Unternehmen müssen agil und innovativ sein. Das althergebrachte Headquarter, von dem aus alles zentral gesteuert werden soll, scheint dazu nicht passen zu wollen. Muss die Unternehmenszentrale neu erfunden werden?
Wenn auf der einen Seite digitale Strukturen und Prozesse umgesetzt werden sollen, es aber auf der anderen Seite an den einfachsten Mitteln für eine solche Umsetzung scheitert, dann kommt es zu Schwierigkeiten. Die aktuelle Corporate Headquarters-Studie" von Roland Berger befasst sich mit der Frage, welche Zukunft Unternehmenszentralen haben. Laut Studie sind rund ein Viertel der Unternehmen mit ihrem Headquarter unzufrieden. Der Hauptgrund: Unternehmenszentralen sind den Anforderungen der digitalen Transformation und dem Innovationsdruck nicht gewachsen.
Zwischen dezentralen und zentralen Entscheidungsfragen
So klaffen der Anspruch der Firmenzentralen, moderne, digitale Strukturen und Prozesse zu unterstützen, und die Wirklichkeit stark auseinander. Doch auch die Bedeutung der Headquarters insgesamt ändert sich: Während arbeitsintensive Unterstützungsaufgaben vermehrt in Shared Services Centern gebündelt werden, wandern übergreifende Steuerungsfunktionen immer öfter in dezentrale Unternehmenseinheiten.
Springer-Autor Philipp Rathjen fasst im Buchkapitel "Transformation durch Shared Services – Im Spannungsfeld zwischen zentraler und dezentraler Unternehmenssteuerung" die Vor- und Nachteile von dezentraler Steuerung innerhalb eines Unternehmens zusammen und betont, dass "einer der Hauptvorteile dezentraler Strukturen ist, dass die Autonomie der Entscheidung höhere Flexibilität im Hinblick auf Kunden- bzw. Marktanforderungen mit sich bringt" (Seite 32). Weiterhin unterstreicht er, dass das "Modell der Shared Services als optimaler Balance-Akt zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung die Vorteile beider Organisationsmodelle verknüpfen und somit die Steuerung von Unternehmenseinheiten erleichtern kann" (Seite 27).
Neben der Frage der Zentralität und Dezentralität, sind es vor allem auch die sich wandelnden Themen, mit denen sich Unternehmen beim Headquarter auseinandersetzen müssen. Während es vor ein paar Jahren vor allem noch politische Fragen waren, die zur ganz klaren Priorität gehörten, sind es heute andere Dinge, die die Unternehmenszentralen beschäftigen. "Sogar die Globalisierung und das Talent Management stehen für Headquarters nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste. Zentralen müssen sich heute vor allem mit den drängenden Fragen der Digitalisierung und der Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens auseinandersetzen", erklärt Roland Berger-Partner Tim Zimmermann.
Headquarter-Struktur ist nicht erfolgreich
Doch genau das klappt nicht immer. Laut der Studie sind 23 Prozent der befragten Top-Manager mit ihren Headquarters überhaupt nicht zufrieden. Sie bezweifeln, dass ihre Firmenzentralen die richtigen Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt haben. "Besonders groß ist die Diskrepanz zwischen den Erwartungen und tatsächlichen Leistungen der Firmenzentralen bei den Fähigkeiten und der Nutzung digitaler Technologien", bemängelt Roland Berger-Partner Fabian Huhle.
So sehen die mehr als 300 Befragten aus elf Ländern enorme Defizite in den Bereichen Automation, also bei der Nutzung von Robotik und Künstlicher Intelligenz, sowie bei der unternehmensweiten Vernetzung über Kollaborationsplattformen, soziale Netzwerke und Apps. Auch bei Big Data und Internet der Dinge gibt es großen Nachholbedarf. Dabei bilden "die mit der Cloud-Technologie einhergehenden Dienste und intelligenten Services, die Big Data erst möglich machen, die Voraussetzung für Geschäftsfelder, deren Möglichkeiten wir heute nur erahnen", erklärt Springer-Autor Michael Lorenz im Buchkapitel "Die digitale Führungsreise beginnt" aus dem Buch "Digitale Führungskompetenz" (Seite 7).
Besser dezentrale Steuerung und gebündelter Support
Was Größe und organisatorischen Zuschnitt der Zentralen in der Zukunft angeht, zeichnet die Untersuchung ein differenziertes Bild. Der Trend zu Shared Services Centern und zur Bündelung transaktions-intensiver Supportaufgaben nimmt weiter zu. Strategische Funktionen werden dagegen immer öfter in dezentrale Firmeneinheiten verlegt. "Hier setzen Unternehmen allerdings nicht so sehr auf eine geografische Dezentralisierung", erklärt Zimmermann. "Vielmehr geht es um die Vernetzung dezentraler strategischer Kompetenz über organisatorische Grenzen hinweg, orchestriert durch die Headquarters."
Insgesamt sehen mittlerweile 56 Prozent der Studienteilnehmer die Rolle der Firmenzentralen eher kritisch: Ihrer Meinung nach wird die Bedeutung der Headquarters in Zukunft abnehmen.
"Was wir erleben, ist zwar keine endgültige Erosion der Unternehmenszentrale, aber die große Herausforderung, sich auf permanenten Wandel einzustellen", fasst Fabian Huhle das Ergebnis zusammen. "Headquarters sollten sich daher verstärkt mit wichtigen disruptiven Trends auseinandersetzen und hier als Wegweiser für ihr gesamtes Unternehmen agieren, wenn sie ihre Position in Zukunft nicht verlieren wollen."