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27.05.2016 | Unternehmen + Institutionen | Schwerpunkt | Online-Artikel

Keine Kopie des Silicon Valleys

verfasst von: Markus Schöttle

5:30 Min. Lesedauer

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Mit Kooperationen und Zukäufen muss sich die Automobilindustrie für ihre digitale Zukunft fit machen. In der israelischen Start-up-Szene werden sie fündig.

Auf einer zweitägigen Rundreise und dem Besuch von Start-up-Unternehmen rundum Tel Aviv und Jerusalem sowie dem abschließenden 4. EcoMotion-Kongress in der vergangenen Woche bewarb das israelische Export-Ministerium mit Universitätsvertretern und der Rückdeckung vieler erfolgreicher Investoren den Standort Technologiestandort Israel. Im Kreise von acht Journalisten und Analysten aus sechs Ländern präsentierten sich bereits erfolgreich auf dem Markt agierende Unternehmen sowie potenzielle Player, in die seit Jahren mit dreistelligen Millionenbeträgen investiert wird.

Silicon Valley und Silicon Wadi

Israel steht im Schatten des Silicon Valley. Die Region an der US-Westküste strahlt, sie ist längst zur Marke mit Symbolcharakter für den Aufbruch in eine neue automobile Welt geworden, wie auch im Editorial Vorbild Silicon Valley der ATZelektronik 2-2016 beschrieben. Ingenieure und Entscheider sind regelrecht emotionalisiert, unter anderem von der Art und Weise wie an Innovationen gearbeitet wird - unkonventionell, schnell und mutig. Mittlerweile eröffnen auch kleine und mittelständische Unternehmen Büros und Entwicklungsabteilungen in Kalifornien, um sich im Eco- und Ökosystem Silicon Valley in der Nähe ihrer Kunden und potenziellen Kunden zu positionieren. In der US-Region werden neue Geschäftsmodelle geschmiedet, in Israel hingegen sind Innovationen eher technologiegetrieben, so könnte man einen ersten groben Vergleich herstellen.

Die Unterschiede zwischen dem Silicon Valley und Israel, auch als Silicon Wadi bezeichnet, sind allerdings vielschichtiger. Das veranlasst die deutsche Autoindustrie, den Fokus vermehrt auf das krisengeschüttelte Land zu richten, das derzeit stärker als in den Jahren zuvor am neuen Image arbeitet und die nun von der Autoindustrie dringend benötigten Digitalisierungs-Kompetenzen bereithält. So kommen die Motivationen, mehr und nachhaltiger zusammenzuarbeiten, von beiden Seiten. "The perfect match", so resümiert Uri Pachter das Grundverständnis, mit dem israelische Start-ups in die Autoszene eingeführt werden. Der Director, International Projects, Target Countries & Automotive im Israel Export Institute fördert unter anderem die Ansiedlung israelischer Unternehmen in Deutschland. 

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01.04.2016 | Editorial

Vorbild Silicon Valley


Die Israel-DNA

Israel selbst kann als ein Start-up betrachtet werden. Der Staat ist vergleichsweise jung und muss immer wieder um seine Existenz kämpfen. Wer es gewohnt ist, sich auf eine solche Art durchzukämpfen und dies von seinem Staat kennt, geht auch Unternehmen in dieser Weise an. Das prägt die Israel-DNA, genauso wie man aus der Not eine Tugend macht. Die existenzbedrohende Wasserknappheit führte dazu, dass Israel weltweit über innovativste Wasseraufbereitungstechnik verfügt. Derzeit werden rund 75 Prozent des gebrauchten Wassers aufgearbeitet, gefolgt von Spanien mit 20 Prozent. Mit diesem Selbstverständnis werden auch andere Hightech-Entwicklungen mit mehr Nachdruck als in anderen Regionen der Welt vorangetrieben.

Übertragen auf die Positionierung Israels in der Autoindustrie: In dem Land werden keine Automobile gebaut, Fahrzeugtechnik wird exportiert, vielmehr Forschungs- und Entwicklungs-Know-how, das auf dem Nährboden einer gewissen Freidenkerkultur entstanden ist. Nach Angaben des israelischen Außenhandelskammer investiert Israel 4,3 Prozent seines Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung. In Deutschland sind es nach aktuellen Recherchen rund 2,6 Prozent. Das Militär ließ Israel zu einer Technologieschmiede werden, aus der sich zahlreiche Defense-Spin-offs formten. Das Know-how im Themenfeld Softwareengineering, Safety und Security sowie Grafiksysteme und Bildverarbeitung allen voran. Israel allein auf die militärischen Motivationen zu reduzieren, wäre zu kurz gedacht. 

