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02.06.2020 | Unternehmenskultur | Schwerpunkt | Online-Artikel

Krisenfest und innovativ durch Mitbestimmung

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

6 Min. Lesedauer

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Immer mehr deutsche Unternehmen setzen auf Mitbestimmung und Diversifizierung. Wie sich das auszahlt und warum kostenfixierte Unternehmen das Nachsehen haben, rechnet eine aktuelle Studie vor.

Die Corona-Krise hat die Prioritäten im Alltagsgeschäft von Unternehmen auf den Kopf gestellt. Lautete die Aufforderung vor kurzem noch, Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien fit zu machen für eine hochkomplexe digitalisierte Zukunft, in der junge Talente knapp werden, und die Herausforderungen durch Klimaextreme und globale Risikenzu meistern, dreht sich nun alles um die wirtschaftliche Bewältigung der aktuellen Situation und den zu erwartenden postpandemischen Auswirkungen. 

Umso wichtiger ist es, dass wettbewerbsstrategische Überlegungen nicht aus dem Fokus rücken, schnell geprüft wird, wie sich Geschäftsmodelle verändern müssen und mit Arbeitsbedingungen und Perspektiven für Beschäftigte in Einklang bringen lassen. Warum solche Überlegungen gerade in Krisenzeiten on top auf Tagesordnungen gehören, das macht die Studie zur Entwicklung der Wettbewerbsstrategien in deutschen börsennotierten Unternehmen deutlich, die von der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt wurde.

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Krisen fördern im Nachgang die strategische Ausrichtung

Für den Report untersuchten die Forscher Daten von 172 im deutschen C-Dax gelisteten Unternehmen aus den Jahren 2006 bis 2017, deren strategische Ausrichtung sich über den gesamten Zeitraum hinweg identifizieren lies. Insgesamt wurden 2067 Unternehmensjahre analysiert und auf Basis der Wettbewerbsmatrix von Michal E. Porter (1983) kategorisiert. Porters Konzept systematisiert drei generische Strategien mit denen Unternehmen gegen den Wettbewerb bestehen können nach Ziel und Vorteil. Dies sind:

  • Strategie der Kostenführerschaft
  • Strategie der Differenzierung 
  • Strategie des Nischenanbieters / Konzentration auf Schwerpunkte

Eine der forschungsleitenden Fragen beschäftigte sich mit dem Zusammenhang von Mitbestimmung, Unternehmensstrategie und Unternehmensperformanz. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Studie "Starke Mitbestimmung - Stabile Unternehmen" belegt, dass mitbestimmte Firmen in Krisenzeiten stabiler sind und nach einer Wirtschaftskrise schneller in den Wachstumsmodus umschalten können. So war während der Finanz- und Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2008 die Umsatzrentabilität von Unternehmen ohne Mitbestimmung um 3,1 Prozent gesunken. In paritätisch mitbestimmten Unternehmen dagegen um 2,7 Prozent gestiegen. Ein Trend der sich nach der Krise um weitere 1,4 Prozent fortsetzen sollte. 

Die aktuelle Erhebung fokussiert sich auf die Strategien Kostenführerschaft und Differenzierung sowie eine Mischung aus beidem. Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes im Jahr 2006 verfolgten noch 36,1 Prozent der analysierten Unternehmen keine dominante Strategie. Kostenführer- und Mischstrategien wurden von jeweils von 23,8 Prozent verfolgt und die Differenzierungsstrategie von nur 16,3 Prozent. Im Zuge der Finanzkrise von 2008 erhöhte sich zwar der Anteil der Unternehmen ohne dominante Strategie auf 45,4 Prozent im Jahr 2010, in den darauffolgenden sieben Jahren entschieden sich aber immer mehr Unternehmen dazu, auf eine Differenzierungsstrategie oder Mischstrategie zu setzen. Gleichzeitig verlor die Kostenführerschaft an Bedeutung. Für das Jahr 2017, dem Ende des Untersuchungszeitraumes, wurden folgende strategische Ausrichtungen identifiziert: 

  • 33,1 Prozent Mischstrategie, 
  • 26,2 Prozent Differenzierer, 
  • 25,6 Prozent ohne Strategie und 
  • 15,1 Prozent Kostenführerstrategie. 

Arbeitnehmer wollen Diversifizierung

Mitbestimmung  sei ein Garant für Standort- und Beschäftigungssicherheit und ein Faktor für wirtschaftliche Stabilität und Prosperität, fassen die Forscher ihre Ergebnisse zusammen. Am Beispiel der Unternehmen mit Differenzierungsstrategie lässt sich das untermauern. Unternehmen, bei denen die Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten stark verankert ist, entscheiden sich mehr als doppelt so häufig für die Differenzierungsstrategie als Unternehmen ohne Mitbestimmung (25 zu 12 Prozent). 

Umgekehrt findet sich bei Unternehmen mit Fokus auf Kostenführerschaft nur eine zehn-prozentige Wahrscheinlich auf betriebliche Mitbestimmung. Unternehmen, die die Differenzierungsstrategie verfolgen, setzen sich durch Forschungsleistung und Innovation vom Wettbewerb ab. Damit haben sie auch bei der betriebswirtschaftlichen Betrachtung die Nase vorn: Gemessen am EBIT, ROA und Cashflow pro Aktie weisen sie eine signifikant höhere Performanz auf, als schwach bis gar nicht mitbestimmte Unternehmen.

