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09.06.2022 | Verkehrspolitik | Kommentar | Online-Artikel

Dilettantisch, unwissend und ignorant

verfasst von: Sven Eisenkrämer

3 Min. Lesedauer

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Das Europäische Parlament hat eine Forderung nach Emissionsfreiheit von Fahrzeugen ab dem Jahr 2035 verabschiedet. Warum diese Entscheidung nicht zielführend ist, aber auch nicht zwingend bedeutsam, kommentiert springerprofessional.de-Chefredakteur Sven Eisenkrämer.

Das EU-Parlament hat einem Teil eines europäischen Klima-Gesetzesentwurfs, "Fit for 55", zugestimmt und damit faktisch für ein Verbot von Verbrennungsmotoren in neu zugelassenen Fahrzeugen ab dem Jahr 2035 plädiert. Diese Entscheidung und auch die damit verbundene Ablehnung von synthetischen Kraftstoffen zeugt von dilettantischer Arbeit des Parlaments, fehlendem Verständnis der Abgeordneten für das große Ganze sowie Ignoranz der Politik gegenüber Forschung und Wissenschaft. Ein Armutszeugnis für den eh schon zahnlosen Tiger EU-Parlament, der in der öffentlichen Wahrnehmung ein bedeutsameres Ansehen genießt, als es ihm zusteht.

Eine Tank-to-Wheel-Forderung

Die Abgeordneten und voran die Ausschüsse, die sich mit dem Klimapaket auseinandersetzen sollten, scheinen ihre Arbeit schlichtweg nicht gemacht zu haben. Zwar wird aus dem EU-Parlament auch eine Forderung nach einheitlichen Methoden zur Bestimmung von CO2-Bilanzen im gesamten Lebenszyklus im Verkehrssektor laut, doch verabschiedet hat das Parlament eine Tank-to-Wheel-Forderung. Ein neuer Pkw oder leichtes Nutzfahrzeug soll demnach ab 2035 keine Emissionen mehr beim Betrieb verursachen. Dabei wird als völlig irrelevant abgetan, was bei der Produktion der Fahrzeuge, der Energiespeicher oder der Energieträgergewinnung geschieht.

Unkenntnis oder Ignoranz

Keine und keiner der zustimmenden EU-Politikerinnen und -Politiker scheint das Problem wirklich verstanden zu haben und jede Ja-Stimme für diese Parlamentsposition beweist die Unkenntnis – oder noch schlimmer: die Ignoranz – der notwendigen ganzheitlichen und sektorenübergreifenden Betrachtung. Eine Emissionsfreiheit eines Fahrzeugs im Betrieb zu fordern statt die Emissionsfreiheit des Energieträgers ist ein Fehler, der die Klimaziele sogar eher torpediert, statt ihnen zu dienen.

Technologieoffenheit hinweggefegt

Und auch die von Forschenden und Entwickelnden in der Wissenschaft und Industrie seit Jahren vehement geforderte Technologieoffenheit bei Antriebskonzepten wird vom Parlament einfach weggewischt. Dabei sind sich die Wissenschaftler und Ingenieure, die die Lösungen für das wohl  wichtigste Problem unserer Generationen finden müssen, in großen Teilen einig: Für eine möglichst effektive Neutralisierung von Treibhausgasemissionen im Verkehr, muss es einen Wettbewerb um die besten Anwendungen geben. Vor allem, wenn man die verschiedenen Herausforderungen innerhalb des Verkehrssektors und die zwingende Verknüpfung mit anderen Sektoren wie der Energieerzeugung und -bereitstellung betrachtet. Dazu gehören batterieelektrische Fahrzeuge genauso wie Brennstoffzellen-Fahrzeuge (betrieben mit Wasserstoff oder beispielsweise auch Methanol) und die effiziente Nutzung von synthetischen Kraftstoffen oder H2 in Verbrennungskraftmaschinen, schon allein wegen der enorm großen Bestandsflotte auch nach 2035. Alles unter der Prämisse, dass der jeweilige Energieträger mindestens CO2-neutral erzeugt wurde.

Fazit

Am Ende muss klar gesagt werden: Was das EU-Parlament entscheidet, hat keine Verbindlichkeit. Das Parlament darf jetzt mit den EU-Mitgliedsstaaten über seine Forderung verhandeln. Und diese sowie die EU-Komission treffen in der EU die Entscheidungen. Irgendwie kann man nun sogar froh sein, dass der extrem kosten- und energieintensive Betrieb eines solchen Gremiums ohne Entscheidungsbefugnis eine einzige große Steuerverschwendung ist. Denn dieses Parlament ist nicht nur ein zahnloser Tiger, sondern auch noch dilettantisch, unwissend und ignorant.


In einem Pro- und Contra-Kommentar beziehen springerprofessional.de-Redakteur Thomas Siebel und ATZ/MTZ-Chefredakteur Alexander Heintzel ebenfalls Stellung zur EU-Parlamentsentscheidung. Lesen Sie den Meinungsbeitrag hier. 

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