Kinderreiche Familien, ältere Menschen und junge Leute – sie alle lebten früher Tür an Tür. Der Mix war gewollt. Inzwischen driften die sozialen Gruppen räumlich auseinander. Insbesondere nimmt die Ballung von Sozialhilfe-Empfängern zu. Und zwar am stärksten dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern wohnen. Bestimmte soziale Gruppen leben zunehmend in bestimmten Wohnvierteln. Die sozial-räumliche Segregation schreitet voran – besonders im Osten.
Sozial gemischte Stadt heute keine Realität mehr
Diese Trends zeigt eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Das WZB untersuchte für die Jahre 2005 bis 2014 die Frage: "Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?". Die Ergebnisse fußen auf amtlichem Datenmaterial aus 74 Großstädten. Die Studie, die im Mai 2018 veröffentlicht wurde, ist nach WZB-Angaben die bislang umfangreichste Arbeit zur räumlichen Verteilung sozialer Gruppen. Die Kernaussage lautet, "dass in vielen deutschen Städten die Idee einer sozial gemischten Stadtgesellschaft nicht mehr der Wirklichkeit entspricht."
Arme Menschen ziehen in arme Stadtviertel
Die WZG-Autoren beschreiben die soziale, ethnische und demografische Segregation. Danach hat in gut 80 Prozent der Städte die räumliche Ballung von Menschen, die Grundsicherung nach SGB II beziehen, zugenommen – am stärksten dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern und viele arme Menschen leben. Ostdeutsche Städte wie Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt, Halle und Weimar verzeichnen hier die stärksten Zuwächse. Die Studie zeigt: Die Spaltung nimmt dort schneller zu, wo eine bestimmte Schwelle der Armutssegregation bereits überschritten ist.
Bildungsferne Nachbarschaft schränkt Lebenschancen ein
Arme Familien mit Kindern sind von der Spaltung besonders betroffen. Laut Studie gibt es in 36 Städten Quartiere, in denen mehr als die Hälfte aller Kinder von Sozialleistungen leben – was sich negativ auf deren Lebenschancen auswirkt. Die Forschung zeige, "dass die Nachbarschaft auch den Bildungserfolg beeinflusst."
Aber auch bestimmte Altersgruppen wohnen seltener Tür an Tür. So konzentrieren sich junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren zunehmend in bestimmten Wohnvierteln, in anderen wiederum alte Menschen ab 65 Jahren.
Soziale Schere im Osten öffnet sich weiter
Laut Studie hat sich die soziale Schere von 2005 bis 2014 im Osten um 23,4 Prozent und im Westen um 8,3 Prozent weiter geöffnet. Inzwischen müssten schon im Mittel über 26 Prozent der Sozialhilfe-Empfänger umziehen, um eine Gleichverteilung innerhalb einer Stadt zu erreichen.
Aufgabe der Politik müsse es sein, die Segregation zu begrenzen, deren Folgen abzumildern und die soziale Entwicklung weiter wissenschaftlich im Auge zu behalten. Mit dem Bau von Sozialwohnungen allein sei es nicht getan.