Amazon will es wissen. Mit dem Start in Flughafen-Shops zeigt der Onlineriese, dass Geschwindigkeit und die Verknüpfung von E-Commerce und stationärem Handel die Zukunft ist. Doch der massive Wandel hat seinen Preis.
Machen Amazon Go-Shops, an denen kassenlos bezahlt werden kann, auch bald im deutschen Einzelhandel Schule?
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Kontaktlos bezahlen ohne Kasse und Portemonnaie, auf dem Weg zum Check-in: Das US-Unternehmen zeigt mit dem Amazon Go-Konzept, dass er kein reiner Internethändler mehr sein will. Den Anfang machten in den USA kürzlich die Amazon Go-Läden. Sieben Geschäfte hat das E-Commerce-Unternehmen seit Januar 2018 in den USA eröffnet, darunter an Standorten wie Chicago, San Francisco oder Seattle. In den Shops werden Kunden schon beim Betreten mit Kameras gescannt, immer dann, wenn sie einen Artikel aus dem Regal nehmen. Betreten sie den Laden, scannen sie einfach ihr Smartphone an einem Drehkreuz. Jetzt will Amazon Go einem Bericht der Nachrichtenagentur "Reuters" zufolge wohl auch an US-Flughäfen mit den kassenlosen Supermärkten neue Vertriebswege gehen. Der Trick bei beidem: Konsumenten, die unter Zeitdruck stehen und Convenience-Produkte auf die Schnelle wollen, schätzen auch schnelles Bezahlen. Genau das bietet Amazon Go mit seiner kassenlosen Technologie. Kunden, die durch eine Art Check-out-Gate den Supermarkt verlassen, wird der Bezahlbetrag automatisch über das Amazon-Konto und die Kreditkarte in der Hosentasche belastet und später abgebucht.
Laut Medienberichten könnten bis zum Jahr 2021 bereits 3.000 Filialen des kassenlosen Supermarkts Amazon Go eröffnet haben. Dass in solchen interaktiven Konzepten viel Zukunft stecken könnte, sieht auch das Autorenteam des Springer-Buchs "Digital Customer Experience". Gerade das "Transformationspotenzial digitaler Technologien" biete Kunden interaktive Einkaufserlebnisse, die positiv zur Wahrnehmung des Einzelhandels aus Sicht der Kunden beitragen und "bei konsequentem Management durch Händler deren Wettbewerbsposition gegenüber dem Online-Handel stärken" können, schreiben Jan H. Betzing, Daniel Beverungen und Jörg Becker über "Gestaltungsprinzipien für mobile, kontextbezogene Dienste zur Ko-Kreation digitaler Einkaufserlebnisse im Einzelhandel" (Seite 123).
Deutsches Schwergewicht
In Deutschland hätte der Online-Marktplatz immerhin eine Nuss zu knacken. Denn hierzulande hält für Flughafenshops derzeit noch das Unternehmen Gebr. Heinemann mit seinen Travel Value & Duty Free-Flächen mit 40 Millionen Kunden, 330 Shops und einem Gruppenumsatz von 4,1 Milliarden Euro dagegen. Für chinesische Kunden bietet Heinemann seit Kurzem Mobile Payment per Handy an den rund 100 Kassen aller 28 Shops von Frankfurt Airport Retail (FAR) mit den beiden größten mobilen chinesischen Bezahl-Anwendungen Alipay und We Chat Pay an. Die Lösung soll in Heinemann Shops an zwölf weiteren europäischen Flughäfen und anschließend weltweit eingeführt werden.
Während Amazon Go expandiert, kämpft der hiesige Handel vor allem in den umsatzstarken Metropolen mit steigenden Gewerbemieten, etwa in Berlin, Frankfurt oder München. wenn nicht gar mit einer wahren Preisrally, die innovative Investitionen blockieren. Eine HDE-Studie vor einigen Jahren zeigt zudem, dass 18,6 Prozent der Händler keine Konzepte haben, um das Einkaufserlebnis ihrer Kunden zu steigern.
Vorstufen für Einkaufen ohne Kasse
Im deutschen Einzelhandel lassen sich bisher allenfalls Vorstufen der kassenlosen, digital organisierten Supermärkte mit Self-Check-out finden, etwa mit Click&Collect, also dem Abholen von online bestellter Ware, wie es beispielsweise Karstadt in neuen Häusern anbietet. Tests für kassenloses Bezahlen laufen auch bei Saturn in München und Hamburg, in Globus-Märkten (Scan & Go) oder bei Rossmann, Real und Rewe, die per Self-Scan-Service anbieten. Die Systeme erzeugen jedoch nicht selten eher Staus als Zeitvorteile bei Kunden wie Verkäufern. Denn es treten oft Fehlermeldungen auf, die von Mitarbeitern der Märkte im System händisch behoben werden müssen, bevor das Kassensystem wieder freigegeben ist.
Vom Buchverkäufer zum Superstore
Die Springer-Autoren Kai-Ingo Voigt, Oana Buliga und Kathrin Michl beschreiben in ihrem Buch "Business Model Pioneers im Kapitel "Creating the Global Shopping-Mall" (Seite 67) die Entwicklung, die Amazon genommen hat: Das Unternehmen habe es geschafft, die Einkaufsmeile bis vor die Haustür der Konsumenten zu bringen und versuche derzeit, das Internet der Dinge in den heimischen Wohnzimmern zu verankern. Es sei dem Unternehmen gelungen, sich vom Online-Buchverkäufer zum "Laden für alles" und zum Pionier für Massen-E-Commerce zu entwickeln.
Doch Amazon Go hat seinen disruptiven Preis für die Einzelhandelslandschaft: Das Warensortiment bleibt begrenzt, wer als Kunde nicht total mobil unterwegs und virtuell vernetzt ist, könnte das Nachsehen haben. Und Service und Beratung, eigentlich ein Plus gerade des stationären Einzelhandels, sind quasi kein Thema mehr.
"Kassen- und bargeldlos sowie datengetrieben" nennt der stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Tromp in einem eigenen Erfahrungsbericht zu den Amazon Go-Läden die Richtung, in die sich der Handel der Zukunft entwickeln könnte. Reine Utopie sind Amazon Go-Läden auch in Deutschland jedenfalls nicht mehr, wie Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon, in einem Medien-Interview vor einiger Zeit bekräftigte. Der Start sei keine Frage des "Ob, sondern des Wann."