Kap. 4 diskutiert mentale Modelle früher Akteure (bis 1926). In Abschn. 4.1 zunächst Sir Isaac Newtons Vorstellungen zu „globuli of light“ sowie ergänzende Überlegungen einiger seiner wichtigsten Anhänger, in den beiden folgenden Abschnitten dann Einsteins mentales Modell von Lichtquanten um 1909 als eine Singularität des Strahlungsfeldes, sowie Einsteins eigene Zweifel an Lichtquanten 1910–1915. In den Abschn. 4.4–6 folgen Überlegungen von drei einflußreichen Experimentatoren: Johannes Starks mentales Modell von Lichtquanten, J.J. Thomsons mentales Modell harter Röntgen-Strahlung sowie 4.6. Braggs mentales Paar-Teilchen-Modell von \(\gamma \)-Strahlung. Abschn. 4.7 behandelt Plancks, Debyes und Sommerfelds mentales Modell, das die Quantisierung von Energie und Impuls (erfolglos) auf die materiellen Resonatoren im schwarzen Körper zu reduzieren versuchte sowie Experimente von Meyer und Gerlach zur experimentellen Prüfung der Existenz vermeintlicher Verzögerungszeiten zwischen UV-Bestrahlung und Austritt von Photoelektronen im photoelektrischen Effekt. Abschn. 4.9 diskutiert Überlegungen Max von Laues und Erwin Schrödingers zu Wellenpaketen und Abschn. 4.10 behandelt Gilbert Lewis, mentales Modell von Photonen, mit dem der amerikanische Physiko-Chemiker 1926 aus Überlegungen über die zeitliche Symmetrie von Emission und Absorption den Begriff ‚Photon‘ einführte, aber noch völlig falsche Vorstellungen über die angebliche Erhaltung der Photonen-Zahl hatte.
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MS Add. 3996, Cambridge University Library, Cambridge, UK, fol. 104v, online unter http://www.enlighteningscience.sussex.ac.uk/view/texts/normalized/THEM00092; vgl. ibid., fol. 98r und Herivel
(1965) S. 122 für eine exakte hydrodynamische Analogie zur obigen Skizze in Form des Umströmens einer Kugel durch Wasser mit Bugwelle vorne (rechts) und Wirbel hinten (links).
Alle vorstehenden Zitate aus Newtons Questiones, auf 1664/65 datiert in der textkritischen Edition dieses Notizbuchs durch J.E. McGuire und Martin Tamny, Cambridge 1983, S. 384–385.
Die Collected Papers of Albert Einstein (CPAE) geben anfangs annähernd alle erhaltenen Briefe wieder, in späteren Bänden jedoch leider zunehmen nurmehr eine selektive Auswahl.
Einstein
(1909b), Zitat S. 499 (annotiert wiederabgedruckt in CPAE, Bd. 2, S. 563–583, Zitat S. 581). In ähnlichem Sinn in der Diskussion zu Einstein
(1909a), S. 826 bzw. CPAE 2, S. 586. Analog spricht Einstein in einem Brief an Sommerfeld vom 29. Sept. 1909 (CPAE, Bd. 5 (1993), S. 210) von einer „Anordnung der Energie des Lichts um diskrete, mit Lichtgeschwindigkeit bewegte Punkte“ (nicht: Teilchen).
Heinrich Kayser (1936) in seinen Erinnerungen aus meinem Leben, hrsg. v. Matthias Dörries & K. Hentschel
(1996) S. 228 f., im Originaltyposkript von 1936 auf S. 250 f.
Einstein
(1909b) S. 499–500 bzw. CPAE, Bd. 2, S. 581–582. Kojevnikov
(2002) S. 188 ff. interpretiert diese Passagen als gedankliche Verlängerung der nicht-mechanischen, nicht-korpuskularen Lorentz’schen Elektronenkonzeption, während ich hier eher eine Vorwegnahme quantisierter Feldtheorien sehe. ‚Undulatorisch‘ heißt allgemein wellenförmig und meint hier: „von den Maxwell-Gleichungen beschrieben“.
So in Einsteins Diskussionsbemerkung zu v.Laue
(1920) oder später zu Hermann Weyl, der in den 1920er Jahren ebenso wie Gustav Mie diesen Gedanken weiterverfolgte, sowie in einem unveröffentlicht gebliebenen Manuskript: siehe Einstein
(1927b) sowie dazu Belousek
(1996).
