Der Online-Vertrieb im Automobilsektor bietet angesichts der Kaufentwicklung enorme Chancen. Während Anbieter von Elektrofahrzeugen diese bereits erfolgreich nutzen, tun sich etablierte Händler oder Onlinehandelsplattformen oft noch schwer.
Per Mausklick zum neuen Fahrzeug? Kunden wählen diesen Verkaufsweg immer öfter. Das erfordert einen versierten Online-Vertrieb.
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Die Digitalisierung hat zunehmend auch den Automobilvertrieb durchdrungen. In der "Online Car Sales Benchmark-Analyse" konstatiert das Management- und IT-Beratungsunternehmen MHP, dass Onlinekäufe bei Autos zwischen 2020 und 2023 um stattliche 144 Prozent zugelegt haben. Damit hatten im Jahr 2023 bereits 22 Prozent aller Studienteilnehmer ein Fahrzeug online erworben. Die Auswahl der analysierten Marken und Plattformen im deutschen Markt erfolgte nach einem strukturierten, mehrstufigen Verfahren, das auf einem Scoring-Modell basiert. Überdies wurde geprüft, ob die ausgewählten Marken in ihren Kategorien über einen vollständigen Online-Sales-Prozess inklusive Kaufabwicklung verfügen.
Customer Journey bedarf Digitalisierung
Florian Langer, Partner bei MHP, betont, dass der digitale Wandel im digitalen Fahrzeugverkauf mehr als eine technische Herausforderung ist: "Er ist eine Chance, die gesamte Customer Journey neu zu denken. Der Wandel hin zu digitalen Vertriebsmodellen ist unumkehrbar", ist Langer überzeugt. Hersteller und Händler müssten aus diesem Grund ihre Plattformen strategisch weiterentwickeln und dabei die gesamte Customer Journey an den Kundenbedürfnissen ausrichten.
Kundenkontaktpunkte im Blick behalten
Sowohl sämtliche Kundenkontaktpunkte als auch die Fahrzeugübergabe sowie die darauffolgenden After-Sales-Maßnahmen gilt es also, entsprechend zu überarbeiten. Wie die Studienautoren schreiben, kommt es dabei zusammengefasst auf drei Aspekte an:
- eine einfache und intuitive Navigation auf der Website,
- klare Produktinformationen und transparente Angebote hinsichtlich der verfügbaren Ausstattungsmerkmale sowie
- Finanzierungsmöglichkeiten.
Herausforderungen im Online-Vertrieb
Die Realität sieht indes häufig anders aus, wenn man den Online-Vertrieb etablierter Anbieter unter die Lupe nimmt. Der Benchmark-Analyse zufolge sind viele Hersteller-Websites überladen, was durch eine unübersichtliche Navigation abermals erschwert wird. Hinzu kommt, dass technische Tools wie Fahrzeugkonfiguratoren nicht zuverlässig funktionieren.
Möchten die Kunden deshalb Serviceleistungen in Anspruch nehmen, scheitern sie häufig daran, dass Chatbot-Features und andere Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme zu wünschen übrig lassen.
EV-Anbieter fortschrittlicher
Ganz anders präsentieren sich dagegen viele der neuen Hersteller von Elektrofahrzeugen (EV). Die Studienautoren stellen fest, dass diese aufgrund ihres späteren Brancheneinstiegs ihre digitalen Verkaufsstrecken gleich von Beginn an strategisch aufsetzen konnten. Ihre Websites zeichnen sich durch
- klare Menüführungen,
- minimalistisches Design und
- eine stringente Trennung von Informations- und Kaufprozessen aus.
Dadurch wird das Vertrauen auf Seiten der Kunden gefördert. Dies führt maßgeblich zu einer hohen Conversion-Rate.
Kunden definieren Standards neu
Altbewährte Verkaufsstrategien, die Händler gut kontrollieren konnten, verlieren im Automobilsektor also zunehmend an Fundament. Maurice Tennekes, Senior Manager bei MHP, erklärt, dass die Benchmarks für die Online-Kauferfahrung nicht mehr von der Automobilbranche gesetzt werde, sondern von den Erwartungen an E-Commerce-Erlebnisse, die Kunden aus ihrem Alltag gewohnt sind. Tennekes weiter:
Zusätzlich möchte der Kunde wissen, wie die einzelnen Prozesse bis zum Erhalt seines Fahrzeuges aussehen. Hier gilt: Je besser er versteht, was genau der Prozess eines digitalen Autokaufs umfasst, desto sicherer fühlt er sich bei seiner Entscheidung, sein neues Fahrzeug vollständig online zu erwerben."
Schwachstelle Probefahrt
Die für die Analyse zusätzlich befragten 18 Fachleute aus der Automobilbranche sehen mit Blick auf die genannten Schwachstellen klare Optimierungsmöglichkeiten in sämtlichen Phasen der Customer Journey. Zum einen steht die Beratungsphase (44 Prozent) im Visier, die der Analyse zufolge deutlich von erklärenden Texten und Videos profitiert. Influencer können hierbei maßgeblich unterstützen. Die Verkaufsphase, die 39 Prozent der Experten bemängeln, sollte so ausgelegt sein, dass Kunden reibungslos zwischen digitalen und analogen Wegen wechseln können. Dass Kunden unterschiedliche Präferenzen mitbringen, macht die folgende Studiengrafik deutlich:
Kunden wählen beim Online-Automobilkauf unterschiedliche Wege, die Vertriebler strategisch berücksichtigen sollten.
MHP
Eine zentrale Herausforderung stellt im Zuge dessen die Probefahrt dar, denn diese erfordert den Wechsel von digitalen zu analogen Prozessen. Hierzu dient als Conversion-Treiber, wenn die Probefahrt intuitiv verständliche und direkt über entsprechende Kalender-Features online gebucht werden kann. Dagegen seien Conversion-"Killer", wenn Probefahrten allein über ein Kontaktformular angeboten werden oder wenn es überhaupt keine digitale Buchungsmöglichkeit gibt.
B2C im Fokus des digitalen Wandels
Zusätzlich äußerten nahezu alle Experten Kritik an den begrenzten Finanzierungsoptionen. Sie empfehlen, neben den herstellereigenen Banken auch externe Anbieter einzubinden, da Captive-Banken oft weniger wettbewerbsfähige Konditionen bieten und potenzielle Kunden dadurch verloren gehen können. Dieser Aspekt ist häufiger für Privatkunden als für Geschäftskunden relevant.
Vertriebsfelder sind unterschiedlich komplex
Generell bewerten die Branchenkenner den Vertrieb an Business-to-Consumer-Kundschaft (B2C) als komplexer im Vergleich zum Business-to-Business-Segment (B2B). Dies liege daran, dass B2C-Kunden technisch anspruchsvoller seien und beispielsweise häufig Echtzeit-Konfiguratoren erwarten. Diese Unterschiede beeinflussen maßgeblich die Gestaltung der Customer Journey in beiden Segmenten und erfordern speziell angepasste Strategien.