Was ist dran an der Debatte über ältere Autofahrer?
- 26.02.2025
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Sind Senioren noch fahrtauglich? Der Verkehrsgerichtstag in Goslar hatte die Debatte über ältere Menschen im Straßenverkehr jüngst wieder eröffnet. Ein Überblick.
Kontrollen oder Prüfungen? Die Fahrkompetenz ältere Autofahrer ist immer wieder Thema, wenn es um die Verkehrssicherheit im Straßenverkehr geht.
deagreez / Stock.adobe.com
Ob ältere Menschen eine Gefahr für den Straßenverkehr sind, wird in Deutschland seit Jahren immer wieder debattiert. Die Meinungen von Fachleuten dazu gehen auseinander – ebenso wie mögliche Lösungsvorschläge. Hintergrund der neu aufgeflammten Debatte war der Verkehrsgerichtstag in Goslar Ende Januar, der Verkehrssicherheits- und Verkehrsrechtsexperten zusammenbringt und Empfehlungen an den Gesetzgeber abgibt. Thema war dabei in diesem Jahr unter anderem, welche Rechte die Polizei bei Verkehrskontrollen etwa von älteren Menschen haben soll.
Bisher ist geregelt, dass die Polizei Autofahrer, bei denen sie Einschränkungen bei der Fahreignung vermutet, der Führerscheinstelle melden muss, erklärt ADAC-Chefjurist Andreas Schäpe. Die Behörde prüft die Hinweise in Gesprächen mit den Betroffenen und ordnet dann gegebenenfalls eine Beobachtungsfahrt oder eine fachärztliche Untersuchung an. Aber: Aus ADAC-Sicht ginge es zu weit, wenn die Polizei künftig bei Kontrollen Tests durchführen würde, die speziell auf mögliche Defizite älterer Verkehrsteilnehmer abzielen.
Polizeigewerkschaft fordert klare Regeln für Kontrollen
An dieser Regelung solle prinzipiell auch nichts geändert werden, betont der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens. Er fordert aber klarere Regeln darüber, wann die Polizei die Weiterfahrt untersagen kann. Bereits jetzt dürften die Beamten den Führerschein oder den Autoschlüssel eine Zeit lang zur Gefahrenabwehr einziehen.
Es dürfe nicht passieren, dass Polizisten oder Polizistinnen auffällige Menschen nach einer Kontrolle weiterfahren lassen und diese dann einen Unfall bauen. Zudem forderte er generell härtere Strafen für Verkehrswidrigkeiten – etwa häufigere Fahrverbote.
Versicherer wollen verpflichtende Rückmeldefahrten
Die Versicherer erneuerten in dem Zusammenhang ihre Forderung nach verpflichtenden Rückmeldefahrten für ältere Autofahrer. Damit gemeint sind 30- bis 60-minütige Fahrten im realen Straßenverkehr mit einem speziell geschulten Fahrlehrer oder Verkehrspsychologen, die danach Empfehlungen abgeben.
Die Ergebnisse der Rückmeldefahrt sollen aber geheim bleiben und keine Auswirkungen auf die Fahrerlaubnis haben. Studien würden zeigen, dass ältere Menschen mit den richtigen Hinweisen trotz altersbedingter Einschränkungen weiter sicher Auto fahren können, sagt Unfallforscherin Kirstin Zeidler vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Ebenso betont Springer-Autor Mark Vollrath im Kapitel Der Mensch als Verkehrsteilnehmer des Buchs Verkehrspsychologie, dass Rückmeldefahrten ein Ansatz für mehr Unterstützung älterer Autofahrer sein könnten. Vollrath ist Leiter des Lehrstuhls Ingenieur- und Verkehrspsychologie an der TU Braunschweig.
Verkehrspsychologen: Rückmeldefahrten freiwillig belassen
Auch die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) hält Rückmeldefahrten für sinnvoll. Sie müssten aber freiwillig bleiben, sagte DGVP-Präsident Wolfgang Fastenmeier. Senioren und Seniorinnen seien ohnehin durchaus motiviert, ihre Defizite zu erfahren, argumentiert er. Ältere Menschen hätten schließlich selbst ein Interesse daran lange und sicher Auto zu fahren.
Er frage sich, so Fastenmeier: "Warum sollen wir Millionen von Führerscheinen untersuchen für eine Handvoll schwarzer Schafe?" Besser seien daher klare vorgegebene Indizien, ab wann die Fahreignung untersucht werden soll. Das solle dann wie bisher von Fachleuten etwa bei einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) gemacht werden.
Erfahrung gleicht Verlust von Fähigkeiten aus
Doch welche Fähigkeiten benötigt man wirklich, um sicher zu fahren? Wie stark dürfen diese beeinträchtigt sein? Wie Springer-Autor Vollrath schreibt, sei es nicht zielführend, "Senioren auf ihre Leistungsfähigkeit zu testen und den Führerschein zu entziehen, wenn hier Defizite auftreten". Dieser Ansatz sei nicht zu begründen. Zwar würden gewisse Fähigkeiten mit der Zeit verloren gehen, gleichzeitig nehme aber die Fahrerfahrung immer mehr zu. Damit gleiche man möglicherweise durch die Erfahrung einen Verlust von Fähigkeiten aus. Fahre man zudem nur tagsüber bei wenig Verkehr und nur bekannte Strecken, ließen sich die aktuellen Anforderungen der Situation verringern, so Vollrath. Beides führe dazu, Unfälle zu vermeiden.
