Auch Dienstreisen und Mitarbeitermobilität erfahren in der Pandemie einen Wandel. Die Mobility-Funktion wird in Unternehmen zum strategischen Partner für Talentmanagement, ESG-Ziele, Diversity und New Work, so die KPMG-Experten Ingo Todesco und Kelly Stoltz.
Springer Professional: Die Mitarbeitermobilität und die Zahl der Dienstreisen sind während der Pandemie drastisch gesunken. Mit welchen kreativen Problemlösungen haben Unternehmen auf die eingeschränkten Reisebedingungen reagiert?
Ingo Todesco: Zunächst ging es um Schnelligkeit. Die Mobility-Verantwortlichen mussten auf Einzelfallbasis entscheiden, wie es für entsendete Mitarbeitende weitergeht. Aspekte wie die Weiterführung der Aufgaben, die Rückholung von Auslandsaufenthalten oder die Sicherheit sowie medizinische Versorgung standen im Vordergrund. Es war eine Herausforderung, den Überblick über die aktuellen landesspezifischen Gegebenheiten zu behalten. Nach unseren Erfahrungen beginnt die Kreativarbeit erst jetzt. Heute geht es um die Erfahrungsaufarbeitung und darum, wie diese mit geänderten Ansprüchen der Mitarbeitenden die Mobility-Strategie beeinflussen.
Wie wird es nach der Pandemie mit Mitarbeiterentsendungen und Dienstreisen aussehen?
Kelly Stoltz: Eine KPMG-Studie zeigt, dass ein gutes Drittel der teilnehmenden Global Mobility Manager weniger Langzeitentsendungen erwartet. Bei Kurzzeitentsendungen gehen knapp 30 Prozent von einem niedrigeren Niveau aus, etwa 25 Prozent rechnen mit einem Anstieg. Eindeutig sind dagegen die Erwartungen an Remote Working. 80 Prozent der Befragten rechnen mit einer Zunahme. Dienstreisen werden nach Meinung von mehr als der Hälfte ihr altes Niveau nicht wieder erreichen. Unternehmen und Mitarbeitende haben erkannt, dass viele Aufgaben virtuell lösbar sind. Auch mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele erwarten wir, dass Reisen kritischer hinterfragt werden und nur dann stattfinden, wenn gute Gründe dafür sprechen. Dazu gehören Projekte wie der Bau oder die Reparatur von Anlagen oder auch das persönliche Kennenlernen im Rahmen des Kick-offs großer Projekte. Ist der persönliche Kontakt hergestellt, kann die Regelkommunikation über Videokonferenzen und E-Mails erfolgen.
Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus diesen Trends für Unternehmen?
Ingo Todesco: Es ergeben sich eher Herausforderungen. Mitarbeitende haben bessere Möglichkeiten ihr persönliches Lebensmodell zu verwirklichen, weil die Entsendemodelle flexibler und Unternehmen eher bereit sind, individuellere Arbeitsmodelle zuzulassen. Auch Arbeitgeber profitieren. Arbeitsformen wie Remote Working steigern die Attraktivität als Arbeitgeber und helfen, gutes Personal zu gewinnen und zu halten. Zudem wirken die sinkende Anzahl von Dienstreisen, eine globale Stellenbesetzungsstrategie und virtuelle Arbeit positiv auf die ESG-Ziele eines Unternehmens.
Die neue Flexibilität hilft bei Diversity, Equity und Inclusion. Das umfasst Gender Diversity. Berufstätige Paare haben neue Möglichkeiten, damit beim Jobwechsel eines Partners der andere nicht zurückstecken muss. In der Vor-Corona-Realität war das noch häufig der Fall, beispielweise weil ein Jobwechsel mit einem Umzug verbunden war. Unsere tägliche Praxis zeigt, dass die meisten Unternehmen diese Chancen sehen und nutzen wollen. Daher überwiegen die Vorteile. Die wohl größte Herausforderung ist die Komplexität der Compliance-Fragen. Internationale wie lokale Regelungen werden immer umfassender und wandeln sich ständig. Beispiele sind Registrierungspflichten, Equal-Pay-Anforderungen sowie Betriebsstättenrisiken.
Welchen Einfluss haben diese Entwicklungen auf die Mobility-Abteilungen?
Kelly Stoltz: Die Pandemie hat einen bestehenden Trend verstärkt: Die Mobility-Funktion wird zum strategischen Berater mit erweitertem Verantwortungsbereich. Die Aufgaben sind heute vielfältiger. Arbeitgeberattraktivität und compliance-gerechte Lösungen rücken mit in den Mittelpunkt der Tätigkeit. Stärker als bisher übernimmt die Mobility-Funktion Verantwortung für eine nachhaltige Talentstrategie. Dazu braucht es im Unternehmen eine stärkere Vernetzung zu angrenzenden Funktionen. Diese Transformation kann nur gelingen, wenn sie mit einer Optimierung der Prozesse, unterstützt durch Technologie, einhergeht.
Wie verändert sich Remote Work in Hinblick auf die skizzierten Mobility-Entwicklungen?
Ingo Todesco: Remote Working wird langfristig Teil des Mobility-Ökosystems, alle Veränderungen sind aber noch nicht absehbar. Heute gibt es viele individuelle Lösungen, die von Geschäftsmodell und Zielen eines Unternehmens beeinflusst werden. Ist Compliance vorrangig, wird das Homeoffice eingeschränkter möglich sein. Sollen hingegen Schlüsseltalente gewonnen werden, ist Remote Working von größerer Bedeutung. Das Homeoffice hat sich bereits als Differenzierungsmerkmal etabliert und Unternehmen bieten entsprechende Regelungen. Diejenigen, die das noch nicht tun, geraten mit Blick auf die Mitarbeiterzufriedenheit und den "War for Talents" zunehmend unter Druck. Allerdings gibt es in vielen Jobs keine Möglichkeit, zuhause zu arbeiten, etwa im produzierenden Gewerbe oder in der Pflege. Die Diskussion um die Fairness hat bereits begonnen und wird spannend zu verfolgen sein.