Agilität hat sich zum Buzzword entwickelt – auch im Vertrieb. Doch was sind die Merkmale von Agilität? Und was kennzeichnet eine agile Führungsstrategie? Springer-Autorin Claudia Thonet, Expertin für agile Coachings und Trainings, zieht im Interview Vergleiche zum Sport.
springerprofessional.de: Frau Thonet, was genau kann man sich genau unter einem agilen Vertrieb vorstellen?
Claudia Thonet: Der agile Vertrieb ist wie ein wendiger Crossläufer, der sich im unwegsamen Gelände der Märkte ständig an die veränderten Bedingungen anpasst und für seine Kunden die schnellsten und besten Lösungen umsetzt. Das funktioniert nur mit drastischer Transformation: Weg vom Einzelsprinter hin zu crossfunktionalen Teams, die selbstorganisiert arbeiten. Weg von Einzelprovisionen hin zum Team Denken. Und zwar über das Silodenken hinaus. Nur gemeinsam mit Marketing, Produktion und Einkauf werden Vertriebe Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stellen können, die der Markt heute und in Zukunft wünscht. Nur gemeinsam und mutig können Innovationen geschaffen werden, die auf allen Vertriebskanälen Kundenbedürfnisse erfüllen und bestenfalls sogar übertreffen.
Birgt ein hoher Grad an Flexibilität in der Vertriebsführung nicht die Gefahr von Nachlässigkeit und Disziplinlosigkeit? Oder wie vermeidet man Chaos im Team?
Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube: Agilität sei Chaos oder Nachlässigkeit. Das Gegenteil ist der Fall: Agile Teams arbeiten viel disziplinierter und vor allem Ergebnisorientierter als klassische Teams. Nicht nur die Selbstorganisation und Transparenz, auch Frameworks wie Scrum oder Kanban sorgen für eine hohe Strukturgebung und Effizienz.
Agile Führung soll Ihrem Kompetenzmodell zufolge vor allem Sinn und Orientierung geben. Ist das nicht bei allen Führungsstrategien das Ziel oder sollte es zumindest sein – oder worin liegt der Unterschied zu klassischen Vertriebsführungsansätzen?
Der Beitrag der Organisation zum Gemeinwohl steht immer im Zentrum."
Claudia Thonet
Der Sinn oder Purpose wird in den Teams selbst entwickelt: Wozu gibt es uns? Welchen Nutzen stiften wir für unsere Kunden, für das Unternehmen, für unser Team und für jeden Einzelnen? Das hat eine ganz andere Wirkung als Sinn und Orientierung, die top down definiert wird. Der Kundennutzen oder besser noch der Beitrag der Organisation zum Gemeinwohl steht dabei immer im Zentrum. Außerdem streben agile Ansätze wie OKRs in eine andere Richtung: es geht mehr um die Frage: Welchen Beitrag leisten wir zur Vision? Das Team wählt seine qualitativen, intrinsisch motivierten Ziele selbst und leitet daraus die Key Results ab.
Was sind die wesentlichen Merkmale einer agilen Führungsstrategie?
In agilen Organisationen wird sogar mehr geführt, disziplinierter gehandelt und konsequenter entschieden als in klassischen Wasserfallorganisationen – nur eben anders. Statt Positionen, die durch die Höhe des Kästchens im Organigramm bestimmt werden, wird stärkenorientiert und rollengebunden funktional geführt. Dazu braucht es funktionale Rollen, die Führungsfunktionen auf Augenhöhe übernehmen. Entscheidend dabei ist, wie klar und transparent die erforderlichen Rollen beschrieben sind und wie sie gewählt werden. Rolleninhaber wie beispielsweise Scrum Master, Kanban-Owner, OKR-Master, Product Owner und agile Coaches oder auch agile Trainer übernehmen innerhalb und außerhalb der Teams anlassbezogen Verantwortung. Führung gibt es aus unterschiedlichen Richtungen: die Unternehmensführung führt strategisch, Rollen führen lateral, Frameworks führen strukturell und Kundenbedarfe führen inhaltlich.
Und was kennzeichnet ein agiles Vertriebsteam?
Ich vergleiche agile Teams gerne mit einer Fußballmannschaft: Entgegen der Rudermannschaft, die im Gleichtakt in die gleiche Richtung rudert, ist beim Fußball die Unterschiedlichkeit der Spieler entscheidend. Jeder kann etwas anderes gut und wird entsprechend aufgestellt. Die Teammitglieder stimmen sich ständig untereinander ab und nutzen die Stärken, um gemeinsam Tore zu schießen. Der Trainer oder Coach sorgt für den richtigen Einsatz und guten Training seiner Spieler.