Siehe z. B. Lorentz an Einstein, 6. Mai 1909, CPAE Bd. 5, S. 170ff., Kox (Hg.) 2008 sowie Lorentz
(1910a) S. 354–355 und Lorentz
(1910b) S. 1249. Dass die sogenannten Kohärenzlängen, bis zu denen Wellenzüge zur Interferenz gebracht werden können, bei modernen Lichtquellen durchaus einige Meter, bei Lasern sogar Kilometer betragen können, zeigt, wie groß diese Abweichungen von der Punktförmigkeit aus heutiger Sicht sind.
Ibid., S. 176 (Hervorh. orig.). Im niederländischen Entwurf dieses Briefes (Archiv der Einstein Papers, EA 16-417) heisst es: „Deze bezwaren jammer want theorie lichtquanta wel mooi“. Zu
Vaihingers Fiktionalismus und seiner Anwendung in der Physik siehe Hentschel
(1990a) Abschn. 4.4. Hentschel
(2014a) und dort genannte Primärquellen.
Siehe z. B. Lorentz
(1910a) S. 354: „Das Gesagte dürfte genügen, um zu zeigen, daß von Lichtquanten, die bei der Fortbewegung in kleinen Räumen konzentriert und stets ungeteilt bleiben, keine Rede sein kann.“
Schon bevor beide einander getroffen hatten, schrieb Einstein in großer Wertschätzung über Lorentz an Dritte, so etwa an Jakob Laub am 17. Mai 1909 (CPAE Bd. 5, S. 187) über „H.A. Lorentz und Planck. Ersterer ist ein erstaunlich tiefsinniger und zugleich liebenswerter Mann.“
A. Einstein an J. Laub, 4. Nov. 1910, zit. in CPAE 5 (1993), Dok. 231, S. 260 f. (Hervorhebung orig.); vgl. Einstein an Laub, 27. Aug. 1910, ibid., Dok. 224, S. 254: „Mit der Frage der Konstitution des Lichtes bin ich nicht weiter gekommen. Es steckt etwas ganz prinzipielles dahinter.“
Zu Starks Vita und zu seiner Verstrickung in das NS-System siehe u. a. Hoffmann
(1982), Kleinert
(1983), Hentschel
(1996b) sowie Eckert in Hoffmann & Walker (Hg.) 2006.
Stark
(1909a) S. 583. Der Einheitlichkeit halber habe ich in diesem Zitat Starks Konvention, die Frequenz mit n zu bezeichnen, durchgängig in \(\nu \) geändert.
Stark
(1909a) S. 584; vgl. dazu auch den Kontrast zwischen „pragmatischer“ und „dogmatischer Arbeitsweise“ in Stark
(1922) Kap. I sowie in Kap. VII von Stark
(1950), wo jener hier nur vorsichtig angedeutete Methodenunterschied polemisch überspitzt wird.
Stark
(1950) S. 22 im Abschnitt II.5 „Die Existenz von Lichtkörperchen“ bzw. im Motto S. 5. Hingegen wählte Stark ibid. auf S. 50 eine vorsichtigere Formulierung: „lediglich ein Vorschlag, der zu weiteren Beobachtungen anregen mag“, aber diese Passage entstammt dem Entwurf eines in sein letztes Buch eingearbeiteten Aufsatzes, mit dem Stark (vergeblich) „dogmatische Gegner“ zu überzeugen versucht hatte; sie hat also eher strategischen Charakter, aber zeigt doch, wie Stark – was den ontologischen Status der „Lichtwirbel“ (s. u.) betraf – bis zuletzt lavierte.
