Dr. Sandra Schmidt, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie Polizeidirektorin a.D., über die Auswirkungen der Amoktaten und Messerangriffe auf Einsatzkräfte sowie die unterschiedlichen Ansätze der Nachsorge.
Professor Dr. Sandra Schmidt ist Polizeidirektorin a.D. und Professorin für Sicherheitsbehördliches Einsatzmanagement und Führungswissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Als zertifizierter Systemischer Business Coach und Senior Business Coach berät sie zudem unter anderem zu Führungs-, Problemlösungsstrategien und berufsfeldbezogenen Fragen.
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Was machen Taten wie die der vergangenen Wochen und Monaten, etwa in Magdeburg, Aschaffenburg, München und Mannheim, mit Einsatzkräften und Angehörigen der Verwaltung, die direkt oder indirekt damit zu tun haben?
Es gibt in nachvollziehbarer Weise eine Grundstimmung, die alle eint: Die Facetten reichen von Entsetzen und Mitgefühl bis hin zu verstärkten Antrieb, Dinge positiv zu bewegen. Von großer Bedeutung sind jedoch die individuellen Auswirkungen auf den einzelnen Menschen. Häufig erzeugen diese Erfahrungen ein stärkeres Bedürfnis, sich noch mehr für „die gute Sache“ zu engagieren, noch mehr zu geben. Das Gegenteil ist bei Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben zu helfen, zu retten und zu schützen, eher selten. Das kann sehr positiv für das System sein, birgt aber die Gefahr, dass der Einzelne ausbrennt, posttraumatische Belastungsstörungen oder beispielsweise ein sogenanntes Hyperarousal entwickelt. Das ist eine Störung, die durch ständige Anspannung und dauerhaft hohe Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist, zu Schlafstörungen, zahlreichen somatischen Krankheitsformen und psychischen Auswirkungen führen kann. Es kommt immer auf die Resilienz des Einzelnen an, wobei es auch eine gewisse „Resilienz der Organisation“ gibt, die aber schwer zu beschreiben und bestimmen ist.
Sie sind als zertifizierter Systemischer Business Coach unter anderem im Bereich Supervision tätig. Wie sollten betroffene Einsatzkräfte und Beschäftigte von Behörden im Nachgang einer solchen Tat unterstützt werden?
Ich danke Ihnen, dass Sie dieses Thema ansprechen: Ich habe selbst erleben müssen, wie das Thema „Nachsorge“ in all seinen Facetten von Behörden eher vernachlässigt oder gar ignoriert worden ist. Dienstunfähigkeit, Flucht in extreme Tätigkeiten, Alkoholismus bis hin zu Suizid waren die Folgen. Zudem wurde über „Befindlichkeiten“ kaum gesprochen, Grund war die vorherrschende Maskulinität in der Polizeikultur, eine weitere fatale Gefährdung der psychischen Gesundheit der Betroffen. Diese Umstände haben sich zum Glück in den vergangenen Jahren weitreichend geändert. Dies gilt insbesondere für Nachsorgeprogramme, die von Behörde zu Behörde und Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich ausgefüllt werden. Zudem gibt es auch entsprechende Vorbereitungen auf belastenden Tätigkeiten und Situationen in der Aus- und Fortbildung. Oftmals reichen diese innerbehördlichen Angebote jedoch nicht aus. Entweder fühlt sich die betroffene Person im behördlichen Kontext nicht wohl, möchte sich in diesem Umfeld nicht Personen öffnen, die selbst Teil des Systems sind, oder die Programme sind zu allgemein, um den einzelnen mit seinem individuellen Thema zu erreichen. Viele Betroffene fühlen sich bei einem externen Psychotherapeuten oder einem Supervisor in einem geschützteren Raum und damit wohler.
Sie sind selbst unter anderem als Supervisor tätig …
Genau. Unterhalb einer Psychotherapie, das ist nicht meine Profession, setze ich mit meinen Angeboten als Coach und Supervisor an. Ich biete neben der wissenschaftlichen Qualifikation aus Forschung und Lehre ein entscheidendes Plus: Ich kenne die Praxis, ich weiß aus zwanzig Jahren praktische Polizeierfahrung, wo die Fallstricke liegen, wie die Strukturen funktionieren und welche Probleme und „Hürden“ es gibt, bin aber eben kein Teil des Systems der Betroffenen. Wahrscheinlich speist sich ein Teil der bei mir eingehenden Anfragen aus der Tatsache, dass ich weiß, „wovon gesprochen“ wird. Das bezieht sich sowohl auf die individuelle Betreuung im Einzelcoaching zur beruflichen Weiterentwicklung wie auch auf die Intention der Verantwortlichen, die mich mit einer Supervision beauftragen. Sie schätzen den Umstand, dass ich Wissenschaftlerin und Praxiskennerin zugleich bin – und eine engagierte Ansprechpartnerin.