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10.04.2025 | Verwaltungsmanagement | Interview | Online-Artikel

„Gesund sparen hilft unserem Land nicht weiter“

verfasst von: Stefanie Hüthig

7 Min. Lesedauer

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Wiebke Şahin-Connolly, FDP, Bürgermeisterin der Stadt Zossen in Brandenburg, über den Umgang mit der AfD in der Bundespolitik, die Schuldenbremse und warum sie überlegt, aus der FDP auszutreten.

Frau Şahin-Connolly, im Interview mit innovative Verwaltung berichten Sie unter anderem, dass sich der Umgangston der AfD, die bei Ihnen stärkste Partei in der Stadtverordnetenversammlung ist, Ihnen gegenüber verbessert hat und Hetze nun unterbleibt. Außerdem bringe sie Sachthemen ein und stimme auch mal Ihren Anträgen zu. Auch wenn das Unterbleiben persönlicher Angriffe und die Orientierung an Sachthemen erfreulich sind, sind Teile der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Können wir angesichts dessen die besprochenen Entwicklungen wirklich gut finden?

Wir können der AfD nicht verbieten, Sachpolitik zu machen. Aber die etablierten und demokratischen Parteien müssen jetzt aufholen. Das heißt: gute Sachpolitik machen, bürgernah sein und vor allem geschlossen auftreten. Hier gibt es großen Nachholbedarf, wie wir zum Beispiel bei der Ampelkoalition gesehen haben. Je ungeschlossener der Auftritt, je kontroverser die Diskussionen, desto größer wird der Nährboden für die AfD, desto wählbarer macht sie sich. Wir dürfen nicht zurückschrecken, tun das aber. So spricht etwa der Social-Media-Auftritt der etablierten Parteien Jugendliche nicht an, der politische Slang wirkt regelrecht aristokratisch und alles andere als jugendfreundlich. Die Parteien müssen jetzt den Menschen vor allem zuhören und schauen: Wer sind unsere potenziellen Mitglieder und unsere Wählerinnen und Wähler? Sie müssen sich zudem neu aufstellen, junge Menschen, auch junge Frauen, nach vorn pushen und moderne, aber zugleich realistische Ideen entwickeln. Ja, vielleicht müssen wir uns auch fragen, wie wir mit den Themen Migration und Integration umgehen. Aber selbst als FDP-Mitglied war ich fassungslos, dass ein Bundestags-Vizepräsident am Wahlabend seinen Rückzug ankündigt und am Tag danach Parteivorsitzender werden will. Wie glaubwürdig ist das denn gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern? Dieses Beispiel zeigt: Wir haben aus dem Wahlergebnis nichts gelernt, sondern stehen hinter dem eingeschlagenen Kurs und fahren ihn sogar noch fort. Das kann sich eine etablierte Partei in der heutigen Situation einfach nicht mehr leisten.

Bereits nach dem Ampel-Aus habe ich in meiner Bubble auf LinkedIn einige Parteiaustritte bei der FDP beobachtet, darunter auch junge Frauen.

Ich muss sagen, dass auch ich kurz davorstehe. Bei Wolfgang Kubickis Rede auf dem Sonderparteitag wäre ich fast aufgestanden. Mit Grünen-Bashing und Migrationsfeindlichkeit kann ich mich nämlich nicht identifizieren. In diesen Punkten ist das nicht die FDP, die ich unterstützen möchte und politisch vertrete, das ist eine AfD-Lightversion.

Warum sind Sie sitzen geblieben?

Danach kam Christian Lindner, ihn wollte ich hören. Er hat eine gute Rede gehalten. Trotzdem muss ich sagen: Lindner hatte viel Zeit, Ideen und Innovationen umzusetzen. Das hat die FDP aber nicht getan und ist dann noch mit einem ähnlichen Programm, einer ähnlichen Show und der gleichen Attitude in die Bundestagswahl gegangen, obwohl das Ergebnis nach den Landtagswahlen absehbar war. In der Folge hat den Wählern das Vertrauen gefehlt. Außerdem bin ich der Meinung, dass Christian Lindner gegenüber der CDU stark angreifbar gemacht hat. Schon nach dem Platzen des Bundeshaushalts hätte er politische Verantwortung übernehmen und zurücktreten müssen. Aus dem Landtagswahlkampf Brandenburg habe ich mich aus deshalb rausgehalten, weil ich die Schuldenbremse als Bürgermeisterin nicht vertreten kann. Gesund sparen hilft unserem Land nicht weiter. Wir Kommunen können Pflichtaufgaben nicht mehr erledigen. In ein paar Jahren kostet mich die Reparatur eines Schlaglochs statt wie jetzt 2.000 Euro eben 4.000 Euro. Und von der Wirtschaftskraft, die wir noch haben, können wir nicht profitieren, weil wir das Geld an Kreis, Land und Bund abgeben müssen.

Wir Kommunen wir müssen definitiv frühzeitiger als bisher in Entscheidungen einbezogen werden.

Was sollte die Bundespolitik mit Blick auf die Kommunen anders machen?

