Ob als Berater, als Referent oder einfach nur als Empfänger von Drittmitteln: Vor allem renommierte Mediziner besitzen häufig enge Verbindungen zur Industrie. Dadurch entstehen finanzielle Interessenkonflikte, die die Expertise der Mediziner zugunsten der Unternehmen und ihrer Produkte möglicherweise verzerren können.
Bisher setzen sich Journalisten in der Berichterstattung kaum mit den Interessenkonflikten ihrer Experten auseinander. Ein häufig angegebener Grund dafür ist neben einem fehlenden Bewusstsein auch mangelnde Zeit. Ein entsprechender Rechercheleitfaden könnte helfen, eine gezielte, effiziente Suche der Interessenkonflikte zu ermöglichen.
Dieser Beitrag liefert in einem ersten, theoretischen Teil einen Überblick über die Definition von Interessenkonflikten, die Art der Verstrickungen sowie die Regulierungen. Außerdem wird reflektiert, welche Rolle Mediziner in der journalistischen Berichterstattung spielen und warum es so wichtig ist, auf ihre Interessenkonflikte einzugehen.
Im zweiten, praxisorientierten Teil werden zehn Quellen vorgestellt, die Aufschluss über finanzielle Interessenkonflikte geben können. Diese stützen sich vor allem auf Dokumente, in denen Mediziner ihre Interessenkonflikte offen legen müssen und öffentliche Auftritte der Mediziner, bei denen Verbindungen zur Industrie deutlich werden. Außerdem werden Vorschläge unterbreitet, wie Journalisten mit den recherchierten Verbindungen umgehen können. Diese sind als Diskussionsgrundlage zu verstehen.
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Die Ergebnisse basieren auf einer explorativen, nicht veröffentlichten Masterarbeit der Autorin, die im Rahmen des Studiengangs Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund geschrieben wurde. Betreuer waren Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund, und Klaus Koch, Experte für Interessenkonflikte am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) (vgl. Berres 2012).
Ein Beispiel: Im November 2013 wurden in den USA neue Therapieempfehlungen für Statine veröffentlicht. Dabei handelt es sich um Medikamente, die den Cholesterinspiegel senken und vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützen sollen. Laut den neuen US-Richtlinien müssten künftig rund 33 Mio. US-Amerikaner die Tabletten schlucken – deutlich mehr als zuvor. Etwa die Hälfte der Mitglieder der Expertengruppe, die die neuen Empfehlungen entwickelt hat, verfügte über finanzielle Verbindungen zu den Herstellern von Herzmedikamenten. Die Begründung eines Vertreters des staatlichen National Heart, Lung and Blood Institute, das die Leitlinie in Auftrag gegeben hatte: Es sei praktisch unmöglich, eine größere Gruppe ausgesprochener Experten auf diesem Gebiet zu finden, die keine Verbindung zur Industrie pflegt (vgl. Marchione 2013).
Ein Beispiel: Angestellte der Cleveland Clinic dürfen erst nach Rücksprache mit ihrem Institut als Berater für die Pharmaindustrie arbeiten, die Bezahlung muss fairen Marktpreisen entsprechen und dokumentiert werden (vgl. Cleveland Clinic 2007).
Neben den finanziellen Interessenkonflikten, die hier erfasst werden, existieren auch eine Reihe persönlicher Interessenkonflikte, die jeder Mensch besitzt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Mediziner mit dem Autor einer anderen Studie befreundet ist und diesen nicht vor den Kopf stoßen möchte. Diese können in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden.
Die Quellen resultieren aus einer umfassenden Literaturrecherche, bei der sich die Autorin mit den meistzitierten Standardwerken vor allem aus dem englischsprachigen Raum auseinandergesetzt hat. Sie sind als Diskussionsgrundlage für entsprechende Rechercheleitfäden zu sehen.
Anleitung: Die Homepage http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed aufrufen und den Suchbegriff in das Fenster auf der Startseite eingeben, bei den Ergebnissen in der linken Spalte den Filter „Journal categories“ einblenden lassen und dort die „Core clinical journals“ auswählen (Stand: 6. November 2013).
Anleitung: Nach der Suche in der linken Spalte bei den Filtern unter „Text availability“ die Möglichkeit „Free full text available“ auswählen (Stand: 6. November 2013).
Die Vorgaben orientieren sich am Formblatt des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE), das unter anderem das renommierte New England Journal of Medicine nutzt. Darin wird zum Beispiel unterschieden, ob ein Mediziner Geld für eine klinische Auftragsstudie oder für eine selbst initiierte Studie erhielt (vgl. ICMJE 2013).
Zwei gängige Register sind clinicaltrials.gov der US-National Institutes of Health sowie ein zentrales deutsches Register des Universitätsklinikums Freiburg (germanctr.de).
Eine derartige Recherche machten sich auch die Forscher der beschriebenen Studie zum Diabetes-Mittel Rosiglitazon zunutze. Die vorgeschlagenen Suchwörter sind an ihre Arbeit angelehnt (vgl. Wang et al. 2010).
Ein Beispiel: Die Regulierung der Harvard Medical School verbietet den Forschern zum Beispiel nicht die Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen, sondern die anschließende Ausführung gemeinsamer Forschungsprojekte (vgl. HMS 2013).
Die präsentierten Möglichkeiten basieren neben der zitierten Literatur zur Bewertung von Interessenkonflikten auch auf der Auswertung verschiedener Interessenkonflikt-Regulierungen durch die Autorin im Rahmen ihrer Masterarbeit (vgl. Berres 2012). Dabei handelte es sich um Kodizes der Industrie zum Umgang mit Interessenkonflikten sowie um die Policen verschiedener medizinischer Institute in den USA, darunter die Harvard Medical School.
Ein Beispiel: Im Jahr 2001 stimmte das Jointventure TAP Pharmaceuticals zu, 875 Mio. US-Dollar Strafe zu zahlen. Es hatte das Krebsmedikament Lupron in den USA zu ermäßigten Preisen oder sogar kostenlos an Mediziner verteilt und diese dazu ermutigt, den vollen Preis für das Medikament abzurechnen. Als Gegenleistung für Verschreibungen wurden Ärzte zudem als Berater angestellt, ohne dass eine Beratung stattfand (vgl. Studdert et al. 2004).