Politische Verantwortung ist für Unternehmen ein Business Case, betont Public-Affairs-Experte Johannes Bohnen im Interview. Werden Politik und Wirtschaft zusammen gedacht, profitieren Markenreputation, Rechtsstaat und Demokratie, so der Springer-Autor.
Johannes Bohnen ist Gründer und Geschäftsführer der Berliner Beratungsfirma Bohnen Public Affairs. Zuvor war er unter anderem Redenschreiber eines Bundesministers und Co-Geschäftsführer von Scholz & Friends Berlin.
Johannes Bohnen/Stefan Maria Rother
Springer Professional: Sie vertreten die Auffassung, politisch nachhaltige Unternehmensführung ist ein Business Case. Warum?
Johannes Bohnen: Richtig, ich nenne den methodischen Ansatz und die dafür notwendige Haltung Corporate Political Responsibility (CPR). Hintergrund ist, dass politische Systeme durch die vom transnationalen Wirtschaftssystem ausgehenden Technologieschübe unter Druck stehen; aber auch durch Populismus, Flüchtlingskrisen oder Pandemien. Unternehmen sind von funktionierenden staatlichen Strukturen abhängig – Planungssicherheit durch Rechtssicherheit, Bildung für Humankapital, Gesundheit als Kernvoraussetzung für jegliches Arbeiten, oder demokratische Toleranz für eine vielfältige Belegschaft.
Gleichzeitig steigt die Erwartungshaltung aufgeklärter Konsumenten an die gesellschaftspolitische Verantwortung von Unternehmen, wie die Edelmann-Studie dieses Jahres deutlich macht. Gesellschaftspolitische Investitionen sollten künftig die üblichen betriebswirtschaftlichen Investitionen – etwa in Personal, Forschung und Entwicklung – ergänzen. Der Business Case liegt in der Stärkung des gesellschaftlichen und politischen Nährbodens des Wirtschaftens, also letztlich dem demokratischen Rechtsstaat.
Wie entwickeln Unternehmen eine politische Haltung, die nicht nur gesellschaftliche relevant ist, sondern sich auch rechnet?
CPR kann Steuerzahlungen niemals ersetzen, sondern nur ergänzen. Sonst würden Unternehmen den Staat schwächen und so am eigenen Ast sägen. Der Primat des Politischen muss von Unternehmen unbedingt akzeptiert werden. Wenn Unternehmen ihre Ressourcen zur Stärkung des Staates einbringen, kann dieser sich besser seinen Kernaufgaben widmen. Und Beiträge zur staatlichen Infrastruktur folgen einem unternehmerischen Kalkül.
Wer durch konsequente Stärkung des öffentlichen Raumes eine hohe Markenreputation erworben hat, baut Kapital auf, das im Falle von Missverhalten zum Beispiel einen Aktienkurssturz abfedern und die Kehrtwende einleiten hilft. Unternehmen wollen in der Regel nicht mit parteipolitischen Agenden in Verbindung gebracht werden. Neutralität ist aber keine Option. Unternehmen sind bereits politische Akteure. So beeinflussen sie massiv den Gesetzgebungsprozess. Es geht darum, die politische Rolle explizit zu machen und zu professionalisieren.
Wie geht es nach der Positionsbestimmung weiter? Wie müssen Unternehmen in Sachen Corporate Political Responsibility (CPR) tätig werden?
Die neue Positionierung ermöglicht vor allem zielgerichtete Aktivitäten und Kommunikationsmaßnahmen der politischen Markenführung. Die Operationalisierung der CPR-Haltung nenne ich Political Branding. Als gesellschaftliche und politische Akteure haben Unternehmen auch eine politische Markendimension. Die betriebswirtschaftlichen Begriffe der Markenbildung und Markenführung sind der Geschäftswelt sicher bekannt. Um die gesellschaftspolitische Dimension einer Marke auf den Punkt zu bringen, bietet es sich deshalb an, von politischer Markenbildung und politischer Markenführung zu sprechen.
Wirtschaft und Politik sind nicht unbedingt ein Traumpaar. Wie können beide Seiten im CPR-Kontext voneinander profitieren?
Wirtschaft und Politik müssen zusammengedacht werden. Der politischen Markenentwicklung muss eine gesellschaftspolitische Haltung zugrunde liegen, damit die politische Marke glaubwürdig gelebt werden kann. Diese entsteht aus der Überzeugung, dass die offene, demokratische Gesellschaft die beste Grundlage für Innovation, Handel, unternehmerische Wertschöpfung und Wohlstand ist. Ihr Herzstück ist eine lebendige Debattenkultur, die für Fortschritt und Zukunftsfähigkeit unerlässlich ist. Diese Annahmen würden sicher die allermeisten Wirtschaftsvertreter so unterschreiben.
Doch warum investieren sie dann nicht in die Verbesserung der politischen und gesellschaftlichen Grundlagen?
Wahrscheinlich, weil die politischen Rahmenbedingungen bislang einigermaßen zufriedenstellend von der Politik gesetzt wurden. Ansonsten hat man sich darauf verständigt, ausgesprochen oder unausgesprochen, dass die beiden Sphären von Politik und Wirtschaft sich nicht zu sehr ins Gehege kommen. Dafür gibt es zwar gute Gründe der Arbeits- und Kompetenzteilung, aber es offenbart doch auch ein fragwürdiges Politikverständnis. Denn ein leistungsfähiges Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist auf die engagierte Mithilfe von Unternehmen angewiesen, die erkennen, dass sie einen wertvollen vor-ökonomischen Beitrag zu ihrem Erfolg leisten können. Unternehmen sollten daher ihre politische Marke systematisch entwickeln – im aufgeklärten Eigeninteresse. Denn mit ihr befreien sie sich aus der gesellschaftlichen Defensive.
Die Corona-Krise ist ein Härtetest für Wirtschaft und Politik. Wie können Unternehmen jetzt rund um CPR aktiv werden?
Corona und die öffentliche Gesundheit machen deutlich, dass Wirtschaften von funktionierenden Kollektivgütern abhängig ist. Ich habe in meinem Buch vier konkrete CPR-Handlungsfelder definiert, in denen sich für Unternehmen zielgerichtete Aktivitäten und Kommunikationsmaßnahmen empfehlen: Responsible Lobbying, also Transparenz und Ausrichtung am Gemeinwohl; Positionierung über Themen und Dialoge wie etwa öffentliche gesellschaftspolitische Positionierungen von CEOs; Projekte der politischen Partizipation, zum Beispiel politische Weiterbildung oder Kooperationen mit NGOs; und die Stärkung von Gemeingütern wie Kitas, Sportplätze, Bibliotheken, Wohnungsbau und Straßen. Dabei sollten bestehende und perspektivische gesellschaftspolitische Stärken des Unternehmens betont werden.