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16.03.2023 | Verfahrenstechnik | Interview | Online-Artikel

"Wir koppeln Membrantechnologien direkt mit Photovoltaik"

verfasst von: Thomas Siebel

6:30 Min. Lesedauer

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Andrea Schäfer will mit neuen Membrantechnologien die Trinkwasserversorgung für Millionen von Menschen verbessern. In armen Ländern mit robuster Technik und erneuerbaren Energien, zu Hause mit reaktiven Membranen.

springerprofessional.de: Membrantechnologien spielen in der Trinkwasseraufbereitung eine wichtige Rolle. Wo kommt der Einsatz von Membranen heute an seine Grenzen?

Andrea Schäfer: Auf diese Frage gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Eine davon ist: Wir setzen die Membranen nicht dort da ein, wo sie am dringendsten gebraucht werden. In Entwicklungsländern sterben immer noch rund tausend Kinder am Tag, weil sie keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Mit der Ultrafiltration könnten wir das Problem sehr gut lösen, auch in einem akzeptablen preislichen Rahmen. Allerdings fehlt es in den Regionen, wo diese Technik dringend gebraucht wird, oftmals an Strom, Infrastruktur, am Wassersnetzwerk und an Leuten, die die Anlagen betreiben.

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Polymeric Membranes for Water Treatment

Today's world is suffering from major problems, one with the supply of clean water or scarcity of freshwater. 90% of the world's water is salty remaining 10% is also contaminated due to industrial emissions, modern farming practices, use of fertilizers, pesticides, and insecticides.

Mit ihren Forschungen wollen Sie Membrantechnologien auch für arme Weltregionen verfügbar machen. Wie wollen Sie das erreichen?

Beispielsweise befassen wir uns damit, Membrantechnologie direkt mit erneuerbaren Energien zu koppeln, insbesondere mit Photovoltaik; und zwar so, dass es dafür keine Inverter braucht. Hier arbeiten wir mit Professor Bryce Richards am Institut für Mikrostrukturtechnik zusammen. Sobald diese Filtrationssysteme robust sind  und auch entsprechend betrieben werden können, können sie in solchen Lagen eingesetzt werden.

Wie werden die Systeme robust?

Indem man vorausdenkt, wie sie in einem afrikanischen Dorf auch längerfristig funktionieren können. Die Technik muss resilient sein, aber auch das Umfeld, in dem die Technik betrieben wird. Oft scheitern solche Vorhaben nicht an der Membrantechnologie, sondern daran, dass Solarpaneele oder Batterien geklaut werden. Trotzdem kommt es aber natürlich auch auf robuste Technik an, und daran forschen wir intensiv: in der Ultrafiltration, aber auch in der Nanofiltration, womit wir zum Beispiel Uran, Arsen oder Nitrat und Florid aus dem Wasser entfernen.

Sie wollen Membranen direkt an Photovolatikmodule koppeln. Vor welchen Schwierigkeiten stehen Sie dabei?

Das Hauptproblem ist, dass der Druck im Prozess schwankt. Man muss viel berücksichtigen, wenn man nicht durchgehend an einem Operationspunkt bleibt. Zum Beispiel kann es passieren, dass die Filtration aufgrund fehlender Energie – und damit Druck – unterbrochen wird. In der Nanofiltration entstehen dann Diffusionsprozesse, die zu einem Rückfluss des sauberen Wassers führen. Damit die Membran das aushält, brauchen wir einen sehr robusten Prozess. Auch die Membran selbst muss robust sein. Sensibelchen können wir da nicht gebrauchen. Und man muss sich überlegen, wie sich die Membran reinigen lässt. Beispielsweise kann man ja nicht an jedem Ort chemisch reinigen.

Inwiefern muss das Wasser in ärmeren Weltregionen anders gereinigt werden als bei uns?

In Teilen von Afrika hat man es mit anderem Wasser zu tun als beispielsweise in Deutschland. Bei uns braucht man zur Trinkwasseraufbereitung meistens keine Ultrafiltration. Gerade nach großen Regenfällen transportieren Flüsse in Afrika aber viel Erde und oftmals auch Fäkalien, wenn die Menschen vor Ort keine Toiletten haben. Für die Trinkwasseraufbereitung brauchen wir dort deswegen eine Ultrafiltration, idealerweise wie sie für Membranbioreaktoren konzipiert ist. Die ist robust und kann mit konzentriertem Abwasser umgehen kann.

Wann könnten ihre Forschungen zu einer maßgeblichen Verbesserung der Trinkwasserversorgung in ärmeren Ländern führen?

Wir sehen ja bereits jetzt Verbesserungen. Seit unserem ersten Besuch im Jahr 2007 wurden beispielsweise in Ghana viele handbetriebene Pumpen durch solarbetriebene ersetzt. Allerdings haben wir es auch mit vielen konservativen Wasserhilfsorganisationen zu tun, die sagen, es muss alles einfach und nicht teuer sein, aber warum soll es unter so schwierigen Umständen dann plötzlich billiger gehen als bei uns? In finanziellen Analysen haben wir allerdings festgestellt, dass die Kosten für photovoltaikbetriebene Membransysteme nicht das Problem sind, da Menschen in Afrika jetzt oft schon um ein Vielfaches mehr für Trinkwasser bezahlen als wir. Aber es wird auch deutlich weniger verbraucht, und Menschen wissen noch zwischen Trink- und Brauchwasser zu unterscheiden.

