Neue Technologien und digitale Prozesse – wie weit sind deutsche Unternehmen bei der digitalen Transformation? Rainer Elste und Markus Deutsch haben mit dem Digitalisierungsindex für Marketing und Vertrieb eine Bestandsaufnahme gemacht.
Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Blockchain & Co. – Unternehmen stehen mit der Digitalisierung heute vielfältige Instrumente zur Steigerung von Effizienz und Effektivität zur Verfügung. Unsere tägliche Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Unternehmen aus zahlreichen Branchen zeigt aber, dass besonders die Unternehmensfunktionen Marketing und Vertrieb noch Nachholbedarf in der Digitalisierung aufweisen. Mit dem "Digitalisierungsindex Marketing & Vertrieb" der Hochschule Esslingen und KPMG wird das Ziel verfolgt, sowohl eine Wasserstandsmeldung über die aktuelle Situation zu liefern als auch Tipps und Empfehlungen an die Hand zu geben.
Der bei dieser Studie entstandene Digitalisierungsindex basiert auf den folgenden Dimensionen:
- Digitale Capabilities
Welches Wissen und welche Fähigkeiten besitzen deutsche Unternehmen und welche organisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen werden geschaffen, um den aktuellen Herausforderungen in Marketing und Vertrieb zu begegnen? - Prozesse
Sind die Prozesse in Marketing und Vertrieb bereits durchgängig digitalisiert oder gibt es noch Nachholbedarf, zum Beispiel durch Medienbrüche innerhalb der Kundenreise? - Instrumente
Welche digitalen Instrumente und Systeme werden heute schon eingesetzt und welche sind in naher Zukunft geplant? - Digitale Performance
Sind durch die Digitalisierung erreichbare Vorteile wie individuellere Kundenbetreuung und Umsatzsteigerung bereits wahrnehmbar oder kämpfen deutsche Unternehmen noch mit der Komplexität der Transformation?
Daraus wurde ein Digitalisierungsindex für Marketing und Vertrieb errechnet. Die Ergebnisse der gemeinsamen Studie bestätigen unsere Einschätzung, dass im Rahmen vielfältiger Digitalisierungsinitiativen ein digitaler Flickenteppich in Unternehmen entstanden ist und die Kundensicht vielfach vernachlässigt wurde. Eine durchgängig positive Customer Experience über analoge und digitale Schnittstellen hinweg ist somit leider die absolute Ausnahme. Auch zeigt sich, dass deutsche Familienunternehmen zwar zaghafter digitalisieren, aber dafür konsequenter als mehrheitlich kapitalgeführte Unternehmen. Letztere beginnen häufiger Projekte, führen sie dann aber nicht richtig zu Ende. Familienunternehmen profitieren insbesondere von kurzen Entscheidungswegen, müssen allerdings im Vergleich zu kapitalgeführten Unternehmen ihre Projekte aufgrund begrenzter finanzieller Mittel sorgsamer auswählen.
Die Hälfte des Weges erreicht
Folgende Kernerkenntnisse haben sich herauskristallisiert:
Insgesamt erreichen deutsche Unternehmen auf einer Skala von 0 bis 100 Prozent ("vollständig digitalisiert") einen Digitalisierungsindex-Wert von 49 Prozent in den Bereichen Marketing und Vertrieb. Die Hälfte des Weges zu einer durchgängigen Digitalisierung ist damit erreicht. Allerdings laufen Marketing- und Vertriebsabteilungen in Zukunft durch immer neue Technologien ihrem alten Indexwert hinterher. Weiterhin ist der zweite Teil des Weges der schwierigere: Denn als Nächstes geht es unter anderem um die Prozessintegration für ein nahtloses Kundenerlebnis und komplexere Technologien wie beispielsweise künstliche Intelligenz.
Fehlende Zielsetzung und Erfolgsmessung
Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen hat eine klare Vorstellung, welche Ziele mit der Digitalisierung in den Bereichen Marketing und Vertrieb erreicht werden sollen. Nur 16 Prozent der Unternehmen messen den Erfolg konsequent.
Fokus auf Umsatzsteigerung
Die Digitalisierung wird eher für die Umsatz- als für die Effizienzsteigerung eingesetzt – gerade hierfür prädestinierte Kundenprozesse sind noch hochgradig analog.
Customer Journey leidet
Nur fünf Prozent der Entscheider sind der Meinung, dass Kunden ein absolut durchgängiges Erlebnis entlang der Kundenreise wahrnehmen. Die Realität ist ein digitaler Flickenteppich mit starken Medienbrüchen.
Vermeintlich wenig Gefahr durch digitale Wettbewerber
Nur acht Prozent der Verantwortlichen für Marketing und Vertrieb sehen sich durch digitale Geschäftsmodelle von Wettbewerbern bedroht. Die Mehrheit wiegt sich somit in Sicherheit.
Familienunternehmen sind weniger digitalisiert als Corporates
Marketing und Vertrieb zeigen einen geringeren Digitalisierungsgrad bei Familienunternehmen als bei Corporates. Sie sind aber konsequenter bei der Umsetzung von Initiativen.
Analoge Instrumente mit hoher Relevanz
Der persönliche Verkauf ist heute noch deutlich wichtiger als erwartet, neue Instrumente und Technologien sind noch nicht im Tagesgeschäft angekommen. In Zukunft wird eine steigende Relevanz von Big Data und künstlicher Intelligenz auch in Marketing und Vertrieb erwartet.
Einen ausführlichen Beitrag der beiden Autoren zum "Digitalisierungsindex Marketing & Vertrieb" mit weiteren Ergebnissen lesen Sie in der Sales-Excellence-Ausgabe 11 | 2020.