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04.10.2019 | Versicherungsmarkt | Schwerpunkt | Online-Artikel

Deutsche übernehmen immer weniger Eigenverantwortung

4 Min. Lesedauer

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Datenschutz ist den Deutschen keinen Cent wert, die Angst vor Unwettern und Naturkatastrophen löst die Angst von Gewalt und Krieg ab. Eine aktuelle Studie beleuchtet die Risikokompetenz hierzulande.

Unter den Deutschen ist eine abnehmende Eigenverantwortung festzustellen. In Anbetracht aktueller Großthemen wie Digitalisierung, Klimawandel, Alter, Geld oder Gesundheit attestiert der Risiko-Report 2019 des Versicherers Ergo den Bundesbürgern, die Sorge um die eigene Sicherheit gerne abzugeben. Was unter dem Begriff Risikokompetenz das Erkennen und die richtige Einschätzung von Risiken sowie den aktiven wie erfolgreichen Umgang damit zusammenfasst, wurde für die Studie an 3.200 Teilnehmern untersucht.

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KI suspekt, Datenschutz egal

Besonders in Bereichen der Digitalisierung scheuen die meisten Befragten noch vor dem Neuen und halten am Altvertrauten fest. Neun von zehn Personen schenken ihrem Arzt mehr Glauben als einer Diagnose, die auf Künstlicher Intelligenz basiert. Auch bei der Pflege ziehen 85 Prozent der Befragten einen realen Menschen einem Pflegeroboter vor. Gleiches gilt für die Finanzberatung: Hier vertrauen 69 Prozent eher einem Finanzberater als einem virtuellen Assistenten.

Ein sorgloseres Bild ergibt sich, betrachtet man den gut etablierten Bereich der Soziale Medien. Obwohl bekannt ist, dass Facebook, Whatsapp oder Instagram Daten ihrer Nutzer sammeln und verkaufen, sind 75 Prozent der Deutschen nicht gewillt, für den Schutz ihrer Daten überhaupt Geld auszugeben - nicht einmal für die Nutzung der Online-Angebote, selbst wenn gegen Gebühr die Privatsphäre schützbar wäre. "Eine gute Aufklärung an Schulen zum Thema Datenschutz fehlt in Deutschland häufig", bedauert Mark Klein, Vorstandsvorsitzender Ergo Digital Ventures. Er zeigt sich wenig verwundert, dass die Zahlungsbereitschaft für den persönlichen Datenschutz gegenwärtig eher gering ist.

Angst ja, Vorsorge nein

Die Deutschen fürchten vieles, leiten jedoch keine Maßnahmen zur Abhilfe in die Wege. So fürchten sich 39 Prozent der Deutschen vor Altersarmut. Doch anstatt monatliche Rücklagen für die private Altersvorsorge zu bilden, verzichtet jeder Vierte darauf. Unter den 18- bis 30-Jährigen sowie bei Frauen beträgt ihr Anteil sogar ein Drittel.

Ähnlich stellt sich das Szenario beim Thema Gesundheit dar. Mit positivem Denken glaubt jeder Dritte, sein Leben verlängern zu können. Nur jeder Fünfte betrachtet regelmäßige medizinische Check-ups unter dem gleichen Nutzen für ein langes Leben; Sport und Bewegung jeder Vierte. Dass Rauchen die Lebenserwartung verkürzt, ist rund der Hälfte der Studien-Teilnehmer bewusst. Geht es jedoch um die eigene praktische Umsetzung der Erkenntnisse, halten nur zwölf Prozent Nichtrauchen für eine lebensverlängernde Maßnahme.

Terrorismus weicht dem Klimawandel 

Dass mehrheitlich junge Umfrage-Teilnehmer (18 bis 30 Jahre) Verantwortung abgeben würden, dafür aber schnell auf neue Themen aufspringen, dürfte sich in der Themengewichtung dieser Altersgruppe begründen. Der Ruhestand erscheint noch weit entfernt, die Gesundheit ist noch intakt, stattdessen bereiten emotional aufgeladene Themen wie der Klimawandel den Jungen unmittelbareren Kummer. Immerhin 40 Prozent der Deutschen geben unter den meist gefürchteten Risiken nicht länger die Angst vor Terrorismus oder Krieg an, sondern jene vor Unwettern und Naturkatastrophen als Folge des Klimawandels.

Das blinde Vertrauen auf den Staat und seine Systeme offenbart sich auch beim Thema Sozialkreditsystem nach dem chinesischen Vorbild. Finanzielles, moralische und politisches Wohl- oder Fehlverhalten mit einem Punktesystem zu sanktionieren, würden 20 Prozent der Befragten gutheißen.

Nahezu einig sind sich alle Altersgruppen beim Bargeld: An Papierschein und Münze möchten 91 Prozent der Deutschen festhalten, wobei Selbstständige und Facharbeiter besonders viel Wert auf die hergebrachte, haptische Form des Geldes legen.

Komplette Sicherheit gibt es nicht

"Im Vergleich zum Ergo Risiko Report von 2018 können wir feststellen, dass sich die Risikokompetenz der Befragten nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat", resümiert Professor Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding- Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. "Eine Fehleinschätzung hat sich jedoch geändert: Die Angst vor Terrorismus hat abgenommen. Klimaschutz und Naturkatastrophen sind dagegen stärker ins Bewusstsein gerückt."

Zum Schluss kommt die Studie dann aber, dass es wiederum Aufgabe des Staates ist, seinen Bürgern bei den genannten Themen verlässliche Orientierungshilfe zu bieten. Dabei möchten die Springer-Autoren Lando Kirchmair und Daniel-Erasmus Khan die Rolle des Staates aber nicht über die individuelle Eigenverantwortung gestellt wissen. In "Gibt es ein Recht auf Null-Risiko? Die Risikogesellschaft vor dem Bundesverfassungsgericht" (Seite 225) betonen sie:

Und [...] beinhaltet der Gesellschaftsvertrag wirklich einen Anspruch der BürgerIn darauf, dass ihm der Staat, gewissermaßen als Gegenleistung für seine freiwillige „Entwaffnung“, eine umfassende Sicherheitsgarantie in Gestalt eines risikofreien Lebens schuldet? Wir verneinen diese Frage und diagnostizieren abschließend, dass unsere Rechts- und Verfassungsordnung [...] sehr wohl ein beträchtliches Maß an sicheren Unsicherheiten zumutet. Und dies ganz zu Recht: Der moderne freiheitlich-demokratische Rechtsstaat kennt kein Recht auf NullRisiko. Die Schwester der Freiheit ist die Unsicherheit, nicht die Sicherheit"

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