Wo liegt stattdessen das Problem?

Eher darin, dass viele Firmen die Technologien unkoordiniert an Orte tragen, wo sie nicht sinnvoll betrieben werden können. Deswegen sieht man dort ziemlich viele Technologieleichen rumliegen. Das trägt nicht dazu bei, dass man mehr davon haben will und einer Problemlösung näher kommt. Ich denke deswegen, dass wir diese Technologien zunächst woanders als im afrikanischen Dorf sehen werden. Dort werden wir mit viel Engagement für nachhaltige Lösungen sorgen und die Verantwortung für den Betrieb übernehmen müssen.

Wo wird man die Technologien zuerst sehen?

Diese Art der Technologien laufen hervorragend in der Flaschenwasserabfüllung. Klar, Wasser aus der Trinkflasche ist teuer und wird vorwiegend für Touristen oder ‚Expats‘ produziert. Es produziert unglaublich viel Müll, aber die Technologie funktioniert. 

Für die Menschen in Afrika wird aber eine Versorgung im Dorf gebraucht und das ist auch an anderen Orten sinnvoll. Wir sehen zum Beispiel im Ukraine-Konflikt, dass zentrale Infrastrukturen angreifbar sind. Von Norwegen ist mir bekannt, dass zentrale Wasserinfrastruktur mit einem Backup versehen werden muss. Dort wird die Nanofiltration häufig dezentral eingesetzt. Ich glaube, dass solche Technologien auch vor dem Hintergrund der Dezentralisierung ganz enorm wichtig werden, und dann muss es schlichtweg so sein, dass sich auch die Trinkwasserversorgung für ärmere Weltregionen deutlich verbessert. Hier wären Investitionen jedenfalls besser aufgehoben als in Vorhaben wie dem Weltraumtourismus.

Auch in den wohlhabenden Staaten ist die Trinkwasserversorgung verbesserungswürdig. Woran forschen Sie hier?

Hier haben wir es mit Spurenschadstoffen zu tun – die Pille, Pharmazeutika, Antibiotika, Pestizide und Dinge wie PFAS, also per- und polyfluorierte Chemikalien. Die landen in unserem Wasserkreislauf und reichern sich dort an. In konventionellen Anlagen sind diese Schadstoffe sehr schwer entfernbar – selbst für Nanofiltrationsmembranen, die in der Abwasserbehandlung vereinzelt eingesetzt werden. Die arbeiten also nicht nur unter hohem Druck und verbrauchen somit viel Energie, sondern sie sind auch nicht allzu verlässlich was die Entfernung betrifft. Diese Schadstoffe sind enorm schwer von Wasser zu trennen.

Wie wollen Sie den Schadstoffen stattdessen beikommen?

Indem wir die Ultrafiltration nehmen und eine Reaktivität einbauen. Durch Adsorption,  Photokatalyse oder Elektrokatalyse könnte die Membranen die Schadstoffe gezielt abbauen, während sie das Wasser mit geringem Druck durchfließt. Für Steroidhormone haben wir nachgewiesen, dass sie sich innerhalb von Sekunden in der Membran abbauen lassen, wenn man sie parallel mit Licht bescheint. In dem Prozess entsteht dabei also kein Abfallprodukt. Sowohl in der Material- als auch in der Prozessentwicklung arbeiten wir intensiv an diesem Thema.

Muss man sich denn Sorgen machen wenn man heute, in Deutschland, täglich größere Mengen Leitungswasser trinkt?

Na ja, unser Trinkwasser ist schon sehr gut. Trotzdem müssen wir uns mit den Schadstoffen beschäftigen, denn unsere Erde erreicht ihre Grenzen was die Aufnahme von Umweltgiften betrifft. Schadstoffe reichern sich ja nicht nur im Trinkwasser, sondern beispielsweise auch in Fischen an, und viele Schadstoffe sind schon in extrem kleinen Konzentrationen sehr toxisch. Unsere Gesundheitskosten sind sehr hoch, und im Falle von Krebs, Unfruchtbarkeit oder kindlichen Entwicklungsstörungen kennt man oftmals die genaue Ursache nicht. Insofern sollten wir vorsichtig sein und zusehen, dass wir diese Stoffe erst gar nicht in die Umwelt einleiten. Hier sind Membranverfahren enorm wichtig. Es geht darum, Abwasser so aufzubereiten, dass das Wasser und sogar auch viele Rohstoffe wiederverwendet werden können.

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Das Forscherpaar Schäfer und Richards hat 2022 den Undine Award gewonnen und arbeitet gezielt an der Vision "Ich habe einen Traum: sauberes Trinkwasser für alle Kinder". Kooperationspartner und Spender sind immer herzlich willkommen, um dieses wichtige Ziel zu erreichen.

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