Siehe Stark
(1908b) S. 889: „Es entspricht der fundamentalen Bedeutung eines so allgemeinen Prinzips, wie es die Lichtquantenhypothese ist, dass sie sowohl neue Erscheinungen voraussagen läßt als auch die Bedeutung bis jetzt nur wenig beachteter Vorgänge erkennen läßt. [...] im zweiten Teil der vorliegenden Mitteilung wird zum ersten Male eine Anwendung dieser [Lichtquanten]hypothese auf die Photochemie versucht, welche drei fundamentale photochemische Gesetze liefert.“
Stark
(1912a) S. 468; analog auch Stark
(1909a) S. 583: „Auf Grund der Anwendung der Lichtquantenhypothese auf die Erfahrungen über die Röntgenstrahlen komme ich auf anderem Wege als Einstein, der vielleicht kürzer und einfacher ist, zu derselben Folgerung wie Einstein.“
Siehe Stark
(1922) sowie die vernichtende Kritik daran in der Rezension durch Max von Laue
(1923a) S. 30: „Alles in allem wünschten wir, dieses Buch wäre ungeschrieben geblieben, und zwar im Interesse der Wissenschaft im allgemeinen, der deutschen Wissenschaft im besonderen, und nicht zuletzt im Interesse des Verfassers.“
Siehe Stark
(1927) S. 29 sowie Kleinert
(2002) zu weiterführenden Quellen und Analysen dazu. In einem Folgeartikel in den Annalen der Physik verriet Stark
(1930) S. 687, dass dieser Begriff „aus dem Newtonschen Gedanken des Lichtkörperchens [...] entwickelt worden ist.“
Stark
(1927) S. 33. Man kann diese Licht- und Quantenwirbel als Starks anschauliche Reinterpretation des Spins von Photonen und Elektronen deuten, der bei Emissions- und Absorptionsvorgängen erhalten bleibt. Bezeichnenderweise haben sich Starks Mitarbeiter Robert Döpel und Rudolf von Hirsch von diesem Manuskript distanziert und es abgelehnt, als Mitverfasser genannt zu werden: siehe v. Hirsch & Döpel (1928) sowie Kleinert
(2002) S. 217.
Ibid., S. 41–50, dort ein unpubl. achtseitiges Manuskript über „Experimentelle Untersuchungen über die Natur des Lichtes“ reproduzierend, das Stark nirgendwo zur Veröffentlichung untergebracht hatte. Auch sein Behelfslabor im Eppenstatter Bauernhof seines Sohnes war zu diesem Zeitpunkt als Flüchtlingsunterkunft beschlagnahmt worden, nachdem Stark aus seinem eigenen Haus in Traunstein bereits 1947 vom Militärgouverneur Thom ausgewiesen worden war (ibid., S. 61).
Zur Gruppierung der ,Deutschen Physik’ und ihrem schwachen Einfluss siehe z. B. Hentschel
(1996) S. lxx-lxxvii, (2005) S. 90–95, Eckert in Hoffmann & Walker (Hg.) 2006 sowie Schneider
(2015) u. dort jeweils genannte weiterführende Quellen, auch zur Abstempelung von Lenard und Stark als Sündenböcken einer sich ansonsten reinwaschenden Physik-Community.
Zu diesen experimentellen Befunden siehe z. B. Thomson
(1903/04, 1908a), Barkla
(1906)–
(1910), W.H. Bragg
(1907)–
(1912/13), Sommerfeld
(1911b), Millikan
(1913) S. 128 und dort jeweils zit. weiterführende Primärtexte.
Thomson
(1893) S. 4 u. 43. Zu J.J. Thomsons Licht- u. Äthermodell: McCormmach
(1967), Navarro
(2005), Bordoni
(2009, 2011/12) u. dort genannte weitere Quellen.
J.J. Thomson
(1924) S. 738; vgl. analog J.J. Thomson
(1925) S. 24–28 sowie in erstaunlicher Ähnlichkeit des mentalen Modells mehr als 30 Jahre später im Kontext der Geometrodynamik dann John Archibald Wheeler (wiedergegeben in Wright
(2012) S. 173).
Millikan
(1913) S. 130 und 133; analog auch Millikan
(1916b) S. 383: „we must abandon the Thomson-Einstein hypothesis of localized energy [...] which seems at present to be wholly untenable“.
Zu W.H. Braggs australischem Hintergrund, seiner Ausbildung in England, Rückkehr nach Australien und Remigration nach England 1909 sowie zu seinem Werk siehe Wheaton
(1983) S. 81 ff., Jenkin
(2004, 2007). Über seinen Opponenten Barkla, der 1905 die Polarisierbarkeit der Röntgenstrahlung experimentell nachgewiesen hatte, siehe hier Abschn. 3.3.
So erstmals in Bragg
(1907) S. 440 f. Diese von Bragg gelegentlich auch als ‚neutrons‘ bezeichneten Teilchenpaare sind nicht identisch mit den heute als ‚Neutronen‘ bezeichneten ungeladenen Kernbausteinen, den Hadronen!
