Springer Professional sprach mit Anja Siegesmund, Thüringens Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz, über die besondere Verantwortung für das Grüne Band Deutschland.
Springer Professional: Wie muss ein Nationales Naturmonument definiert werden?
Anja Siegesmund: Die Schutzgebietskategorie "Nationale Naturmonumente" wurde im Jahr 2009 in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen. Nationale Naturmonumente sind rechtsverbindlich festgesetzte Gebiete, die zum einen aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen, kulturhistorischen oder landeskundlichen Gründen und zum anderen wegen ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit von herausragender Bedeutung sind. Hier am Grünen Band kann aus 763 Kilometern ehemaliger Todesstreifen eine grüne Brücke werden. Nationale Naturmonumente sind wie Naturschutzgebiete zu schützen, das ist ein hoher Maßstab. Naturschutz und Aufarbeitung – das umfasst ein Nationales Naturmonument am Grünen Band.
Warum soll das Grüne Band Thüringen diesen besonderen Schutzstatus erhalten?
Das Grüne Band Thüringen verkörpert einen herausragenden und repräsentativen Abschnitt der europäischen Geschichte und ist zugleich ein wichtiger Pfeiler des internationalen Biotopverbundsystems Green Belt. Thüringen hat den größten Anteil am Grünen Band. Thüringen trägt deshalb auch eine große Verantwortung, um das Grüne Band als Mahnmal und Lebensraum zu erhalten. Das Grüne Band ist ein einzigartiges ökologisches Denkmal der deutschen Teilung und Wiedervereinigung. Sein besonderer Wert liegt in der einmaligen Verbindung von vielfältigen Biotopstrukturen mit Resten der historischen Grenzbefestigungsanlagen. Es ist eine Zukunftsaufgabe, dieses Naturmonument für die Erinnerungskultur und die biologische Vielfalt zu sichern.
Welche seltenen Arten von Flora und Fauna existieren in den Schutzgebieten?
Über die Jahrzehnte des Eisernen Vorhangs hat sich eine Perlenkette mit wertvollen und geschützten Biotopen und Lebensstätten geschützter Tierarten entwickelt. Zu den besonders geschützten und oftmals bundesweit gefährdeten Arten am Grünen Band zählen der Fischotter, der Schwarzstorch, das Blaukehlchen und der Neuntöter. Neben vielen weiteren Arten gibt es auch die Grüne Keiljungfer, das Bachneunauge, den Heckenwollafter, den Dunklen und den Hellen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, den Keulen-Bärlapp und die Gelbbauchunke. Diese Artenvielfalt erklärt sich durch die Vielfalt an Lebensräumen. Das künftige Nationale Naturmonument umfasst Biotoptypen des Offenlandes, sie werden nicht oder extensiv genutzt. Es gibt also Halbtrockenrasen- und Trockenrasen, Feucht- und Bergwiesen oder Zwergstrauchheiden und Felsfluren. Zu finden sind aber auch Moore und naturnahe Gewässer wie Flüsse, Bäche, Seen und Verlandungszonen, Pionierwälder und Wälder wie Weich- und Hartholzauwald oder wärmeliebende Eichenwälder. Im Gegensatz zu den oftmals ausgeräumten Landschaften in der unmittelbaren Nachbarschaft ist das Grüne Band wichtiger Rückzugsraum und Ausbreitungszentrum für Arten der Roten Liste. Man kann mit Fug und Recht von einem "Naturerlebnis Grünes Band" sprechen.
Wie soll die Historie der ehemaligen innerdeutschen Grenze eingebunden werden?
Das Grüne Band ist entstanden im Schatten der innerdeutschen Grenze und auch heute noch von dieser geprägt. An vielen Stellen sieht man Relikte der Sperranlagen, Warnschilder, Zaunreste, Grenztürme. Aber auch Grenzlandmuseen und Gedenkstätten erinnern eindringlich an die Geschichte. Geht man den Kolonnenweg entlang, so folgt man den Wegen der Grenzsoldaten, die hier früher zu Fuß oder mit schwerem Gefährt patrouillierten. Es ist eine Erinnerungslandschaft, die auch als solche erhalten werden soll. Neben die naturschutzfachliche Schutzwürdigkeit tritt die landeskundliche und wissenschaftlich-historische Bedeutung. Deshalb ist es nur folgerichtig, das Grüne Band zu einem Nationalen Naturmonument zu machen.
Inwieweit wird eine landwirtschaftliche Nutzung am Grünen Band möglich sein?
Land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung bleiben entsprechend der naturschutzfachlichen Zielsetzungen weiter zulässig. Einige der zu schützenden Landschaften am Grünen Band Thüringen können nur durch eine extensive Nutzung erhalten bleiben. Die Zielstellung "Schutz durch Nutzung" bekommt hier einen besonderen Stellenwert. Auf zahlreichen Flächen am Grünen Band Thüringen haben Flächeneigentümer, Landnutzer, die Stiftung Naturschutz Thüringen, der BUND und andere Akteure die passende Bewirtschaftungsform bereits gefunden. Dadurch können die Lebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten und die besondere Eigenart des Gebietes erhalten werden. Dieser kooperative Ansatz soll weitergeführt und ausgeweitet werden.
Welcher Zeitplan besteht bis zur offiziellen Ausweisung des Nationalen Naturmonuments?
Das Nationale Naturmonument kann nur im Dialog wachsen. Wir haben Gespräche mit Spitzenverbänden und Naturschutzvereinigungen geführt. Auch mit den Landräten habe ich das Gespräch gesucht. In drei Modellregionen beginnen in Kürze die Erörterungsgespräche, um das Vorhaben zur Diskussion zu stellen und die Meinung der Landnutzer, der Kommunen und von anderen Betroffenen zu erfragen. Geplant ist, Ende des Jahres 2016 die formelle Ressortabstimmung zum Gesetzentwurf einzuleiten. Spätestens Ende 2018 soll das Gesetz zur Ausweisung des Grünen Bandes Thüringen als Nationales Naturmonument verabschiedet sein.