Unternehmen können ihre Vertriebs- und Erfolgschancen bei Ausschreibungen mithilfe einer ISO-Zertifizierung steigern. Doch einige Schritte sind zu beachten, damit die Auftragsvergabe am Ende reibungslos klappt.
Durch die Globalisierung hat sich der Vertrieb verändert und dies nicht erst, seitdem viele Unternehmen coronabedingt ihre Kunden nicht mehr wie gewohnt besuchen und betreuen können. Bei Behörden und Großunternehmen, die ihre Beschaffung über Einkäufer erledigen, sowie Einrichtungen der Öffentlichen Hand ist es inzwischen gang und gäbe, dass interessante Aufträge mit einem attraktiven Auftragsvolumen über Ausschreibungen vergeben werden.
Vertriebschancen bei Ausschreibungen nutzen
Gute Chancen für den Vertrieb, hohe Auftragsvolumina zu generieren, bietet daher die Teilnahme an Ausschreibungen. Das Problem bei solchen Verfahren ist, dass im Gegensatz zu früher, als bevorzugt regionale und bewährte Firmen berücksichtigt wurden, nun auch Firmen an Ausschreibungen teilnehmen können, über deren Kompetenz und Zuverlässigkeit keine gesicherten Informationen vorliegen.
Grundsätzlich ist das Instrument Ausschreibung positiv zu bewerten, da dieses Verfahren auch neuen Marktanbietern eine faire Chance und somit einen Marktzugang ermöglicht. In der Vergangenheit mussten Auftraggeber jedoch auch Rückschläge hinnehmen, wenn sie auf ein Vergabewesen per Ausschreibung gesetzt haben. Denn es gab und gibt Anbieter, die es verstehen, das eigene Unternehmen, Know-how, Produkte und Dienstleistungen eher beschönigend darzustellen. Als jüngstes Beispiel kann das Unternehmen Wirecard dienen.
Ähnlich wie beim Online-Zahlungsverkehr muss also eine seriöse, dritte Partei, zum Beispiel TÜV, Dekra, DQS oder andere Organisationen zwischengeschaltet werden, die in regelmäßigen Abständen prüft, dokumentiert und sicherstellt, dass Unternehmen prozess- und kundenorientiert agieren. Die Grundlage hierfür bildet die branchenübergreifende Norm DIN-EN ISO 9001:2015. In ihr sind unter anderen
- Kundenorientierung und Kundenzufriedenheit,
- Rückverfolgbarkeit der Prozesse,
- Messmittel- und Messgerätekontrolle sowie
- interne und externe Kommunikation
wesentliche Unternehmensbestandteile.
Sie geben Neukunden die Gewissheit, dass bei diesem Unternehmen planvoll und strukturiert gearbeitet wird. Leider wird die Chance, die ein solches Qualitätsmanagementsystem (QMS) mit sich bringt, oft nicht genutzt. Denn noch immer hält sich hartnäckig das Gerücht, dass bei einem QMS nichts mehr ist wie es mal war und nur unnütze, bürokratische Mehrarbeit zu leisten wäre.
Unterschiedliche Normen je nach Branche
Diese Bedenken sind jedoch unbegründet. Für den Vertrieb, der an Ausschreibungen teilnehmen möchte, ist es jedoch unabdingbar. Eine ISO-Zertifizierung bietet daher weitaus mehr Chancen als Risiken. Unternehmen sind daher gut beraten, diese Chancen auszuschöpfen. Oft genügt es, wenn sich Unternehmen nach DIN-EN-ISO 9001:2015 zertifizieren lassen. Diese branchenübergreifende Norm bietet die Grundlage für weiterführende (branchenspezifische) Normen, wie beispielsweise
- IATF 16949 (Automotive),
- ISO 13485 (Medical Device),
- ISO 14971 (Risikomanagement für Medizinprodukte) oder
- ISO 14001 (Umweltmanagement).
Die DIN-EN-ISO 9001:2015 ist weltweit am meisten verbreitet und akzeptiert. Firmen, die im Verbund agieren, können außerdem eine Verbundszertifizierung anstreben, die heute zwar nicht sehr weit verbreitet ist, jedoch kein Zertifikat zweiter Klasse darstellt. Verbundzertifizierungen sind an spezielle Regeln geknüpft, auf die hier nicht näher eingegangen wird.
Fahrplan bis zur ISO-Zertifizierung
Auf dem Weg zur ISO-Zertifizierung durchläuft ein Unternehmen folgende in der Abbildung dargestellte Stufen, bei denen es in der Regel von externen Beratern unterstützt wird:
Im Rahmen einer Teilnahme an Ausschreibungen ist besonders auf die genannten Normen zu achten. Zertifizierungen für fehlende Normen können jederzeit nachgeholt oder ergänzt werden, sind jedoch unterschiedlich aufwändig. Unternehmen, die ein Qualitätsmanagementsystem etablieren und sich zertifizieren lassen möchten, um beispielsweise ihre Vertriebschancen bei Ausschreibungen zu steigern, die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen oder den Ausschuss zu reduzieren und die Qualität zu optimieren, sind gut beraten, sich hierzu einen Spezialisten an Bord zu holen. Dieser verschafft sich in einer Bestandsaufnahme vor Ort einen ersten Einblick über das Unternehmen und erstellt einen individuellen Plan in Form einer To-do-Liste. Sie regelt exakt, wer was zu tun hat.
