In ihrer monatlichen Kolumne blickt Agenturchefin Petra van Laak auf die Sprachblüten im öffentlichen Sektor. Dieses Mal verlässt sie jedoch die Verwaltung und macht deutlich, wie ein geschickter Aufbau eines Briefes und Empathie die Lesenden in den Bann ziehen – und warum wir jungen Menschen öfter zuhören sollten.
Heute widmen wir uns einmal dem Aufbau eines Schreibens. Wir verlassen dafür den Verwaltungsbereich und schauen uns einen Brief von einer Tochter an ihren Vater an. Denn davon können wir uns eine Menge abschauen. Nicht nur, was die Wortwahl betrifft. Achten Sie auf die Dramaturgie des Textes. Und Sie werden verstehen, warum die 15-Jährige mit ihren Zeilen ins Herz trifft.
So beginnt der Brief der Heranwachsenden an ihren Papa:
Lieber Paps, in der 8. Klasse hieß es immer: Boah, hast du nen coolen Vater!“
Die Jugendliche ist in der 9. Klasse, als sie die Zeilen verfasst. Egal, ob Sie mit dem jungen Mädchen verwandt sind oder nicht: Sie wollen wahrscheinlich wissen, wie es weitergeht. Warum ist das so?
Warum Sie weiterlesen wollen
Der Opener ist klug gewählt:
- „in der 8. Klasse“: ein Blick zurück, nicht im Zorn, sondern um einen späteren Vergleich einzuleiten
- „es hieß immer“: Hier bekommt die lesende Person eine Perspektive von anderen auf sich selbst
- „nen coolen Vater“: ein fettes Lob, aber es schwingt schon die Einschränkung mit, weil die Vergangenheitsform „es hieß“ vorgeschaltet ist
So geht es weiter:
Jetzt bin ich 15. Ich darf fast alles, wenn auch nur mit deiner Erlaubnis. Und deine Coolness ist sehr zurückgegangen. Zwar nicht, wenn ich mich verabreden will, aber bei vielen anderen Dingen.“
Oh, jetzt kommt der Vater ins Grübeln. Sie wahrscheinlich auch. Die Jugendliche nutzt eine sehr feine Wortwahl:
- „Ich darf fast alles“: Das Wörtchen „fast“ zeigt, dass das Mädchen relativieren kann
- „wenn auch nur“: Oha, hier kommt die Einschränkung
Und der folgende Satz tut jetzt richtig weh:
Und deine Coolness ist sehr zurückgegangen.“
Sie schreibt „und“ und nicht „aber“. Das ist sehr klug, denn sie lässt zwei Aussagen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. „ist sehr zurückgegangen“ ist natürlich eine Behauptung, also keine Ich-Kundgabe. Für eine Heranwachsende ist das aber völlig okay.
Das richtige Gespür für Dramaturgie
Wir wissen nicht, ob die Jugendliche eine gute Intuition hat oder ob im Deutsch-Curriculum der 9. Klasse gerade Rhetorik und antikes Drama durchgenommen wird. Fest steht, dass wir nach jeder ihrer geschriebenen Zeilen weiter in den Text hineingezogen werden. Der Vater (und wir auch) fragt sich, was die Tochter mit ihrem Brief bezwecken will. Die einleitenden Worte steuern allesamt auf den Höhepunkt zu:
Ich bin jetzt 15 und fest entschlossen, das Abi zu machen. Ich wünsche mir von dir, dass du mich wie eine Jugendliche behandelst.“
Liebe erwachsene Leserin, lieber erwachsener Leser: Nehmen Sie sich diese Sätze der jungen Frau zum Vorbild. Sie fordert nicht, sie erwartet nichts – sie wünscht sich etwas. Und jetzt kommt sie tatsächlich noch mit Empathie – eine reife Leistung:
Ich weiß, dass du Angst hast, ich würde zu viel am Handy hängen. Aber ich weiß, wieviel Zeit ich auf TikTok verbringe und wie viel ich für die Schule machen muss."
- „Ich weiß, dass du Angst hast“: Sie fühlt sich in ihr Gegenüber ein.
- „Ich weiß, wie viel Zeit ich auf TikTok … und wie viel ich für die Schule …“: Sie zeigt ihr Bewusstsein für die Situation. Sie wiederholt das Wörtchen „wie viel“ und bindet so TikTok und Schule zusammen. Das ist ein geschickter Schachzug.
Im dritten Akt löst sich alles auf
Der Brief der Tochter ist wie ein antikes Drama aufgebaut: Im ersten Akt gibt es die Einleitung, die Exposition: Du warst mal cool und bist es nicht mehr. Im zweiten Akt kommt es zum Konflikt: Der Vater hat Angst vor zu viel Handyzeit versus die Tochter möchte wie eine Jugendliche behandelt werden. Im dritten Akt eines klassischen Dramas werden die Themen zusammengebunden und aufgelöst. Oder es muss jemand sterben, was hier glücklicherweise nicht der Fall ist.
Und so gestaltet die Tochter den 3. Akt:
Ich wünsche mir wieder die Freiheit über meine Handyzeit und damit auch für einen Teil des Lebens eines Jugendlichen. Das Smartphone gehört heute zum Leben dazu. Ich glaube, im Moment gibt es so große Unterschiede im Leben der Generationen, dass ich es nicht anders erklären kann.
Deine große Tochter“
Berührt Sie dieser Brief? Warum ist das so?
- Die Verfasserin äußert Wünsche, sie fordert nicht.
- Sie sagt, was sie und was andere vom Empfänger halten („cooler Vater“ und „Coolness ist zurückgegangen“).
- Sie versucht, die Situation zu erklären.
- Sie versucht, sich in die Lage des Empfängers hineinzuversetzen.
- Sie sieht den Kontext, sie ordnet das sogar demografisch ein.
- Gleichzeitig zeigt sie ihre Hilflosigkeit gegenüber der Situation („dass ich es nicht anders erklären kann“).
- Sie setzt mit dem Adjektiv „große“ in der Verabschiedung neue Maßstäbe in der Beziehung zwischen Tochter und Vater.
Was lernen wir jetzt daraus?
- Ein durchdachter Aufbau zieht Ihre Leserschaft sofort in Ihre Themen hinein.
- Es ist nicht ganz verkehrt, sich am antiken Drama zu orientieren.
- Empathie öffnet Herzen.
- Einen Kontext herzustellen macht jedes Thema verständlicher.
- Und das Allerwichtigste: Hören wir alle öfter den jungen Leuten zu.
Herzlich grüßt Sie
Petra van Laak
Sind Ihnen in letzter Zeit Sprachblüten aufgefallen? Schicken Sie sie gerne an mich! Meine Kontaktdaten finden Sie hier im Autorenprofil.