Der Anteil von Vätern, die Elternzeit beanspruchen, ist mittlerweile auf über ein Drittel angestiegen. Der Beitrag analysiert Deutungen väterlicher Elternzeitnahme anhand narrativer Interviews mit Paaren, in denen der Vater Elternzeit beansprucht(e). Um Aufschluss über die – zwischen den Partner*innen konsensuellen oder nicht konsensuellen – Deutungen der Elternzeit, Bewertungen von Familien- und Erwerbsarbeit und der paarinternen Arbeitsteilung zu erlangen, fokussiert der Artikel aus einer wissenssoziologisch-sozialkonstruktivistischen Perspektive die (inter-)subjektiven Deutungen und Aushandlungen (im Sinne des „negotiated order approach“) der Elternzeitnahme zwischen den Partner*innen. Es lassen sich folgende Deutungen identifizieren: ökonomisch rationale Begründungsmuster; zeitliche Orientierungsrahmen: die Schaffung persönlicher oder gemeinsamer Freiräume für sich, für das Paar, für die Familie oder für soziale Beziehungen; die Ermöglichung beruflicher Neuorientierungen; die legitime Wahrnehmung eines (mittlerweile) existierenden rechtlichen Anspruches; kurze Elternzeitnahme als Anpassung an wahrgenommene betriebliche Erfordernisse; sowie Elternzeit als (versuchte) Sichtbarmachung von Fürsorgearbeit. Deutlich wird zudem, dass trotz der steigenden Elternzeitnahme von Vätern vielfältige geschlechtliche Ungleichheiten in den Paararrangements bestehen bleiben.
Das Berliner Journal für Soziologie veröffentlicht Beiträge zu allgemeinen Themen und Forschungsbereichen der Soziologie sowie Schwerpunkthefte zu Klassikern der Soziologie und zu aktuellen Problemfeldern des soziologischen Diskurses.
Nach einer aktuellen, auf SOEP-Daten basierenden Studie von Bünning (2016) erfahren hingegen Elternzeit nehmende Väter zumindest keine Einbußen bei Löhnen und Gehältern. Inwieweit sich daraus auf Karriereverläufe schließen lässt, ist allerdings unklar. Ebenso ist unklar, wie sich im Fall einer Elternzeitnahme das Gehalt der Väter entwickelt hätte, die aus Angst vor Einbußen keine Elternzeit beansprucht haben. Auch zeigt die Studie, dass sich bei Vätern, die eine Teilzeittätigkeit wählen, der Stundenlohn sehr wohl reduziert.
In der Ergebnispräsentation in Abschnitt 4 stehen die nichtsprachlichen Äußerungen nicht im Zentrum; zudem greifen wir bei der Darstellung zur Veranschaulichung auf explizite Äußerungen zurück, die unsere Ergebnisse prägnant illustrieren. In unserer gesamten Auswertung und den Fallrekonstruktionen, die der hiesigen Ergebnispräsentation zugrunde liegen, haben wir nichtsprachliche Äußerungen und sprachliche Nichtäußerungen aber gleichwohl berücksichtigt.
Das Projekt lief von 2/2014 bis 1/2017. Es wurde geleitet von Michael Meuser, Ilse Lenz, Katja Sabisch, Karen Shire und Christine Wimbauer und war an der TU Dortmund, der Universität Duisburg-Essen und der Ruhr-Universität Bochum angesiedelt. Wissenschaftliche Mitarbeitende waren Stefanie Aunkofer und Benjamin Neumann.
Die tatsächliche Paarpraxis ließe sich nur ethnographisch, die faktische Elternzeitentscheidung in Echtzeit allenfalls mit einem Panel ansatzweise untersuchen, sodass wir hier auf die in den Interviews berichteten Entscheidungen verwiesen sind. Im Paarinterview lassen sich aber immerhin die o. g. Aushandlungen direkt beobachten.
