Bei strategisch wichtigen Verhandlungen nimmt die Vorbereitungszeit mehr Zeit in Anspruch als das Gespräch selbst. Wie sich Organisationen mit der richtigen Verhandlungsstrategie Vorteile sichern, erklären Marc Helmold und Tracy Dathe.
Springer Professional: Viele verstehen unter erfolgreich verlaufenden Verhandlungen, die eigenen Vorstellungen allesamt durchsetzen zu können. Was verstehen Sie darunter?
Marc Helmold: Verhandlungsstrategien zielen immer auf den Verhandlungserfolg. Jedoch bedeutet erfolgreich verhandeln auch, immer Zugeständnisse zu machen oder sogar in Teilbereichen Nachzugeben. Im Rahmen einer detaillierten Analyse und Priorisierung sollte nur dort nachgegeben werden, wo die eigenen Ziele nicht prioritär sind. Entscheidend ist die Identifikation von Minimal- und Maximalforderungen der eigenen und der gegnerischen Seite, auch das Verständnis von Interessen und Motiven der Gegenseite helfen hier. Gibt es in diesem Kontext gegenseitige Interessen, so können beide Seiten erfolgreich verhandeln. Auch können Mehrwerte identifiziert werden, die für die Verhandlungsgegenseite attraktiv sind und zu beiderseitigen Erfolgen führen.
Tracy Dathe: Der chinesische Stratege Sun Wu schrieb vor über 2000 Jahren in seinem berühmten Werk "Die Kunst des Krieges": Der größte Sieg ist es, den Gegner ohne militärische Konfrontation zum Nachgeben zu führen." Diese Strategie hat auch heute ihre Gültigkeit und übertragen auf die Verhandlungen in der heutigen Zeit bedeutet es: Im idealen Fall setzt man die eigenen Ziele ohne feindselige Stimmung bei der Verhandlung durch.
Warum ist die Vorbereitung von Verhandlungsgesprächen so wichtig und wie sollte man dabei vorgehen?
Marc Helmold: Die Vorbereitung bei Verhandlungen im internationalen Kontext ist ein zentraler Schritt für den Verhandlungserfolg. Der Zeitaufwand dafür nimmt meist mehr Zeit in Anspruch als die eigentliche Verhandlung. Zur Vorbereitung gehören Verhandlungsumfang, Ziele, Identifikation der Entscheider oder Beeinflusser, potenzielle Motive, und mögliche interkulturelle Besonderheiten. Ausreichende Kenntnisse und Analyse der Verhandlungspartner, die Positionierung der eigenen Seite, die Antizipation der Motive der Gegenseite und die möglichen Argumente der Gegenseite sind entscheidende Elemente in der Vorbereitungsphase, wie in dem von mir entwickelten A-6-Verhandlungskonzept detailliert erklärt wird.
Was sollte Ziel der Vorbereitungen sein?
Ziel der Vorbereitung ist dabei die Stärkung der eigenen Sicherheit in der nachfolgenden Verhandlung. Die Schlagfertigkeit und das Reaktionsvermögen gegenüber dem Verhandlungspartner sollen sichergestellt werden. Falls noch nicht geschehen, sollten hier auch nochmals die Informationen über den Verhandlungspartner überprüft werden. Wichtige Punkte sind bei Verhandlungen in der Wirtschaft zum Beispiel Marktstellung, Konditionen, Preispolitik sowie die Analyse der Stärken und Schwächen der Verhandlungspartner.
Tracy Dathe: Zwei Faktoren wirken stark auf den Verhandlungserfolg aus: erstens, eine klare Definition der eigenen Verhandlungsziele, zweitens, die Kenntnisse über die positiven und negativen Einflussgrößen für die Ziele. Die Positiven soll man einsetzen und vor den Verhandlungsgesprächen Strategien überlegen, um die negativen Einflüsse abzuwenden. Beides setzt eine sorgfältige Vorbereitung voraus. Dabei empfiehlt sich eine strukturierte Vorgehensweise.
