das zusammen?

In Mitteleuropa bilden bereits rund 70 Prozent der Wolken bei Temperaturen um -18 Grad Celsius Eis. Im Süden Chiles und in Südafrika sind es hingegen nur 20 bzw. 35 Prozent. Dies konnten unsere Wissenschaftler bei Fahrten mit dem Forschungsschiff Polarstern feststellen. Ursache für diesen Kontrast ist höchstwahrscheinlich die größere Anzahl und Vielfalt an Aerosolpartikeln, sogenannten Eiskeimen, auf der Nordhalbkugel, die Voraussetzung sind, dass sich Eis in Wassertropfen zwischen -40 und 0 Grad Celsius bilden kann. Die Partikel bestehen hauptsächlich aus Mineralstaub, Ruß und feiner Asche, deren Quellen die zahlreichen Wüsten und Waldbrände sind, aber auch die stärkere Luftverschmutzung durch den Menschen kann eine mögliche Ursache sein. Im Grunde genommen muss man sagen, dass die Menschheit durch die Luftverschmutzung seit dem Beginn der Industrialisierung bereits Geoengineering betreibt und die Atmosphäre bereits deutlich verändert hat, wie wir an den Unterschieden zwischen Nord- und Südhemisphäre sehen.

Die globalen Messwerte erhalten sie von Satelliten, Flugzeugen, Zeppelinen und Ballons. Wie ist dieses Netzwerk aufgebaut?

Sehr international. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Europäischen Forschungsinfrastrukturen, da sie Möglichkeiten bieten, die auf nationaler Ebene nicht realisiert werden könnten. Dazu brauchen wir langfristig angelegte Forschungsstrategien. Infrastrukturen wie “In Service Aircraft for a Global Observing System” (IAGOS), “Aerosol, Clouds, and Trace Gases Research Infrastructure” (ACTRIS) und “Integration of European Simulation Chambers for Investigating Atmospheric Processes“ (EUROCHAMP) sind wichtige Bestandteile dieser Prozesse. IAGOS-ERI ist eines der Europäischen Forschungsinfrastrukturen (ERI) auf der ESFRI-Roadmap der EU. IAGOS-ERI wird die Technik zur Langzeitbeobachtung der Zusammensetzung der Atmosphäre auf globaler Skala aufbauen durch eine Flotte von 10 bis 20 Interkontinentalflugzeugen, die im Linienbetrieb von internationalen Airlines fliegen. ACTRIS ist ein EU-Projekt, das zum Ziel hat, Bodenstationen mit Instrumenten zur Untersuchung von Aerosolen, Wolken und kurzlebigen Gasen zu integrieren. Es wird daher wichtig für Forschung und Politikberatung im Bereich von Klimawandel, Luftqualität und Ferntransport von Schadstoffen werden. Nicht vergessen werden sollten aber auch die Labore, die unter EUROCHAMP-2 in Netzwerk von Umweltkammern bilden zur Untersuchung atmosphärischer Prozesse. Solche Laborexperimente sind wichtig, um atmosphärische Prozesse unter vollständig kontrollierbaren Umgebungsbedingungen untersuchen zu können.

Welche Maßnahmen sollten vordringlich für die Verbesserung von Gesundheitsschutz und Luftqualität ergriffen werden?

Aus Sicht der Wissenschaft bietet die Überarbeitung der EU-Luft-Rahmenrichtlinie gute Chancen, bessere Standards zu etablieren, um die Luftqualität und damit den Gesundheitsschutz zu verbessern. Das TROPOS unterstützt die Vorschläge für eine Überarbeitung der Richtlinie, die einen Wert von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter für Ultrafeinstaubpartikel der Größenklasse unter 2.5 Mikrometer (PM2.5) ab 2013 vorsehen. Dieser Wert könnte ab 2020 der verbindliche Grenzwert werden. Das ist realistisch und sollte deshalb das Ziel sein. Voraussetzung dafür wäre eine konsequente Reduzierung von Kohlenstoffpartikeln aus Verbrennungsquellen. Ein Richtwert für Schwarzen Kohlenstoff (BC) und elementaren Kohlenstoff (EC), die deutliche Indikatoren für Luftverschmutzung und auch Bestandteil von Ruß sind, wäre aus unserer Sicht ebenfalls sinnvoll. Langfristig führt an der Ablösung der fossilen Brennstoffe einfach kein Weg vorbei.

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Physik unserer Umwelt: Die Atmosphäre