Das Ringen um adäquate Unternehmensstrategien ist mit Mitbestimmung wirtschaftlich erfolgversprechend. Daher gehören Diskussionen über strategische Themen, die Antworten auf die großen Herausforderungen der heutigen Zeit geben sollen, in den mitbestimmten Aufsichtsrat." (Mitbestimmungsreport Nr. 57, 4/2020)

Es scheint sich zu beweisen, dass es für Unternehmen wirtschaftlich gefährlich wird, an einmal formulierten Strategien festzuhalten. Damit entledigen sie sich jeder Flexibilität, die ein schnelles reagieren auf Krisen und Umbrüche ermöglicht. Schließlich geht es um eine permanente Evaluation des eigenen Leistungsspektrums und seiner wettbewerbskritischen Vorteile sowie das Identifizieren von Schwächen. "Die strategische Agilität hilft, mit unsicheren und komplexen Marktentwicklungen souverän umzugehen", schreibt Springer-Autor  Klaus-Michael Ahrend über die Entwicklung von Strategie- und Geschäftsprozessen. Gerade deshalb sei die Diskussion um die passende Unternehmensstrategie auf Diversität und Mitbestimmung bottom-up angewiesen. Strategieentwicklung bezeichnet er als einen Prozess der nicht-linear (rekursiv) verläuft (Seite  314):

  • Einerseits werden top-down die sich zeigenden Lücken aus der Analyse des Marktes, der Wettbewerber, der Technologieentwicklung und der bestehenden Ressourcenausstattung zu neuen strategischen Zielen und Maßnahmen verdichtet. Diese werden dann weiter detailliert.
  • Andererseits werden in entgegengesetzter Richtung bottom-up auf Ebene der operativ handelnden Akteure über die Führungskräfte der Beteiligung die sich zeigenden Handlungsmöglichkeiten identifiziert, um daraus mögliche Maßnahmen und Ziele abzuleiten.
  • In die Formulierung und Umsetzung sind nicht nur zahlreiche Beschäftigte eingebunden, sondern auch externe Partner, wie Berater, Lieferanten oder Kunden. 

Die "deutsche Spezialität" betriebliche Mitbestimmung

Die Mitbestimmung in Unternehmen und Betrieb ist kein rechtsfreier Raum. Die Intensität der Partizipation richtet sich in Deutschland nach der Organisationsform. Am intensivsten ist die Arbeitgeberbeteiligung in Montanunternehmen (Bergbau), am schwächsten in kleineren Kapitalgesellschaften. Diese Unterschiede sind historisch gewachsen. Springer-Autor Walther Müller-Jantsch bezeichnet die betriebliche Mitbestimmung als eine "deutsche Spezialität mit einer langen Geschichte. Von der politischen Partizipation, verstanden als Teilhabe von Bürgern an politischen Prozessen, grenzt er den Begriff der betrieblichen Partizipation oder Mitbestimmung scharf ab. In der Wirtschaft spielt sich Partizipation beziehungsweise Mitbestimmung in drei Bereichen ab (Seite 2):

  1. Arbeitsmarkt: Für dessen Ordnung ist die Tarifautonomie zuständig, in deren Rahmen Gewerkschaften und Arbeitgeber oder deren Verbände paritätische Vereinbarungen treffen.
  2. Unternehmen: Mitbestimmung im Unternehmen wird von gewählten Vertretern der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften ausgeübt.
  3. Betrieb: Für die Mitbestimmung ist ein von der Belegschaft gewählter Betriebsrat zuständig. Freiwillige Partizipationsmodelle und Human Ressource Management können Mitarbeitern Möglichkeiten zur Mitsprache einräumen.

Gute Führung erkennt die Vorteile von Mitbestimmung

Die oben genannte Studie hat Zahlen für die positiven Effekte der betrieblichen Mitbestimmung im Unternehmen geliefert. Dass die "deutsche Mitbestimmung" auch weiterhin ihre Berechtigung hat und auch international keinen "Standortnachteil" darstellt, erläutert Springer-Autor Ulrich Goldschmidt in "Mitbestimmung als Teil der Unternehmenskultur und des unternehmerischen Erfolgs" (Seite 259): "Bei einem partnerschaftlichen Umgang miteinander und einer Mitbestimmung als selbstverständlichem Teil der Unternehmenskultur wird diese Arbeit zu einem Standortvorteil". Diese Vorteile sind:

  • Betriebsrat und Sprecherausschuss fungieren als Co-Management des Arbeitgebers
  • Verbesserung von Entscheidungsprozessen
  • Verbesserte Kommunikation, mehr Akzeptanz bei Veränderungsprozessen
  • Arbeitserleichterung
  • Vermittlung in Konfliktfällen
  • Harmonisierung von Abstimmungsprozessen bei Mandatsbesetzungen im Aufsichtsrat
  • Durch Verantwortung und Zusammenarbeit der Gremien entstehen Arbeitsbeziehungen, die auf Fairness und Vertrauen basieren und auf die gesamte Unternehmenskultur einzahlen

Betriebliche Mitbestimmung braucht Flexibilität, lautet Goldschmidts Fazit. Springer-Autor Peter Grassmann findet: "Eine gute Führung akzeptiert Mitbestimmung, ja bindet den Dialog mit den Mitarbeitern in die eigene Meinungsbildung mit ein" (Seite 28). Denn die Wirksamkeit von Unternehmensvisionen sei gebunden an das Gefühl für Andersdenkende und die Auseinandersetzung mit ihnen.

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