Dazu kommt: "Das erhöhte Unfallrisiko älterer Fahrer pro Kilometer scheint außerdem ein methodisches Artefakt zu sein, da ältere Fahrer kürzere Strecken in komplexeren Situationen zurücklegen", schreibt Vollrath. Das Hauptproblem der älterer Fahrer scheine zu sein, "dass sie aktuell nicht mehr so viel fahren und ihnen die aktuelle Fahrpraxis verloren geht. Hinzu kommt, dass ihre Fahrten eher im städtischen Bereich stattfinden, wo sich auch insgesamt ein höheres Unfallrisiko findet", so der Autor. Um die Unfälle von alten Fahrern zu reduzieren, scheine es laut Vollrath wichtiger zu sein, die Fahrpraxis zu erhalten und sie beim Fahren zu unterstützen, wie etwa mit den bereits erwähnten Rückmeldefahrten.
Altersgerechte Fahrerassistenzsysteme
Eine Unterstützung können auch Fahrerassistenzsysteme sein. "Geeignete Assistenzsysteme ermöglichen älteren Fahrern einen Ausgleich der gegenüber jüngeren Fahrern, schlechteren Informationsaufnahme und -verarbeitung und eine aktive Teilnahme am motorisierten Individualverkehr", wie die Springer-Autoren um Heike Proff im Buchkapitel Altersgerechte Fahrerassistenzsysteme: Technische, psychologische und betriebswirtschaftliche Aspekte – Eine Zusammenfassung erläutern. Deshalb seien den Autoren zufolge leistungsfähige Assistenzsysteme für ältere Fahrer wichtig, die das Fahrverhalten, aber auch Fahrleistung und Stressverhalten verbesserten und bei denen eine Akzeptanz und Zahlungsbereitschaft der Kunden bestehe.
Ein Beispiel aus der Forschung sind die EU-Projekte CARA und CARA II, die von den Springer-Autoren um Magdalena Gärtner im Buchkapitel Können Fahrassistenzsysteme zum Erhalt der Mobilität im Alter beitragen? Eine Betrachtung aus Perspektive der Mensch-Maschine Interaktion genannt werden. In den Projekten wurde zwei Fahrerassistenzsysteme zur Unterstützung älterer Autofahrer entwickelt. Zum einen ein Navigationssystem, das Routen vorschlägt, die an die Präferenzen der Nutzer angepasst sind. Verkehrssituationen und -bedingungen, die persönlich als schwierig oder unangenehm empfunden werden, sollen sich so vermeiden lassen, wie zum Beispiel Fahrten bei schlechten Wetterbedingungen oder unübersichtliche Kreisverkehre. Ein weiteres FAS-Konzept ist ein System, das das Fahrverhalten und die Fahrfähigkeiten der Nutzer aufzeichnet. So können Autofahrer eine Bewertung ihrer Fähigkeiten, etwa Abstandhalten oder Bremsverhalten, über ein persönliches Profil in der zugehörigen App einsehen.
Unabhängig von Anwendungsbereich und Zielgruppe sei es unverzichtbar, so die Autoren um Gärtner, die zukünftigen Nutzer in die verschiedenen Schritte der Erforschung und Entwicklung solcher Assistenzsystem einzubinden. Nur so könnten die reale Bedürfnisse der Zielgruppe und die Akzeptanz im Alltag gewährleistet werden. Gleichzeitig müsse auch klar sein, dass das alleinige Vorhandensein intelligenter Assistenzsysteme keine sichere und systemgerechte Handhabung sicherstelle, wie das Projekt GeFaBe deutlich gemacht habe. Wichtig sei eine einfache und nutzerfreundliche Bedienbarkeit der Systeme.
Standardisierte Tests bei Verkehrskontrollen?
Neben älteren Menschen im Verkehr wurde auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar auch generell über Verkehrskontrollen gesprochen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert etwa standardisierte freiwillige Tests nach US-amerikanischem Modell. Der Test, der derzeit etwa in Hamburg und Niedersachsen erprobt wird, beinhaltet etwa das Stehen auf einem Bein oder das Gehen auf einer geraden Linie. In den USA seien der Nutzen der Tests bereits wissenschaftlich überprüft worden, heißt es von der Polizeigewerkschaft.
Für den Automobilclub von Deutschland ist dabei wichtig, dass niemand zu diesen Tests gezwungen werden darf und Betroffene über die Freiwilligkeit informiert werden müssen. Kritik an diesen Tests kommt etwa vom Deutschen Anwaltverein. Der Verein befürchtet, dass die Polizei solche Tests vor allem bei Frauen und älteren Menschen anwenden könnte, auch wenn es gar keinen Hinweis auf eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit gibt. Durch unbegründete Tests könnten Menschen diskriminiert werden. Ferner seien Polizisten nicht ausreichend ausgebildet, um Erkrankungen wie Diabetes und dessen Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit zu erkennen.