Deutsche Firmen machen Rückschritte bei der digitalen Zusammenarbeit. Die schwindende Kollaboration hat negative Konsequenzen für die Personalentwicklung und die Mitarbeiterbindung, berichtet eine Studie.
Mit dem allmählichen Abklingen der Pandemie scheint in deutschen Unternehmen auch der Ehrgeiz zu ermüden, unternommene Schritte in Richtung einer zukunftsfähigen Kollaborationskultur weiterzugehen. Wie der von Atlassian und Yougov berechnete Collaboration Maturity Score zeigt, ist der Reifegrad der digitalen Zusammenarbeit auf einer Skala von eins bis fünf innerhalb eines Jahres um 0,2 Punkte auf den Wert 3,2 gefallen.
Und das, obwohl 56 Prozent der 256 befragten IT-Entscheider angaben, bei der Verwirklichung ihrer Kollaborationsvorhaben von Führungskräften grundsätzlich unterstützt zu werden. Für die Erhebung gaben sie Auskunft über den Status und die Praktiken hinsichtlich der Kollaborationskultur in ihren Unternehmen.
Kollaboration auf allen Ebenen gestört
Waren sie aufgefordert, neuen Projekten grünes Licht zu erteilen, verhielten sich Führungskräfte im Vergleich zum vergangenen Jahr zurückhaltender. Hier ist der Wert um 0,1 Punkte auf 3,4 gefallen. Auch der Score, der die kontinuierliche Nachbesserung laufender Projekte und Prozesse beziffert und zuvor die höchsten Werte verbuchte, schwächelt (-0,2 auf 3,6).
Dazu passt, dass die regelmäßigen Feedbackschleifen, die für die Steuerung von Projekten unerlässlich sind, am meisten vernachlässigt wurden (-0,4 auf 3,3). Geben sich Unternehmen also mit dem während der Pandemie erreichten Status quo zufrieden, wie die Studienautoren schlussfolgern oder wird schlichtweg an der Kollaborationskultur vorbei gedacht und investiert?
Tools und Technologien, in die Unternehmen investieren
- Tools für Projektmanagement (46 Prozent)
- Tools für soziales Intranet, Chats, Messanger (34 Prozent)
- Wissensmanagement (33 Prozent)
- keine Investitionen (23 Prozent)
In den kommenden beiden Jahren sollen nach Auskunft der IT-Entscheider vor allem Tools für Videokonferenzen (38 Prozent), Projektmanagement (34 Prozent) und Wissensmanagement (34 Prozent) angeschafft werden. Ginge es nach den Befragten, würde allerdings mehr Geld in die Veränderung von Teamstrukturen (23 Prozent) und der Kollaborationskultur (21 Prozent) fließen. Neben der Kostenfrage macht die Studie vor allem ungeklärte Zuständigkeiten, festgefahrene und veränderungsresistente kulturelle Strukturen sowie fehlendes Know-how, für den stockenden Ausbau der digitalen Zusammenarbeit verantwortlich. Wissen Unternehmen überhaupt, wie Kollaboration geht?
Kollaborationskultur fordert organisationale Strukturen heraus
Digitale Zusammenarbeit in Unternehmen versteht sich von der Bedarfsbestimmung bis zur Anwendung als Prozess, der auf die Bereitschaft aller Beteiligten zum ständigen Aushandeln, Ausprobieren, Lernen, Bewerten und Weiterentwickeln quer durch alle hierarchische Schichten angewiesen ist. Alle Kollaborierende müssen dazu motiviert werden, Wissen und andere Inhalte aktiv zu teilen.
Für die verantwortlichen Entscheider heißt das, laufend auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu reagieren und diese Bedürfnisse mit den Anforderungen der Organisation sowie darüber hinaus mit den Gegebenheiten und Herausforderungen einer Umwelt im Wandel zu vereinbaren. Dass sich das kaum noch entlang herkömmlicher Schemata realisieren lässt, stellen Thomas Hardwig et al. in ihrem Ergebnisbericht "Gestaltung der Arbeit mit Kollaborationsplattformen" fest: "Das frühere Modell von Analyse – Planung – Umsetzung bei der Einführung neuer Software ist in doppelter Hinsicht überholt" (Seite 124).
Roadmap für eine Kollaborationskultur, die passt
Kollaboration darf sich nach Ansicht der Autoren nicht primär auf die Anschaffung und Bereitstellung digitaler Technologien verlassen, sondern muss dem sozio-technologischen Prinzip der Joint Optimization folgen. Die Forderung lautet: Technologieeinsatz und Organisation sind in enger Wechselbeziehung zu gestalten (Seite 116). Daraus ergibt sich ein neues, angepasstes Handlungsmodellmodell mit den Grundbausteinen Strategie, Analyse, Gestaltung (Seite 116ff).
- Strategie: Formulierung einer Roadmap für die Kollaboration.
- Ziele
- Individuum
- Team
- Organisation
- Analyse: Analyse der Passung der Aufgabe, der eingesetzten Technologien und der beteiligten Nutzerinnen.
- Fit Task Technology
- Fit Task People
- Fit People Technology
- Gestaltung: Der Gestaltungsbedarf wird abgeleitet und Maßnahmen für sechs Handlungsfelder sind zu entwickeln.
- Lernen/Entwicklung
- Technik/Räume
- Werte/Kultur
- Führung/Betreuung
- Anpassung/Change
- Zusammenarbeit/Regeln
Kollaboration bereichert die Personalentwicklung
Eine funktionierende Kollaborationskultur wirkt sich nicht nur auf Wissensaustausch und Kommunikation aus, wodurch die betriebsübergreifende Kooperations- und Innovationsfähigkeit (Müller et al.) gewinnt. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) der für den Maturity Score befragten IT-Entscheider berichteten außerdem von den positiven Effekten auf die Mitarbeiterzufriedenheit. Von den ebenfalls befragten 1.021 Büroangestellten bestätigten 43 Prozent, dass die Kollaborationskultur ihre Bindung zum Arbeitgeber sogar verbessert habe. Noch sind aber nur 52 Prozent mit der Zusammenarbeit im Unternehmen zufrieden. Beklagt werden vor allem veraltete oder schlecht integrierte Kollaborationstools.
Die Gefahr ist nun, dass Unternehmen sich mit dem Entwicklungsstand der Zusammenarbeit zufriedengeben, auf den die Pandemie sie mehr oder weniger freiwillig gehievt hat. So verspielen sie aber die Chance, dass ihre Mitarbeitenden sich zu ko-kreativen Mitwirkenden im Sinne von Springer-Autorin Birgit Oelker entwickeln können, die als Netzwerkknoten agieren und ihre Kompetenzen durch fluides selbstgesteuertes Lernen und Kollaboration kontinuierlich verbessern.
So befähigt entwickelt sich ein individueller und selbstgewisser Mitarbeitertypus, der in der Lage ist "mit dem ständigen Wandel, den komplexen Herausforderungen, dem Management des Unerwarteten professionell umzugehen, die eigene Umgebung professionell kollaborativ zu gestalten und die Selbstwirksamkeit erkennen zu können." (Seite 147/148)