Bragg
(1912/13b) S. IV; vgl. ibid., S. V: „Unter diesem Gesichtspunkte besteht kein Unterschied zwischen den Röntgen[- und \(\gamma \)]-strahlen und dem Licht, außer in der Wellenlänge.“ Analog in Bragg
(1907a) S. vi: „the three forms of radiation differ in degree rather than in kind.“
Ibid., S. 170 f. Für weiterführende Analysen und Literatur zur Braggschen Korpuskulartheorie von Röntgen- und \(\gamma \)-Strahlen siehe Stuewer
(1971) sowie Wheaton
(1983) S. 81 ff.
Siehe z. B. Bragg
(1908a) S. 270: „the kathode [sic] radiations from a given stratum of matter traversed by \(\gamma \) rays possess momentum in the original direction of motion of the rays, and this shows that the rays are material.“
Zur Sommerfeld-Stark-Kontroverse über diesen Punkt siehe Hermann
(1968), Wheaton
(1983) S. 116 ff., 135 ff. und die dort jeweils angeführte Primärliteratur und Korrespondenz.
E. Regener, ca. 1912, S. 103: ‚Die Strahlen der radioaktiven Substanzen‘, Separatabdruck eines Kapitels aus einem nicht ermittelbaren Buch im Regener-Nachlass, Universitätsarchiv Stuttgart; analog auch Regener
(1915) S. 8: „Dem Wesen nach den Röntgenstrahlen ähnlich sind die sog. \(\gamma \)-Strahlen.“ Auch Egon von Schweidler
(1910) versuchte erfolglos, eine experimentelle Entscheidung zu fällen.
Bragg
(1912/13b) S. III, 132 f., 165, Bragg
(1912/13a) S. vi sowie passim; analog auch Bragg
(1907) S. 442, Bragg & Marsden
(1908a) S. 938 u. 670: „The x-rays resemble the \(\gamma \) rays so closely that it is practically inconceivable that the two radiations should be essentially different.“
Einen guten Literaturüberblick bietet der selbst derartige Alternativmodelle entwickelnde Biologe an der Cornell University, Bruce Wayne
(2009) S. 23 ff.
Über die sog. zweite Quantentheorie Plancks siehe Planck
(1910)–
(1913), sowie Needell
(1980), Whitaker
(1985), Gearhart in Hoffmann (Hg.) 2010, S. 116, und Kragh
(2014c).
Meyer & Gerlach
(1914) S. 223; für eine spätere Berechnung der spontanen Lichtemission im semiklassischen Rahmen der Schrödingergleichung siehe Fritsche
(2021).
Meyer & Gerlach
(1914) S. 221. Bei sehr niedrigen Strahlungsintensitäten, sprich bei sehr kleiner Zahl beteiligter Lichtquanten, könnten Effekte der erst 1924/25 aufkommenden Quantenstatistiken eine Rolle gespielt haben, hier konkret das Paulische Ausschließungsprinzip für Fermionen, zu denen ja auch die Photoelektronen zählten, sowie bunching- und antibunching-Effekte (vgl. hier Abschn. 8.6 und 8.7)
Siehe Schrödinger
(1926b) sowie Schrödingers Brief an Planck, 11. Juni 1926, in Przibram (Hg.) 1963, S. 14; die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der \(\varPsi \)-Funktion stammt von Max Born
(1926a).
Über diesen Punkt siehe den Briefwechsel von H.A. Lorentz an E. Schrödinger, 27. Mai 1926 sowie Schrödinger an Planck, 31. Mai 1926 bzw. an Lorentz, 6. Juni 1926, beide abgedruckt in Przibram (Hg.) 1963, insbesondere S. 9 u. 43–45 bzw. 54.
Über die große Wirkmächtigkeit von Schrödingers Wellenmechanik auf die Geschichte der Quantenmechanik insgesamt, siehe Rechenberg (1982 ff.) Bd. 5, Darrigol
(1986, 1992) u. dort jeweils genannte weiterführende Texte.
Einstein
(1927) S. 546 spricht z. B. von „Hunderttausende[n] oder Millionen von Schwingungen“, die notwendig seien, um die Welle zu erzeugen. Mit Heisenberg
(1927) wurde klar, dass die mit seiner Unschärferelation zusammenhängende Relation \(\varDelta \)E\(\cdot \)\(\varDelta \)t\(\ge \)\(\hbar \) zwischen zeitlicher Dauer \(\varDelta \)t und der Breite des Energiespektrums \(\varDelta \)E sehr große Zeiten t verlangt, um die Energieunschärfe \(\varDelta \)E und damit auch die Frequenzunschärfe \(\varDelta {\nu }\) hinreichend klein zu machen.