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27.08.2019 | Versicherungsvertriebsstrategie | Interview | Online-Artikel

"Adaptive Versicherungsmodelle erwarten wir für 2020"

verfasst von: Swantje Francke

6 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Stephen Voss

Stephen Voss ist Gründer und Vorstand der Neodigital Versicherung AG.

Ein häufig beschriebenes Zukunftsszenario für Versicherungsprodukte ist das situative Versichern. Laut Stephen Voss vom Online-Versicherer Neodigital sind nicht situative Versicherungsprodukte die Zukunft der Branche, sondern vielmehr adaptive.

springerprofessional.de: Was ist der Unterschied zwischen adaptiven und situativen Versicherungsprodukten?

Stephen Voss: Das ist sehr einfach erklärt. Situative Produkte werden in dem Moment kurz vor dem tatsächlichen Eintreten oder dem erhöhten Risiko vom Kunden komplett neu abgeschlossen. Er trifft also kurzfristig eine Entscheidung in einer Situation, in der sie oder er vielleicht gar nicht gerne an das damit verbundene Risiko denken möchte. Bei dem adaptiven Produkt legt der Kunde eine mögliche Risikoabdeckung schon weit vorher, in der Regel zu Vertragsbeginn, fest, und zwar nur für den Umstand, dass diese Risiko-Situation auch eintritt. Das Beispiel Skifahren macht das deutlich: Der Kunde entscheidet beim Vertragsabschluss, dass er eine erhöhte Leistung bei einem Skiunfall möchte. Diese Leistung gilt nur dann und wird auch nur dann berechnet, wenn der Kunde tatsächlich am Skifahren ist. Dabei geschieht die Ermittlung, ob er gerade auch wirklich skifährt, am besten automatisch, beispielsweise über das Smartphone oder über eine Smartwatch. Die Rückfrage in der Gondel, ob er eine zusätzliche Versicherung wünscht, entfällt, wie beim situativen Modell.

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Welche Daten werden für die jeweiligen Produkte benötigt?

Im Grunde nicht viel mehr als in einem klassischen Vertrag auch. Nur müssen die über ein smartes Device oder durch den Kunden selbst eingegeben Information zur Risikosituation übertragen werden. Dies kann anhand der GPS-Daten eines Smartphones oder einer Smartwatch vollkommen automatisch erfolgen. Stellt das Device fest, dass der Kunde sich im Winter in einem Skigebiet befindet, wird der Schutz automatisch aktiviert, wobei natürlich immer noch eine Opt-Out-Option für den Kunden möglich ist, denn vielleicht fährt er nur mit der Gondel auf die Alm zum Mittagessen. Auch dafür muss Raum in der Police gelassen werden.

Welche digitale Infrastruktur benötigen Versicherungsunternehmen dafür?

Beim Versicherer wird die Aufgabe komplexer. Er muss zuallererst über digitale Schnittstellen verfügen, die zusätzliche Echtzeitdaten vom Kunden oder vom Smart Device verarbeiten können. Dazu muss das interne Produktmodell sowie das Schadenmodell mit den Echtzeitdaten von extern verknüpft werden. Denn beispielweise müssen die GPS-Daten vom Schadensystem erfasst werden und im Schadenfall dann automatisiert und vorbelegt die angepassten Schadenleistungen auslösen. Das System muss also in der Lage sein, in bestimmten Zeiträumen unterjährig erhöhte Leistungspositionen zeitgenau - wir sprechen von pro rata temporis - abzurechnen und dies auch vollautomatisch in die Buchhaltung und Rechnungslegung für den Kunden zu integrieren. Wer als Versicherer hier manuelle Nachbearbeitung benötigt, kann kein attraktives, transparentes und schnell agierendes Produkt anbieten.

Wie lässt sich umschiffen, dass Smartphone-Besitzer den Ortungsdienst deaktivieren, um der temporären Umstellung auf Tarife mit größerer Risiko-Einstufung zu entgehen?

Nun ja, das ist ein Thema, das nicht nur adaptive Modelle betrifft. In diesem Fall entgeht dem Kunden im Wesentlichen ja eine verbesserte Leistung. Der Beinbruch ist ja auch in der normalen Unfallversicherung abgesichert und bedarf keiner adaptiven Erfassung. Der Versicherte erhielte doch im Falle des Skiunfalls erhöhte Leistungen, beispielsweise für eine bessere Versorgung im Urlaubsort oder im Ausland. Schaltet er die Datenübertragung beim adaptiven Modell aus, entzieht er sich also selbst einer besseren Leistung und der Versicherer reguliert nur den klassischen Beinbruch.