Neben den hier präsentierten fallübergreifenden Orientierungsrahmen und Deutungen rekonstruierten wir weitere, fallspezifische Orientierungsrahmen und Deutungen, die in anderen Veröffentlichungen in ihrer Komplexität besprochen werden. So untersucht bspw. die Studie von Neumann (2018) das BEEG aus einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive und fragt nach Subjektivationsweisen von Eltern(schaft). Stefanie Aunkofer (2019) analysiert in ihrer Dissertation Paararrangements im Kontext väterlicher Elternzeitnahme aus einer anerkennungstheoretischen Sicht, u. a. im Hinblick auf Deutungen der Elternzeitnahmen, Familien- und Erwerbsarbeit, paarinterne Anerkennung und Väterlichkeit.
Diese werden – wie auch mögliche Unterschiede zwischen Vätern mit kurzer und langer Elternzeit, die für die hier verfolgte Fragestellung von geringerem Interesse sind – im Rahmen anderer Veröffentlichungen in spezifischen Falldarstellungen behandelt, insbesondere in Aunkofer (2018, 2019).
Zwar ist das Recht auf Elternzeit für die meisten Eltern gesetzlich verbrieft. Nicht alle Befragten begreifen aber eine bzw. ihre Elternzeit, insbesondere eine über zwei Monate hinausgehende Elternzeit des Vaters, als legitimen Anspruch (wie vermutlich auch viele jener 65 % der Väter, die keine Elternzeit beanspruchen). Ein Großteil – aber eben nicht alle – der von uns Befragten verweisen explizit auf die Berechtigung dieses Anspruchs. Insofern es uns darum geht, die subjektiven Orientierungsrahmen zu rekonstruieren, erweist sich die Deutung als rechtlicher und damit legitimer Anspruch somit aus dem Material heraus als ein bedeutsamer Rahmen. Bei einigen Befragten muss also der objektiv existierende rechtliche Anspruch erst als solcher wahrgenommen werden, um handlungswirksam zu werden; bei anderen Befragten spielt diese Deutung hingegen keine explizite Rolle.
Wir haben unsere Interviews nach den Transkriptionsrichtlinien von Bohnsack (2014, S. 253 f.), z. T. in leichter Abwandlung, transkribiert. Dabei wurden Punkte für eine sinkende und Fragezeichen für eine steigende Intonation verwendet. Auf Kommata haben wir weitgehend verzichtet, da diese bereits Interpretationen beinhalten können. Anstelle von Kommata finden sich z. T. angegebene Pausen in den Zitaten. Für eine bessere Lesbarkeit haben wir die hier aufgeführten Zitate hinsichtlich der Transkriptionssprache leicht angepasst.
Allen und Hawkins (1999, S. 205) definieren maternal gatekeeping als „the mother’s reluctance to relinquish responsibility for family matters by setting rigid standards, wanting to be ultimately accountable for domestic labor to confirm to others and to herself that she has a valued maternal identity, and expecting that family work is truly a woman’s domain“.
Die Höhe des Elterngeldes, das beide erhalten, ist uns leider nicht bekannt. Es lässt sich aber ein höheres Einkommen und Elterngeld des Vaters vermuten.
Ein ähnliches Muster männlicher Besonderung zeigt auch Wimbauer (2003, S. 174 ff.). Hier wird das wenige Geld des künstlerisch tätigen Mannes im Vergleich zu dem von seiner Frau erzielten Familieneinkommen von ihm als das besondere und wertvolle, ihres hingegen als das alltägliche und „wertlose“ Geld konstruiert.
Einen weiterführenden zeitlichen Aspekt im Rahmen des Projekts behandelt Aunkofer (2018) anhand eines Falls, der im Sample aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung des Kindes hervorsticht. Im Vergleich zu den anderen Paaren ermöglicht hier die väterliche Elternzeitnahme nicht die o. g. Freiräume, sondern grundlegend die Herstellung von familialem Alltag, indem sie einen Zeitgewinn für die umfassenden alltäglichen Anforderungen gewährt.
Gemeint ist damit eine Deutung in dem Sinne, dass die Elternzeit aus Egalitätsgründen gleichumfänglich und gleichberechtigt zwischen den Eltern aufgeteilt werden soll oder die Paare sich als egalitäre Paare bezeichnen, wie etwa die früher von uns untersuchten Doppelkarriere-Paare (Behnke und Meuser 2003; Wimbauer 2012).