Wir Kommunen wir müssen definitiv frühzeitiger als bisher in Entscheidungen einbezogen werden. Es reicht nicht, den Städte- und Gemeindebund kurz anzufragen und ihm eine Woche Zeit zur Stellungnahme zu geben. Jeder Bundespolitiker und jede Landespolitikerin lebt in einer Kommune und fährt durch Kommunen. Auch sie sehen den aktuellen Stillstand, dass wir eben keine Häuser sanieren, Straßen bauen und Schulen ausbauen können. Dann müssen sie sich doch die Frage stellen: Woran liegt das? Sie haben es doch selbst in der Hand, in den Haushaltsberatungen des Bundes und als Verursacher der Bürokratie. Ich wünsche mir den Dialog mit den Kommunen: Alle Kreisabgeordneten auf Bundes- und Landesebene sollten sich regelmäßig mit den Bürgermeistern austauschen. Und Gesetzesentwürfe müssen in der Praxis umsetzbar sein, ohne großen Schulungsaufwand und ohne die Notwendigkeit, zusätzliches Personal einzustellen.

Wie stehen Sie dazu, dass sich Ende Januar nach dem Tabubruch auf Bundesebene, also der gemeinsamen Antragsabstimmung mit der AfD, FDP-Mitglieder der Abstimmung zum Zustrombegrenzungsgesetz ferngeblieben sind?

Das Fernbleiben und die Gegenstimmen kann ich absolut nachvollziehen. Allerdings war es für mich ein Versagen aller Parteien. Die FDP hat ja eine Konsensbildung und einen gemeinsamen Antrag mit CDU, SPD und Grünen angeregt, wobei das viel früher hätte passieren müssen. Insgesamt zeigen diese Ereignisse, dass die Bundesregierung einfach nicht in der Lage war, vernünftig und sachlich zu kommunizieren. Wir hätten diese Diskussion nicht, wenn klar gewesen wäre, dass Demokrat-Sein auch bedeutet, mit anderen demokratischen Parteien zusammenzuarbeiten.

Die Politik und die Parteien müssen sich mehr Arbeit machen und besser werden, damit der Gesetzesentwurf perfekt ist, die Risiken bedacht und die Kommunikation abgestimmt sind.

Angesichts dessen, wie Sie in Ihrer Kommune unterwegs sind: Was raten Sie einem künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz im Umgang mit der AfD?

Zunächst muss sich die AfD auf Bundesebene als seriöse und ernstzunehmende Partei beweisen. Auch als Opposition lässt sich Politik machen, und als solche muss er sie behandeln. Wenn die AfD auf Bundesebene einen Gesetzesvorschlag unterstützt, weil er gut für unser Land ist, kann man sich dem nicht verwehren, das sieht man bei uns in der Stadt. Opposition heißt auch nicht, dass sie keine eigenen Anträge einbringen oder dass sie keine Änderungsanträge zu einem Gesetzesvorhaben erarbeiten kann. Entsprechend gilt: Die Politik und die Parteien müssen sich mehr Arbeit machen und besser werden, damit der Gesetzesentwurf perfekt ist, die Risiken bedacht und die Kommunikation abgestimmt sind, damit es eben keine kontroversen Diskussionen zwischen SPD und CDU zum Thema Migration gibt. Das können sich die Parteien nicht leisten, denn davon wird die AfD profitieren.

Sie haben Nachholbedarf in Social Media erwähnt. Auf welchen Plattformen sind Sie unterwegs?

Ich habe seit kurzem einen TikTok-Kanal und muss gestehen, es fällt schwer, dafür Content zu kreieren. Es ist ein Spagat: Einerseits bin ich Bürgermeisterin und damit eine Respektsperson mit viel Verantwortung, andererseits bin ich selbst Bürgerin der Stadt, Ehefrau und Stiefmama. Meinen Facebook-Kanal betreibe ich schon länger. Dort poste ich zum Beispiel politische Zusammenfassungen, gehe offen mit den Themen um, die die Stadt Zossen betreffen, und argumentiere mit meinen Wählerinnen und Wählern. Auch hier gilt: Man muss mit den Reaktionen umgehen können. Ich hatte zum Beispiel einen Stalker, der mittlerweile verurteilt ist und sich mir nun ein halbes Jahr nicht nähern darf. Trotzdem kommt er zu vielen Veranstaltungen, bei denen ich vor Ort bin. Das hat mich bereits zwei Monatsgehälter gekostet, was die Rechtschutzversicherung nicht übernimmt, abgesehen von dem Aufwand wie Polizei rufen und Anzeige aufgeben.

Fühlen Sie sich gut geschützt?

Ich stehe im guten Austausch mit unserer Polizei, die über die Zeit dazugelernt hat. Trotzdem würde ich mir mehr wünschen. Ich brauche zwar nicht ständig Personenschutz, aber eine Kameraüberwachung, ohne am Datenschutz zu verzweifeln, und mehr Polizeipräsenz statt ausschließlich Ordnungsamt und Sicherheitsdienst auf Veranstaltungen wie Stadtfesten, wo einige Menschen stark alkoholisiert sind und die Stimmung schnell kippen kann, wären gut.

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