Prof. Dr. Rainer Elste lehrt Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Esslingen.
Rainer Elste
Der Verkaufsleiter in einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen wollte von mir wissen, ob ihm die Hochschule nicht helfen könne, Leute für sein Vertriebsteam zu finden. Das Anliegen hat mich nicht verwundert, denn in jeder Erstsemesterveranstaltung frage ich die Studierenden nach ihrem Berufswunsch nach Abschluss ihres Wirtschaftsingenieurstudiums. Gerade einmal zehn Prozent können sich vorstellen, später in Marketing und Vertrieb zu arbeiten.
Zum Glück verschiebt sich das im Laufe des Studiums noch etwas, was ich an der Relation der Abschlussarbeiten in diesem Bereich versuche auszumachen. Doch insgesamt wird deutlich, dass der Vertrieb ein Problem damit hat, etwas zu verkaufen: nämlich die eigene Tätigkeit.
Laut einer Statistik des Faktenkontors ist mit 45 Prozent der Job des Versicherungsvertreters der mit Abstand unbeliebteste (übrigens noch vor dem Berufswunsch Politiker). Nun ist Versicherungsvertreter nicht gleich Vertrieb, aber dennoch. Das Image des "Klinkenputzers", des "Drückers" oder eines "Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer" haftet dem Vertrieb leider an.
In einer Umfrage des Allensbacher Instituts unter 15- bis 24-Jährigen verschiedener Bildungsniveaus erscheint gar nicht erst die Tätigkeit des Vertriebsmitarbeiters. Eine andere Statistik der HSBC Bank besagt, dass 46 Prozent der Mediziner und 31 Prozent der Juristen sich denselben Beruf für ihre Kinder wünschen, bei Marketing und Vertrieb wünschen sich das nur noch magere zwölf Prozent – und das, obwohl Wirtschaftswissenschaften die zweitgrößte Gruppe der befragten Eltern ausgemacht hat. Sind Mama und Papa mit ihren Jobs etwa nicht zufrieden? Wird ein falsches Bild schon in die Wiege gelegt?
Stärkeres Eigenmarketing etablieren
So weit muss man nicht mutmaßen. Will der Vertrieb die Besten der Absolventen gewinnen, sollte er ein stärkeres Eigenmarketing innerhalb des Personalmarketings etablieren. Zu selten entdecke ich beispielsweise Vertriebsmitarbeiter auf Karrieremessen. Gerade Ingenieure und Naturwissenschaftler scheinen nicht hinreichend zu erkennen, dass Vertrieb eine hochspannende und herausfordernde Tätigkeit ist, die ihresgleichen im Unternehmen sucht. Es scheint viele Absolventen abzuschrecken, dass Vertrieb auch die Bereitschaft zur Reisetätigkeit und zu unregelmäßigen Arbeitszeiten bedingt. Abhilfe können hier Praktika und Traineeprogramme schaffen, in denen Studierende oder Auszubildende hautnah das spannende Berufsfeld Vertrieb erleben dürfen.
Die Qualifikationsanforderungen eines Vertriebsmitarbeiters sind hoch, jedoch sehr ambivalent und selten bei einzelnen Charakteren anzutreffen: Analytisches Denken und strategischer Weitblick müssen gepaart sein mit persönlichen Wesenszügen wie Einfühlungsvermögen, Beharrlichkeit und ein Stück weit menschlicher Nähe. Geeignete Kandidaten müssen gleichzeitig eine gute vertrauensvolle Kundenbeziehung aufbauen, ohne dabei die Interessen des Unternehmens zu vernachlässigen. Kandidaten wird dann ein spannender und abwechselnder Job geboten, der nebenbei durchaus attraktiv vergütet sein kann.
Industrie 4.0 mit Auswirkungen auf den Vertrieb
Darüber hinaus wird sich der Job des "Vertrieblers" weiter wandeln: Neue Technologien der Digitalisierung halten stärker Einzug. Anspruchsvolle Dateninterpretationen, um nicht den häufig falsch verwendeten Modebegriff Big Data zu verwenden, Industrie 4.0 mit seinen Auswirkungen auf den Vertrieb, neue Preismodelle, die die Digitalisierung erst ermöglicht und so weiter.
Das Feld der virtuellen Realitäten wird die Art der Produktpräsentation nachhaltig verändern. Schon heute gibt es interessante Beispiele, wie Unternehmen etwa virtuelle Showrooms etablieren. All diese Faktoren werden die Berufe im Vertrieb weiter modern und attraktiv halten.
Umgekehrt stehen jedoch einfache, standardisierte Vertriebstätigkeiten wie die einfache Angebotserstellung und die Auftragsverwaltung zur Disposition. Nach einer Studie von Forrester sollen bis 2020 durch die Digitalisierung über eine Million dieser eher repetitiven Jobs wegfallen. Allein die Deutsche Bank wird 200 ihrer Vertriebsstandorte – vulgo Filialen – schließen.
Eine Statistik hätte ich zum Schluss noch: Bei Mädchen und Jungen zwischen sechs und zwölf Jahren schneidet der Job des Vertriebsmitarbeiters übrigens sehr schlecht ab. Der Traumjob ist hier Tierärztin und Kinderkrankenschwester beziehungsweise Profifußballer, gefolgt vom Polizisten – aber an diese Ideale der Kindheit wird die Eigenwerbung des Vertriebs wohl niemals heranreichen.
PS: Schreiben Sie mir bitte gerne und berichten über Ihre Erfahrung mit dem Personalmarketing für den Vertrieb: rainer.elste@hs-esslingen.de