Staatliche Anreize und Venture Capital

Israel hat weder Rohstoffe noch viel Industrie, aber mehr als 3500 Start-ups. Das Venture Capital des ehemaligen Kommandeurs Uri Adoni ist zweieinhalbmal so hoch wie in den Vereinigten Staaten - gemessen an der Bevölkerungszahl. Auch Europa und China schlägt das israelische Techniklabor um Längen. Junge Israelis gründen Firmen, während Ingenieure in Deutschland das "sichere" Arbeiten in Großkonzernen bevorzugen. In Israel setzt der Staat starke Anreize zur Unterstützung von Startups. Nicht allein das Geld zählt, sondern flache Hierarchien und Entscheidungsebenen zwischen Regierungsvertretern, der Industrie und der Wissenschaft. 24 sogenannte Inkubatoren entstanden (davon 22 technologische). Diese unterstützen Unternehmen im Ideenstatus und erarbeiten in pragmaische und effektiven Beratungsrunden Geschäftsmodelle und Finanzierbarkeit. Anhand dieser und weiterer Maßnahmen unterstützt der israelische Staat intensiv bei der Gründung von Technologieunternehmen.

Erfolgsgeschichten

Das staatliche Engagement mündet in Erfolgsgeschichten und dem Kauf von Start-ups durch Automobilzulieferer wie Harman. Das Unternehmen hat sich praktisch neu erfunden beziehungsweise durch den Zukauf von Security-Experten Towersec (75 Millionen Dollar-Invest) und Redbend, einem Unternehmen das Diagnosedaten "Over-the-air" verarbeitet, entscheidendes Know-how für künftige Fahrerassistenzsysteme erworben. In diesem Themenfeld hat sich auch Mobileye eine starke Marktposition erarbeitet, die eine noch größere Zukunft verspricht. Vor wenigen Jahren wurde das ehemalige Start-up in OEM-Kreisen noch belächelt. Mobile Kamerasysteme zum Nachrüsten, jenseits von automobilen Spezifikationen. Mit Investitionen in Consumer-Elektronik für das Automobil in der Erstausrüstung erobert sich das israelische Unternehmen mehr Respekt. Ein Insider berichtet von einer zur Diskussion stehenden Kaufsumme in Höhe von 1,7 Millionen, die ein deutscher Automobilhersteller noch vor 18 Monaten als zu hoch empfand und ablehnte. Heute dürfe Mobileye 100 Mal mehr kosten.

Weitere Erfolgsgeschichten und Ideen potenzieller Hoffnungsträger aus Israel lesen Sie in der Augustausgabe der ATZelektronik sowie in kommenden Veröffentlichungen auf Springer Professional. Dabei handelt es sich um die Berichterstattung über Unternehmen, die exakt die Technologien, Lösungen und Funktionen entwickeln, die traditionelle Autohersteller dringend für die Realisierung ihrer hochautomatisierten Fahrassistenzsysteme der Zukunft benötigen: Super-Computing, neue Methoden des Software Engineerings, lernende Systeme, Big-Data-Analyse und eine komplett neue Backend-Infrastruktur, um nur einige Themenschwerpunkte zu nennen. Elmar Frickenstein, BMW-Bereichsleiter für vollautomatisiertes Fahren und Fahrerassistenz, erläutert im Interview der Juniausgabe der ATZelektronik, dass diese Schlüsseltechnologien erst noch erarbeitet werden müssten, um Realisierungszeiträume für automatisierte Fahren überhaupt verlässlich nennen zu können.

Selbstverständnis

"Firgun" ist ein israelischer Begriff, der das Teilen und "das Beitragen zum Glück und Erfolg" anderer beinhaltet - aus Großzügigkeit heraus. Diese Charaktereigenschaft ist unter israelischen Start-ups verbreitet und hat sogar zu einer Firgun-Bewegung geführt. Eine ähnliche Offenheit ist auch im Silicon Valley zu spüren. Ein Spirit, den die beiden Technologie-Hotspots uneingeschränkt verbindet, ist der Mut, Risiken einzugehen und auch mal zu scheitern. Scheitern gilt als eine Bereicherung und Wissensgewinn auf dem Weg zum Erfolg, weshalb Investoren dies sogar in der Vita ihrer Gründer bevorzugen.

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