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10.09.2021 | Vergütung | Interview | Online-Artikel

"Arbeitgeber haben erhöhtes Risiko im Überstundenprozess"

verfasst von: Andrea Amerland

4 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Banjamin Onnis

ist seit 2012 Rechtsanwalt und seit dem Jahr 2016 Fachanwalt für Arbeitsrecht. Bei der Kanzlei FPS vertritt er nationale und internationale Unternehmen in allen Angelegenheiten des Arbeitsrechts.

Ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Emden zur Vergütung von Überstunden könnte Ärger für Arbeitgeber bedeuten. Springer Professional sprach mit Fachanwalt Benjamin Onnis über die mögliche Risiken für Unternehmen.

Das Arbeitsgericht Emden sorgt mit einer Entscheidung zur Vergütung von Überstunden für Furore. Was ist daran so sensationell?

Das Arbeitsgericht Emden argumentiert mit dem Urteil des EuGH zur Arbeitszeitmessung vom 14.05.2019 im Kontext der Überstundenvergütung. Der EuGH hatte entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann. Folglich muss Deutschland ein entsprechendes Gesetz erlassen, was noch nicht geschehen ist. Das Arbeitsgericht Emden scheint keine Geduld mit dem Gesetzgeber zuhaben und wendet die Grundsätze des EuGH-Urteils bereits an und argumentiert, dass sich eine Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit aus der gesetzlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ableiten lasse.

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Was bedeutet das Urteil für Unternehmen?

Die Karten werden neu gemischt. Denn nach dem Arbeitsgericht Emden haben Arbeitgeber plötzlich die schlechtere Ausgangslage bei einem Rechtsstreit. Das Arbeitsgericht Emden verschiebt die Darlegungs- und Beweislast nämlich vom Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber trägt also jetzt das Beweisrisiko. Der Arbeitgeber soll nun auch nicht mehr die Kenntnis der Überstunden einfach bestreiten können, da er ja ein Arbeitszeitmessungssystem hätte installieren können.

Im konkreten Fall hat eine Arbeitnehmerin mit dem Arbeitszeitmodell Vertrauensarbeitszeit geklagt. Was gilt in der Vertrauensarbeitszeit für die Dokumentation von Überstunden und wie können diese vor Gericht geltend gemacht werden?

Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass der Arbeitnehmer eigenverantwortlich und selbstständig seine Arbeitszeit erfüllt. Es müssen aber die gesetzlichen Vorgaben bei der zulässigen Arbeitszeit eingehalten werden. Eine Dokumentation der Überstunden ist daher auch bei Vertrauensarbeitszeit erforderlich. Diese muss grundsätzlich vom Arbeitgeber durchgeführt werden. Er kann die Dokumentationspflicht auch auf den Arbeitnehmer abwälzen. Dieser trug bislang vor Gericht die Darlegungs- und Beweislast, anders entscheid jetzt das Arbeitsgericht Emden. Unternehmen werden also die Aufzeichnungen vor Gericht als Nachweis vorlegen. Wird die Dokumentation vom Arbeitnehmer übernommen, muss der Arbeitgeber die Aufzeichnung von Überstunden natürlich prüfen oder korrigieren. Ansonsten kann der Arbeitnehmer die Überstunden vor Gericht durch seine Aufzeichnungen nachweisen und der Arbeitgeber hat dann kaum Einwendungen.

Welche Risiken drohen Unternehmen durch dieses Urteil gegebenenfalls?

Arbeitgeber haben bislang bei einer Klage auf Überstundenvergütung eine vorteilhafte prozessuale Situation, da der Arbeitnehmer die Überstunden darlegen und beweisen muss. Fehlende Aufzeichnungen gehen zu Lasten der Arbeitnehmer. Folgen weitere Gerichte der Auffassung des Arbeitsgerichts Emden, dann hätten Arbeitgeber das erhöhte Risiko im Überstundenprozess. Sie müssten dann beweisen können, warum die Angaben des Arbeitnehmers nicht richtig sind. Fehlende Aufzeichnungen gehen dann zu ihren eigenen Lasten. Es drohen hohe Prozessrisiken und Nachzahlungen wegen in der Vergangenheit angesammelter Überstunden.

Was sollten Unternehmen generell beim Thema Arbeitserfassung und Überstunden beachten, damit sie juristisch auf der sicheren Seite sind und ihnen keine großen Nachzahlungen blühen?

Nach derzeitiger Rechtslage muss die tägliche Arbeitszeit nicht aufgezeichnet werden. Dokumentationspflichten bestehen nur für Überstunden. Die EuGH-Rechtsprechung muss eigentlich erst durch den Gesetzgeber umgesetzt werden. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass sich weitere Gerichte der Auffassung des Arbeitsgerichts Emden anschließen. Eine Aufzeichnung wäre daher zu empfehlen. 

Im Arbeitsvertrag kann eine bestimmte Anzahl an Überstunden mit der Grundvergütung abgegolten werden. Zudem sind Verfallsfristen möglich oder die Vergütung von Überstunden wird besonders geregelt. Wichtig ist, dass die Vertragsklauseln den Anforderungen der Rechtsprechung genügen, also mithin wirksam vereinbart werden.

Der Arbeitgeber sollte klar regeln, wann Überstunden anfallen und wann nicht. Überstunden können auch verboten werden. Unternehmen müssen dann aufpassen, dass die Aufgaben zuweist in der normalen Arbeitszeit erledigt werden können. Sonst nützt solch ein Verbot nichts.

Im corona-bedingten Homeoffice war und ist es mit der Zeiterfassung schwierig, da diese nicht einfach mehr beim Betreten und Verlassen des Büros vollzogen wird. Was sollten Unternehmen auch vor dem Hintergrund aktueller Rechtsprechung tun?

Der Arbeitgeber kann und sollte die Zeiterfassung an seine Mitarbeiter delegieren und sie über die einzuhaltenden Pausen-, Ruhe- und Höchstarbeitszeiten und Überstunden belehren und anweisen. Die Aufzeichnungen müssen kontrolliert und hinterfragt werden, da ansonsten der Arbeitgeber durch Schweigen eventuell Überstunden genehmigt oder toleriert.

Und wenn Unternehmen beim Thema Überstundendokumentation nachlässig waren: Wie können sie eine gerichtliche Auseinandersetzung doch noch umschiffen?

Der Arbeitgeber könnte auf die Arbeitnehmer zugehen und mit ihnen Vereinbarungen über einen Überstundenabbautreffen. Er kann einen Freizeitausgleich statt Vergütung für die geleisteten Überstunden anbieten. Es wäre zudem auch an die Einführung von Arbeitszeitkonten zudenken.

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