Sie widmen dem Thema Verhandlungen bei finanziellen Schwierigkeiten und drohender Insolvenz ein Kapitel. Was unterscheidet diese Verhandlungen von anderen Gesprächssituationen und was ist dabei zu beachten?
Marc Helmold: Verhandlungen von Unternehmen in finanzieller Schieflage erfordern sofortige und korrektive Maßnahmen. Das bedeutet, dass unmittelbar Maßnahmen eingeleitet und umgesetzt werden müssen, die sich sofort auf den Umsatz, die Liquidität oder die Kostensituation auswirken. In diesem Zusammenhang ist der Spielraum aufgrund einer drohender Insolvenz meist extrem eingeschränkt, sodass Verhandlungen mit Kunden und Lieferanten auf oberer Management-Ebene stattfinden und zu sehr kurzfristigen Erfolgen führen müssen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Beziehungen zu Kunden und Zulieferern nicht nachhaltig beschädigt werden.
Tracy Dathe: Bei den notleidenden Unternehmen ist in der Regel schnelles Handeln unabdingbar. Auch unter Zeitdruck darf man auf keinen Fall die ausführliche Analyse vor der Verhandlung unterlassen, um die Chancen und Risiken des potenziellen Geschäfts korrekt abzuschätzen.
Oft ist von Verhandlungspsychologie die Rede. Was meint der Begriff und wie wird Verhandlungspsychologie zu einer Erfolgstaktik?
Marc Helmold: Verhandlungen sind dynamisch und entwickeln sich meist Zug um Zug. Die Verhandlungspsychologie hilft hier, Verhandlungsführung, Strategien und Taktiken so vorwegzunehmen und auszurichten, dass bestimmte Situationen erkannt werden und zum eigenen Vorteil umgesetzt werden können. Weiterhin hilft die Verhandlungspsychologie bei unterschiedlichen Verhandlungs- und Persönlichkeitstypen. Eine psychologisch geschulte Person kann erkennen, welche Wirkung allgemeine Verhandlungsmuster auf Personen haben.
Tracy Dathe: Die Verhandlungspsychologie ist ein Teilbereich der Wirtschaftspsychologie, deren Gegenstand Erleben, Wahrnehmung und Verhalten des Menschen in Verhandlungssituationen ist. Durch das geschickte Einsetzen diesbezüglicher Erkenntnisse kann man den Verhandlungsverlauf zu eigenen Gunsten beeinflussen.
Welche Kompetenzen müssen insbesondere Verhandler im internationalen Umfeld mitbringen?
Marc Helmold: Deutschland ist Exportweltmeister. Laut "Handelsblatt" und der Nachrichtenagentur Reuters wird Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss von 299 Milliarden Euro in 2018 erwirtschaften. Das führt automatisch zu internationalen Transaktionen und Kompetenzanforderungen. Diese Kompetenzen können nach Sach-, Methoden-, Selbst-, Sprach- und interkulturellen Elementen unterschieden. Der BME-Innovationspreisgewinner 2017, Jokey, hat auf den Wandel mit einem "Global Procurement Excellence-Programm (GPE)" reagiert und schult international tätige Mitarbeiter neben den beschaffungsspezifischen Fachkenntnissen auch in weichen Kompetenzen, interkulturell und international.
Was für Kompetenzen sind das?
Marc Helmold: Notwendige Kompetenzen für internationale Verhandlungen umfassen Ausdauer, Strategie-Wissen, Ergebnisorientierung, Überzeugungskraft, Geduld, Flexibilität, Selbstsicherheit, Nachhaltigkeit, Kompetenz, kulturelles und internationales Verständnis, Lösungsorientierung, katalytisches Denken, Prozessorientierung, Durchhaltevermögen und Moderationsfähigkeiten. In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel "Interkulturelle Kompetenz – Die Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert" (PDF) wird insbesondere darauf hingewiesen, dass interkulturelle Vielfalt, Konfliktlösungskompetenzen und Kommunikationsfähigkeiten von zentraler Bedeutung sind.