Die Digitalisierung verändert vieles im Vertrieb, vor allem Verkaufswege und Kundenbetreuung, könnte man meinen. Doch eine Umfrage zeigt: E-Commerce und klassischer Außendienst bleiben gleich wichtig.
Weniger "Number Crunching", mehr Beratung: Der klassische Außendienst hat trotz digitalem Vertrieb weiterhin seine Berechtigung.
Franz Pfluegl/Fotolia
Die persönliche Außendienstarbeit hat einen unverändert wichtigen Stellenwert im B2B-Vertrieb, neben den Verkaufskanälen E-Commerce und Telefonverkauf. Das zeigen Ergebnisse einer Umfrage des Veranstaltungsdienstleisters Project Networks unter Vertriebsführungsteilnehmern eines Strategiegipfels zu B2B-Vertrieb und Key Account Management. Die Teilnehmer sagen aus, dass sie selbst beim Einkauf nach eigener Aussage gleichermaßen in klassische Vertriebsgespräche gehen oder direkt online bestellen. Das bedeutet, dass sich auch im digitalisierten B2B-Vertrieb Online-Verkauf und Außendienste gegenseitig ergänzen können und nicht konkurrieren müssen. Für die Zukunft prognostizieren die Vertriebsentscheider, dass beide Vertriebswege denselben Stellenwert haben.
Das Argument: Der Außendienst kann individuell beraten, wiederkehrende Einkäufe und Bestellungen von Kunden können aus dem Webshop generiert werden – so wird die Kundenbeziehung auf mehreren Kanälen aufrechterhalten. Dennoch messen zwar nur 29 Prozent der Befragten dem Außendienst oder Telefonverkauf für die Zukunft die größte Bedeutung zu, in ihrem eigenen Unternehmen werden Einkäufe aktuell jedoch erst zu zehn Prozent online getätigt. Die optimale geschäftliche Nutzung digitaler Vertriebskanäle empfanden im Durchschnitt aller Umfrageteilnehmer die meisten als größte Herausforderung, ebenso das veränderte Kundenverhalten. Da wundert es nicht, dass 79 Prozent der Unternehmen vor allem Projekte und Investitionen im Bereich Vertriebsstrategie und -prozesse planen, während 74 Prozent sich bei ihren Investments vor allem auf die Vertriebsorganisation sowie Kundenmanagement, Customer Journey und Vertriebssteuerung konzentrieren wollen.
Einen Überblick zu Präferenzen der Vertriebsmanager zeigt die nachfolgende Grafik:
Investitionen in Vertriebsprozesse, Vertriebsstrategien und Kundenmanagement stehen bei Vertriebsführungskräften weiterhin ganz oben auf der Agenda.
Project Networks 2019
Vertikalisierung sorgt für Umbrüche
Thorsten Harras, Managing Partner und Geschäftsführer im Online- und Cross-Channel-Marketing der E-Commerce-Beratung Elaboratum Suisse, führt an, dass vor allem neue Geschäftsmodelle, die den vertikalen Vertrieb beinhalten, nicht automatisch jedermanns Sache im B2B-Vertrieb sein können. Reine Online-Absatzkanäle einzusetzen, sei zu kurz gedacht. "Für viele B2B-Hersteller ist es wirtschaftlich gar nicht darstellbar, die Digitalisierung als Transaktion zu ihren Endkunden zu denken", so Harrras auf Marconomy.de. Die Gründe:
- Das Angebotsspektrum ist hoch spezialisiert.
- Der Vertrieb ihrer Produkte erfordert die Expertise und das breitere Sortiment technischer Händler.
Nichtsdestotrotz plädieren die Sales Excellence-Autorinnen Juliane Waack und Sabine Kirchem im Beitrag "Die Chancen digitaler Vertriebskanäle nutzen" (Ausgabe 6 | 2019) dafür, die neuen Chancen und Möglichkeiten der digitalen Absatzwege zu nutzen, um mit Kunden zu interagieren und die Kommunikation zu optimieren. Digitale Kanäle ermöglichten nicht nur dem Marketing "Zugänge zu neuen und bestehenden Kundengruppen". Auch der Vertrieb könne profitieren, etwa von Innovationen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, Predictive Analytics oder sprachlichen und visuellen Neuerungen, zu denen auch Chatbots gehören – und so eine ganz neue Art von Kundenbeziehungen aufbauen. Thomas Grömmer und Miriam Mellinghaus fordern im Buch "Customer Experience im Zeitalter des Kunden" vom Vertrieb ein, den eigenen B2B-Vertrieb für eine nachhaltig erfolgreiche digitale Zukunft aufzurüsten und sich auf den Kunden auszurichten. Denn der Wandel im Rahmen der digitalen Transformation betrifft aus ihrer Sicht sämtliche Aktivitäten in der Wertschöpfungskette von Unternehmen: von Produktions-, bis hin zu After-Sales- und Serviceprozessen.
Folgen für Telefonverkauf und Außendienst?
Welche Konsequenzen hat das zunehmende Nebeneinander von klassischem Außendienst, Telefonverkauf und digitalen Verkaufswegen? Eine Antwort liegt in der Neudefinition der Kundeninteraktion, meinen die Springer-Autoren Robert Daubner und Christoph Hüning in "Digital Customer Experience Management: Echte Vernetzung von Unternehmen mit Kunden" im Buch "Homo Connectus (Seite 88 ff.) Vielleicht die wichtigsten strategischen Stellschrauben sehen sie in der Digitalisierung der Kundenschnittstelle, dem möglichst effizienten und umfassenden Customer Experience Management. Grundfesten dafür sind sowohl in Marketing als auch im Vertrieb:
- digitale Kundenbeziehungen ständig neu zu ermitteln,
- Wege von Kunden zum Produkt zu kennen,
- digitale Inhalte an den richtigen Stellen in der richtigen Form im digitalen Netz zu präsentieren,
- Produkte und Dienstleistungen über den Online-Shop oder Point-of-Sale zu verknüpfen.
Die Unternehmensberater Dr. Harald Münzberg und Jürgen C.F. Steimle haben im Beitrag "Auf dem Weg zu Smart Sales 4.0" (Sales Excellence-Ausgabe 7-8 | 2019) ausgemacht, was das für den Außendienst bedeutet. Sie glauben, dass sich dessen Aufgaben und Einsatzbereiche nicht erledigen, aber entsprechend ändern werden: mit weniger Routineaufgaben wie Standard-Kundenbesuchen, eigenen Analysen oder bloßem "Number Crunching" (Zahlenverarbeitung), also klassischen Außendienst-Tätigkeiten. Stattdessen warten auf Verkäufer mehr strategische Key-Account-Aufgaben.