Wir verstehen adaptiv als Erweiterung der Risikoabsicherung, also Zusatznutzen für den Kunden. Das bedeutet, dass meine Unfallversicherung nicht gänzlich auf adaptiver Erfassung besteht, sondern ich in erster Linie Zusatzleistungen durch adaptive Modelle versichere. Nehmen Sie das Beispiel Auto. Ich habe eine reguläre KFZ-Versicherung. Durch ein adaptives Ad-on könnte ich aber zusätzlich versichern lassen, dass ich ab und zu auch einmal über die Rennstrecke fahre. Beim adaptiven Modell muss ich für diese zusätzliche Leistung keinen pauschalen Preis zahlen, sondern nur dann, wenn ich auch wirklich über die Rennstrecke fahre und auch nur für den genauen Zeitraum, bis ich wieder auf Straßen mit StVO unterwegs bin.

Was erwarten Kunden heute von einer innovativen Versicherung?

Klare Transparenz, Einsicht in die notwendigen Vertragsunterlagen, Policen und Nachträge von überall und jederzeit. Moderne Kunden sind ganz klar konditioniert von Amazon und Co. Auch in Versicherungsangelegenheiten erwarten diese Kunden eine Übersicht ihrer Verträge, vergleichbar mit der Übersicht ihrer Bestellungen bei einem Online-Händler. Gleiches gilt für den Service. Hier verlangt der Kunde jederzeit Einsicht und optimalerweise sofortige Information, sollte sich der Status der Serviceanfrage ändern. Ein moderner Versicherer mit einer stringent digitalen Ausrichtung kann genau diese Informationen in Echtzeit vorhalten und zur Verfügung stellen. Und auch der Faktor Geschwindigkeit wird immer wichtiger: Der Kunde, der die Versicherung abschließt, möchte nicht sieben Tage auf die Police warten. Er erwartet sofort eine Bestätigung, dass er versichert ist.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Tierhalterversicherung. Der Hundehalter hat an alles gedacht, Tierfutter, Leine, Hundeschule, nur an die Tierhalterhaftpflicht (THV) nicht. Nun steht er am Zaun der Hundeschule, doch ohne THV kommt er nicht rein. Er braucht also eine schnelle Deckungszusage. Mobil kann er eine THV abschließen, bekommt die Police digital bestätigt, sodass er diese schnell beim Hundetrainer vorzeigen und auf den Hundeübungsplatz kann. Das geht nur im digitalen Modell.

Wie bereit für adaptive Versicherungsprodukte sind die ersten deutschen Versicherer?

Die Grundlagen für adaptive Versicherungsprodukte sind bei den modernen Unternehmen gelegt. Dennoch haben gerade die neuen Unternehmen Vorteile, da sie ihre Infrastruktur von Anfang an konsequent auf effiziente digitale Abläufe optimiert haben, besonders hinsichtlich Time-to-market. Sie haben erst gar keine manuellen Prozesse etabliert und müssen auch nicht mit verschiedenen, in sich geschlossenen Systemen arbeiten, wie das die Mehrzahl der großen etablierten Versicherer noch tun. Stattdessen können sie direkt auf web-optimierte Systemarchitektur zurückgreifen. Die Einführung erster adaptiver Modelle erwarten wir für Mitte 2020.

Wie lassen sich solche Produkte fair berechnen?  

So wie sich andere Risikoparameter auch berechnen lassen. Nur muss der Versicherer diese begrenzten Zeiträume in seinem Produktmodell darstellen und auch abrechnen können. In der normalen Versicherung wird das Schadenereignis in seiner Eintrittswahrscheinlichkeit über den Zeitraum, beispielsweise ein Jahr, als Durchschnitt ermittelt. In der adaptiven Form ist der Zeitraum der Schadeneintrittswahrscheinlichkeit viel kürzer, oder tritt gegebenenfalls gar nicht ein, weil der Kunde im entsprechenden Abrechnungszeitraum überhaupt nicht Skifahren geht. Da der Durchschnitt für einen kürzeren Zeitraum mit erhöhtem Risiko ermittelt wird, ist der Durchschnitt absolut (also der Schadenbedarfswert) höher, wird aber nur auf wenige Tage angerechnet. Gut zu vergleichen mit einer Dauerkarte für das Schwimmbad: Diese ist über das Jahr gerechnet im Schnitt auch günstiger als die Einzelkarte, aber die wenigsten gehen so oft ins Schwimmbad. Da ist es sinnvoller, öfter eine Einzelkarte zu kaufen.

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