Eigene Prozesse, eigenes QMS
Der größte Fehler, den ein Unternehmen in dieser Phase begehen kann ist, fremde Handbücher und Prozesse für das Qualitätsmanagement auf das eigene Unternehmen übertragen zu wollen. In der Regel handelt es sich bei Unternehmen, die ein QMS einführen möchten um Betriebe, die funktionierende Prozesse haben. Diese müssen ISO-konform abgebildet werden. Das hat den Vorteil, dass das Unternehmen entgegen häufiger Vorurteile nicht umstrukturiert wird. So kann eine große Akzeptanz von Führungskräften und Mitarbeitern im Unternehmen erzielt werden. Die Bereitschaft, beim Aufbau eines QMS mitzuwirken, nimmt somit zu und am Ende steht ein funktionierendes QMS, das durch die Urkunde einer akkreditierten Stelle bescheinigt wird.
Ein QM-System ist wie ein Anzug, den Sie, aufgrund eines Dresscodes zu einem bestimmten Anlass tragen."
Stefan Deininger
Bei den vier Stufen zur Zertifizierung sucht sich ein Unternehmen zunächst eine akkreditierte Stelle (TÜV, Dekra, DQS o.ä.) aus und nimmt mit dem Unternehmen seiner Wahl Kontakt auf.
1. Stufe: Die akkreditierte Stelle überlässt der Firma einen Fragebogen zur Erfassung wichtiger Daten wie (Branche, Betriebsgröße, gewünschter Geltungsbereich des Zertifikates und weitere). Da Auditoren für Third-Party-Audits auch fachliche Kompetenz mitbringen müssen, kann es sein, dass Betriebe unter Umständen vom Unternehmen ihrer Wahl kein Angebot erhalten, weil dieses keinen geeigneten Auditor hat. Es hat sich daher bewährt, bereits die Frage nach der akkreditierenden Stelle mit dem Berater zu besprechen oder ihn mit der Erstkontaktaufnahme zu beauftragen.
2. Stufe: Wird ein Auftrag an eine akkreditierte Stelle vergeben und ein grober Zeitplan festgelegt, folgt im nächsten Schritt die Dokumentenprüfung. Diese gibt dem Auditor Aufschluss darüber, ob das betreffende Unternehmen die regulatorischen Vorgaben zur Zertifizierung erfüllt und zertifizierfähig ist. Sofern Unternehmen sich auf die Hilfe eines Beraters und Helfers stützen, prüft dieser bereits im Vorfeld, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind und trägt notfalls dafür Sorge, dass nachgebessert wird, bevor der Auditor die Unterlagen überhaupt prüft. Existieren noch Lücken, können diese noch geschlossen werden, bevor das Audit in die zweite Stufe geht und das Qualitätsmanagementsystem praktisch durchleuchtet wird. Hierbei untersucht der Auditor, ob die Abläufe im Unternehmen mit den Prozessen, Arbeitsanweisungen und sonstigen Vorgaben übereinstimmen. Daher ist es so wichtig, keine fremden Prozesse zu implementieren, sondern vielmehr die eigenen, gelebten Abläufe zu beschreiben.
3. Stufe: Im Rahmen eines Audit-Berichts bekommt das Unternehmen eine Bewertung des QMS und kann kleinere Feststellungen zeitnah beheben. Existieren gravierende Abweichungen, wird das Zertifikat nicht ausgestellt, sondern ein Maßnahmenkatalog erstellt, der genau beschreibt, welche Abweichungen von der jeweils zu zertifizierenden Norm der Auditor festgestellt hat. Bei gravierenden Maßnahmen erarbeitet das zu zertifizierende Unternehmen Korrekturmaßnahmen, stellt sie dem Auditor vor und setzt sie um, sofern der Auditor die Maßnahmen als geeignet eingestuft hat. So steht im Normalfall einer erfolgreichen Zertifizierung spätestens nach der Durchführung geeigneter Korrekturmaßnahmen am Ende eines Erst-Zertifizierungsaudits nichts mehr im Wege.
Der Auditor selbst entscheidet jedoch nicht über die Vergabe eines Zertifikates, sondern die akkreditierte Stelle.
4. Stufe: Nach erfolgter Zertifizierung erhält das Unternehmen das Zertifikatsdokument in Papierform und elektronisch, zum Beispiel für die Firmenhomepage oder als Anhang und Beleg bei der Teilnahme an Ausschreibungen.
Dieses Zertifikat hat eine Gültigkeit von drei Jahren und erfordert jährliche Überwachungsaudits durch die akkreditierte Stelle. Zusätzlich verlangt die ISO 9001:2015 die Durchführung interner Audits.
Zertifizierungen sind kein Hexenwerk
Mit der richtigen Planung ist die ISO-Zertifizierung alles andere als ein Hexenwerk, jedoch auch kein Selbstläufer. In jedem Fall sorgt sie dafür, dass Unternehmen die Voraussetzungen zur Teilnahme an Ausschreibungen erfüllen und die Chancen verbessern, Bestandskunden zu halten und Neukunden zu gewinnen.
In der Praxis erfordert die erfolgversprechende Teilnahme an Ausschreibungen kein Zusatzpersonal oder eine gesonderte Schulung, denn für die Erstellung von Angeboten oder Teilnahme an Ausschreibungen wird es in zertifizierten Unternehmen eine Regelung von Befugnissen und Kompetenzen geben. Befugte Personen werden die oft sehr unterschiedlichen Unterlagen zur Teilnahme an Ausschreibungen fristgerecht bearbeiten und die geforderten Angebote und Zertifikate beifügen. So gesehen ist die ISO 9001 für jedes Unternehmen ein Türöffner.
Aktuell haben viele Unternehmen coronabedingt weniger zu tun. Wer diese Zeit zur Einführung eines QMS nutzt, verschafft sich für die im Wandel befindlichen Vergabemethoden einen Unternehmensvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern und stellt sein Unternehmen solide auf.
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